S 12 KA 97/07

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 97/07
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 59/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 6 KA 12/09 R
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Eine Verfestigung des Gebrauchs von Suchtstoffen neben der Substitution liegt i. S. d. § 8 der Anlage A 2. „Substitutionsgestützte Behandlung Opiatabhängiger“ der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung (Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung) jedenfalls dann vor, wenn ein regelmäßiger Konsum auch nach über fünfjähriger Behandlung vorliegt.
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat der Beklagten die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Er hat auch die Gerichtskosten zu tragen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Pflicht zur Beendigung der Substitutionsbehandlung des Patienten B ...

Der Kläger ist als Arzt für Allgemeinmedizin zur vertragsärztlichen Versorgung mir Praxissitz A-Stadt zugelassen. Er besitzt die Genehmigung zur Abrechnung der Methadon-Substitutionsbehandlung bei i.v.-Heroinabhängigen.

Der Kläger behandelte den 1949 geb. Patienten B. im Rahmen einer Methadon-Substitutionsbehandlung seit 1995 und zeigte am 02.01.2007 ab. Mit Datum vom 24.07.2005 melde er ihn erneut für die substitutionsgestützte Behandlung an.

Die Beklagte nahm eine Qualitätsüberprüfung der Behandlung vor. Der Kläger reichte die angeforderten Unterlagen ein und führte aus, der Patient habe zwischen Januar und Juni 2005 einen anderen Arzt aufgesucht, sei aber wegen eines befürchteten Heroinrückfalls zu ihm zurückgekehrt. Sein Benzodiazepinkonsum habe sich leider gesteigert. Seine psychische Situation habe sich seit dem Tod der Mutter verschlechtert. Er habe ein Borderline-Syndrom. Er halte sich viel besser als befürchtet. Wegen seiner Low-Dose-Abhängigkeit bestehe kein Grund, die Methadonbehandlung abzubrechen.

Mit Bescheid vom 16.01.2006 verpflichte die Beklagte den Kläger zur Beendigung der Substitutionsbehandlung des Patienten B. bis spätestens 13.02.2006. Sie führte aus, es bestehe weiterhin ein Benzodiazepinkonsum. Die Qualitätssicherungskommission habe deshalb eine weitere Behandlung abgelehnt.

Hiergegen legte der Kläger am 07.02.2006 Widerspruch ein. Er führte aus, Herr B. nehme seit Jahren lediglich gelegentlich eine Schlaf- bzw. Beruhigungstablette ein, damit er des Nachts Ruhe finde. Dies geschehe nicht einmal täglich, so dass keine Anhängigkeit des Patienten bestehe. Die letzte positive Urinanalyse stamme vom November 2005. Ein Abbruch würde den Patienten in den Drogenkonsum zurückwerfen und seinen Gesundheitszustand verschlechtern.

Die Qualitätssicherungskommission empfahl nach Einholung weiterer Urinscreenings eine Zurückweisung des Widerspruchs unter Hinweis auf die chronologische Auflistung der durchgeführten Urinkontrollen vom 08.08.2005 bis 27.09.2006.

Mit Widerspruchsbescheid vom 21.02.2007, dem Kläger zugestellt am 23.02.2007, wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung wird die Stellungnahme der Qualitätssicherungskommission aufgeführt.

Hiergegen hat der Kläger am 23.03.2007 die Klage erhoben. Er trägt ergänzend zu seinem Widerspruchsvorbringen vor, bei einem Abbruch befürchte er schwerste gesundheitliche Konsequenzen für seinen Patienten. Der Patient nehme Benzodiazepine wahrscheinlich aus Gründen seiner Borderline-Charakterstruktur. Die BUB-Richtlinien seien fehlerhaft. Ein Abbruch dürfe nur bei schwerstem Beigebrauch erfolgen. Ein Erfolg der Methadonbehandlung sei nachweisbar.

Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 16.01.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.02.2007 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf den angefochtenen Widerspruchsbescheid und trägt ergänzend vor, es handele sich um eine gebundene Entscheidung. Die BUB-Richtlinie sei verbindlich und rechtmäßig.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer hat in der Besetzung mit zwei ehrenamtlichen Richtern aus den Kreisen der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 16.01.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.02.2007 ist rechtmäßig und war daher nicht aufzuheben. Die Beklagte hat zu Recht die Pflicht zur Beendigung der Substitutionsbehandlung des Patienten B. festgestellt.

Nach § 8 der Anlage A 2. "Substitutionsgestützte Behandlung Opiatabhängiger" der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung (Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung) in der Fassung vom 17. Januar 2006, veröffentlicht im Bundesanzeiger 2006; Nr. 48 (S. 1523) in Kraft getreten am 01. April 2006 (im Folgenden: SRL), zuletzt geändert am 18. Januar 2007, veröffentlicht im Bundesanzeiger 2007; Nr. 79 (S. 4 362) in Kraft getreten am 1. April 2007 (hier zitiert nach www.g-ba.de) – wobei die hier maßgebliche Anlage A 2 zuletzt mit Beschluss vom 16. November 2004 geändert wurde - ist bei Vorliegen folgender Voraussetzungen die Substitution zu beenden:

1. gleichzeitige Substitution durch einen anderen Arzt, sofern die Mehrfachsubstitution nicht nach § 7 Abs. 3 einvernehmlich eingestellt wird,
2. nicht bestimmungsgemäße Verwendung des Substitutionsmittels,
3. Ausweitung oder Verfestigung des Gebrauchs von Suchtstoffen neben der Substitution,
4. dauerhafte Nicht-Teilnahme des Substituierten an ggf. erforderlichen psychosozialen Betreuungsmaßnahmen,
5. Feststellung der Kommission nach § 9, dass die Voraussetzungen des § 3 nicht oder nicht mehr vorliegen.

Die Voraussetzungen nach Nr. 3 der genannten Vorschrift lagen vor. Eine Verfestigung des Gebrauchs von Suchtstoffen neben der Substitution liegt jedenfalls dann vor, wenn ein regelmäßiger Konsum auch nach über fünfjähriger Behandlung vorliegt. Für die Kammer folgt dies aus § 9 SRL. Danach richten die KVen fachkundige Kommissionen zur Beratung bei der Erteilung von Genehmigungen für Substitutionsbehandlungen nach § 2 sowie für die Qualitätssicherung und die Überprüfung der Indikation nach § 3 durch Stichproben im Einzelfall (Qualitätssicherungskommissionen) ein (§ 9 Abs. 1 Satz 1 SRL). Die Kommissionen haben die Qualität der vertragsärztlichen Substitution und das Vorliegen der Voraussetzungen des § 3 durch Stichproben im Einzelfall zu überprüfen (§ 9 Abs. 3 Satz 1 SRL). Bei allen Substitutionsbehandlungen gemäß diesen Richtlinien hat der Arzt mit Ablauf von jeweils fünf Behandlungsjahren die patientenbezogenen Dokumentationen gem. § 7 mit den jeweiligen umfassenden Therapiekonzepten und den Behandlungsdokumentationen an die Qualitätssicherungskommission zur Prüfung zu übermitteln (§ 9 Abs. 5 SRL). Die Qualitätsprüfungen nach Abs. 3 bis 5 umfassen die Einhaltung aller Bestimmungen dieser Richtlinien (§ 9 Abs. 6 SRL).

