Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Fulda (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 2 J 844/70
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1.) Die Zahlung der Waisenrente nach § 1267 Satz 3 RVO über das 25. Lebensjahr hinaus erfordert nach dem Gesetzeswortlaut die Unterbrechung oder Verzögerung der Schul- oder Berufsausbildung vor dem vollendeten 25. Lebensjahr durch die Erfüllung des gesetzlichen Wehr- oder Ersatzdienstes. Nicht erforderlich ist es dagegen, dass der Versicherungsfall des Todes bereits vor der Ableistung der gesetzlichen Wehr- oder Ersatzdienstpflicht eingetreten ist.
2.) Durch die freiwillige Weiterverpflichtung auf insgesamt 2 Jahre verliert der Dienst nicht seinen Charakter als Grundwehrdienst im Hinblick auf den gesetzlich vorgeschriebenen sozialversicherungsrechtlichen Schutz der betreffenden Person.
2.) Durch die freiwillige Weiterverpflichtung auf insgesamt 2 Jahre verliert der Dienst nicht seinen Charakter als Grundwehrdienst im Hinblick auf den gesetzlich vorgeschriebenen sozialversicherungsrechtlichen Schutz der betreffenden Person.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 8. Juli 1970 dahin abgeändert, dass die Beklagte verurteilt wird, Halbwaisenrente bis zum 30. September 1970 zu gewähren.
Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Der 1944 geborene Kläger ist der zweite Sohn der 1968 verstorbenen Versicherten H. H ... Er leistete vom 1. April 1965 bis zum 31. März 1967 Wehrdienst und nahm im Sommer 1967 die Hochschulsausbildung auf. Am 10. September 1969 heiratete er.
Die Beklagte bewilligte dem Kläger auf seinen Antrag mit dem Bescheid vom 17. August 1968 Waisenrente vom 5. Juni 1968 bis zum 31. März 1969 (Vollendung des 25. Lebensjahres).
Am 10. März 1969 beantragte der Kläger die Gewährung der Waisenrente über das 25. Lebensjahr hinaus und machte geltend, dass durch den abgeleisteten Wehrdienst sein Studium unterbrochen bzw. verzögert worden sei.
Die Beklagte wies mit dem Bescheid vom 26. März 1969 diesen Antrag zurück und führte zur Begründung aus, dass der Wehrdienst bereits vor Beginn der Waisenrente (Bezugsberechtigung) abgeleistet worden sei.
Mit seiner Klage vertrat der Kläger die Ansicht, dass aus § 1267 der Reichsversicherungsordnung –RVO– nicht zu entnehmen sei, das der Versicherungsfall des Todes seiner Mutter bereits vor Ableistung des Wehrdienstes hätte eingetreten sein müssen. Das Gesetz bestimmte schlechthin nur, dass für den Fall der Verzögerung oder Unterbrechung der Ausbildung die Waisenrente über die Vollendung des 25. Lebensjahres hinaus gewährt werde.
Die Beklagte machte dagegen geltend, dass der Versicherungsfall des Todes bereits vor dem abgeleisteten Wehrdienst hätte eingetreten sein müssen, was in dem vorliegenden Rechtsstreit nicht der Fall sei.
Das Sozialgericht Fulda hob mit dem Urteil vom 8. Juli 1970 den Bescheid der Beklagten vom 26. März 1969 auf und verpflichtete diese, die dem Kläger mit dem Bescheid vom 17. August 1968 gewährte Waisenrente für die Zeit vom 1. April 1969 bis zum 30. September 1969 weiterzugewähren. Es ließ die Berufung zu. Zur Begründung führte es aus, dass aus dem Gesetz nicht zu entnehmen sei, dass bereits vor Beginn der Wehrdienstpflicht, die eine Wehrdienstzeit von 18 Monaten betragen habe, eine Bezugsberechtigung bestanden haben müsse. Diese 18-monatige Wehrdienstpflicht sei jedoch nur teilweise zu berücksichtigen, weil der Kläger im September 1969 geheiratet habe. Es könne nicht gefordert werden, dass der Wehrdienst zu einem Entgang der Waisenrente habe führen müssen. Eine derartige Einschränkung enthalte das Gesetz nicht. Es reiche aus, wenn ein zukünftiger Waisenrentenanspruch bestanden habe, ohne dass konkret vor der Wehrdienstleistung eine Waisenrente gezahlt worden sei.
