Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 2 J 1192/71
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden von 26. Oktober 1971 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin, für die eine Versicherungszeit von 190 Kalendermonaten nachgewiesen ist, war seit dem 24. Januar 1961 als Friseurmeisterin und Inhaberin eines Friseur-Salons in die Handwerksrolle der Handwerkskammer B. eingetragen. Sie war nach § 6, Abs. 3 Handwerkerversicherungsgesetz (HwVG) von der Versicherungspflicht befreit (Bescheid der Landesversicherungsanstalt – LVA – Westfalen vom 11. Januar 1963). Der Vermieter kündigte am 7. Dezember 1967 das Geschäftslokal der Klägerin zum 30. November 1963. Nach der gewerbepolizeilichen Feststellung gab die Klägerin am 30. Juni 1968 ihren Betrieb auf und wurde – nach einer von der Handwerkskammer genehmigten verlängerten Frist – zum 31. Oktober 1968 in der Handwerksrolle gelöscht.
Am 12. Juni 1969 eröffnete die Klägerin in H. einen Friseur-Salon und wurde auch in die Handwerksrolle eingetragen.
Mit dem Bescheid vom 13. August 1969 zog die Beklagte die Klägerin zur Handwerkerversicherung und zur Zahlung von Beiträgen heran. Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, daß sie durch den Bescheid der LVA Westfalen vom 11. Januar 1963 von der Versicherungspflicht zur Handwerkerversicherung befreit worden sei. Mit dem Widerspruchsbescheid vom 27. Januar 1970 wies die Beklagte den eingelegten Rechtsbehelf zurück.
Mit ihrer Klage machte die Klägerin geltend, daß der Löschung in der Handwerksrolle der Handwerkskammer B. nicht eine freiwillige Betriebsaufgabe vorangegangen sei. Sie habe zunächst beabsichtigt, ihren Betrieb zur Wahrung ihrer Stammkundschaft in B. weiterzuführen. Da sie aber trotz umfangreicher Bemühungen ein geeignetes Geschäftslokal nicht habe anmieten können, sei sie zu ihren Schwiegereltern nach H. gezogen, wo sie die Betriebsgegenstände des Friseur-Salons einstweilen untergestellt habe.
Auch dort habe sie sich sofort, genau wie in L., um ein geeignetes Geschäftslokal bemüht. Ihr Ehemann sei zwar Lehrer in L. gewesen, doch habe sie nie ihren Handwerksbetrieb endgültig aufgeben wollen. Die Löschung in der Handwerksrolle der Handwerkskammer B. dürfe demnach nicht zur Aufgabe der einmal ausgesprochenen Versicherungsfreiheit führen. Durch das Nichtfinden eines Geschäftslokals in B., H. oder L. werde sie nun, sofern der Standpunkt der Beklagten rechtens sei, doppelt belastet. Sie habe die Prämienleistung zur Lebensversicherung und die Beiträge zur Handwerkerversicherung zu erbringen. Durch die Vorlage zweier im Wortlaut übereinstimmender Schriftstücke des Maklerbüros "XXXX” in W. werde bewiesen, daß sie sich um ein geeignetes Geschäftslokal bemüht habe.
Die Beklagte vertrat hingegen die Auffassung, daß die Klägerin durch die Löschung in der Handwerksrolle nach § 6, Abs. 5 HwVG nicht mehr von der Versicherungspflicht befreit sei. Es handele sich nicht um eine Verlegung eines Geschäftslokals in den Bezirk einer anderen Handwerkskammer, sondern um die Neubegründung eines Handwerksbetriebes ein Jahr nach Aufgabe des alten Betriebes.
