Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 2 J 325/67
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/Main vom 17. Februar 1967 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die 1922 geborene Klägerin hatte von 1937 bis 1940 den Beruf einer Friseuse erlernt und diesen bis zum Jahre 1944 – unterbrochen von Arbeits- und Kriegshilfsdienst – ausgeübt, bis sie an einer Tuberkulose erkrankte.
Die Beklagte gewährte ihr mir Bescheid vom 8. Februar 1952 die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 1. Oktober 1951. Der Rentengewährung lag ein Gutachten der Tbc-Zentrale der Landesversicherungsanstalt B. vom 28. Mai 1951 zu Grunde, wonach damals eine bilaterale, vorwiegend rechtsseitig prod. indurative aktive Lungentuberkulose vorlag.
Am 1. April 1958 nahm die Klägerin eine ganztägige Beschäftigung als Kontrollarbeiterin bei der Firma H. und B. in F. auf, die sie bis zum 31. Juli 1971 gegen einen Stundenlohn vom 3,91 DM bis 5,35 DM ausübte. Seitdem ist sie bei der Firma L. als Hilfskraft in der Fotokopierstelle gegen einen Stundenlohn von 6,58 DM bei sechsstündiger Arbeitszeit tätig.
Die Beklagten ließt die Klägerin mehrfach nachuntersuchen. Nach dem Gutachten der Lungenfachärzte Dr. R. und Dr. B. vom 10. Mai 1961 hat sich die Lungentuberkulose und die gleichfalls vorhanden gewesen Meningitistuberkulose stabilisiert und ist inaktiv geworden. Die Klägerin wird jedoch noch nicht für fähig erachtet, ihren Beruf als Friseuse wieder auszuüben. Sie kann aber die vom ihr verrichteten Kontrollarbeiten ausführen, ohne auf Kosten ihrer Gesundheit zu arbeiten. Zu dem gleichen Ergebnis gelangt ein am 30. Juli 1963 von Dr. H. erstelltes Gutachten und ein am 9. Oktober 1963 von Dr. R. und Dr. B. erstattetes lungenfachärztliches Gutachten, das sogar annimmt, daß die Klägerin auch als Friseuse wieder tätig sein kann. Diese Auffassung wird allerdings von dem Nervenfacharzt Dr. W. in einem am 16. März 1964 erstellten Gutachten nicht geteilt. Er ist der Meinung, die Klägerin könne wegen der ständigen Belastung, die bei der Tätigkeit einer Friseuse durch ständiges Stehen entstehe, als solche nicht mehr tätig sein, sei aber in der Lage, leichte bis mittelschwere Arbeiten ohne ständiges Stehen 6 bis 8 Stunden täglich zu verrichten.
Die Beklagte zog daraufhin Berufsförderungsmaßnahmen in Gestalt einer Ausbildung zur Maniküre oder Perückenmacherin in Erwägung und bat die Klägerin um ihre Zustimmung hierzu.
Die Klägerin teilte auf Antrage der Beklagten mit, daß sie nicht über die Kenntnisse und Fähigkeiten einer Maniküre oder einer Perückenmacherin verfüge. Für ihre jetzige Tätigkeit sei sie angelernt worden, fühle sich einigermaßen wohl und könne diese Arbeit durchhalten, wenn auch ihr verdienst geringer sei als der einer Friseuse. Zu einer Umschulung sei sie gesundheitlich nicht in der Lage.
Die Beklagte wies die Klägerin am 21. Januar 1965 auf die Rechtsfolgen des § 1243 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) hin und bat nochmals um das Einverständnis zu Rehabilitationsmaßnahmen. Da keine Zustimmung von der Klägerin einging, übersandte sie am 17. März 1965 die Akten an die Landesversicherungsanstalt (LVA) Hessen mit der Bitte, die Klägerin zu bewegen, ihr Einverständnis zu den Umschulungsmaßnahmen zu geben und Vorschläge für eine geeignete Ausbildung zu machen.
