L 5 R 749/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 11 R 2089/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 749/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 22.1.2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Weitergewährung der ihr bis 31.7.2005 bewilligten Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Die 1962 geborene, verwitwete Klägerin hat von 1979 bis 1980 den Beruf der Bekleidungsnäherin erlernt. Als solche arbeitete sie bis 1984 (Verwaltungsakte S. 32). Nach Mutterschutzzeiten (bis 1985) war sie zunächst arbeitslos und zuletzt von 1987 bis 2002 als Versandarbeiterin versicherungspflichtig beschäftigt. Im August 2002 erlitt sie einen Verkehrsunfall; sie wurde auf dem Gehweg von einem PKW angefahren.

Vom 22.10. bis 19.11.2002 absolvierte die Klägerin eine stationäre Rehabilitationsbehandlung in den Fachkliniken H., Bad U ... Im Entlassungsbericht vom 28.11.2002 sind die Diagnosen supracondyläre Femurfraktur rechts, versorgt mit Condylenplatten nach Verkehrsunfall vom 19.8.2002 sowie Tibiakopffraktur links und Schraubenosteosynthese festgehalten. Nach vollständig abgeschlossener Rehabilitationsphase könne die Klägerin körperlich leichte (bis teilweise mittelschwere) Tätigkeiten im Wechselrhythmus unter qualitativen Einschränkungen (ohne Heben und Tragen von Lasten über 10 kg, ohne kniende und hockende Arbeiten, ohne Dauerstehen und ohne häufiges Treppensteigen sowie ohne Besteigen von Gerüsten und Leitern) 6 Stunden täglich und mehr verrichten.

Eine weitere stationäre Rehabilitationsbehandlung in den Fachkliniken H. fand vom 22.4. bis 20.5.2003 statt. Im Entlassungsbericht vom 2.6.2003 ist ausgeführt, nach Ausheilung der knöchernen Verletzung erachte man die Klägerin aus orthopädischer Sicht wieder als vollschichtig leistungsfähig für leichte Tätigkeiten im Wechselrhythmus (hauptsächlich im Sitzen, ohne vermehrte Geh- und Stehbelastung, ohne schweres Heben und Tragen, ohne hockende und kniebelastende Zwangshaltungen).

Am 22.1.2004 beantragte die Klägerin Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte bewilligte ihr zunächst eine (weitere) stationäre Rehabilitationsbehandlung in der F.klinik Bad B. vom 15.3. bis 16.4.2004. Im Entlassungsbericht der Klinik vom 30.4.2004 sind die folgenden Diagnosen festgehalten: Funktionsdefizit rechtes Bein nach supracondylärer Femurfraktur rechts 8/02 und mehrfacher Osteosynthese mit Knochenspananlagerung, verzögerte Knochenheilung, Zustand nach Metallteilentfernung der medialen Femurplatte und Neurolyse Nervus saphenus rechts am 27.2.2004, Funktionsdefizit linkes Bein nach ostheosynthetisch versorgter Tibiakopffraktur 8/02, Gonarthrose links, leichtgradige Gonarthrose rechts, Nikotinabusus und Übergewicht (BMI 29). Seit dem Verkehrsunfall vom August 2002 klage die Klägerin über zunehmende Schmerzen im rechten Bein. Aufgrund der noch nicht vollständig konsolidierten Oberschenkelfraktur rechts könne derzeit eine endgültige sozialmedizinische Beurteilung noch nicht erfolgen. Das Leistungsvermögen für die Tätigkeit als Versandarbeiterin sei aufgehoben. Leichte Arbeiten könnten 3 bis unter 6 Stunden täglich verrichtet werden.

Mit Bescheid vom 17.5.2004 bewilligte die Beklagte der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 1.8.2004 bis 31.7.2005. Am 10.3.2005 stellte die Klägerin einen Antrag auf Weitergewährung der Erwerbsminderungsrente.