Die Beklagte wendet sich mit ihrer am 23. September 1970 eingegangenen Berufung gegen das ihr am 8. September 1970 zugestellte Urteil.
Auch der Kläger legt am 18. Mai 1971 Berufung ein.
Die Beklagte ist der Meinung, dass das Sozialgericht § 1267 Satz 3 RVO unrichtig ausgelegt habe. Es sei zu fordern, dass vor Ableistung des Wehrdienstes eine Bezugsberechtigung bestanden haben müsse d.h., dass konkret die Waisenrente bereits gezahlt worden sei.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 8. Juli 1970 aufzuheben und die Klage abzuweisen sowie die Anschlussberufung des Klägers zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen und die Beklagte im Wege der Anschlussberufung zu verurteilen, ihm die Halbwaisenrente bis zum 30. September 1970 zu gewähren.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und weist darauf hin, dass sein Vater zu seiner Versicherungsrente wegen Berufsunfähigkeit von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) den Kinderzuschuss für ihn, den Kläger, erhalte. Im übrigen sei durch die Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 27.5.1970 – Az.: 1 BvL 22/63 und 1 BvL 27/67 – festgestellt worden, dass die Waisenrente auch einem verheirateten Kind zustehe.
Der Senat erhob Beweis über die Frage, ob der Kläger sich freiwillig zur Ableistung des gesetzlichen Wehrdienstes gemeldet habe und ob es sich um einen freiwilligen Wehrdienst gehandelt habe durch Vernehmung des Vaters des Klägers A. H. als Zeugen.
Auf die Zeugenaussage sowie auf den Inhalt der Renten- und Streitakten wird im übrigen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte und kraft ausdrücklicher Zulassung auch statthafte Berufung der Beklagten ist unbegründet.
Das Urteil des Sozialgerichts ist im Ergebnis richtig. Dem Kläger steht über die Vollendung des 25. Lebensjahres hinaus auf die weitere Dauer von 1 1/2 Jahren Halbwaisenrente zu, die die Beklagte mit ihrem Bescheid vom 17. August 1968 bis zum 31. März 1969 gewährt hat. Der Kläger stützt seinen Anspruch mit zutreffender Begründung auf § 1267 Satz 3 RVO. Danach wird Waisenrente bzw. Halbwaisenrente über die Vollendung des 25. Lebensjahres der Waise bzw. Halbwaise hinaus gewährt, wenn die Schul- oder Berufsausbildung verzögert oder unterbrochen wird, u.a. durch Erfüllung der Wehr- oder Ersatzdienstpflicht. Das Gesetz fordert lediglich die Erfüllung folgender Voraussetzungen: erfüllter Wehr- oder Ersatzdienst, Schul- oder Berufsausbildung nach vollendetem 25. Lebensjahr und Unterbrechung oder Verzögerung von Schul- oder Berufsausbildung vor dem vollendetem 25. Lebensjahr der Waisen durch die Erfüllung des gesetzlichen Wehr- oder Ersatzdienstes. Diese Voraussetzungen liegen bei dem Kläger vor. Er hat nachweislich im Anschluss an seine Schulausbildung und vor Aufnahme seines Studiums von April 1965 bis zum 31. März 1967 Wehrdienst geleistet. Die Schul- oder Berufsausbildung (Studium) dauerte über das 25. Lebensjahr hinaus an. Die Ableistung des Wehrdienstes ist die Uhrsache der verzögerten Schul- oder Berufsausbildung nach Vollendung des 25. Lebensjahres. Zu Unrecht macht die Beklagte geltend, bei dem Wehrdienst des Klägers habe es sich nicht – wie das Gesetz es fordere – um die Ableistung eines gesetzlichen Wehrdienstes gehandelt, der Kläger sei vielmehr ein freiwilliger Dienender gewesen. Durch die glaubhafte Zeugenaussage seines Vaters ist erwiesen, dass der Kläger zu dem gesetzlichen Wehrdienst einberufen worden ist und das er sich erst nach Ablauf eines guten halben Jahres des gesetzlichen Wehrdienstes zu einer weiteren freiwilligen Wehrdienstleistung von 6 Monaten verpflichtet hat. Durch die freiwillige Weiterverpflichtung auf insgesamt 2 Jahre verliert der Dienst nicht seinen Charakter als Grundwehrdienst im Hinblick auf den gesetzlich vorgeschriebenen sozialversicherungsrechtlichen Schutz der betreffenden Person. Das hat zur Folge, dass nach Satz 3 a.a.O. die Leistungsgrenze um die Dauer des gesetzlichen Wehrdienstes, der für den Kläger 18 Monate betrug, hinausgeschoben wird. Die Beklagte hat über die Vollendung des 25. Lebensjahres hinaus für die Dauer des gesetzlichen Wehrdienstes Halbwaisenrente zu gewähren. Diese Ansicht hat auch der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung in einem Schreiben vom 10.7.1967 an den Bundesminister der Verteidigung zu § 1262 RVO vertreten (– IV a 1 – 4533.5 – 2043/65 –).