Das Sozialgericht Wiesbaden hob mit dem Urteil vom 26. Oktober 1971 den Bescheid der Beklagten vom 13. August 1969 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Januar 1970 auf. Zur Begründung seiner Entscheidung führte es aus, daß eine reine Anfechtungsklage zu beurteilen sei. Eine Feststellungsklage über das Bestehen einer Versicherungspflicht zur Handwerkerversicherung nach § 55 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sei nicht erforderlich. Nach seiner Ansicht hat die Klägerin im Juni 1968 nicht freiwillig ihren Handwerksbetrieb aufgegeben, sondern aus Gründen der Kündigung durch den Vermieter ihres Geschäftslokals. § 6, Abs. 5 HwVG sei nicht eng auszulegen. Die einmal nach § 6, Abs. 3 HwVG bestehende Versicherungsfreiheit gehe dann nicht unter, wenn die Klägerin unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern, ihren Handwerksbetrieb im Bereich einer anderen Handwerkskammer aufgenommen habe. Dies sei hier der Fall.
Die Beklagte wendet sich mit ihrer am 7. Dezember 1971 eingegangenen Berufung gegen das ihr am 23. November 1971 zugestellte Urteil. Sie hält das angefochtene Urteil nicht für überzeugend. Nach ihrer Ansicht ist durch die Löschung des Handwerksbetriebes der Klägerin in der Handwerksrolle der Handwerkskammer B. am 31. Oktober 1968 die Beitragsbefreiung nach § 6 Abs. 5 HwVG entfallen. Mit der Neubegründung des jetzigen Handwerksbetriebes trete eine Versicherungspflicht nach § 1 HwVG ein. Nur eine kurzfristige Unterbrechung des Handwerksbetriebes und damit verbundene Löschung in der Handwerksrolle rechtfertige die Nichtanwendung des § 6 Abs. 5 a.a.O. Die Klägerin habe jedoch nicht nachgewiesen, alle erforderlichen Maßnahmen zur Anmietung eines Geschäftslokals ergriffen zu haben. Eine besondere Härte liege für die Klägerin nicht vor, wenn sie zur Handwerkerpflichtversicherung herangezogen werde. Sie habe mit ihrem Schreiben vom 13. Oktober 1968 gegenüber der Handwerkskammer B. nicht auf eine Verlagerung oder die Fortsetzung des Betriebes im Bereich einer anderen Handwerkskammer aufmerksam gemacht.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 26. Oktober 1971 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie bezieht sich auf die nach ihrer Ansicht zutreffenden Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils, das der Sach- und Rechtslage entspreche.
Die Akten der Handwerkskammer B. wurden Gegenstand des Rechtsstreits. Der Senat hörte die Klägerin informatisch und ihren Ehemann H. E. als Zeugen. Auf die Sitzungsniederschrift und den Inhalt der Renten- und Streitakten sowie der beigezogenen Akten wird im übrigen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte und auch statthafte Berufung ist unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts ist nicht zu beanstanden, denn es stellt mit zutreffender Begründung fest, daß es sich bei der erhobenen Klage um eine Anfechtungs- und Aufhebungsklage handelt, d.h. die Klägerin brauchte nur zu beantragen den Bescheid der Beklagten in der Gestalt des Widerspruchsbescheides aufzuheben. Mit der Aufhebung des Verwaltungsaktes ist incidenter festgestellt, daß für die Klägerin eine Versicherungspflicht zur Handwerkerversicherung nicht besteht, so daß es der Erhebung einer besonderen Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 SGG nicht bedurfte.