Die LVA Hessen leitete ihrerseits die Akten an das Arbeitsamt zur Prüfung der Frage weiter, ob und ggf. welche Umschulungsmaßnahmen erforderlich seien. Das Arbeitsamt hielt Umschulungsmaßnahmen nicht für erforderlich, weil die Klägerin mit ihrer derzeitigen Arbeit zufrieden sei und eine Änderung nicht vorzunehmen wünsche. Auf die nochmalige Bitte der LVA Hessen, Umschulungsmaßnahmen mit der Klägerin zu erörtern, lud das Arbeitsamt F. die Klägerin am 20. Januar 1966 vor. Nach einem Aktenvermerk vom gleichen Tag möchte die Klägerin ihre seitherige Tätigkeit beibehalten und auf die Weiterzahlung der Berufsunfähigkeitsrente verzichten. Sie wünsche keine Umschulung in einen anderen Beruf mit größerem sozialem Ansehen.
Nunmehr entzog die beklagte mit Bescheid vom 23. Februar 1966 die der Klägerin gewährte Rente, weil sie wieder in der Lage sei, zumindest leichte Arbeiten ganztägig zu verrichten und diese auch seit dem 1. April 1958 ausübe. Die Berufsfähigkeit der Klägerin sei nach ihrer Verzichtserklärung vor dem Arbeitsamt F. Nunmehr nach dem allgemeinen Arbeitsfeld zu beurteilen.
Mit ihrer Klage trug die Klägerin vor, die eingeholten Gutachten ließen außer Acht, daß sie auch heute noch unter starken Kopfschmerzen zu leiden habe. Es sei ihr unklar, weshalb ihr die Möglichkeit genommen werden solle, ihre derzeit leichte Arbeit weiter auszuführen. Ein Arbeitsplatzwechsel wäre für sie eine Belastung, weil es fraglich sei, ob sie so günstige Arbeitsbedingungen, wie sie sie jetzt habe, nochmals antreffen würde. Eine solche günstige Arbeitsgelegenheit könne ihr nicht garantiert werden. Die vorgeschlagene Umschulung gehe an der Sachlage vorbei. Ihr Gesundheitszustand habe sich nicht gebessert, sondern eher verschlechtert. Im übrigen habe sie auf die Rente nicht verzichtet. Sie habe nur ihre Bedenken gegen die vorgesehene Umschulung zum Ausdruck gebracht. Das Verhalten der beklagten sei arglistig, weil sie die Umschulung anbiete, um die Rente entziehen zu können, obwohl sie wisse, daß eine Umschulung erfolglos sei.
Das Sozialgericht hob den Entziehungsbescheid der Beklagten vom 23. Februar 1966 mit Urteil vom 17. Februar 1967 auf. Zur Begründung führte es aus, eine Änderung der Verhältnisse sei nicht eingetreten. Zwar sei die Lungen-Tbc. klinisch ausgeheilt, doch sei die Klägerin als Friseuse noch berufsunfähig. Auf andere Arbeiten könne sie nicht verwiesen werden.
Die vorgesehene Ausbildung sei nicht durchgeführt worden. Nach dem Gutachten des Nervenfacharztes Dr. W. müsse auch damit gerechnet werden, daß diese nicht zum Erfolg geführt hätte.
