L 9 U 3124/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 9 U 1716/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 3124/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 22. Mai 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob beim Kläger eine Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) vorliegt.

Der am 13.3.1959 geborene Kläger war nach seinen Angaben von 1984 bis 1987 als Arbeiter in der Biegerei (Auspuffherstellung) der Firma Bischoff Plüderhausen und vom 8.3.1989 bis 31.8.2003 als Maschinenarbeiter sowie vom 1.9.2003 bis 31.8.2004 als Arbeiter in der Spiegelkassettenmontage der G.-N. GmbH & Co KG in Sch.-M. beschäftigt.

Mit Schreiben vom 4.3.2004 teilte der Kläger der Beklagten mit, im Sommer 2003 habe er einen Bandscheibenvorfall erlitten, den er auf die jahrelangen Belastungen am Arbeitsplatz zurückführe, und bat um Überprüfung, ob eine Anerkennung als BK in Betracht komme.

Im Rahmen der von der Beklagten eingeleiteten Ermittlungen gab der Kläger am 26.3.2004 an, er habe zum ersten Mal im März 2001 Wirbelsäulenbeschwerden gehabt, die bei der Arbeit aufgetreten seien. Wegen der Wirbelsäulenbeschwerden sei er im Juli 2003 im Krankenhaus Schorndorf behandelt und im September 2003 auf einen anderen Arbeitsplatz ohne schweres Heben umgesetzt wurden.

Herr B. teilte unter dem 10.5.2004 mit, aus der Zeit von 1984 bis 1987 hätten sie keine Unterlagen mehr. Die Firma B. habe seit 10 Jahren keine Beschäftigten mehr; die Produktion sei eingestellt worden.

Dr. H. gab unter dem 10.5.2004 an, er habe den Kläger erstmals 1990 wegen Beschwerden im HWS- und LWS-Bereich behandelt. Er legte Arztbriefe des Orthopäden Dr. O. vom 19.6.1997, 22.2. und 26.4.2001, 5.8.2002, vom 25.6. und 17.7.2003, 18.2.2004 sowie einen Arztbrief von Dr. W., Chefarzt der Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie am Kreiskrankenhaus Schorndorf vom 21.7.2003 über eine stationäre Behandlung des Klägers vom 10.7. bis 16.7.2003 vor. Dr. W. führte darin aus, er habe beim Kläger eine Lumboischialgie links bei Re-Nucleus pulposus Prolaps L4/5 links lateral diagnostiziert; es sei eine intensive konservative analgetische physikalische Therapie mit Krankengymnastik durchgeführt worden, unter der sich die Beschwerden des Klägers schnell besserten. Weitere neurologische Defizite seien nicht aufgetreten. Die Beklagte zog die Leistungsauszüge der AOK R.-M., CT-Aufnahmen des Kreiskrankenhauses Schorndorf bei und holte eine Auskunft von Dr. O. ein, der Behandlungen des Klägers wegen Wirbelsäulenbeschwerden seit April 2001 angab und die von ihm gefertigten Arztbriefe vorlegte.

In der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 9.7.2004 führte der Arzt für Chirurgie und Unfallchirurgie Dr. Sch. aus, Röntgenaufnahmen der LWS aus dem Jahr 2001 zeigten eine vermehrte Steilstellung und eine diskrete skoliotische Verdrehung der LWS, aber keinen wesentlichen über das altersübliche Maß hinausgehenden krankhaften Befund. An der BWS seien neben einer leichten anlagebedingten Skoliose deutliche degenerative Veränderungen im Bereich zwischen dem 5. und 9. Brustwirbelkörper zu erkennen. Die Kernspin-Untersuchung der LWS zeige diskrete Protrusionen der Bandscheiben im gesamten LWS-Bereich, die nicht wesentlich über das altersübliche Maß hinausgingen. Lediglich im Segment L 5/S 1 sei vom Vorliegen eines Bandscheibenvorfalls auszugehen. Aus der Akte sei zu entnehmen, dass bereits 1995 Behandlungen wegen Wirbelsäulenbeschwerden bei dem damals 36-jährigen erforderlich gewesen seien. Sofern nicht außergewöhnlich hohe Belastungszeiträume vorgelegen hätten, könne nicht nachvollzogen werden, dass angesichts der seit langem bestehenden Beschwerdesymptomatik und der anlagebedingten leichten Wirbelsäulenkrümmung eine berufsbedingte Bandscheibenerkrankung vorliegen solle.