Auch in materiellrechtlicher Hinsicht ist das angefochtene Urteil richtig. Die Klägerin ist nach § 6 Abs. 3 HwVG weiterhin von der Versicherungspflicht befreit. Die Beklagte beruft sich zu Unrecht auf die Vorschrift des § 6 Abs. 5 HwVG, nach der die Versicherungsfreiheit bei Löschung der Eintragung des Handwerkes in der Handwerksrolle endet. Ihr ist zwar zuzugeben, daß der Handwerksbetrieb der Klägerin mit dem 31. Oktober 1968 in der Handwerksrolle der Handwerkskammer B. gelöscht worden ist, doch ist § 6 Abs. 5 HwVG in Übereinstimmung mit dem Sozialgericht nicht eng auszulegen. Die Regelung des § 6 Abs. 5 HwVG ist nur dann zu rechtfertigen, wenn der Handwerker seinen Betrieb in der Handwerksrolle zum Zwecke der endgültigen Aufgabe des Handwerkes löschen läßt. Dieser Fall liegt hier jedoch nicht vor. Die Klägerin war nach ihren Angaben, die durch die Aussage des Zeugen H. E. bestätigt werden bereits seit Erhalt der Kündigung im Dezember 1967 immer bemüht, ein neues Geschäftslokal zu finden. Sie hat aus diesem Grunde nicht nur die Tageszeitung auf entsprechende Angebote über die Vermietung von Geschäftslokalen überprüft, sondern auch ihre Steuerberaterin T. beauftragt, für sie Nachforschungen zur Anmietung eines geeigneten Geschäftslokales anzustellen. Der Senat hat keine Bedenken, diesen Angaben der Klägerin zu folgen, zumal sie durch Schilderungen verschiedener einzelner Projekte untermauert wurden. Die Klägerin konnte genau angeben, warum sich zwei Projekte zerschlagen hatten. Außerdem werden ihre Angaben durch die Bekundungen des Zeugen H. E. bestätigt. Auch er gibt an, daß die Klägerin bereits in B. sich ernsthaft bemüht hat, ein geeignetes Lokal für die Fortsetzung ihres Handwerkes zu suchen. Es ist durchaus glaubhaft, daß trotz ernster Bemühung ein Geschäftslokal nicht gefunden worden konnte. Dabei darf nicht verkannt werden, daß für die Einrichtung eines Friseur-Salons besondere Anforderungen an die Geschäftsräume zu stellen sind; die Anlage für die Installation für Kalt- und Warmwasserversorgung, für ausreichendes Tageslicht und dergl., Heizung und Beleuchtung müssen gewährleistet sein. Außerdem muß das Geschäftslokal möglichst im Stadtzentrum und an Durchgangsstrassen liegen, damit die Rentabilität des Handwerksbetriebes gesichert ist. Es ist daher nur zu verständlich, wenn es der Klägerin in der Zeit bis zur Geschäftsaufgabe im Juni 1968 nicht gelungen ist, ein geeignetes Geschäftslokal zu finden. Es kann ihr auch nicht angelastet werden, daß sie bereits zu jener Zeit ihren Handwerksbetrieb aufgegeben hat, obwohl ihr Mietvertrag bis zum 30. November 1968 lief. Sie hat glaubhaft geschildert, daß der Übernehmer ihres Geschäftslokales, ihr bisheriger Geschäftsnachbar auf die baldige Überlassung der Geschäftsräume drängte und schon mit den Ausbau- und Erweiterungsarbeiten in seinem eigenen Geschäftslokal begonnen hat. Diese Störungen und der Umstand, daß ihr als Lehrer in H. tätige Ehemann bei dem Ausbau ihrer Geschäftseinrichtung helfen konnte, ist ein ausreichender Grund für die vorzeitige Beendigung des Mietverhältnisses. Die Beklagte kann sich nicht auf die Mitteilung der Handwerkskammer B. berufen, nach der die Klägerin ohne Hinweis auf die Fortsetzung ihres Handwerksbetriebes ihre Löschung in der Handwerksrolle der Handwerkskammer B. beantragt hat. Aus dem Schriftwechsel ist vielmehr zu entnehmen, daß die Klägerin in Juni 1968 nicht beabsichtigte ihren Handwerksbetrieb aufzugeben. Das ergibt sich auch aus dem Umstand, daß die Handwerkskammer B. die Frist zur Löschung in der Handwerksrolle bis zum 31. Oktober 1968 verlängerte. Auch die Tatsache, daß die Klägerin die Einrichtungsgegenstände ihres Friseur-Salons bei ihrem Umzug aus B. nach H. nicht veräußerte, ist ein Hinweis für ihren Willen den Handwerksbetrieb alsbald, also ohne schuldhaftes Zögern, in dem Bezirk einer anderen Handwerkskammer wieder aufzunehmen. So hat sie dem Gericht auch glaubhaft nachgewiesen, daß sie unverzüglich nach der Ordnung ihrer Verhältnisse in H. sich um die Anmietung eines neuen Geschäftslokales in H. oder L. oder an einem sonst für sie geeigneten Ort bemüht hat. Sie hat zwei Makler beauftragt, ihr geeignete Geschäftslokale zu besorgen. In der mündlichen Verhandlung konnte sie diesen Sachvortrag durch die Vorlage mehrerer Angebote der Makler nachweisen.