Gegen dieses am 7. März 1967 zum Zwecke der Zustellung an die Beklagte bei der Post aufgelieferte Urteil hat diese am 30. März 1967 Berufung eingelegt. Sie macht geltend, die Änderung der Verhältnisse sei durch die eingeholten Gutachten nachgewiesen. Es stehe auch fest, daß die Klägerin wieder leichte und mittelschwere Arbeiten verrichten könne. Zwar könne sie als Friseuse nach wie vor nicht mehr tätig sein, dich sei sie körperlich befähigt, als maniküre, Pediküre oder Perückenmacherin zu arbeiten. Da ihr hierfür die Kenntnisse fehlten, sei eine Umschulung beabsichtigt gewesen. Die Klägerin habe aber derartige Maßnahmen abgelehnt. Damit habe sie zum Ausdruck gebracht, daß sie auf den sog. Berufsschutz einer Friseuse verzichte. Sie könne deshalb auf das allgemeine Arbeitsfeld verwiesen werden. In ihrem Verzicht liege eine Änderung der Verhältnisse, die zur Entziehung der Rente berechtige.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/M. vom 17. Februar 1967 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie trägt vor, anläßlich ihrer ersten Vorsprache beim Arbeitsamt F. habe die Sachbearbeiterin, Frau S., zum Ausdruck gebracht, daß eine Umschulung unverständlich sei. Eine Umschulung sei weder möglich noch zweckmäßig. Bei der zweiten Rücksprache habe dieselbe Sachbearbeiterin ihr gesagt, sie könne für den Erfolg der Umschulung nicht garantieren und auch keine Gewähr dafür leisten, daß sie nach der Umschulung so weil verdiene wie jetzt. Sie werde die Rente verlieren, sobald sie in eine Umschulung einwillige. Wenn sie nicht einwillige, verliere sie die Rente auch. Sie habe sich daher zu Recht geweigert, sich umschulen zu lassen, weil die Umschulung auf einen Beruf, den sie nicht ausüben könne, keine Besserung bringe. Von einem Verzicht auf Rente könne keine Rede sein. Sie habe nur zu erkennen gegeben, daß sie mit den Maßnahmen der Beklagten nicht einverstanden sei. Wie sie als Perückenmacherin ihren Lebensunterhalt verdienen solle, sei auch Frau S. unbekannt gewesen. Die Maniküre werde nur nebenbei ausgeführt und als Kosmetikerin sei sie schlechter Luft und unerträglichen Dämpfen ausgesetzt. Gegen eine Umschulung habe sie jetzt nichts mehr einzuwenden, wenn es sich um einen aussichtsreichen Beruf mehr handele. Allerdings habe sich ihr Leiden in der Letzten Zeit wieder verschlechtert. Sie habe deshalb ihre Stellung gewechselt und arbeite nur noch 6 Stunden täglich. Nach einem Befundbericht des Internisten Dr. W. vom 14. Dezember 1971 liege eine beginnende Rechtsherzinsuffizienz vor.
Der Senat hat die Akten des Arbeitsamts Frankfurt/M. – XXXXX – und der LVA Hessen – XYXYXY – beigezogen. In den Akten des Arbeitsamts befindet sich unter dem 20. Januar 1966 folgender Vermerk:
"Frau H. spricht vor und teilt mit, daß sie ihre seitherige Tätigkeit beibehalten möchte und auf die Weiterzahlung der BU Rente von mtl. DM 109,– verzichte. Eine berufliche Förderung in Form einer Umschulung in einen anderen Beruf mit größerem sozialem Ansehen wird nicht gewünscht. Frau H. hat seit 1952 BU-Rente bezogen.”
Sodann hat der Senat die Zeugin S. über die mit der Klägerin geführten Umschulungsgespräche gehört. Diese hat im wesentlichen bestätigt, daß der von ihr gefertigte Aktenvermerk der Richtigkeit entspreche und die Klägerin keine Umschulung gewünscht habe. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Vernehmungsniederschrift (Bl. 75 u. 76 d.A.) Bezug genommen.
Außerdem hat der Senat bei dem Lungenarzt Dr. M. und dem Urologen Dr. A. Gutachten eingeholt. Diese haben ergeben, daß die Klägerin noch in der Lage ist, leichte körperliche Arbeiten im Sitzen, in geschlossenen Räumen und bei günstigen klimatischen Verhältnissen auszuführen.
Es ist ferner eine Auskunft von der Handwerkskammer F. eingeholt worden. Danach betrug der Stundenlohn für Friseusen ab 1. Januar 1969 DM 3,60. Ab 1. März 1972 wird ein Monatslohn von mindestens DM 819,06 gezahlt.