Mit Bescheid vom 13.9.2004 lehnte die Beklagte die Anerkennung der Wirbelsäulen-Beschwerden als BK nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV ab.

Hiergegen legte der Kläger am 20.9.2004 Widerspruch ein. Die G.-N. GmbH & CoKG legte am 29.10.2004 den ausgefüllten Fragebogen zur Tätigkeit des Klägers vor. Der Technische Aufsichtsdienst der Beklagten suchte die Firma auf und führte ein Gespräch mit Herrn Maier, dem Technische Leiter des Betriebes, sowie dem Kläger und dessen Ehefrau. Die Gewichte der vom Kläger gehobenen Formen wurden durch Wiegen ermittelt und ergaben ein Gewicht von jeweils 5, 11, 13 und 28 kg. Während der Betriebsleiter sagte, die schwersten Formen seien nicht gehoben, sondern nur in die Presse geschoben worden, erklärte der Kläger, dass diese von ihm in die Presse gehoben worden seien. Ausgehend von den Angaben des Klägers gelangte der Technische Aufsichtsdienst zum Ergebnis, die arbeitstechnischen Voraussetzungen seien nicht erfüllt, da die Belastungsdosis lediglich 0,2 x 106 Nh und nicht 25 x 106 Nh betrage und die Belastung auch nicht in der überwiegenden Anzahl der Schichten stattgefunden habe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 9.3.2005 wies die Beklagte daraufhin den Widerspruch zurück.

Hiergegen erhob der Kläger am 23.3.2005 Klage zum Sozialgericht (SGG) Stuttgart, mit der er die Anerkennung seiner Wirbelsäulen-Beschwerden als BK weiterverfolgte.

Mit Gerichtsbescheid vom 22.5.2006 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, das SG sei zu der Überzeugung gelangt, dass beim Kläger keine BK nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV vorliege. Es fehle an einer geeigneten beruflichen Belastung, welche als sogenannte arbeitstechnische Voraussetzung neben den medizinischen Voraussetzungen für die Anerkennung erforderlich sei. Nach den schlüssigen Berechnungen der Beklagten erreiche der Kläger eine Gesamtbelastungsdosis von 0,2 x 106 Nh. Dieser Wert liege eindeutig unter der Mindestbeurteilungsdosis von 25 x 106 Nh. Auch habe der Kläger weniger als 110 Schichten pro Jahr mit den wirbelsäulengefährdenden Formen von 28 kg Gewicht gearbeitet. Da die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht vorlägen, könne der medizinische Sachverhalt dahingestellt bleiben.

Gegen den am 26.5.2006 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 20.6.2006 Berufung eingelegt und vorgetragen, er habe ein weiteres Lastgewicht von 28 kg gehoben, das in der Berechnung nicht berücksichtigt worden sei. Pro Auftrag seien ca. 300 bis 400 Stück angefallen. Im Jahr habe es 9 bis 10 Aufträge gegeben. Er habe den subjektiven Eindruck, dass er überwiegend mit diesen schweren Teilen gearbeitet habe, allerdings im Wechsel mit leichteren Teilen. Er habe die belastende Tätigkeit in der überwiegenden Anzahl der Arbeitsschichten (mehr als 100 Schichten) durchgeführt. Das Mainz-Dortmunder-Dosis-MO.ll (MDD), nach dem die Berechnung erfolgt sei, stehe weiter in der Kritik. So berücksichtigten die Grenzwerte nicht, dass die Beschäftigten unterschiedlich körperlich belastbar seien.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 22. Mai 2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 13. September 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. März 2005 aufzuheben und die Wirbelsäulen-Erkrankung als Berufskrankheit anzuerkennen, hilfsweise ein gerichtliches Sachverständigengutachten einzuholen.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erwidert, nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 18.3.2003 (SozR 4-2700 § 9 Nr. 1) biete das MDD auf Grund des derzeitigen Standes der medizinischen Erkenntnisse eine hinreichend bestimmte Grundlage für eine gleichmäßige Rechtsanwendung. Unter Zugrundelegung der ergänzenden Angaben des Klägers werde ebenfalls keine Gefährdung im Sinne einer überwiegenden Anzahl belastender Arbeitsschichten pro Jahr erreicht. Ferner ergebe sich auch lediglich eine Gesamtdosis von 2 x 106 Nh an Stelle einer Beurteilungsdosis von 25 x 106 Nh. Insbesondere das deutliche Unterschreiten der berechneten Gesamtdosis lasse einen Ursachenzusammenhang zwischen beruflicher Tätigkeit und der Annahme einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS als wenig wahrscheinlich erscheinen.