Der Zeuge H. E. hat auch glaubhaft bekundet, daß es der Klägerin um die Weihnachtszeit des Jahres 1968 gelungen war, Verhandlungen über den Ankauf eines Hauses einzuleiten, das für die Einrichtung ihres Handwerksbetriebes geeignet war. Diese Verhandlungen führten dann auch zu dem Kaufvertrag im März 1969, so daß die Klägerin bereits im April des gleichen Jahres mit der Installierung ihrer Geschäftseinrichtung beginnen konnte. Der Handwerksbetrieb konnte erst nach Beendigung des Einarbeitens am 12. Juni 1969 in die Handwerksrolle eingetragen werden. Damit ist jedoch nicht mehr eine Frist von der Löschung in der Handwerksrolle der Handwerkskammer B. und der Eintragung in die Handwerksrolle der Handwerkskammer L. von einem Jahr zu errechnen. Die Klägerin hat vielmehr unverzüglich sich nach Aufgabe ihres Betriebes, in B. um die Weiterführung ihres Handwerkes bemüht. Praktisch verbleibt nur eine Frist von einem halben Jahr, in der sie kein geeignetes Geschäftslokal finden konnte. Sie hat sich verhalten wie ein Handwerker, der seinen Handwerksbetrieb zur Grundlage seiner Existenz gemacht hat, der also auf die Einnahmen aus seinem Handwerksbetrieb als Lebens- und Existenzgrundlage angewiesen ist. Auch die Klägerin, die mit ihrem Ehemann in Gütertrennung lebt, war zur Sicherung ihres Unterhalts auf die Einkünfte aus dem Friseur-Salon angewiesen. Für den Senat besteht kein Anlaß diesen, von dem Zeugen H. E. bestätigten Angaben nicht zu folgen. Der Senat hält den Zeugen E. für glaubwürdig. Er hat nur indirekt ein Interesse am Ausgang des Rechtsstreites, denn er hält sich nicht für verpflichtet die finanziellen Lasten des Handwerksbetriebes seiner Frau zu tragen, d.h. für die Zahlung der Pflichtbeiträge einzutreten. Seine Schilderung der gesamten Umstände stimmt mit der Darlegung des Sachverhalts durch die Klägerin überein und ist überzeugend. Der Senat hat keine Bedenken dies zur Grundlage seiner Entscheidung zu machen.
Nach § 6 Abs. 5 HwVG endet die Versicherungsfreiheit nach § 6 Abs. 3 HwVG nur dann, wenn es sich um eine endgültige Löschung des Handwerks in der Handwerksrolle handelt. Beabsichtigt aber der Handwerker alsbald nach der Löschung seines Handwerkes in der Handwerksrolle in dem Bezirk einer anderen Handwerkskammer seinen Betrieb weiterzuführen, dann ist § 6 Abs. 5 HwVG nicht anzuwenden. Im vorliegenden Fall kann eine Frist von rund 5 Monaten von der Löschung des Handwerksbetriebes in der Handwerksrolle im Oktober 1968 bis zur Aufnahme der mit der Einrichtung des Geschäftslokales verbundenen Arbeiten im April 1969 noch als angemessen angesehen werden, um von der Weiterführung des Handwerks im Bereich einer anderen Handwerkskammer zu sprechen.
Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Rechtsfrage läßt der Senat nach § 162 Abs. 1 Ziff. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Revision zu.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin, für die eine Versicherungszeit von 190 Kalendermonaten nachgewiesen ist, war seit dem 24. Januar 1961 als Friseurmeisterin und Inhaberin eines Friseur-Salons in die Handwerksrolle der Handwerkskammer B. eingetragen. Sie war nach § 6, Abs. 3 Handwerkerversicherungsgesetz (HwVG) von der Versicherungspflicht befreit (Bescheid der Landesversicherungsanstalt – LVA – Westfalen vom 11. Januar 1963). Der Vermieter kündigte am 7. Dezember 1967 das Geschäftslokal der Klägerin zum 30. November 1963. Nach der gewerbepolizeilichen Feststellung gab die Klägerin am 30. Juni 1968 ihren Betrieb auf und wurde – nach einer von der Handwerkskammer genehmigten verlängerten Frist – zum 31. Oktober 1968 in der Handwerksrolle gelöscht.
Am 12. Juni 1969 eröffnete die Klägerin in H. einen Friseur-Salon und wurde auch in die Handwerksrolle eingetragen.
Mit dem Bescheid vom 13. August 1969 zog die Beklagte die Klägerin zur Handwerkerversicherung und zur Zahlung von Beiträgen heran. Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, daß sie durch den Bescheid der LVA Westfalen vom 11. Januar 1963 von der Versicherungspflicht zur Handwerkerversicherung befreit worden sei. Mit dem Widerspruchsbescheid vom 27. Januar 1970 wies die Beklagte den eingelegten Rechtsbehelf zurück.
Mit ihrer Klage machte die Klägerin geltend, daß der Löschung in der Handwerksrolle der Handwerkskammer B. nicht eine freiwillige Betriebsaufgabe vorangegangen sei. Sie habe zunächst beabsichtigt, ihren Betrieb zur Wahrung ihrer Stammkundschaft in B. weiterzuführen. Da sie aber trotz umfangreicher Bemühungen ein geeignetes Geschäftslokal nicht habe anmieten können, sei sie zu ihren Schwiegereltern nach H. gezogen, wo sie die Betriebsgegenstände des Friseur-Salons einstweilen untergestellt habe.
Auch dort habe sie sich sofort, genau wie in L., um ein geeignetes Geschäftslokal bemüht. Ihr Ehemann sei zwar Lehrer in L. gewesen, doch habe sie nie ihren Handwerksbetrieb endgültig aufgeben wollen. Die Löschung in der Handwerksrolle der Handwerkskammer B. dürfe demnach nicht zur Aufgabe der einmal ausgesprochenen Versicherungsfreiheit führen. Durch das Nichtfinden eines Geschäftslokals in B., H. oder L. werde sie nun, sofern der Standpunkt der Beklagten rechtens sei, doppelt belastet. Sie habe die Prämienleistung zur Lebensversicherung und die Beiträge zur Handwerkerversicherung zu erbringen. Durch die Vorlage zweier im Wortlaut übereinstimmender Schriftstücke des Maklerbüros "XXXX” in W. werde bewiesen, daß sie sich um ein geeignetes Geschäftslokal bemüht habe.
Die Beklagte vertrat hingegen die Auffassung, daß die Klägerin durch die Löschung in der Handwerksrolle nach § 6, Abs. 5 HwVG nicht mehr von der Versicherungspflicht befreit sei. Es handele sich nicht um eine Verlegung eines Geschäftslokals in den Bezirk einer anderen Handwerkskammer, sondern um die Neubegründung eines Handwerksbetriebes ein Jahr nach Aufgabe des alten Betriebes.