Über die Frage, welche Tätigkeiten die Klägerin mit ihren Kenntnissen und Fähigkeiten ausüben kann, hat der Senat den Friseurmeister O. K. gehört. Wegen der Einzelheiten der Beweisaufnahme wird insoweit auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig. Sie ist auch begründet. Das Sozialgericht ist zu Recht davon ausgegangen, daß in den gesundheitlichen Verhältnissen der Klägerin eine Änderung eingetreten ist (§ 1286 RVO i.V. mit Art. 2 § 24 AnVNG). Zur Zeit der Rentengewährung lag bei dieser eine aktive Lungen-Tbc vor, die jedoch seit 1961 inaktiv ist. Ebenso ist die übereinstimmenden Ansicht aller Sachverständigen ist die Klägerin mindestens seit April 1966 in der Lage, leichte Arbeiten ganztags vorwiegend im Sitzen auszuführen. Ihren erlernten Beruf als Friseuse kann sie dagegen nicht mehr ausüben, weil dieser mit ständigem Stehen verbunden ist. Hierüber besteht bei den Beteiligten Einigkeit.
Als zweite Voraussetzung für eine Entziehung der Rente ist jedoch erforderlich, daß die Klägerin infolge dieser Änderung nicht mehr berufsunfähig im Sinne des § 1246 Abs. 2 RVO ist. Das Sozialgericht hat dies verneint. Dem könnte unter dem Gesichtspunkt zugestimmt werden, daß die Klägerin als Handwerkerin mit Lehrabschlussprüfung zur oberen Gruppe der Versicherten innerhalb des Dreistufenschemas gehört und deshalb grundsätzlich nur bei Ausübung herausgehobener Tätigkeiten auf die unterste Gruppe der Ungelernten verwiesen werden kann (BSG vom 11.7.1972 – 5 RJ 105/72 –). Nach den eingeholten Arbeitgeberauskünften ist die Klägerin seit 1958 als Hilfsarbeiterin tätig gewesen. Ein Anlernverhältnis im Sinne der mittleren Stufe hat nicht bestanden. Die von der Firma H. & B. unter dem 6. März 1972 mitgeteilte längere Anlernzeit wertet der Senat als Einarbeitungszeit, die keinen Anspruch auf eine Heraushebung in tariflicher Hinsicht gibt. Die Klägerin hat auch keinen Facharbeiterlohn erhalten. Eine Verweisung auf diese Tätigkeit ist daher nicht ohne weiteres möglich.
Das Sozialgericht hat jedoch unberücksichtigt gelassen, daß die Klägerin durch ihr Verhalten den Kreis der Verweisungstätigkeiten auf das allgemeine Arbeitsfeld erweitert hat, indem sie die von der Beklagten angebotene Umschulung in einen qualifizierten Beruf abgelehnt und erklärt hat, sie wolle ihre Tätigkeit als Montagearbeiterin beibehalten. Hierin liegt zwar kein Verzicht auf die Rentenleistung selbst, aber eine Lösung von der oberen Gruppe innerhalb des Dreistufenschemas, die es ermöglicht, sie nunmehr auf alle Tätigkeiten der unteren Gruppe zu verweisen (vgl. auch LSG Schlesw.Holstein in Breith. 1968 S. 1014). Für eine leichte Tätigkeit innerhalb des allgemeinen Arbeitsmarkts reicht das Leistungsvermögen der Klägerin aus, wie sie selbst seit 1958 bewiesen hat. Auch wenn sie jetzt nur noch eine Teilzeitarbeit verrichten könne, wäre sie nicht wieder berufsunfähig. Einerseits hat sie einen solchen Arbeitsplatz inne, andererseits wäre der Arbeitsmarkt auch nicht praktisch verschlossen, wenn sie diesen Arbeitsplatz verlieren würde; weil das Angebot von Teilzeitarbeitsplätzen größer als die Nachfrage ist (vgl. BSG vom 11.12.1969 – GS 4/69 – in SozR § 1246 RVO Nr. 79). Hiernach ist die Klägerin zumindest seit dem 1. April 1966 nicht mehr berufsunfähig, so daß die Entziehung der Versichertenrente von diesem Zeitpunkt ab gerechtfertigt ist. Die Klägerin hat zwar am 7. Mai 1968 ihre ablehnende Haltung gegen die Umschulung – allerdings mit Einschränkungen – aufgegeben, doch ist dies, nachdem sie einmal die Verweisung auf das allgemeine Arbeitsfeld ermöglicht hatte, für die Entscheidung ohne Bedeutung. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision ist zugelassen worden, weil die Frage der Verweisung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt bei Verzicht auf die Umschulung von grundsätzlicher Bedeutung ist.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die 1922 geborene Klägerin hatte von 1937 bis 1940 den Beruf einer Friseuse erlernt und diesen bis zum Jahre 1944 – unterbrochen von Arbeits- und Kriegshilfsdienst – ausgeübt, bis sie an einer Tuberkulose erkrankte.