Der Senat hat einen Hinweis auf das Gemeinsame Rundschreiben DGUV vom 12.6.2007 zu den Berufskrankheiten nach Nr. 2108 der BKV, hier: Abschluss der Deutschen Wirbelsäulenstudie (DWS), Mainz-Dortmunder DosismO.ll (MDD), neues Merkblatt, erteilt.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entschieden hat, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, da der Kläger keinen Anspruch auf Feststellung einer BK nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV hat.

Das SG hat die Rechtsvorschriften sowie die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze für die Anerkennung einer BK zutreffend dargelegt. Der Senat hat den Sachverhalt nochmals überprüft und ist dabei zum Ergebnis gelangt, dass der angefochtene Gerichtsbescheid des SG nicht zu beanstanden ist. Deshalb nimmt der Senat insoweit auf die Gründe des Gerichtsbescheids, die sich als zutreffend erweisen, in vollem Umfang Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend ist auszuführen, dass auch durch die Berücksichtigung weiterer vom Kläger gehobener Gewichte von 28 kg nicht die Belastungsdosis von 25 x 106 Nh erreicht wird, sondern weit darunter bei 2 x 106 Nh liegt. Die vom Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften und dem Bundesverband der Unfallkassen initiierte Deutsche Wirbelsäulenstudie hat zwar ergeben, dass das MDD wohl nicht das am besten geeignete MO.ll ist, um Dosis-Wirkungsbeziehungen bei bandscheibenbedingten Wirbelsäulen-Erkrankungen abzubilden. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass auch unterhalb des Orientierungswertes nach dem MDD ein erhöhtes Risiko für bandscheibenbedingte Erkrankungen bestehen kann. Die am besten anpassenden MO.lle können allerdings das MDD im Rahmen der bestehenden BK kurzfristig noch nicht ersetzen, da diese MO.lle Dosis-Wirkungsbeziehungen für Bandscheibenvorfälle bzw. für Chondrosen losgelöst von den rechtlich vorgegebenen Kriterien schweres Heben und Tragen und extreme Rumpfbeugehaltung, zeigen. Da diese MO.lle somit über die geltende Legaldefinition der BK 2108 hinausgehen, ist weiterhin das MDD anzuwenden (Gem. Rdschr. DGUV vom 12.6.2007). Dieser Auffassung schließt sich der Senat an. Auch unter Berücksichtigung der Neufassung des Merkblatts zur BK Nr. 2108 der Anlage zur BKV (Bek. des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 1.9.2006 im Bundesarbeitsblatt 10-2006, S. 30 ff.) hält der Senat eine nochmalige erneute Berechnung nach dem MDD nicht für erforderlich. Denn danach sind Lastgewichte mit einem erhöhten Risiko für die Verursachung bandscheibenbedingter Erkrankungen der LWS für Männer das beidseitige Heben von Lasten von mindestens 20 kg, das beidseitige Umsetzen von Lasten von mindestens 30 kg und das Tragen vor oder einseitig neben dem Körper von 25 kg. Dies bedeutet, dass lediglich die vom Kläger gehobenen Gewichte von 28 kg bei der Berechnung zu berücksichtigen sind, was der Technische Aufsichtsdienst getan hat, und nicht die sonstigen gehobenen Gewichte von 5, 11 und 13 kg. Angesichts der nicht nachweisbaren arbeitstechnischen Voraussetzungen war eine medizinische Begutachtung des Kläger nicht veranlasst. Unabhängig davon spricht auch der medizinische Befund gegen eine beruflich verursachte Wirbelsäulenerkrankung. So liegen beim Kläger eine diskrete skoliotische Verdrehung der LWS sowie eine diskrete Verbiegung und Verdrehung der BWS im Sinne einer leichten anlagebedingten Skoliose vor, wobei die degenerativen Veränderungen im Bereich der BWS deutlicher sind als die im Bereich der LWS. Auch die Behandlungen wegen eines LWS-Syndroms im Mai 1990, im Februar 1992, im Oktober 1995, im November 1999 sowie die langjährigen Behandlungen wegen eines HWS-Syndroms sprechen gegen eine Verursachung der Wirbelsäulenerkrankung durch die im März 1989 aufgenommene Tätigkeit. Nach alledem war der angefochtene Gerichtsbescheid des SG nicht zu beanstanden.

Die Berufung des Klägers musste deswegen zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für eine

Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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