Der Senat vermag sich der Rechtsansicht der Beklagten nicht anzuschließen, dass bereits vor Eintritt in den Wehrdienst eine "Bezugsberechtigung” der Weise oder Halbwaise bestanden haben muss, d.h. dass der Versicherungsfall des Todes des Versicherten bereits vor Erfüllung der Wehrdienstpflicht eingetreten sein musste, also sämtliche Voraussetzungen für die Berechtigung zum Bezug einer Waisenrente erfüllt gewesen sein mussten. Diese Rechtsansicht wird zwar von Koch-Hartmann Anm. C II, 2 e zu § 39 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) und im Verbandskommentar Anm. 21 zu § 1262 RVO vertreten, doch fehlt es an einer näheren Begründung, ganz abgesehen davon, dass die Darlegungen im Verbandskommentar insoweit unklar sind. Offensichtlich wird unter dem Begriff "Bezugsberechtigung” die Tatsache verstanden, dass der Versicherungsfall bereits vor dem abgeleisteten Wehrdienst eingetreten sein müsse. Der Senat vermag jedoch aus dem Gesetzeswortlaut eine derartige Einschränkung nicht zu entnehmen. Es spricht auch keine Notwendigkeit für eine derartige Auslegung des § 1267 Satz 3 RVO. Aus dem Grundgedanken der Unterhaltsersatzfunktion des § 1267 RVO ist vielmehr auf das Gegenteil zu schließen. Waisenrente soll gewährt werden, weil der Unterhaltsverpflichtete durch den eingetretenen Tod keinen Unterhalt mehr leisten kann. An seine Stelle soll der Versicherungsträger im Rahmen seiner Leistungspflicht treten. Die Versicherte, die Mutter des Klägers, war verpflichtet, dem Kläger Unterhalt zu gewähren und in diesem Rahmen auch die Kosten für seine Schul- und Berufsausbildung zu übernehmen. Durch den Eintritt des Versicherungsfalls, ihres Todes, ging diese Verpflichtung auf den Versicherungsträger über. Dies hat die Beklagte auch erkannt, denn sie gewährte dem Kläger bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres die Halbwaisenrente für die Dauer seiner weiteren Schul- und Berufsausbildung (Satz 2 a.a.O.). Durch den Unterbrechungs- und Verzögerungstatbestand des geleisteten Wehrdienstes ist die Leistungsgrenze des Satzes 2 hinausgeschoben um die Dauer des geleisteten Wehrdienstes. Dieser betrug für den Kläger 18 Monate. Die Versicherte wäre verpflichtet gewesen, auch über die Vollendung des 25. Lebensjahres hinaus dem Kläger durch die Gewährung der weiteren Schul- und Berufsausbildung Unterhalt zu leisten. Nach dem Grundsatz der Unterhaltsersatzfunktion tritt die Beklagte in diese Verpflichtung ein, also auch für die Dauer des Unterbrechungs- oder Verzögerungstatbestandes des Satzes 3 a.a.O. Durch den Unterbrechungs- und Verzögerungstatbestand muss der Abschluss der Schul- oder Berufsausbildung hinausgeschoben sein. Dem Gesetz ist dagegen nicht zu entnehmen, dass die Zahlung der Waisenrente durch den Unterbrechungs- und Verzögerungstatbestand hinausgeschoben sein muss. Zu einer derartigen von dem Gesetz nicht normierten Voraussetzung des Satzes 3 a.a.O. käme man aber, wenn man mit der Beklagten fordern wollte, dass eine "Bezugsberechtigung” schon vor Eintritt in den Wehrdienst bestanden haben müsse.