Die Beklagte gewährte ihr mir Bescheid vom 8. Februar 1952 die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 1. Oktober 1951. Der Rentengewährung lag ein Gutachten der Tbc-Zentrale der Landesversicherungsanstalt B. vom 28. Mai 1951 zu Grunde, wonach damals eine bilaterale, vorwiegend rechtsseitig prod. indurative aktive Lungentuberkulose vorlag.
Am 1. April 1958 nahm die Klägerin eine ganztägige Beschäftigung als Kontrollarbeiterin bei der Firma H. und B. in F. auf, die sie bis zum 31. Juli 1971 gegen einen Stundenlohn vom 3,91 DM bis 5,35 DM ausübte. Seitdem ist sie bei der Firma L. als Hilfskraft in der Fotokopierstelle gegen einen Stundenlohn von 6,58 DM bei sechsstündiger Arbeitszeit tätig.
Die Beklagten ließt die Klägerin mehrfach nachuntersuchen. Nach dem Gutachten der Lungenfachärzte Dr. R. und Dr. B. vom 10. Mai 1961 hat sich die Lungentuberkulose und die gleichfalls vorhanden gewesen Meningitistuberkulose stabilisiert und ist inaktiv geworden. Die Klägerin wird jedoch noch nicht für fähig erachtet, ihren Beruf als Friseuse wieder auszuüben. Sie kann aber die vom ihr verrichteten Kontrollarbeiten ausführen, ohne auf Kosten ihrer Gesundheit zu arbeiten. Zu dem gleichen Ergebnis gelangt ein am 30. Juli 1963 von Dr. H. erstelltes Gutachten und ein am 9. Oktober 1963 von Dr. R. und Dr. B. erstattetes lungenfachärztliches Gutachten, das sogar annimmt, daß die Klägerin auch als Friseuse wieder tätig sein kann. Diese Auffassung wird allerdings von dem Nervenfacharzt Dr. W. in einem am 16. März 1964 erstellten Gutachten nicht geteilt. Er ist der Meinung, die Klägerin könne wegen der ständigen Belastung, die bei der Tätigkeit einer Friseuse durch ständiges Stehen entstehe, als solche nicht mehr tätig sein, sei aber in der Lage, leichte bis mittelschwere Arbeiten ohne ständiges Stehen 6 bis 8 Stunden täglich zu verrichten.
Die Beklagte zog daraufhin Berufsförderungsmaßnahmen in Gestalt einer Ausbildung zur Maniküre oder Perückenmacherin in Erwägung und bat die Klägerin um ihre Zustimmung hierzu.
Die Klägerin teilte auf Antrage der Beklagten mit, daß sie nicht über die Kenntnisse und Fähigkeiten einer Maniküre oder einer Perückenmacherin verfüge. Für ihre jetzige Tätigkeit sei sie angelernt worden, fühle sich einigermaßen wohl und könne diese Arbeit durchhalten, wenn auch ihr verdienst geringer sei als der einer Friseuse. Zu einer Umschulung sei sie gesundheitlich nicht in der Lage.
Die Beklagte wies die Klägerin am 21. Januar 1965 auf die Rechtsfolgen des § 1243 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) hin und bat nochmals um das Einverständnis zu Rehabilitationsmaßnahmen. Da keine Zustimmung von der Klägerin einging, übersandte sie am 17. März 1965 die Akten an die Landesversicherungsanstalt (LVA) Hessen mit der Bitte, die Klägerin zu bewegen, ihr Einverständnis zu den Umschulungsmaßnahmen zu geben und Vorschläge für eine geeignete Ausbildung zu machen.