Die Beklagte erhob das Gutachten des Chirurgen Dr. R. vom 22.4.2005. Dieser diagnostizierte eine beginnende Gonarthrose rechts bei Zustand nach supracondylärer Femurfraktur rechts, beginnende Gonarthrose links bei Zustand nach Tibiaplateau-Fraktur links, neuralgiforme Schmerzen Nervus saphenus rechts, geringe Hörminderung beidseits bei Zustand nach Trommelfellperforation beidseits und operativer Versorgung, Nikotinabusus, Übergewicht sowie reaktive Depression auf Tod des Ehemanns und Unfallfolgen. Leichte Tätigkeiten seien zeitweise im Stehen und Gehen oder überwiegend im Sitzen in Tagesschicht oder Früh- und Spätschicht (unter qualitativen Einschränkungen, etwa ohne häufiges Bücken, Ersteigen von Treppen oder Leitern und Gerüsten, ohne Zwangshaltungen) 6 Stunden täglich und mehr möglich. Als Näherin könne die Klägerin nur noch 3 bis unter 6 Stunden täglich arbeiten.

Mit Bescheid vom 27.4.2005 lehnte die Beklagte den Weitergewährungsantrag ab. Den dagegen eingelegten und mit täglichen starken Schmerzen begründeten Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28.6.2005 zurück.

Am 14.7.2005 erhob die Klägerin Klage beim Sozialgericht (SG) Ulm. Zur Begründung trug sie vor, sie könne höchstens 1 bis 2 Stunden täglich arbeiten und nicht länger als eine halbe Stunde stehen oder gehen. Sie leide weiterhin unter Schmerzen und Beschwerden insbesondere in den Beinen.

Das SG befragte den behandelnden Arzt der Klägerin, den Chrirurgen Dr. T., und erhob auf Antrag der Klägerin gem. § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) dessen Gutachten vom 12.5.2006. Außerdem wurde das Gutachten des Orthopäden Dr. K. vom 4.9.2006 eingeholt. Die Beklagte legte Stellungnahmen ihres beratungsärztlichen Dienstes vor.

Dr. T. teilte im Bericht vom 13.9.2005 mit, die Klägerin habe sich bei ihm dreimal (27.9.2004, 16.11.2004, 7.7.2005) vorgestellt und glaubhaft angegeben, nicht mehr vollschichtig arbeiten zu können; er teile diese Einschätzung. Die Klägerin sei mit Ibuprofen 600 – 10 Tabletten im Monat – analgetisch eingestellt.

Hierzu führte Dr. Buchhöcker in der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 16.11.2005 aus, die Tatsache, dass die Klägerin Dr. T. nur dreimal aufgesucht habe und nur 10 Schmerztabletten im Monat benötige, spreche für fehlenden Leidensdruck auf Grund von Beschwerden des unfallchirurgischen Fachgebiets. Klinische Untersuchungsbefunde habe Dr. T: weitgehend nicht mitgeteilt, eine höhergradige funktionelle Beeinträchtigung im Bereich der Kniegelenke werde nicht erwähnt. Dr. T. stütze sich im Wesentlichen auf die unkritisch übernommenen subjektiven Angaben der Klägerin.