Aus der Tatsache, dass zu der Versichertenrente des Vaters der Kinderzuschuss für den Kläger auch über die Vollendung des 25. Lebensjahres hinaus gewährt wird, kann für die Klärung der hier anhängigen Rechtsfrage nichts entnommen werden. Der Versicherungsfall der Berufsunfähigkeit des Vaters war bereits vor Einberufung zum gesetzlichen Wehrdienst eingetreten. Bei Aufnahme der Rentenzahlung stand dem Versicherten der Kinderzuschuss nach § 39 Abs. 3 AVG zu.
Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts steht dem Kläger die Halbwaisenrente nicht nur bis zum 30. September 1969, sondern bis zum 30. September 1970 zu. Das Sozialgericht ist offensichtlich davon ausgegangen, dass mit der Eheschließung des Klägers der Waisenrentenanspruch wegfalle. Es stützte sich dabei auf § 1267 Satz 2 RVO a.F., wonach Waisenrente über das 18. Lebensjahr hinaus nur für ein unverheiratetes Kind gewährt werden konnte. Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch bereits in seinen Beschlüssen vom 27.5.1970 – Az.: 1 BvL 22/63 und 1 BvL 27/67 – festgestellt, dass die Beschränkung auf eine unverheiratete Waise grundgesetzwidrig sei. Durch das Gesetz vom 25. Januar 1971 ist auch diese Einschränkung ersatzlos weggefallen, so dass nunmehr jedem waisenrenteberechtigten Kind, das noch in Schul- oder Berufsausbildung steht, bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres und über diese Leistungszeit hinaus für die Dauer des Unterbrechungs- und Verzögerungstatbestandes die Waisenrente zu gewähren ist. Nach Art. 2 und 12 Abs. 2 des Gesetzes zur Änderung sozial- und beamtenrechtlicher Vorschriften über Leistungen für verheiratete Kinder vom 25. Januar 1971 (BGBl. I S. 65–67) findet diese gesetzliche Regelung auch auf den vorliegenden Fall Anwendung, da über den Antrag des Klägers noch nicht bindend oder rechtskräftig entschieden worden ist.
Aus diesem Grund ist auf die Anschlussberufung des Klägers das Urteil des Sozialgerichts abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, bis zum 30. September 1970 dem Kläger Halbwaisenrente zu gewähren.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Rechtsfrage lässt der Senat die Revision zu.
Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Der 1944 geborene Kläger ist der zweite Sohn der 1968 verstorbenen Versicherten H. H ... Er leistete vom 1. April 1965 bis zum 31. März 1967 Wehrdienst und nahm im Sommer 1967 die Hochschulsausbildung auf. Am 10. September 1969 heiratete er.
Die Beklagte bewilligte dem Kläger auf seinen Antrag mit dem Bescheid vom 17. August 1968 Waisenrente vom 5. Juni 1968 bis zum 31. März 1969 (Vollendung des 25. Lebensjahres).
Am 10. März 1969 beantragte der Kläger die Gewährung der Waisenrente über das 25. Lebensjahr hinaus und machte geltend, dass durch den abgeleisteten Wehrdienst sein Studium unterbrochen bzw. verzögert worden sei.
Die Beklagte wies mit dem Bescheid vom 26. März 1969 diesen Antrag zurück und führte zur Begründung aus, dass der Wehrdienst bereits vor Beginn der Waisenrente (Bezugsberechtigung) abgeleistet worden sei.
Mit seiner Klage vertrat der Kläger die Ansicht, dass aus § 1267 der Reichsversicherungsordnung –RVO– nicht zu entnehmen sei, das der Versicherungsfall des Todes seiner Mutter bereits vor Ableistung des Wehrdienstes hätte eingetreten sein müssen. Das Gesetz bestimmte schlechthin nur, dass für den Fall der Verzögerung oder Unterbrechung der Ausbildung die Waisenrente über die Vollendung des 25. Lebensjahres hinaus gewährt werde.
Die Beklagte machte dagegen geltend, dass der Versicherungsfall des Todes bereits vor dem abgeleisteten Wehrdienst hätte eingetreten sein müssen, was in dem vorliegenden Rechtsstreit nicht der Fall sei.
Das Sozialgericht Fulda hob mit dem Urteil vom 8. Juli 1970 den Bescheid der Beklagten vom 26. März 1969 auf und verpflichtete diese, die dem Kläger mit dem Bescheid vom 17. August 1968 gewährte Waisenrente für die Zeit vom 1. April 1969 bis zum 30. September 1969 weiterzugewähren. Es ließ die Berufung zu. Zur Begründung führte es aus, dass aus dem Gesetz nicht zu entnehmen sei, dass bereits vor Beginn der Wehrdienstpflicht, die eine Wehrdienstzeit von 18 Monaten betragen habe, eine Bezugsberechtigung bestanden haben müsse. Diese 18-monatige Wehrdienstpflicht sei jedoch nur teilweise zu berücksichtigen, weil der Kläger im September 1969 geheiratet habe. Es könne nicht gefordert werden, dass der Wehrdienst zu einem Entgang der Waisenrente habe führen müssen. Eine derartige Einschränkung enthalte das Gesetz nicht. Es reiche aus, wenn ein zukünftiger Waisenrentenanspruch bestanden habe, ohne dass konkret vor der Wehrdienstleistung eine Waisenrente gezahlt worden sei.
Die Beklagte wendet sich mit ihrer am 23. September 1970 eingegangenen Berufung gegen das ihr am 8. September 1970 zugestellte Urteil.
Auch der Kläger legt am 18. Mai 1971 Berufung ein.
Die Beklagte ist der Meinung, dass das Sozialgericht § 1267 Satz 3 RVO unrichtig ausgelegt habe. Es sei zu fordern, dass vor Ableistung des Wehrdienstes eine Bezugsberechtigung bestanden haben müsse d.h., dass konkret die Waisenrente bereits gezahlt worden sei.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 8. Juli 1970 aufzuheben und die Klage abzuweisen sowie die Anschlussberufung des Klägers zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen und die Beklagte im Wege der Anschlussberufung zu verurteilen, ihm die Halbwaisenrente bis zum 30. September 1970 zu gewähren.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und weist darauf hin, dass sein Vater zu seiner Versicherungsrente wegen Berufsunfähigkeit von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) den Kinderzuschuss für ihn, den Kläger, erhalte. Im übrigen sei durch die Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 27.5.1970 – Az.: 1 BvL 22/63 und 1 BvL 27/67 – festgestellt worden, dass die Waisenrente auch einem verheirateten Kind zustehe.
Der Senat erhob Beweis über die Frage, ob der Kläger sich freiwillig zur Ableistung des gesetzlichen Wehrdienstes gemeldet habe und ob es sich um einen freiwilligen Wehrdienst gehandelt habe durch Vernehmung des Vaters des Klägers A. H. als Zeugen.
Auf die Zeugenaussage sowie auf den Inhalt der Renten- und Streitakten wird im übrigen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte und kraft ausdrücklicher Zulassung auch statthafte Berufung der Beklagten ist unbegründet.