Das Sozialgericht Wiesbaden hob mit dem Urteil vom 26. Oktober 1971 den Bescheid der Beklagten vom 13. August 1969 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Januar 1970 auf. Zur Begründung seiner Entscheidung führte es aus, daß eine reine Anfechtungsklage zu beurteilen sei. Eine Feststellungsklage über das Bestehen einer Versicherungspflicht zur Handwerkerversicherung nach § 55 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sei nicht erforderlich. Nach seiner Ansicht hat die Klägerin im Juni 1968 nicht freiwillig ihren Handwerksbetrieb aufgegeben, sondern aus Gründen der Kündigung durch den Vermieter ihres Geschäftslokals. § 6, Abs. 5 HwVG sei nicht eng auszulegen. Die einmal nach § 6, Abs. 3 HwVG bestehende Versicherungsfreiheit gehe dann nicht unter, wenn die Klägerin unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern, ihren Handwerksbetrieb im Bereich einer anderen Handwerkskammer aufgenommen habe. Dies sei hier der Fall.
Die Beklagte wendet sich mit ihrer am 7. Dezember 1971 eingegangenen Berufung gegen das ihr am 23. November 1971 zugestellte Urteil. Sie hält das angefochtene Urteil nicht für überzeugend. Nach ihrer Ansicht ist durch die Löschung des Handwerksbetriebes der Klägerin in der Handwerksrolle der Handwerkskammer B. am 31. Oktober 1968 die Beitragsbefreiung nach § 6 Abs. 5 HwVG entfallen. Mit der Neubegründung des jetzigen Handwerksbetriebes trete eine Versicherungspflicht nach § 1 HwVG ein. Nur eine kurzfristige Unterbrechung des Handwerksbetriebes und damit verbundene Löschung in der Handwerksrolle rechtfertige die Nichtanwendung des § 6 Abs. 5 a.a.O. Die Klägerin habe jedoch nicht nachgewiesen, alle erforderlichen Maßnahmen zur Anmietung eines Geschäftslokals ergriffen zu haben. Eine besondere Härte liege für die Klägerin nicht vor, wenn sie zur Handwerkerpflichtversicherung herangezogen werde. Sie habe mit ihrem Schreiben vom 13. Oktober 1968 gegenüber der Handwerkskammer B. nicht auf eine Verlagerung oder die Fortsetzung des Betriebes im Bereich einer anderen Handwerkskammer aufmerksam gemacht.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 26. Oktober 1971 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie bezieht sich auf die nach ihrer Ansicht zutreffenden Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils, das der Sach- und Rechtslage entspreche.
Die Akten der Handwerkskammer B. wurden Gegenstand des Rechtsstreits. Der Senat hörte die Klägerin informatisch und ihren Ehemann H. E. als Zeugen. Auf die Sitzungsniederschrift und den Inhalt der Renten- und Streitakten sowie der beigezogenen Akten wird im übrigen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte und auch statthafte Berufung ist unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts ist nicht zu beanstanden, denn es stellt mit zutreffender Begründung fest, daß es sich bei der erhobenen Klage um eine Anfechtungs- und Aufhebungsklage handelt, d.h. die Klägerin brauchte nur zu beantragen den Bescheid der Beklagten in der Gestalt des Widerspruchsbescheides aufzuheben. Mit der Aufhebung des Verwaltungsaktes ist incidenter festgestellt, daß für die Klägerin eine Versicherungspflicht zur Handwerkerversicherung nicht besteht, so daß es der Erhebung einer besonderen Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 SGG nicht bedurfte.
