L 15 VG 14/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
15
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 9 VG 4/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 VG 14/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 9 VG 19/07 B
Datum
Kategorie
Beschluss
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 8. August 2006 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelasssen.

Tatbestand:

Der 1967 geborene Kläger begehrt Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG). Zwischen den Beteiligten ist das Ausmaß der noch bestehenden Funktionsstörungen aufgrund der vorsätzlichen rechtswidrigen Gewalttat vom 15.12.1991 streitig.

Entsprechend den Feststellungen des Sozialgerichts Landshut mit Urteil vom 26.01.1995 - S 10 Vg 2/94 - hat sich der Kläger zum Tatzeitpunkt in einer Asylbewerberunterkunft aufgehalten: "Während der Geburtstagsfeier des Klägers provozierte der (ursprünglich nicht eingeladene) iranische Staatsangehörige S. K. zunächst eine Auseinandersetzung mit dem rumänischen Staatsangehörigen M. B. , kurze Zeit später begann er einen Streit mit dem polnischen Staatsangehörigen D. K ... Der Kläger schritt dagegen ein und versuchte K. aus dem Zimmer zu drängen. Dabei kam es zwischen beiden zu Tätlichkeiten, die sich auf dem Gang fortsetzten. Durch den Lärm wach geworden, kamen die albanischen Staatsangehörigen A. V. und E. M. hinzu. Zwischen den Albanern einerseits sowie dem Kläger andererseits kam es sodann auf dem Gang zu einer tätlichen Auseinandersetzung, bei der A. V. und der Kläger stolperten und hinfielen. Während die beiden am Boden lagen, versetzte E. M. dem Kläger von hinten mit dem Messer zwei Stiche in die linke Brustseite bzw. in die tiefe Flanke."

Im Folgenden hat der Beklagte mit Teil- und Vorbehaltsbescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung L. vom 30.11.1995 wegen der Gesundheitsstörung im Sinne des OEG "künstlicher Darmausgang" für den Zeitraum 01.12.1991 bis 31.01.1994 Rentenleistungen nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 60 v.H. bewilligt. Ab 01.02.1994 ist die MdE wegen Rückverlagerung des künstlichen Ausgangs mit nur noch 20 v.H. in nicht rentenberechtigendem Grad festgestellt worden. Als Schädigungsfolgen sind nur noch "Narben nach Messerstichen in der linken Flanke sowie im 3. ICR links parasternal nach Stichverletzung, Narben nach Thoraxdrainage, mehrfachen Laparatomien mit Kalkbildung im Bereich des linken Oberbauches; zwei belanglose Narben über der linken Schienbeinkante" anerkannt worden.

Der Kläger hat am 29.12.1997 einen Neufeststellungsantrag im Sinne von § 48 Abs.1 des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren (SGB X) eingereicht und sich hierbei auf einen Befundbericht des behandelnden Neurologen und Psychiaters Dr.S. gestützt, welcher infolge der Gewalttat eine reaktive Depression attestiert hat. Entsprechend dem verwaltungsseitig eingeholten nervenfachärztlichen Gutachten von Dr.L. vom 03.08.1998 hat der Beklagte mit Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung L. vom 20.11.1998 den Versorgungsanspruch ab 01.01.1998 wie folgt neu festgestellt: Als Folge einer Schädigung im Sinne des OEG werden nunmehr anerkannt: "Narben nach Messerstichen in der linken Flanke sowie am 3. ICR rechts, parasternal nach Stichverletzung, Narben nach Thoraxdrainage, mehrfachen Laparatomien und Kalkbildung im Bereich des linken Oberbauches; Verlust der Milz; zwei belanglose Narben über der linken Schinbeinkante, reaktiv-depressive Verstimmung" im Sinne der Entstehung. Die Schädigungsfolgen bedingen nunmehr eine MdE um 30 v.H.

Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens hat Dr.H. mit Gutachten vom 02.09.1999 die Auffassung vertreten, dass der depressive Verstimmungszustand des Klägers nicht schädigungsbedingt, sondern ursächlich auf die allgemeinen Lebensumstände (Arbeitslosigkeit usw.) zurückzuführen sei. Nach Aussagen des behandelnden Nervenarztes Dr.B. hätten bereits vor dem OEG-Ereignis psychische Belastungen bestanden. Der Kläger habe eine sehr schwere Kindheit gehabt. Er sei als Kind physisch und psychisch misshandelt worden. Weiterhin leide er an gescheiterten Beziehungen. Außerdem sei am 03.01.1992 en typischer epileptischer Anfall diagnostiziert worden. Des Weiteren hätten sich Hinweise auf eine leichte frühkindliche Hirnschädigung ergeben. Die depressiven Störungen seien erst Mitte 1997 nachgewiesen worden und stünden somit auch zeitlich nicht in Zusammenhang mit der Gewalttat vom 15.12.1991. Gestützt auf die zustimmende versorgungsärztlich-nervenärztliche Stellunnahmen von Dr.S. vom 10.02.2000 und 27.02.2000 hat der Beklagte mit Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung L. vom 18.08.2000 den Bescheid vom 20.11.1998 mit Wirkung ab 01.10.1998 insoweit zurückgenommen, als die Gesundheitsstörung "reaktiv-depressive Verstimmung" als Schädigungsfolge anerkannt worden ist. Die Schädigungsfolgen bedingen eine MdE um weniger als 25 v.H ... Versorgungsrente stehe daher nicht mehr zu. Die Versorgungsleistungen enden mit Ablauf des Monats, in dem die Entscheidung zugeht. Die in der Vergangenheit entstandenen Rentenüberzahlungen sind nicht zu erstatten.

Mit weiterem Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung L. vom 21.08.2000 hat es der Beklagte abgelehnt, eine Zugunstenentscheidung im Sinne von § 44 SGB X zu erlassen. Dieser Bescheid ist gemäß § 86 Abs.1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ebenfalls Gegenstand des anhängigen Widerspruchsverfahrens geworden. Im Übrigen ist der Widerspruch des Klägers vom 23.12.1998 gegen den Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung L. vom 20.11.1998 in Gestalt des Bescheides vom 18.08.2000 mit Widerspruchsbescheid des Bayer. Landesamtes für Versorgung und Familienförderung vom 05.03.2001 zurückgewiesen worden.

In dem sich anschließenden Klageverfahren hat das Sozialgericht Landshut nach Beiziehung weiterer ärztlicher Unterlagen mit Beweisanordnung vom 27.09.2005 Prof.Dr.H. gemäß § 106 Abs.3 Nr.5 SGG zum ärztlichen Sachverständigen bestellt. Dieser hat mit internistisch-pneumologischem Gutachten vom 10.01.2006 die Auffassung des Beklagten bestätigt, dass die zunächst gewährte MdE um 60 v.H. ab dem 01.02.1994 auf 20 v.H. herabzusetzen gewesen ist. Zu der im Folgenden vorgesehenen nervenärztlichen Begutachtung bei Dr.G. ist es nicht mehr gekommen, weil der Kläger nach mehreren Monaten unbekannten Aufenthalts nach Spanien verzogen ist. Einen Tag vor dem anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung vom 08.08.2006 hat der Kläger im Sozialgericht Landshut angerufen und mitgeteilt, dass auch seine Ehefrau nicht als Zeugin zum anberaumten Termin erscheinen könne, da sie sich bei ihm in Madrid aufhalte.

Das Sozialgericht Ladnshut hat mit Urteil vom 08.08.2006 - S 9 VG 4/01 die Klage gegen die Bescheide vom 20.11.1998, 18.08.2000 und 20.11.2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.03.2001 abgewiesen und sich hierbei vor allem auf das internistisch-pneumologische Gutachten von Prof.Dr.H. vom 10.01.2006 gestützt. Im Übrigen wurde darauf hingewiesen, dass die Beweisdefizite hinsichtlich des nicht erstellten neurologisch-psychiatrischen Gutachtens bei Dr.G. nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Klägers gehe. Der Kläger sei seiner Mitwirkungspflicht nach § 103 Satz 1, 2. Halbsatz SGG nicht entsprechend nachgekommen.