Die LVA Hessen leitete ihrerseits die Akten an das Arbeitsamt zur Prüfung der Frage weiter, ob und ggf. welche Umschulungsmaßnahmen erforderlich seien. Das Arbeitsamt hielt Umschulungsmaßnahmen nicht für erforderlich, weil die Klägerin mit ihrer derzeitigen Arbeit zufrieden sei und eine Änderung nicht vorzunehmen wünsche. Auf die nochmalige Bitte der LVA Hessen, Umschulungsmaßnahmen mit der Klägerin zu erörtern, lud das Arbeitsamt F. die Klägerin am 20. Januar 1966 vor. Nach einem Aktenvermerk vom gleichen Tag möchte die Klägerin ihre seitherige Tätigkeit beibehalten und auf die Weiterzahlung der Berufsunfähigkeitsrente verzichten. Sie wünsche keine Umschulung in einen anderen Beruf mit größerem sozialem Ansehen.
Nunmehr entzog die beklagte mit Bescheid vom 23. Februar 1966 die der Klägerin gewährte Rente, weil sie wieder in der Lage sei, zumindest leichte Arbeiten ganztägig zu verrichten und diese auch seit dem 1. April 1958 ausübe. Die Berufsfähigkeit der Klägerin sei nach ihrer Verzichtserklärung vor dem Arbeitsamt F. Nunmehr nach dem allgemeinen Arbeitsfeld zu beurteilen.
Mit ihrer Klage trug die Klägerin vor, die eingeholten Gutachten ließen außer Acht, daß sie auch heute noch unter starken Kopfschmerzen zu leiden habe. Es sei ihr unklar, weshalb ihr die Möglichkeit genommen werden solle, ihre derzeit leichte Arbeit weiter auszuführen. Ein Arbeitsplatzwechsel wäre für sie eine Belastung, weil es fraglich sei, ob sie so günstige Arbeitsbedingungen, wie sie sie jetzt habe, nochmals antreffen würde. Eine solche günstige Arbeitsgelegenheit könne ihr nicht garantiert werden. Die vorgeschlagene Umschulung gehe an der Sachlage vorbei. Ihr Gesundheitszustand habe sich nicht gebessert, sondern eher verschlechtert. Im übrigen habe sie auf die Rente nicht verzichtet. Sie habe nur ihre Bedenken gegen die vorgesehene Umschulung zum Ausdruck gebracht. Das Verhalten der beklagten sei arglistig, weil sie die Umschulung anbiete, um die Rente entziehen zu können, obwohl sie wisse, daß eine Umschulung erfolglos sei.
Das Sozialgericht hob den Entziehungsbescheid der Beklagten vom 23. Februar 1966 mit Urteil vom 17. Februar 1967 auf. Zur Begründung führte es aus, eine Änderung der Verhältnisse sei nicht eingetreten. Zwar sei die Lungen-Tbc. klinisch ausgeheilt, doch sei die Klägerin als Friseuse noch berufsunfähig. Auf andere Arbeiten könne sie nicht verwiesen werden.
Die vorgesehene Ausbildung sei nicht durchgeführt worden. Nach dem Gutachten des Nervenfacharztes Dr. W. müsse auch damit gerechnet werden, daß diese nicht zum Erfolg geführt hätte.