Das Urteil des Sozialgerichts ist im Ergebnis richtig. Dem Kläger steht über die Vollendung des 25. Lebensjahres hinaus auf die weitere Dauer von 1 1/2 Jahren Halbwaisenrente zu, die die Beklagte mit ihrem Bescheid vom 17. August 1968 bis zum 31. März 1969 gewährt hat. Der Kläger stützt seinen Anspruch mit zutreffender Begründung auf § 1267 Satz 3 RVO. Danach wird Waisenrente bzw. Halbwaisenrente über die Vollendung des 25. Lebensjahres der Waise bzw. Halbwaise hinaus gewährt, wenn die Schul- oder Berufsausbildung verzögert oder unterbrochen wird, u.a. durch Erfüllung der Wehr- oder Ersatzdienstpflicht. Das Gesetz fordert lediglich die Erfüllung folgender Voraussetzungen: erfüllter Wehr- oder Ersatzdienst, Schul- oder Berufsausbildung nach vollendetem 25. Lebensjahr und Unterbrechung oder Verzögerung von Schul- oder Berufsausbildung vor dem vollendetem 25. Lebensjahr der Waisen durch die Erfüllung des gesetzlichen Wehr- oder Ersatzdienstes. Diese Voraussetzungen liegen bei dem Kläger vor. Er hat nachweislich im Anschluss an seine Schulausbildung und vor Aufnahme seines Studiums von April 1965 bis zum 31. März 1967 Wehrdienst geleistet. Die Schul- oder Berufsausbildung (Studium) dauerte über das 25. Lebensjahr hinaus an. Die Ableistung des Wehrdienstes ist die Uhrsache der verzögerten Schul- oder Berufsausbildung nach Vollendung des 25. Lebensjahres. Zu Unrecht macht die Beklagte geltend, bei dem Wehrdienst des Klägers habe es sich nicht – wie das Gesetz es fordere – um die Ableistung eines gesetzlichen Wehrdienstes gehandelt, der Kläger sei vielmehr ein freiwilliger Dienender gewesen. Durch die glaubhafte Zeugenaussage seines Vaters ist erwiesen, dass der Kläger zu dem gesetzlichen Wehrdienst einberufen worden ist und das er sich erst nach Ablauf eines guten halben Jahres des gesetzlichen Wehrdienstes zu einer weiteren freiwilligen Wehrdienstleistung von 6 Monaten verpflichtet hat. Durch die freiwillige Weiterverpflichtung auf insgesamt 2 Jahre verliert der Dienst nicht seinen Charakter als Grundwehrdienst im Hinblick auf den gesetzlich vorgeschriebenen sozialversicherungsrechtlichen Schutz der betreffenden Person. Das hat zur Folge, dass nach Satz 3 a.a.O. die Leistungsgrenze um die Dauer des gesetzlichen Wehrdienstes, der für den Kläger 18 Monate betrug, hinausgeschoben wird. Die Beklagte hat über die Vollendung des 25. Lebensjahres hinaus für die Dauer des gesetzlichen Wehrdienstes Halbwaisenrente zu gewähren. Diese Ansicht hat auch der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung in einem Schreiben vom 10.7.1967 an den Bundesminister der Verteidigung zu § 1262 RVO vertreten (– IV a 1 – 4533.5 – 2043/65 –).
Der Senat vermag sich der Rechtsansicht der Beklagten nicht anzuschließen, dass bereits vor Eintritt in den Wehrdienst eine "Bezugsberechtigung” der Weise oder Halbwaise bestanden haben muss, d.h. dass der Versicherungsfall des Todes des Versicherten bereits vor Erfüllung der Wehrdienstpflicht eingetreten sein musste, also sämtliche Voraussetzungen für die Berechtigung zum Bezug einer Waisenrente erfüllt gewesen sein mussten. Diese Rechtsansicht wird zwar von Koch-Hartmann Anm. C II, 2 e zu § 39 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) und im Verbandskommentar Anm. 21 zu § 1262 RVO vertreten, doch fehlt es an einer näheren Begründung, ganz abgesehen davon, dass die Darlegungen im Verbandskommentar insoweit unklar sind. Offensichtlich wird unter dem Begriff "Bezugsberechtigung” die Tatsache verstanden, dass der Versicherungsfall bereits vor dem abgeleisteten Wehrdienst eingetreten sein müsse. Der Senat vermag jedoch aus dem Gesetzeswortlaut eine derartige Einschränkung nicht zu entnehmen. Es spricht auch keine Notwendigkeit für eine derartige Auslegung des § 1267 Satz 3 RVO. Aus dem Grundgedanken der Unterhaltsersatzfunktion des § 1267 RVO ist vielmehr auf das Gegenteil zu schließen. Waisenrente soll gewährt werden, weil der Unterhaltsverpflichtete durch den eingetretenen Tod keinen Unterhalt mehr leisten kann. An seine Stelle soll der Versicherungsträger im Rahmen seiner Leistungspflicht treten. Die Versicherte, die Mutter des Klägers, war verpflichtet, dem Kläger Unterhalt zu gewähren und in diesem Rahmen auch die Kosten für seine Schul- und Berufsausbildung zu übernehmen. Durch den Eintritt des Versicherungsfalls, ihres Todes, ging diese Verpflichtung auf den Versicherungsträger über. Dies hat die Beklagte auch erkannt, denn sie gewährte dem Kläger bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres die Halbwaisenrente für die Dauer seiner weiteren Schul- und Berufsausbildung (Satz 2 a.a.O.). Durch den Unterbrechungs- und Verzögerungstatbestand des geleisteten Wehrdienstes ist die Leistungsgrenze des Satzes 2 hinausgeschoben um die Dauer des geleisteten Wehrdienstes. Dieser betrug für den Kläger 18 Monate. Die Versicherte wäre verpflichtet gewesen, auch über die Vollendung des 25. Lebensjahres hinaus dem Kläger durch die Gewährung der weiteren Schul- und Berufsausbildung Unterhalt zu leisten. Nach dem Grundsatz der Unterhaltsersatzfunktion tritt die Beklagte in diese Verpflichtung ein, also auch für die Dauer des Unterbrechungs- oder Verzögerungstatbestandes des Satzes 3 a.a.O. Durch den Unterbrechungs- und Verzögerungstatbestand muss der Abschluss der Schul- oder Berufsausbildung hinausgeschoben sein. Dem Gesetz ist dagegen nicht zu entnehmen, dass die Zahlung der Waisenrente durch den Unterbrechungs- und Verzögerungstatbestand hinausgeschoben sein muss. Zu einer derartigen von dem Gesetz nicht normierten Voraussetzung des Satzes 3 a.a.O. käme man aber, wenn man mit der Beklagten fordern wollte, dass eine "Bezugsberechtigung” schon vor Eintritt in den Wehrdienst bestanden haben müsse.
Aus der Tatsache, dass zu der Versichertenrente des Vaters der Kinderzuschuss für den Kläger auch über die Vollendung des 25. Lebensjahres hinaus gewährt wird, kann für die Klärung der hier anhängigen Rechtsfrage nichts entnommen werden. Der Versicherungsfall der Berufsunfähigkeit des Vaters war bereits vor Einberufung zum gesetzlichen Wehrdienst eingetreten. Bei Aufnahme der Rentenzahlung stand dem Versicherten der Kinderzuschuss nach § 39 Abs. 3 AVG zu.
Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts steht dem Kläger die Halbwaisenrente nicht nur bis zum 30. September 1969, sondern bis zum 30. September 1970 zu. Das Sozialgericht ist offensichtlich davon ausgegangen, dass mit der Eheschließung des Klägers der Waisenrentenanspruch wegfalle. Es stützte sich dabei auf § 1267 Satz 2 RVO a.F., wonach Waisenrente über das 18. Lebensjahr hinaus nur für ein unverheiratetes Kind gewährt werden konnte. Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch bereits in seinen Beschlüssen vom 27.5.1970 – Az.: 1 BvL 22/63 und 1 BvL 27/67 – festgestellt, dass die Beschränkung auf eine unverheiratete Waise grundgesetzwidrig sei. Durch das Gesetz vom 25. Januar 1971 ist auch diese Einschränkung ersatzlos weggefallen, so dass nunmehr jedem waisenrenteberechtigten Kind, das noch in Schul- oder Berufsausbildung steht, bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres und über diese Leistungszeit hinaus für die Dauer des Unterbrechungs- und Verzögerungstatbestandes die Waisenrente zu gewähren ist. Nach Art. 2 und 12 Abs. 2 des Gesetzes zur Änderung sozial- und beamtenrechtlicher Vorschriften über Leistungen für verheiratete Kinder vom 25. Januar 1971 (BGBl. I S. 65–67) findet diese gesetzliche Regelung auch auf den vorliegenden Fall Anwendung, da über den Antrag des Klägers noch nicht bindend oder rechtskräftig entschieden worden ist.
Aus diesem Grund ist auf die Anschlussberufung des Klägers das Urteil des Sozialgerichts abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, bis zum 30. September 1970 dem Kläger Halbwaisenrente zu gewähren.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Rechtsfrage lässt der Senat die Revision zu.
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