Die hiergegen gerichtete Berufung vom 11.09.2006 ging am 15.09.2006 im Sozialgericht Landshut ein. Von Seiten des Bayer. Landessozialgerichts wurden die Akten des Beklagten und die erstinstanzlichen Unterlagen beigezogen.

Das Bayer. Landessozialgericht ersuchte die Bevollmächtigte des Klägers mit Nachricht vom 10.10.2006 um Übersendung der Berufungsbegründung. Mit Schreiben vom 11.10.2006 wurde ergänzend um detaillierte Auskünfte hinsichtlich der ladungsfähigen Anschrift des Klägers gebeten, ebenso um die Benennung derjenigen Ärzte, bei denen der Kläger im Jahr 2005 und gegebenenfalls noch Anfang 2006 in Behandlung gewesen ist, um entsprechende Befundberichte einholen zu können. Außerdem möge der Kläger ebenfalls bis 30.11.2006 mit persönlicher Unterschrift bestätigen, dass er bereit sei, sich einer Begutachtung nach §§ 103, 106 SGG zu unterziehen.

Die Bevollmächtigte des Klägers teilte mit Telefax vom 29.11.2006 dessen zur Zeit maßgebliche Adresse mit und informierte das Bayer. Landessozialgericht, dass weitergehende Angaben noch nicht abgegeben werden könnten. Von Seiten des Bayer. Landessozialgerichts wurde mit Schreiben vom 04.12.2006 antragsgemmäß bis 31.12.2006 Fristverlängerung gewährt.

Das Bayer. Landessozialgericht hat mit Nachricht vom 27.03.2007 eine Nachfrist bis spätestens 15.05.2007 gesetzt und im Übrigen darauf hingewiesen, dass vorbehaltlich einer ordnungsgemäßen Erledigung vor allem der Nachricht des Bayer. Landessozialgrichts vom 11.10.2006 vorgesehen ist, die Berufung gemäß § 153 Abs.4 SGG durch Beschluss zurückzuweisen. Die Bevollmächtigte des Klägers ersuchte mit Schriftsatz vom 14.05.2005 um weitere Fristverlängerung bis 16.07.2007, da der Kläger sich zur Zeit noch in Spanien unter der bereits bekannten Adresse befinde; die geforderten Angaben könnten noch nicht abgegeben werden.

Das Bayer. Landessozialgericht gab dem Ersuchen vom 14.05.2007 um weitere Fristverlängerung nicht statt.

Die Bevollmächtigte des Klägers hat bereits mit Schriftsatz vom 11.09.2006 gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 08.08.2006 - S 9 VG 4/01 Berufung eingelegt, aber bislang nicht begründet.

Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 08.11.2006 beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 08.08.2006 - S 9 VG 4/01 als unbegründet zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird gemäß 202 SGG in Verbindung mit § 540 der Zivilprozessordnung (ZPO) sowie entsprechend § 136 Abs.2 SGG auf die Unterlagen des Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143, 144 und 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig, jedoch unbegründet: Das Sozialgericht Landshut hat die Klage mit Urteil vom 08.08.2006 - S 9 VG 4/01 zu Recht abgewiesen. Die Bescheide des Beklagten vom 20.11.1998, 18.08.2000, 21.08.2000 und 20.11.2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.03.2001 sind zutreffend ergangen.

Verfahrensrechtlich ist vorab darauf hinzuweisen, dass auch der Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung L. vom 21.08.2000 gemäß § 86 Abs.1 SGG Gegenstand des anhängigen Verfahrens geworden ist. Dort hat der Beklagte den Antrag vom 18.12.1998 auf Erlass einer Zugunstenentscheidung im Sinne von § 44 des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren (SGB X) abgelehnt.