Auch in materiellrechtlicher Hinsicht ist das angefochtene Urteil richtig. Die Klägerin ist nach § 6 Abs. 3 HwVG weiterhin von der Versicherungspflicht befreit. Die Beklagte beruft sich zu Unrecht auf die Vorschrift des § 6 Abs. 5 HwVG, nach der die Versicherungsfreiheit bei Löschung der Eintragung des Handwerkes in der Handwerksrolle endet. Ihr ist zwar zuzugeben, daß der Handwerksbetrieb der Klägerin mit dem 31. Oktober 1968 in der Handwerksrolle der Handwerkskammer B. gelöscht worden ist, doch ist § 6 Abs. 5 HwVG in Übereinstimmung mit dem Sozialgericht nicht eng auszulegen. Die Regelung des § 6 Abs. 5 HwVG ist nur dann zu rechtfertigen, wenn der Handwerker seinen Betrieb in der Handwerksrolle zum Zwecke der endgültigen Aufgabe des Handwerkes löschen läßt. Dieser Fall liegt hier jedoch nicht vor. Die Klägerin war nach ihren Angaben, die durch die Aussage des Zeugen H. E. bestätigt werden bereits seit Erhalt der Kündigung im Dezember 1967 immer bemüht, ein neues Geschäftslokal zu finden. Sie hat aus diesem Grunde nicht nur die Tageszeitung auf entsprechende Angebote über die Vermietung von Geschäftslokalen überprüft, sondern auch ihre Steuerberaterin T. beauftragt, für sie Nachforschungen zur Anmietung eines geeigneten Geschäftslokales anzustellen. Der Senat hat keine Bedenken, diesen Angaben der Klägerin zu folgen, zumal sie durch Schilderungen verschiedener einzelner Projekte untermauert wurden. Die Klägerin konnte genau angeben, warum sich zwei Projekte zerschlagen hatten. Außerdem werden ihre Angaben durch die Bekundungen des Zeugen H. E. bestätigt. Auch er gibt an, daß die Klägerin bereits in B. sich ernsthaft bemüht hat, ein geeignetes Lokal für die Fortsetzung ihres Handwerkes zu suchen. Es ist durchaus glaubhaft, daß trotz ernster Bemühung ein Geschäftslokal nicht gefunden worden konnte. Dabei darf nicht verkannt werden, daß für die Einrichtung eines Friseur-Salons besondere Anforderungen an die Geschäftsräume zu stellen sind; die Anlage für die Installation für Kalt- und Warmwasserversorgung, für ausreichendes Tageslicht und dergl., Heizung und Beleuchtung müssen gewährleistet sein. Außerdem muß das Geschäftslokal möglichst im Stadtzentrum und an Durchgangsstrassen liegen, damit die Rentabilität des Handwerksbetriebes gesichert ist. Es ist daher nur zu verständlich, wenn es der Klägerin in der Zeit bis zur Geschäftsaufgabe im Juni 1968 nicht gelungen ist, ein geeignetes Geschäftslokal zu finden. Es kann ihr auch nicht angelastet werden, daß sie bereits zu jener Zeit ihren Handwerksbetrieb aufgegeben hat, obwohl ihr Mietvertrag bis zum 30. November 1968 lief. Sie hat glaubhaft geschildert, daß der Übernehmer ihres Geschäftslokales, ihr bisheriger Geschäftsnachbar auf die baldige Überlassung der Geschäftsräume drängte und schon mit den Ausbau- und Erweiterungsarbeiten in seinem eigenen Geschäftslokal begonnen hat. Diese Störungen und der Umstand, daß ihr als Lehrer in H. tätige Ehemann bei dem Ausbau ihrer Geschäftseinrichtung helfen konnte, ist ein ausreichender Grund für die vorzeitige Beendigung des Mietverhältnisses. Die Beklagte kann sich nicht auf die Mitteilung der Handwerkskammer B. berufen, nach der die Klägerin ohne Hinweis auf die Fortsetzung ihres Handwerksbetriebes ihre Löschung in der Handwerksrolle der Handwerkskammer B. beantragt hat. Aus dem Schriftwechsel ist vielmehr zu entnehmen, daß die Klägerin in Juni 1968 nicht beabsichtigte ihren Handwerksbetrieb aufzugeben. Das ergibt sich auch aus dem Umstand, daß die Handwerkskammer B. die Frist zur Löschung in der Handwerksrolle bis zum 31. Oktober 1968 verlängerte. Auch die Tatsache, daß die Klägerin die Einrichtungsgegenstände ihres Friseur-Salons bei ihrem Umzug aus B. nach H. nicht veräußerte, ist ein Hinweis für ihren Willen den Handwerksbetrieb alsbald, also ohne schuldhaftes Zögern, in dem Bezirk einer anderen Handwerkskammer wieder aufzunehmen. So hat sie dem Gericht auch glaubhaft nachgewiesen, daß sie unverzüglich nach der Ordnung ihrer Verhältnisse in H. sich um die Anmietung eines neuen Geschäftslokales in H. oder L. oder an einem sonst für sie geeigneten Ort bemüht hat. Sie hat zwei Makler beauftragt, ihr geeignete Geschäftslokale zu besorgen. In der mündlichen Verhandlung konnte sie diesen Sachvortrag durch die Vorlage mehrerer Angebote der Makler nachweisen.