Mit der Überprüfung der Behandlung nach fünf Jahren geben damit die SRL vor, dass nach diesem Zeitraum erstmals eine Kontrolle erfolgen soll, ob das Ziel der SRL erreicht wird und ob deren Bestimmungen eingehalten werden. Die SRL dient aber auch in ihrer Neufassung ausschließlich der Krankenbehandlung mit dem Ziel der Suchtmittelfreiheit. Nach der Präambel der SRL umfasst Krankenbehandlung im Sinne des § 27 SGB V auch die Behandlung von Suchterkrankungen. Das alleinige Auswechseln des Opiats durch ein Substitutionsmittel stellt jedoch keine geeignete Behandlungsmethode dar und ist von der Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nicht umfasst. Oberstes Ziel der Behandlung ist die Suchtmittelfreiheit. Ist dieses Ziel nicht unmittelbar und zeitnah erreichbar, so ist im Rahmen eines umfassenden Therapiekonzeptes, das auch, soweit erforderlich, begleitende psychiatrische und/oder psychotherapeutische Behandlungs- oder psychosoziale Betreuungs-Maßnahmen mit einbezieht, eine Substitution zulässig.

Bei dem Patienten B. waren bei allen Urinkontrollen im Zeitraum 02.08.2005 bis 27.09.2006 die Benzodiazepinwerte positiv. Soweit der Kläger eine Liste über die Kontrollen für den Zeitraum 03.01.2007 bis 15.08.2007 vorgelegt hat, so waren die Werte ebf. fast durchgehend positiv, lediglich der Zeitraum 27.06.2007 bis 25.07.2007 war durchgehend negativ, daneben die Proben am 18.04. und 16.05.2007. Im Hinblick auf den langen Konsum von Benzodiazepinen kann hieraus aber nach der mit zwei Ärzten fachkundig besetzten Kammer nicht auf eine Benzodiazepinfreiheit geschlossen werden. Entgegen der Auffassung des Klägers vermochte die Kammer auch keine Niedrigdosisabhängigkeit zu erkennen, die im Sinne der SRL unbeachtlich wäre. Aufgrund der langen Abhängigkeit liegt vielmehr schwerere Abhängigkeit vor. § 4 Nr. 1 SRL nennt als Ausschlussgrund ausdrücklich eine primäre/hauptsächliche Abhängigkeit von anderen psychotropen Substanzen wie u. a. Benzodiazepine. § 8 Nr. 3 SRL sieht aber die zwingende Beendigung der Substitutionsbehandlung vor, wenn der Beigebrauch über Jahre hinweg anhält. Ein Ermessensspielraum kommt der Beklagten nicht zu. Eine Fortsetzung der Behandlung in Einzelfällen sieht die SRL nicht vor. Maßgeblich nach der SRL ist lediglich, ob die Behandlung innerhalb des Krankenversicherungssystems durchzuführen ist. Dies schließt es nicht aus, dass eine weitere Substitutionsbehandlung von anderen Kostenträgern getragen wird.

Die SRL sind auch rechtmäßig.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, von der abzuweichen die Kammer hier keine Veranlassung sieht, sind die BUB-Richtlinien und auch die Substitutions-RL als Regelungen zur Sicherung der Qualität der Leistungserbringung auf Grund des § 135 Abs. 1 i.V.m. § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V erlassen worden. Die Wirksamkeit dieser Rechtsgrundlagen, sowohl des § 135 Abs. 1 SGB V als auch der NUB-Richtlinien bzw. jetzt BUB-Richtlinien unterliegt keinen Zweifeln. Dem Einwand, eine Festlegung der Behandlungsvoraussetzungen durch Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen reiche im Hinblick auf verfassungsrechtliche Anforderungen nicht aus, ist das BSG bereits früher entgegengetreten. Dies gilt auch für die in den Substitutions-RL festgelegten Kriterien für die Anerkennung eines Notfalles zur sofortigen Substitutionsbehandlung (vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 06.11.2002, Aktenzeichen: B 6 KA 39/01 R, juris Rdnr. 17). Auch die alten Substitutions-RL gingen von dem Konzept der suchtmittelfreien Behandlung aus. Die Neufassung in Form der SRL hat insofern eine Vereinfachung der Behandlungsmöglichkeiten gebracht, als vom Vorliegen bestimmter Indikationen und einer vor Behandlungsbeginn einzuholenden Genehmigung nunmehr abgesehen wird. Von daher hält die Kammer auch die SRL für rechtmäßig.

Nach allem war die Klage daher abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
Rechtskraft
Aus
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