Auf internistisch-pneumologischem Fachgebiet liegt das umfassende Gutachten von Prof.Dr.H. vom 10.01.2006 vor. Dieser hat auch für das Bayer. Landessozialgericht schlüssig und überzeugend dargelegt, dass die zunächst bewilligte MdE von 60 v.H. ab dem 01.02.1994 auf 20 v.H. herabzusetzen gewesen ist. Im Rahmen der Gewalttat am 15.12.1991 ist es auf lungenärztlichem Fachgebiet zu einer Stichverletzung der Lungen, der Brustwand und des Zwerchfells sowie zu Rippenfrakturen gekommen. Durch diese und die notwendige Drainagetherapie ist es zur Narbenbildung der Lunge, des Zwerch- und Rippenfells ohne relevante Verschwartung gekommen. Eine weitere Verschwartung der relevanten Narbenbildung ist am Brustkorb und den Brustorganen nach dem 24.08.1995 nicht mehr feststellbar gewesen. Somit ergeben sich auf internistisch-pneumologischem Fachgebiet keinerlei Gesichtspunkte, die es im Hinblick auf § 48 Abs. 1 SGB X oder § 44 Abs.1 SGBX gebieten, die angefochtenen Entscheidungen bzw. das erstinstanzliche Urteil aufzuheben und/oder abzuändern.

Im Übrigen geht es gemäß § 103 Satz 1, 2. Halbsatz SGG sowohl im erstinstanzlichen als auch zweitinstanzlichen Verfahen zu Lasten des Klägers, dass dieser seiner Mitwirkungspflicht nicht ausreichend nachgekommen ist. In Berücksichtigung des Auslandsaufenthaltes des Klägers hat das Bayer. Landessozialgericht mit Nachricht vom 27.03.2007 eine Nachfrist bis spätestens 15.05.2007 eingeräumt. Ausgehend von der Berufungsschrift vom 11.09.2006 haben dem Kläger somit insgesamt mehr als acht Monate zur Verfügung gestanden, die Berufung zu begründen und entsprechende sachdienliche Hinweise und Erklärungen abzugeben.

Auf nervenfachärztlichem Gebiet liegen somit nur die verwaltungsseitig eingeholten Gutachten von Dr.L. vom 03.08.1998 einerseits und Dr.H. vom 02.09.1999 samt bestätigender nervenärztlicher Stellungnahme von Dr.S. vom 10.02.2000 andererseits vor. Danach hat Dr.B. am 15.12.1999 berichtet, dass die Leidensgeschichte des Klägers schon vor der Messerstecherei am 15.12.1991 begonnen habe. Der Kläger habe eine schwere Kindheit gehabt. Er sei geprügelt und psychisch in der Kindheit auch misshandelt worden. Es liege jetzt bei ihm eine mittelgradige Depression mit Schlafstörungen vor, Appetitlosigkeit, Interessenverlust und Gewichtsabnahme. Gelegentlich seien ihm auf nervenärztlichem Gebiet Medikamente verordnet worden. Gelegentlich seien auch Arbeitsunfähigkeiten bestätigt worden. Es seien offensichtlich in seinem Leben auch mehrfach Beziehungen gescheitert. Im September 1999 habe er nochmals geheiratet. Er habe ein Kind aus einer früheren Beziehung und ein Kind aus der jetzigen Beziehung. Der Leidensdruck des Klägers sei erheblich. Es hätten auch immer finanzielle Schwierigkeiten bestanden. Der Kläger habe sich selbst als ehrlich bezeichnet. Er habe jedoch immer Pech gehabt und sei immer der Unterlegene gewesen.

Somit sprechen die weit überwiegenden Gesichtspunkte dafür, dass den versorgungsärztlichen Voten von Dr.H. vom 02.09.1999 und Dr.S. vom 10.02.2000 zu folgen ist. Es geht daher zu Lasten des Klägers, dass dieser auch im zweitinstanzlichen Verfahren seiner Mitwirkungspflicht im Sinne von § 103 Satz 1, 2. Halbsatz SGG nicht entsprechend nachgekommen ist.

Im Übrigen sieht das Bayer. Landessozialgericht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe gemäß § 153 Abs.2 SGG ab, da es die Berufung auch aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen erstinstanzichen Entscheidung als unbegründet zurückweist.

Die Berufung ist durch Beschluss gemäß § 153 Abs.4 SGG zurückzuweisen gewesen. Das Bayer. Landessozialgericht hält sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung für nicht erforderlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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