Der Zeuge H. E. hat auch glaubhaft bekundet, daß es der Klägerin um die Weihnachtszeit des Jahres 1968 gelungen war, Verhandlungen über den Ankauf eines Hauses einzuleiten, das für die Einrichtung ihres Handwerksbetriebes geeignet war. Diese Verhandlungen führten dann auch zu dem Kaufvertrag im März 1969, so daß die Klägerin bereits im April des gleichen Jahres mit der Installierung ihrer Geschäftseinrichtung beginnen konnte. Der Handwerksbetrieb konnte erst nach Beendigung des Einarbeitens am 12. Juni 1969 in die Handwerksrolle eingetragen werden. Damit ist jedoch nicht mehr eine Frist von der Löschung in der Handwerksrolle der Handwerkskammer B. und der Eintragung in die Handwerksrolle der Handwerkskammer L. von einem Jahr zu errechnen. Die Klägerin hat vielmehr unverzüglich sich nach Aufgabe ihres Betriebes, in B. um die Weiterführung ihres Handwerkes bemüht. Praktisch verbleibt nur eine Frist von einem halben Jahr, in der sie kein geeignetes Geschäftslokal finden konnte. Sie hat sich verhalten wie ein Handwerker, der seinen Handwerksbetrieb zur Grundlage seiner Existenz gemacht hat, der also auf die Einnahmen aus seinem Handwerksbetrieb als Lebens- und Existenzgrundlage angewiesen ist. Auch die Klägerin, die mit ihrem Ehemann in Gütertrennung lebt, war zur Sicherung ihres Unterhalts auf die Einkünfte aus dem Friseur-Salon angewiesen. Für den Senat besteht kein Anlaß diesen, von dem Zeugen H. E. bestätigten Angaben nicht zu folgen. Der Senat hält den Zeugen E. für glaubwürdig. Er hat nur indirekt ein Interesse am Ausgang des Rechtsstreites, denn er hält sich nicht für verpflichtet die finanziellen Lasten des Handwerksbetriebes seiner Frau zu tragen, d.h. für die Zahlung der Pflichtbeiträge einzutreten. Seine Schilderung der gesamten Umstände stimmt mit der Darlegung des Sachverhalts durch die Klägerin überein und ist überzeugend. Der Senat hat keine Bedenken dies zur Grundlage seiner Entscheidung zu machen.
Nach § 6 Abs. 5 HwVG endet die Versicherungsfreiheit nach § 6 Abs. 3 HwVG nur dann, wenn es sich um eine endgültige Löschung des Handwerks in der Handwerksrolle handelt. Beabsichtigt aber der Handwerker alsbald nach der Löschung seines Handwerkes in der Handwerksrolle in dem Bezirk einer anderen Handwerkskammer seinen Betrieb weiterzuführen, dann ist § 6 Abs. 5 HwVG nicht anzuwenden. Im vorliegenden Fall kann eine Frist von rund 5 Monaten von der Löschung des Handwerksbetriebes in der Handwerksrolle im Oktober 1968 bis zur Aufnahme der mit der Einrichtung des Geschäftslokales verbundenen Arbeiten im April 1969 noch als angemessen angesehen werden, um von der Weiterführung des Handwerks im Bereich einer anderen Handwerkskammer zu sprechen.
Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Rechtsfrage läßt der Senat nach § 162 Abs. 1 Ziff. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Revision zu.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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