In seinem auf Antrag der Klägerin gem. § 109 SGG erhobenen Gutachten diagnostizierte Dr. T. eine beginnende Gonarthrose rechts bei Zustand nach supracondylärer Femurfraktur und mehreren Operationen wegen einer Pseudoarthroseausbildung mit resultierender Beinverkürzung von 1,5 cm, beginnende Gonarthrose links bei Zustand nach Tibiakopffraktur links ebenfalls mit Pseudoarthroseentwicklung und erforderlicher Revisionsoperation, verbliebene Außenbandinstabilität bei genu valgum, erhebliche Ruhe- und Belastungsschmerzen beider Beine mit deutlich eingeschränkter Gehstrecke und hohem Analgetikabedarf von 3 Schmerzmitteln (Aspirin 100 mg ca. 20 Tabletten/Monat; Thomapyrin ca. 10 Tabletten/Monat; Ibuprofen 600 mg ca. 10 Tabletten/Monat), neuralgiforme Schmerzen am rechten Nervus saphenus, Adipositas, reaktive Depression auf Tod des Ehemanns und die Unfallfolgen. Mit einem Tens-Gerät habe eine längerfristige Schmerzreduzierung nicht erreicht werden können. Die Vorstellung bei einer Schmerzambulanz habe die Klägerin bislang nicht in Erwägung gezogen. Aus den Bewegungsmaßen ergebe sich keine erhebliche Bewegungseinschränkung. Nach Durchführung der bei ausbleibender Knochenheilung durchgeführten Therapie würden nicht alle Patienten beschwerdeärmer oder gar beschwerdefrei, obwohl Röntgenaufnahmen eine Befundverbesserung demonstrieren könnten; das sei auch bei der Klägerin der Fall. Diese habe angegeben, mit ihrem Hund eine Gehstrecke von ca. 20 bis 30 Minuten bewältigen zu können; das sei wegen der Schmerzen nicht öfter als dreimal täglich möglich. Im Vordergrund stünden aber die täglich auftretenden Belastungsschmerzen, die seiner (des Gutachters) Auffassung nach trotz eher unregelmäßigen Arztbesuchs glaubhaft seien. Eine berufliche Belastung von 6 Stunden und mehr sei daher schmerzbedingt nicht mehr möglich. Leichte Tätigkeiten könne die Klägerin unter qualitativen Einschränkungen insgesamt 3 Stunden täglich verrichten. Die Wegefähigkeit sei im Hinblick auf die Angaben der Klägerin eher zu verneinen.

Dr. B. führte hierzu in der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 13.7.2006 aus, nach den im Gutachten des Dr. T. mitgeteilten objektiven Befunden liege eine nennenswerte funktionelle Beeinträchtigung der Kniegelenke nicht vor. Hinsichtlich der Schmerzen würden keine Diagnosen gestellt, vielmehr nur die subjektiven Beschwerdeangaben der Klägerin wiedergegeben. Auch die Leistungseinschätzung des Gutachters beruhe letztendlich allein auf den Angaben der Klägerin, die der Gutachter weitgehend unkritisch übernommen habe, während die einschlägigen eindeutigen objektiven Befunde ignoriert würden. Die Klägerin habe sich beim Chirurgen insgesamt nur dreimal vorgestellt, was gegen einen höhergradigen Leidensdruck und gegen höhergradige funktionelle Einschränkungen spreche. Von einem hohen Analgetikabedarf könne nach der festgestellten Schmerzmitteleinnahme keine Rede sein. Insgesamt sei die Leistungseinschätzung des Gutachters daher nicht überzeugend. Das gelte auch hinsichtlich der Wegefähigkeit. Eine Einschränkung der sozialmedizinisch relevanten Gehstrecke könne dem Gutachten nicht zweifelsfrei entnommen werden. Schließlich fänden sich im Gutachten erhebliche Diskrepanzen zwischen subjektiver Beschwerdeschilderung und objektiven Befunden; letzteren messe der Gutachter allenfalls untergeordnete Bedeutung bei.

Der Orthopäde Dr. K. diagnostizierte in seinem (von Amts wegen erhobenen) Gutachten rezidivierende Lumbago bei leichten degenerativen Veränderungen der LWS und statischer Dysbalance durch Beinlängendifferenz, am linken Kniegelenk beginnende leichte posttraumatische Gonarthrose bei anterolateraler Knieinstabilität Grad I – II, am rechten Kniegelenk beginnende potstraumatische Gonarthrose, Beinlängenverkürzung rechts 1,5 cm posttraumatisch, Hypersensibilität und neuralgieformes Schmerzsyndrom im Bereich des Nervus saphenus am rechten Unterschenkel medial. Leichte Frauenarbeit zeitweise im Stehen oder Gehen oder überwiegend im Sitzen sei vollschichtig (mindestens 6 Stunden täglich) möglich. Die Klägerin sei auch wegefähig; sie habe ein zwar hinkendes, aber flottes Gangbild vorgeführt und könne mit ihrem Hund eine halbe Stunde am Stück ausgehen. Die Knieinstabilität links könne evtl. durch eine operative Intervention gebessert werden. Verglichen mit dem Gutachten des Dr. T. habe er eine bessere Kniebeweglichkeit links festgestellt.