Gegen dieses am 7. März 1967 zum Zwecke der Zustellung an die Beklagte bei der Post aufgelieferte Urteil hat diese am 30. März 1967 Berufung eingelegt. Sie macht geltend, die Änderung der Verhältnisse sei durch die eingeholten Gutachten nachgewiesen. Es stehe auch fest, daß die Klägerin wieder leichte und mittelschwere Arbeiten verrichten könne. Zwar könne sie als Friseuse nach wie vor nicht mehr tätig sein, dich sei sie körperlich befähigt, als maniküre, Pediküre oder Perückenmacherin zu arbeiten. Da ihr hierfür die Kenntnisse fehlten, sei eine Umschulung beabsichtigt gewesen. Die Klägerin habe aber derartige Maßnahmen abgelehnt. Damit habe sie zum Ausdruck gebracht, daß sie auf den sog. Berufsschutz einer Friseuse verzichte. Sie könne deshalb auf das allgemeine Arbeitsfeld verwiesen werden. In ihrem Verzicht liege eine Änderung der Verhältnisse, die zur Entziehung der Rente berechtige.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/M. vom 17. Februar 1967 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie trägt vor, anläßlich ihrer ersten Vorsprache beim Arbeitsamt F. habe die Sachbearbeiterin, Frau S., zum Ausdruck gebracht, daß eine Umschulung unverständlich sei. Eine Umschulung sei weder möglich noch zweckmäßig. Bei der zweiten Rücksprache habe dieselbe Sachbearbeiterin ihr gesagt, sie könne für den Erfolg der Umschulung nicht garantieren und auch keine Gewähr dafür leisten, daß sie nach der Umschulung so weil verdiene wie jetzt. Sie werde die Rente verlieren, sobald sie in eine Umschulung einwillige. Wenn sie nicht einwillige, verliere sie die Rente auch. Sie habe sich daher zu Recht geweigert, sich umschulen zu lassen, weil die Umschulung auf einen Beruf, den sie nicht ausüben könne, keine Besserung bringe. Von einem Verzicht auf Rente könne keine Rede sein. Sie habe nur zu erkennen gegeben, daß sie mit den Maßnahmen der Beklagten nicht einverstanden sei. Wie sie als Perückenmacherin ihren Lebensunterhalt verdienen solle, sei auch Frau S. unbekannt gewesen. Die Maniküre werde nur nebenbei ausgeführt und als Kosmetikerin sei sie schlechter Luft und unerträglichen Dämpfen ausgesetzt. Gegen eine Umschulung habe sie jetzt nichts mehr einzuwenden, wenn es sich um einen aussichtsreichen Beruf mehr handele. Allerdings habe sich ihr Leiden in der Letzten Zeit wieder verschlechtert. Sie habe deshalb ihre Stellung gewechselt und arbeite nur noch 6 Stunden täglich. Nach einem Befundbericht des Internisten Dr. W. vom 14. Dezember 1971 liege eine beginnende Rechtsherzinsuffizienz vor.
Der Senat hat die Akten des Arbeitsamts Frankfurt/M. – XXXXX – und der LVA Hessen – XYXYXY – beigezogen. In den Akten des Arbeitsamts befindet sich unter dem 20. Januar 1966 folgender Vermerk:
"Frau H. spricht vor und teilt mit, daß sie ihre seitherige Tätigkeit beibehalten möchte und auf die Weiterzahlung der BU Rente von mtl. DM 109,– verzichte. Eine berufliche Förderung in Form einer Umschulung in einen anderen Beruf mit größerem sozialem Ansehen wird nicht gewünscht. Frau H. hat seit 1952 BU-Rente bezogen.”
Sodann hat der Senat die Zeugin S. über die mit der Klägerin geführten Umschulungsgespräche gehört. Diese hat im wesentlichen bestätigt, daß der von ihr gefertigte Aktenvermerk der Richtigkeit entspreche und die Klägerin keine Umschulung gewünscht habe. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Vernehmungsniederschrift (Bl. 75 u. 76 d.A.) Bezug genommen.
Außerdem hat der Senat bei dem Lungenarzt Dr. M. und dem Urologen Dr. A. Gutachten eingeholt. Diese haben ergeben, daß die Klägerin noch in der Lage ist, leichte körperliche Arbeiten im Sitzen, in geschlossenen Räumen und bei günstigen klimatischen Verhältnissen auszuführen.
Es ist ferner eine Auskunft von der Handwerkskammer F. eingeholt worden. Danach betrug der Stundenlohn für Friseusen ab 1. Januar 1969 DM 3,60. Ab 1. März 1972 wird ein Monatslohn von mindestens DM 819,06 gezahlt.
Über die Frage, welche Tätigkeiten die Klägerin mit ihren Kenntnissen und Fähigkeiten ausüben kann, hat der Senat den Friseurmeister O. K. gehört. Wegen der Einzelheiten der Beweisaufnahme wird insoweit auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig. Sie ist auch begründet. Das Sozialgericht ist zu Recht davon ausgegangen, daß in den gesundheitlichen Verhältnissen der Klägerin eine Änderung eingetreten ist (§ 1286 RVO i.V. mit Art. 2 § 24 AnVNG). Zur Zeit der Rentengewährung lag bei dieser eine aktive Lungen-Tbc vor, die jedoch seit 1961 inaktiv ist. Ebenso ist die übereinstimmenden Ansicht aller Sachverständigen ist die Klägerin mindestens seit April 1966 in der Lage, leichte Arbeiten ganztags vorwiegend im Sitzen auszuführen. Ihren erlernten Beruf als Friseuse kann sie dagegen nicht mehr ausüben, weil dieser mit ständigem Stehen verbunden ist. Hierüber besteht bei den Beteiligten Einigkeit.
Als zweite Voraussetzung für eine Entziehung der Rente ist jedoch erforderlich, daß die Klägerin infolge dieser Änderung nicht mehr berufsunfähig im Sinne des § 1246 Abs. 2 RVO ist. Das Sozialgericht hat dies verneint. Dem könnte unter dem Gesichtspunkt zugestimmt werden, daß die Klägerin als Handwerkerin mit Lehrabschlussprüfung zur oberen Gruppe der Versicherten innerhalb des Dreistufenschemas gehört und deshalb grundsätzlich nur bei Ausübung herausgehobener Tätigkeiten auf die unterste Gruppe der Ungelernten verwiesen werden kann (BSG vom 11.7.1972 – 5 RJ 105/72 –). Nach den eingeholten Arbeitgeberauskünften ist die Klägerin seit 1958 als Hilfsarbeiterin tätig gewesen. Ein Anlernverhältnis im Sinne der mittleren Stufe hat nicht bestanden. Die von der Firma H. & B. unter dem 6. März 1972 mitgeteilte längere Anlernzeit wertet der Senat als Einarbeitungszeit, die keinen Anspruch auf eine Heraushebung in tariflicher Hinsicht gibt. Die Klägerin hat auch keinen Facharbeiterlohn erhalten. Eine Verweisung auf diese Tätigkeit ist daher nicht ohne weiteres möglich.
Das Sozialgericht hat jedoch unberücksichtigt gelassen, daß die Klägerin durch ihr Verhalten den Kreis der Verweisungstätigkeiten auf das allgemeine Arbeitsfeld erweitert hat, indem sie die von der Beklagten angebotene Umschulung in einen qualifizierten Beruf abgelehnt und erklärt hat, sie wolle ihre Tätigkeit als Montagearbeiterin beibehalten. Hierin liegt zwar kein Verzicht auf die Rentenleistung selbst, aber eine Lösung von der oberen Gruppe innerhalb des Dreistufenschemas, die es ermöglicht, sie nunmehr auf alle Tätigkeiten der unteren Gruppe zu verweisen (vgl. auch LSG Schlesw.Holstein in Breith. 1968 S. 1014). Für eine leichte Tätigkeit innerhalb des allgemeinen Arbeitsmarkts reicht das Leistungsvermögen der Klägerin aus, wie sie selbst seit 1958 bewiesen hat. Auch wenn sie jetzt nur noch eine Teilzeitarbeit verrichten könne, wäre sie nicht wieder berufsunfähig. Einerseits hat sie einen solchen Arbeitsplatz inne, andererseits wäre der Arbeitsmarkt auch nicht praktisch verschlossen, wenn sie diesen Arbeitsplatz verlieren würde; weil das Angebot von Teilzeitarbeitsplätzen größer als die Nachfrage ist (vgl. BSG vom 11.12.1969 – GS 4/69 – in SozR § 1246 RVO Nr. 79). Hiernach ist die Klägerin zumindest seit dem 1. April 1966 nicht mehr berufsunfähig, so daß die Entziehung der Versichertenrente von diesem Zeitpunkt ab gerechtfertigt ist. Die Klägerin hat zwar am 7. Mai 1968 ihre ablehnende Haltung gegen die Umschulung – allerdings mit Einschränkungen – aufgegeben, doch ist dies, nachdem sie einmal die Verweisung auf das allgemeine Arbeitsfeld ermöglicht hatte, für die Entscheidung ohne Bedeutung. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision ist zugelassen worden, weil die Frage der Verweisung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt bei Verzicht auf die Umschulung von grundsätzlicher Bedeutung ist.
Rechtskraft
Aus
Login
HES
Saved