Mit Gerichtsbescheid vom 22.1.2007 wies das Sozialgericht die Klage ab. Der Klägerin stehe Erwerbsminderungsrente ab August 2005 nicht mehr zu, da ihre Leistungsfähigkeit nicht mehr in rentenberechtigendem Maße gemindert sei (§ 43 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch, SGB VI); sie könne leichte Tätigkeiten unter qualitativen Einschränkungen mindestens 6 Stunden täglich verrichten. Das ergebe sich aus dem Gutachten des Dr. K ... Dessen Leistungseinschätzung stütze sich in überzeugender Weise auf die bei der Untersuchung der Klägerin erhobenen objektiven Befunde und werde außerdem durch das Verwaltungsgutachten des Dr. R. untermauert. Demgegenüber beruhe die abweichende Auffassung des Dr. T. im Wesentlichen auf subjektiven Beschwerdeangaben der Klägerin, was für die Begründung eines Rentenanspruchs nicht genügen könne. Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit komme (im Hinblick auf das Geburtsjahr der Klägerin, 1962) gem. § 240 Abs. 1 SGB VI nicht in Betracht.

Auf den ihr am 29.1.2007 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 12.2.2007 Berufung eingelegt. Sie trägt ergänzend vor, ihr stehe als gelernter Näherin der Berufsschutz des Facharbeiters zu, weshalb sie auf den Beruf des Pförtners nicht verwiesen werden könne. Die Rechtsprechung des Landessozialgerichts Baden-Württemberg zur Verweisung von Facharbeitern auf den Pförtnerberuf sei im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bayerischen Landessozialgerichts problematisch. Die Beklagte habe auch nicht geprüft, ob sie in der Lage sei, die notwendigen Kenntnisse für die Ausübung des genannten Verweisungsberufs innerhalb von 3 Monaten zu erwerben.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 22.1.2007 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 27.4.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.6.2005 zu verurteilen, ihr über den 31.7.2005 hinaus Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung, zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

Die Beteiligten wurden (vorsorglich) auf die Senatsrechtsprechung zur Verweisbarkeit von Facharbeitern auf den Beruf des Registrators hingewiesen (etwa Senatsurteil vom 11.10.2006, - L 5 R 4635/05 -)

Die Beteiligten haben sich mit einer Senatsentscheidung ohne mündliche Verhandlung gem. §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des SG und des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Im Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat ohne mündliche Verhandlung (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG).

Die gem. §§ 143, 144, 151 SGG statthafte und auch sonst zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, ihr über den 31.7.2005 hinaus Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren. Die Klägerin hat darauf keinen Anspruch.

Das Sozialgericht hat in seinem Gerichtsbescheid zutreffend dargelegt, nach welchen Rechtsvorschriften (§ 43 SGB VI) das Rentenbegehren zu beurteilen ist, und weshalb der Klägerin danach Rente seit dem 31.7.2005 nicht mehr zusteht. Der Senat nimmt auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Gerichtsbescheids Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend ist im Hinblick auf das Berufungsvorbringen der Beteiligten anzumerken:

Der Senat teilt die Beweiswürdigung des Sozialgerichts. Die Klägerin hat hiergegen auch keine Einwendungen erhoben, mit der Berufung vielmehr Berufsschutz als Facharbeiterin geltend gemacht. Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit kann sie aber - wie auch das Sozialgericht im angefochtenen Gerichtsbescheid zutreffend dargelegt hat - gem. § 240 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI schon deshalb nicht beanspruchen, weil sie nicht vor dem 2.1.1961 geboren ist. Das Vorbringen zum Berufsschutz geht daher ins Leere. Auf die Verweisbarkeit der Klägerin (etwa) auf den Beruf des Registrators (dazu nur Senatsurteil vom 11.10.2006, - L 5 R 4635/05 -) kommt es entscheidungserheblich nicht mehr an.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved