Land
Hessen
Sozialgericht
SG Gießen (HES)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 1 U 168/05
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 218/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 11/12 R
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1) Die Feststellung einer Berufskrankheit nach Nr. 2109 der Anlage zur BKV ist nicht auf eine vorherige berufliche Tätigkeit als Fleischträger in Schlachthöfen beschränkt, auch durch eine Tätigkeit als Zimmermann können im Einzelfall die arbeitstechnischen Voraussetzungen erfüllt werden.
2) Nach medizinischer Meinung wird auch durch das Tragen einer statisch geformten Last auf der Schulter Druck auf die Bandscheiben der HWS ausgeübt. Dieser Druck wird dadurch er-zeugt, dass das Tragen schwerer Lasten auf einer Schulter eine Gegenspannung u.a. über andere Muskeln erfordert, die sowohl an der HWS als auch an den Schultern ansetzen (z.B. Kapuzenmuskel). Wird dieser Druck in einer Vielzahl von Arbeitsschichten über einen längeren Zeitraum ausgeübt, so kann diese Belastung eine vorzeitige Degeneration der Bandscheiben im Bereich der HWS zur Folge haben.
2) Nach medizinischer Meinung wird auch durch das Tragen einer statisch geformten Last auf der Schulter Druck auf die Bandscheiben der HWS ausgeübt. Dieser Druck wird dadurch er-zeugt, dass das Tragen schwerer Lasten auf einer Schulter eine Gegenspannung u.a. über andere Muskeln erfordert, die sowohl an der HWS als auch an den Schultern ansetzen (z.B. Kapuzenmuskel). Wird dieser Druck in einer Vielzahl von Arbeitsschichten über einen längeren Zeitraum ausgeübt, so kann diese Belastung eine vorzeitige Degeneration der Bandscheiben im Bereich der HWS zur Folge haben.
1. Unter Aufhebung des Bescheids vom 02.02.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.04.2005 wird die Beklagte verurteilt, bei dem Kläger eine Berufskrankheit nach Nr. 2109 der Anlage zur BKV anzuerkennen und ihm Verletztenrente nach einer MdE von 20 v. H. zu zahlen.
2. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen.
Tatbestand:
Der 1945 geborene Kläger arbeitete in der Zeit vom 01.03.1960 bis 01.11.2003 als Zimmerer bei der Firma H-GmbH in A-Stadt. Bis 1977 wurden alle schweren Hebearbeiten im Dachstuhlausbau manuell ausgeführt, ab 1978 kam teilweise ein Kran zum Einsatz, der jedoch aus Platzgründen nicht auf allen Baustellen eingesetzt werden konnte.
Seit 1998 befand sich der Kläger wegen schmerzhafter Bewegungseinschränkungen der Wirbelsäule in ambulanter orthopädischer Behandlung. Die LVA Hessen bescheinigte in ihrem Reha-Entlassungsbericht vom 24.03.2003, dass der Kläger unter einem chronisch degenerativen Hals- und Lendenwirbelsäulensyndrom leide.
Am 21.05.2004 zeigte der Kläger gegenüber der Beklagten an, dass er seit Jahren unter erheblichen Einschränkungen des Bewegungsapparates leide und beantragte, seine Erkrankung als Berufskrankheit im Sinne der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) anzuerkennen. Der Technische Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten sah in seiner Stellungnahme vom 13.20.2004 die arbeitstechnischen Voraussetzung für die Feststellung einer Berufskrankheit (BK) Nr. 2108 der Anlange zur BKV als gegeben an, nicht jedoch diejenigen für die Feststellung einer Berufskrankheit Nr. 2109 der Anlage zur BKV. Zur Begründung verwies der TAD darauf, dass der Kläger in der überwiegenden Zahl der Arbeitsschichten keine Tätigkeiten habe leisten müssen, bei denen schwere Lasten auf der Schulter mit gleichzeitig nach vorn und seitwärts erzwungenen Kopfbewegungen fortgesetzt zu tragen gewesen seien. Der Beratungsarzt der Beklagten, Facharzt für Arbeitsmedizin Dr. H. aus B., stellte in seiner Stellungnahme vom 18.11.2004 fest, dass der Kläger nicht an einer degenerativen Veränderung der Lendenwirbelsäule (LWS) leide und daher eine Berufskrankheit Nr. 2108 nicht vorliege. Im Bereich der LWS seien kernspintomographisch keine degenerativen Veränderungen nachweisbar, deren Ausprägung unter Berücksichtigung des Alters als krankhaft zu werten sei. Der Kläger leide zwar an einem Halswirbelsäulensyndrom, obwohl er einer HWS-belastenden Exposition im Sinne der Ziffer 2109 der Anlage zur BKV nicht ausgesetzt gewesen sei. Jedoch lägen im Bereich der HWS neben den Bandscheibenschäden deutliche osteochongrotische und spondylotische Veränderungen vor, so dass vom Vorliegen einer Berufskrankheit der Lendenwirbelsäule keine Rede sein könne.
Mit Bescheid vom 02.02.2005 lehnte die Beklagte Entschädigungsleistungen aufgrund Anerkennung einer Berufskrankheit ab. Zur Begründung führte sie an, dass für eine BK Nr. 2108 der Anlage zur BKV die medizinischen Voraussetzungen, für eine BK Nr. 2109 die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht gegeben seien. Inhaltlich gab sie dazu die vorangegangenen Stellungnahmen des TAD und des Beratungsarztes wieder.
Gegen die Ablehnung erhob der Kläger am 28.02.2005 Widerspruch, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27.04.2005 zurückwies.
Am 29.04.2005 hat der Kläger hiergegen vor dem Sozialgericht Gießen Klage erhoben. Mit Beschluss vom 27.07.2005 hat der Vorsitzende angeordnet, dass das Verfahren wegen einer BK Nr. 2109 abgetrennt und unter dem gegenwärtigen Aktenzeichen weitergeführt wird. Bezüglich der Feststellung einer BK Nr. 2108 (Az.: S 1 U 99/05) wurde mit Beschluss vom 10.03.2006 das Ruhen des Verfahrens angeordnet.
Das Gericht hat im Erörterungstermin vom 10.03.2006 Beweis erhoben zur Arbeitssituation des Klägers bei der Firma H. durch Vernehmung des Zeugen Sch.,. Der Zeuge hat insbesondere dargelegt, dass eine wesentliche körperliche Belastung des Klägers im Tragen vom Bauholz und Sparren bestanden habe. Ein durchschnittlicher Sparren wiege getrocknet 54 kg und nicht getrocknet 86 kg. Derartige Sparren seien täglich, auch von dem Kläger, in großer Zahl transportiert worden. Ein Dachstuhl benötige durchschnittlich 40 bis 50 Sparren. Der Transport sei dabei so vonstatten gegangen, dass ein Arbeiter den Sparren auf die Schulter genommen und mithilfe von zwei weiteren Arbeitern, die vorne und hinten gedrückt hätten, nach oben gehoben habe. Der Kläger sei einer der stärkeren und kompakteren Arbeiter in der Firma gewesen und habe gerade deswegen häufiger diese Arbeiten verrichten müssen.
Daraufhin hat der Vorsitzende mit Beschluss vom 10.03.2006 dem TAD der Beklagten Gelegenheit geben, zum Ergebnis der Beweisaufnahme und insbesondere dazu Stellung zu nehmen, wie sich die Belastung auf der Schulter auswirkt, wenn der Tragende als Hebel eingesetzt werde, wie dies der Zeuge dargestellt hat.
Der TAD kommt in seiner Stellungnahme vom 30.10.2006 zu dem Ergebnis, dass die vom Kläger geleistete Tätigkeit die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Annahme einer BK Nr. 2109 der Anlage zur BKV nicht erfülle. Wie dem Merkblatt zur Berufskrankheit zu entnehmen sei, muss die damit bezeichnete HWS-Schädigung nicht das Ergebnis des bloßen Tragens von Lasten auf der Schulter sein, sondern das Ergebnis der durch unförmige Lasten erzwungenen Verdrehung der HWS mit einer Kopfbeugehaltung nach vorn und seitwärts. Diese Voraussetzungen lägen bei dem Kläger jedoch nicht vor, da die Kopfhaltung bei dem Tragen der Sparren gerade bleibe. Beim Tragen mit geradem Kopf werde das Lastgewicht über das Schulterblatt auf den relativ starren Brustkorb und damit auf die LWS abgeleitet. Nur wenn wie bei Fleischträgern durch Seitenneigung des Kopfes aus HWS und Schulter eine Art Mulde gebildet werde, in der die Last ruhe, damit sie nicht von der Schulter rutsche, nehme die HWS an der Lastaufnahme mit teil. Zur Verdeutlichung hat der TAD der Stellungnahme zwei Fotographien angefügt. Auf dem ersten Bild wird ein Arbeiter gezeigt, der ein Sackgebinde auf der rechten Schulter trägt. Das zweite Bild zeigt einen Fleischträger, der eine Tierhälfte auf der rechten Schulter trägt. Auf beiden Fotos ist ein schematisches Kreuz im Schulter-Kopf-Bereich eingezeichnet. Das eingezeichnete Kreuz soll die Schulter-Achse und die Brustwirbelsäulen-Achse darstellen. Anhand der geraden Kopfhaltung des Trägers des Sackgebindes werde deutlich, so der TAD in seiner Stellungnahme weiter, dass eine wesentliche Seitenneigung des Kopfes im Sinne der BK Nr. 2109 der nicht vorliege. Im Gegensatz dazu befinde sich der Kopf des Fleischträgers in einer deutlichen Vor- und Seitenneigung.
Das Gericht hat daraufhin gemäß § 106 Abs. 3 Nr. 5 SGG Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Der Gutachter, Herr Prof. Dr. D. von der orthopädischen Klinik in D-Stadt, ist in seinem Gutachten vom 21.03.2007 zu dem Ergebnis gekommen, dass die Voraussetzungen für eine BK Nr. 2109 vorliegen. Der Gutachter meldet an der Darstellung des TAD, insbesondere an den Fotos, Zweifel dahingehend an, ob unter Berücksichtigung der Ausführungen des Zeugen anlässlich des Erörterungstermins vom 10.03.2006 tatsächlich so schematisch zwischen der Belastung des Zimmermanns und der Belastung des Fleischträgers beim Tragen von Lasten auf den Schultern unterschieden werden könne. Wenn man unterstelle, dass in der hinreichenden Zahl von Arbeitsschichten entsprechend ausreichende Lasten auf den Schultern transportiert worden seien, dann erfordere das Tragen einer solchen Last eine Gegenspannung u.a. über andere Muskeln, die sowohl an der HWS als auch an den Schultern ansetzen (z.B. Kapuzenmuskel). Hierdurch werde ein entsprechender Druck auf die Bandscheiben der HWS ausgeübt. Prinzipiell erscheine es daher plausibel, dass unter diesen Bedingungen eine vorzeitige Degeneration der Bandscheibe verursacht werden könne. Wenn man also ohne Berücksichtigung der durch den TAD angesprochenen Kopfhaltung davon ausgehe, dass in einer ausreichenden Zahl von Arbeitsschichten entsprechende Gewichte auf den Schultern getragen worden seien, dann erscheine die Annahme des Vorliegens der arbeitstechnischen Voraussetzungen einer Berufskrankheit Nr. 2109 medizinisch plausibel.
Als krankhafte Veränderungen der HWS hat der Gutachter bei dem Kläger eine mittelgradige degenerative Veränderung im Bereich der Bewegungssegmente zwischen dem 5. bis 7. Halswirbelkörper in Form einer Verschmälerung der Bandscheibenfächer sowie nach vorn und hinten weisenden knöchernen Randwülsten an Grund- und Deckenplatten und des weiteren mittelgradige degenerative Veränderungen der Wirbelbogengelenke zwischen dem 2. und 5. Halswirbelkörper festgestellt. Wenn man die arbeitstechnischen Voraussetzungen für eine BK Nr. 2109 annehme, dann müssen diese krankhaften Veränderungen im Bereich der HWS nach den Ausführungen des Gutachters auch als Folgen der BK Nr. 2109 angesehen werden.
Da eine mittelgradige Einschränkung der Beweglichkeit in sämtlichen Bewegungsebenen vorliege, sei von einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 v.H. auszugehen.
Der Kläger ist der Ansicht, dass es sich bei seiner Halswirbelsäulenerkrankung um eine Berufskrankheit Nr. 2109 handele.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Bescheides vom 02.02.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.04.2005 die Beklagte zu verurteilen, bei ihm eine Berufskrankheit nach Nr. 2109 der Anlage zur BKV anzuerkennen und ihm Verletztenrente nach einer MdE von 20 v.H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht, dass bei dem Kläger eine BK Nr. 2109 nicht vorliege, da alleine das regelmäßige Tragen schwerer Lasten auf der Schulter für die Annahme der arbeitstechnischen Voraussetzungen dieser Berufskrankheit nicht ausreichend sei. Vielmehr werde im Merkblatt zur ärztlichen Untersuchung zu Nr. 2109 eine seitwärts erzwungene Kopfhaltung und das gleichzeitige maximale Anspannen der Nackenmuskulatur vorausgesetzt, welche zu einer Hyperlodorsierung und auch zu einer Verdrehung der HWS führe. Solche Zwangshaltungen habe der Kläger bei seiner Tätigkeit jedoch nur kurzzeitig einnehmen müssen. Das Tragen von Kanthölzern werde durch die geringe Auflagebreite mit geradem Kopf ausgeführt. Lediglich beim Weiterschieben und beim Aufnehmen und Absetzen der Last komme es kurzzeitig zu einer Zwangshaltung des Kopfes. Dieser Anteil betrage aber bis 1977 maximal 10 v.H. und ab dem Kraneinsatz im Jahre 1978 unter 5 v.H. pro Arbeitsschicht.
Das Gericht hat im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 06.07.2007 den Sach- und Streitstand mit den Parteien erörtert.
Zum weiteren Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakte und die Leistungsakte des Klägers bei der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die Voraussetzungen für die Anerkennung einer Berufskrankheit Nr. 2109 der Anlage zur BKV und somit für die Gewährung einer Verletztenrente liegen vor.
Die Feststellung einer Berufskrankheit im Sinne von § 9 Sozialgesetzbuch VII (SGB VII - Unfallversicherung) setzt voraus, dass in der Person des Versicherten zunächst die arbeitstechnischen Voraussetzungen gegeben sind, d.h., dass er im Rahmen der versicherten Tätigkeit schädigenden Einwirkungen im Sinne der streitigen Berufskrankheit ausgesetzt gewesen ist, die geeignet sind, einen entsprechenden Gesundheitsschaden zu bewirken (haftungsbegründende Kausalität). Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich ihrer Art und ihres Ausmaßes im Sinne eines "Vollbeweises", also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, bewiesen sein (BSGE 61, 127, 128; 45 285, 287). Dagegen genügt für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge der schädigenden Einwirkung (haftungsausfüllende Kausalität) die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs (BSGE 61, 127, 128; 58, 76, 78). Dieser ist dann wahrscheinlich, wenn nach sachgerechter Abwägung aller wesentlicher Umstände des Einzelfalls nach der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen ihn spricht; der ursächliche Zusammenhang ist jedoch nicht schon dann wahrscheinlich, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist (BSGE 60, 58, 59; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 2. Aufl. 1997, Rn. 155).
In den Nummern 2108/2109 der Anlage zur BKV werden solche bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lenden-/Halswirbelsäule als Berufskrankheit bezeichnet, die durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten - auch auf der Schulter - oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können, als rechtlich wesentliche Bedingung verursacht worden sind. Das vom Bundesminister für Arbeit herausgegebene "Merkblatt für ärztliche Untersuchung" nennt unter Abschnitt I als berufliche Gefahrenquelle das "fortgesetzte Tragen schwerer Lasten auf der Schulter, einhergehend mit einer statischen Belastung der cervikalen Bewegungssegmente und außergewöhnlicher Zwangshaltung der Halswirbelsäule". In Abschnitt IV des Merkblatts wird weiter ausgeführt, dass neben dem Ausschluss anderer Krankheitsursachen der Nachweis einer langjährigen, außergewöhnlich intensiven mechanischen Belastung der HWS erforderlich sei. Ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung bandscheibenbedingter Erkrankungen sei anzunehmen, wenn Lastgewichte von 50 kg und mehr regelmäßig auf der Schulter getragen würden. Diese Erkenntnisse beruhen laut den weiteren Ausführungen des Merkblatts auf epidemiologischen Studien, die bei Transportarbeitern in Schlachthöfen gewonnen wurden, die Lastgewichte von 50 kg und mehr trugen. Bei ihnen hatte sich gezeigt, dass nicht nur die unteren Bewegungssegmente gefährdet waren, sondern dass insbesondere oberhalb von C5/C6 bis zu C2/C3 degenerative Veränderungen beobachtet wurden, die bei der Allgemeinbevölkerung weniger anzutreffen sind. Langjährig bedeutet nach diesem Merkblatt, dass 10 Berufsjahre als die im Durchschnitt untere Grenze der belastenden Tätigkeit nach den genannten Kriterien zu fordern sind. Dementsprechend benennt auch die amtliche Begründung zur BK Nr. 2109 als typische Berufsgruppe Fleischträger in Schlachthäusern, die Lasten auf den Schultern oder Überkopf unter Zwangshaltungen im Bereich der HWS und maximaler Anspannung der Nackenmuskulatur transportieren und vermerkt weiter, ähnliche Belastungen träten beim Tragen schwerer Säcke auf der Schulter, z.B. bei Lastenträgern, auf.
Unter Zugrundelegung dieser rechtlichen Voraussetzungen sowie bei Anwendung dieser Maßstäbe sieht es das Gericht als erwiesen an, dass der Kläger im Rahmen seiner versicherten Tätigkeit schädigenden Einwirkungen (arbeitstechnischen Voraussetzungen) ausgesetzt gewesen ist, die geeignet waren, eine Gesundheitsstörung im Bereich der HWS im Sinne einer Berufskrankheit Nr. 2109 der Anlage zur BKV zu verursachen. Im Verlaufe seiner über 40-jährigen Berufstätigkeit als Zimmerer musste der Kläger insbesondere beim Ausbau von Dachstühlen häufig Bauholz und Sparren auf der Schulter befördern. Wie die Beweisaufnahme durch Vernehmung des Zeugen ergeben hat, haben die Sparren getrocknet ein Gewicht von 54 kg und in nicht getrocknetem Zustand von 86 kg und es werden pro Dachstuhl 40 bis 50 Sparren verbaut. Der Zeuge hat auch die Hebeltechnik, nach der ein Arbeiter - dies war wegen seiner guten körperlichen Konstitution häufig der Kläger - den Sparren mit der Schulter nach oben drücken muss, nachvollziehbar dargelegt.
Wie Prof. Dr. D. von der orthopädischen Klinik in D-Stadt in seinem Sachverständigengutachten vom 21.03.2007 des weiteren ausgeführt hat, wird auch durch das Tragen einer solchen statisch geformten Last auf der Schulter Druck auf die Bandscheiben der HWS ausgeübt. Dieser Druck wird dadurch erzeugt, dass das Tragen schwerer Lasten auf einer Schulter eine Gegenspannung u.a. über andere Muskeln erfordert, die sowohl an der HWS als auch an den Schultern ansetzen (z.B. Kapuzenmuskel). Wird dieser Druck in einer Vielzahl von Arbeitsschichten über einen längeren Zeitraum ausgeübt, so kann diese Belastung eine vorzeitige Degeneration der Bandscheiben im Bereich der HWS zur Folge haben.
Das Gericht schließt sich insoweit den Ausführungen des Sachverständigen an, dass nicht schematisch zwischen der Belastung des Zimmermanns und der Belastung des Fleischträgers beim Tragen von Lasten auf den Schultern unterschieden werden kann. Zwar wollte der Verordnungsgeber der BKV nicht alle beruflich verursachten Bandscheibenschäden im Bereich der HWS erfassen. Vorangegangen sein muss vielmehr eine langandauernde, die HWS in spezifischer Weise besonders strapazierende Tätigkeit. Jedoch ist entgegen der Ansicht der Beklagten davon auszugehen, dass diese Voraussetzungen im Fall des Klägers erfüllt sind. Wie der Fall des Klägers zeigt, können die Voraussetzungen der BK Nr. 2109, nach denen das "langjährige Tragen schwerer Lasten auf der Schulter" maßgeblich sein soll, nämlich auch dann erfüllt sein, wenn statisch geformte schwere Lasten in einer hinreichenden Zahl von Arbeitsschichten auf der Schulter befördert werden.
Das vom Bundesminister für Arbeit herausgegebene Merkblatt für die ärztliche Untersuchung zur BK Nr. 2109 und zu anderen Nummern der Anlage zur BKV stellt insoweit kein antizipiertes Sachverständigengutachten und keine Dokumentation des Sachverstandes der einschlägigen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft zur Frage der Entstehung von Erkrankungen dar und bindet insofern insbesondere die Gerichte bei ihren Entscheidungen nicht (BSG, Urteil vom 02.05.2001 - Az.: B 2 U 16/00 R in SozR 3 - 2200 § 551 Nr. 16). Zwar ist es richtig, dass dieses Merkblatt Hinweise darauf liefert, aus welchem Grund diese Berufskrankheit in die BKV aufgenommen worden ist (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.05.2003 - L 10 U 4524/01, Rn. 28). Dies dürfte ausweislich des Abschnitts I und des Abschnitts IV des Merkblatts tatsächlich seine Ursache in den Ergebnissen epidemiologischer Studien unter Fleischträgern haben. Mittels dieser Studien wurde bewiesen, dass bei diesen Berufstätigen die besondere Belastung der HWS durch das Tragen von mindestens 50 kg schweren Gegenständen auf der Schulter verursacht wird, welches eine erzwungene Kopfhaltung nach vorn und seitlich sowie eine gleichzeitige maximale Anspannung der Nackenmuskulatur mit Hyperlodorsierung und Verdrehung der HWS zur Folge hat.
Wie der Sachverständige jedoch nachvollziehbar begründet hat, wird die HWS durch die Lastaufnahme auf der Schulter nicht nur dann belastet, wenn wie bei Fleischträgern durch Seitenneigung des Kopfes aus HWS und Schulter eine Art Mulde gebildet wird, in der die Last ruht, damit sie nicht von der Schulter rutscht, sondern auch dann, wenn in einer Vielzahl von Arbeitsschichten über eine langen Zeitraum schwere statische Gegenstände auf einer Schulter getragen werden, weil auch hierbei zum Ausbalancieren des Gewichts ein Gegendruck der an der HWS und an den Schultern ansetzenden Muskulatur (z.B. Kapuzenmuskel) erzeugt werden muss, der zu einer Belastung der HWS führt. Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, warum ein durch schwere statische Gegenstände verursachter Druck auf die HWS, der durch den notwendigen Aufbau einer Gegenspannung der Muskulatur beim Tragen auf einer Schulter verursacht wird, anders zu behandeln sein soll als eine durch die Tätigkeit erzwungene Kopfhaltung nach vorn und seitlich mit einer maximalen Anspannung der Nackenmuskulatur und einer Überdehnung und Verdrehung der HWS. Aus dem insoweit die Gerichte allein bindenden Text der BK Nr. 2109 der Anlage zur BKV wird eine solche Verengung des Tatbestands auf die letztgenannte Gruppe jedenfalls nicht ersichtlich.
Neben der haftungsbegründenden Kausalität ist auch die haftungsausfüllende Kausalität für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge der schädigenden Einwirkung gegeben. Insofern genügt - wie bereits ausgeführt wurde -, dass nach sachgerechter Abwägung aller wesentlicher Umstände im Sinne der im Unfallversicherungsrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingungen eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für den ursächlichen Zusammenhang zwischen der schädigenden Einwirkung und dem Gesundheitsschaden besteht (BSGE 61, 127, 128; 58, 76, 78).
Diese Voraussetzungen sind im Fall des Klägers erfüllt, da die Bandscheibenschäden im Bereich der HWS (mittelgradige degenerative Veränderungen im Bereich der Bewegungssegmente zwischen dem 5. bis 7. Halswirbelkörper und mittelgradige degenerative Veränderungen der Wirbelbogengelenke zwischen dem 2. bis 5. Halswirbelkörper) durch das Tragen schwerer Lasten auf einer Schulter in einer Vielzahl von Arbeitsschichten verursacht worden sind. Auch insoweit hält das Gericht die Ausführungen des Sachverständen Prof. Dr. D. für nachvollziehbar und begründet und schließt sich diesen Ausführungen an.
Aufgrund der durch die HWS-Schädigung verursachten mittelgradigen Einschränkung der Beweglichkeit in sämtlichen Bewegungsebenen ist daher im Fall des Klägers von einer MdE von 20 v.H. auszugehen. Die Beklagte war daher zur Zahlung einer Verletztenrente nach einer MdE in dieser Höhe zu verurteilen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 u. 3 SGG. Die Rechtsmittelbelehrung ergibt sich aus § 143 SGG.
2. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen.
Tatbestand:
Der 1945 geborene Kläger arbeitete in der Zeit vom 01.03.1960 bis 01.11.2003 als Zimmerer bei der Firma H-GmbH in A-Stadt. Bis 1977 wurden alle schweren Hebearbeiten im Dachstuhlausbau manuell ausgeführt, ab 1978 kam teilweise ein Kran zum Einsatz, der jedoch aus Platzgründen nicht auf allen Baustellen eingesetzt werden konnte.
Seit 1998 befand sich der Kläger wegen schmerzhafter Bewegungseinschränkungen der Wirbelsäule in ambulanter orthopädischer Behandlung. Die LVA Hessen bescheinigte in ihrem Reha-Entlassungsbericht vom 24.03.2003, dass der Kläger unter einem chronisch degenerativen Hals- und Lendenwirbelsäulensyndrom leide.
Am 21.05.2004 zeigte der Kläger gegenüber der Beklagten an, dass er seit Jahren unter erheblichen Einschränkungen des Bewegungsapparates leide und beantragte, seine Erkrankung als Berufskrankheit im Sinne der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) anzuerkennen. Der Technische Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten sah in seiner Stellungnahme vom 13.20.2004 die arbeitstechnischen Voraussetzung für die Feststellung einer Berufskrankheit (BK) Nr. 2108 der Anlange zur BKV als gegeben an, nicht jedoch diejenigen für die Feststellung einer Berufskrankheit Nr. 2109 der Anlage zur BKV. Zur Begründung verwies der TAD darauf, dass der Kläger in der überwiegenden Zahl der Arbeitsschichten keine Tätigkeiten habe leisten müssen, bei denen schwere Lasten auf der Schulter mit gleichzeitig nach vorn und seitwärts erzwungenen Kopfbewegungen fortgesetzt zu tragen gewesen seien. Der Beratungsarzt der Beklagten, Facharzt für Arbeitsmedizin Dr. H. aus B., stellte in seiner Stellungnahme vom 18.11.2004 fest, dass der Kläger nicht an einer degenerativen Veränderung der Lendenwirbelsäule (LWS) leide und daher eine Berufskrankheit Nr. 2108 nicht vorliege. Im Bereich der LWS seien kernspintomographisch keine degenerativen Veränderungen nachweisbar, deren Ausprägung unter Berücksichtigung des Alters als krankhaft zu werten sei. Der Kläger leide zwar an einem Halswirbelsäulensyndrom, obwohl er einer HWS-belastenden Exposition im Sinne der Ziffer 2109 der Anlage zur BKV nicht ausgesetzt gewesen sei. Jedoch lägen im Bereich der HWS neben den Bandscheibenschäden deutliche osteochongrotische und spondylotische Veränderungen vor, so dass vom Vorliegen einer Berufskrankheit der Lendenwirbelsäule keine Rede sein könne.
Mit Bescheid vom 02.02.2005 lehnte die Beklagte Entschädigungsleistungen aufgrund Anerkennung einer Berufskrankheit ab. Zur Begründung führte sie an, dass für eine BK Nr. 2108 der Anlage zur BKV die medizinischen Voraussetzungen, für eine BK Nr. 2109 die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht gegeben seien. Inhaltlich gab sie dazu die vorangegangenen Stellungnahmen des TAD und des Beratungsarztes wieder.
Gegen die Ablehnung erhob der Kläger am 28.02.2005 Widerspruch, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27.04.2005 zurückwies.
Am 29.04.2005 hat der Kläger hiergegen vor dem Sozialgericht Gießen Klage erhoben. Mit Beschluss vom 27.07.2005 hat der Vorsitzende angeordnet, dass das Verfahren wegen einer BK Nr. 2109 abgetrennt und unter dem gegenwärtigen Aktenzeichen weitergeführt wird. Bezüglich der Feststellung einer BK Nr. 2108 (Az.: S 1 U 99/05) wurde mit Beschluss vom 10.03.2006 das Ruhen des Verfahrens angeordnet.
Das Gericht hat im Erörterungstermin vom 10.03.2006 Beweis erhoben zur Arbeitssituation des Klägers bei der Firma H. durch Vernehmung des Zeugen Sch.,. Der Zeuge hat insbesondere dargelegt, dass eine wesentliche körperliche Belastung des Klägers im Tragen vom Bauholz und Sparren bestanden habe. Ein durchschnittlicher Sparren wiege getrocknet 54 kg und nicht getrocknet 86 kg. Derartige Sparren seien täglich, auch von dem Kläger, in großer Zahl transportiert worden. Ein Dachstuhl benötige durchschnittlich 40 bis 50 Sparren. Der Transport sei dabei so vonstatten gegangen, dass ein Arbeiter den Sparren auf die Schulter genommen und mithilfe von zwei weiteren Arbeitern, die vorne und hinten gedrückt hätten, nach oben gehoben habe. Der Kläger sei einer der stärkeren und kompakteren Arbeiter in der Firma gewesen und habe gerade deswegen häufiger diese Arbeiten verrichten müssen.
Daraufhin hat der Vorsitzende mit Beschluss vom 10.03.2006 dem TAD der Beklagten Gelegenheit geben, zum Ergebnis der Beweisaufnahme und insbesondere dazu Stellung zu nehmen, wie sich die Belastung auf der Schulter auswirkt, wenn der Tragende als Hebel eingesetzt werde, wie dies der Zeuge dargestellt hat.
Der TAD kommt in seiner Stellungnahme vom 30.10.2006 zu dem Ergebnis, dass die vom Kläger geleistete Tätigkeit die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Annahme einer BK Nr. 2109 der Anlage zur BKV nicht erfülle. Wie dem Merkblatt zur Berufskrankheit zu entnehmen sei, muss die damit bezeichnete HWS-Schädigung nicht das Ergebnis des bloßen Tragens von Lasten auf der Schulter sein, sondern das Ergebnis der durch unförmige Lasten erzwungenen Verdrehung der HWS mit einer Kopfbeugehaltung nach vorn und seitwärts. Diese Voraussetzungen lägen bei dem Kläger jedoch nicht vor, da die Kopfhaltung bei dem Tragen der Sparren gerade bleibe. Beim Tragen mit geradem Kopf werde das Lastgewicht über das Schulterblatt auf den relativ starren Brustkorb und damit auf die LWS abgeleitet. Nur wenn wie bei Fleischträgern durch Seitenneigung des Kopfes aus HWS und Schulter eine Art Mulde gebildet werde, in der die Last ruhe, damit sie nicht von der Schulter rutsche, nehme die HWS an der Lastaufnahme mit teil. Zur Verdeutlichung hat der TAD der Stellungnahme zwei Fotographien angefügt. Auf dem ersten Bild wird ein Arbeiter gezeigt, der ein Sackgebinde auf der rechten Schulter trägt. Das zweite Bild zeigt einen Fleischträger, der eine Tierhälfte auf der rechten Schulter trägt. Auf beiden Fotos ist ein schematisches Kreuz im Schulter-Kopf-Bereich eingezeichnet. Das eingezeichnete Kreuz soll die Schulter-Achse und die Brustwirbelsäulen-Achse darstellen. Anhand der geraden Kopfhaltung des Trägers des Sackgebindes werde deutlich, so der TAD in seiner Stellungnahme weiter, dass eine wesentliche Seitenneigung des Kopfes im Sinne der BK Nr. 2109 der nicht vorliege. Im Gegensatz dazu befinde sich der Kopf des Fleischträgers in einer deutlichen Vor- und Seitenneigung.
Das Gericht hat daraufhin gemäß § 106 Abs. 3 Nr. 5 SGG Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Der Gutachter, Herr Prof. Dr. D. von der orthopädischen Klinik in D-Stadt, ist in seinem Gutachten vom 21.03.2007 zu dem Ergebnis gekommen, dass die Voraussetzungen für eine BK Nr. 2109 vorliegen. Der Gutachter meldet an der Darstellung des TAD, insbesondere an den Fotos, Zweifel dahingehend an, ob unter Berücksichtigung der Ausführungen des Zeugen anlässlich des Erörterungstermins vom 10.03.2006 tatsächlich so schematisch zwischen der Belastung des Zimmermanns und der Belastung des Fleischträgers beim Tragen von Lasten auf den Schultern unterschieden werden könne. Wenn man unterstelle, dass in der hinreichenden Zahl von Arbeitsschichten entsprechend ausreichende Lasten auf den Schultern transportiert worden seien, dann erfordere das Tragen einer solchen Last eine Gegenspannung u.a. über andere Muskeln, die sowohl an der HWS als auch an den Schultern ansetzen (z.B. Kapuzenmuskel). Hierdurch werde ein entsprechender Druck auf die Bandscheiben der HWS ausgeübt. Prinzipiell erscheine es daher plausibel, dass unter diesen Bedingungen eine vorzeitige Degeneration der Bandscheibe verursacht werden könne. Wenn man also ohne Berücksichtigung der durch den TAD angesprochenen Kopfhaltung davon ausgehe, dass in einer ausreichenden Zahl von Arbeitsschichten entsprechende Gewichte auf den Schultern getragen worden seien, dann erscheine die Annahme des Vorliegens der arbeitstechnischen Voraussetzungen einer Berufskrankheit Nr. 2109 medizinisch plausibel.
Als krankhafte Veränderungen der HWS hat der Gutachter bei dem Kläger eine mittelgradige degenerative Veränderung im Bereich der Bewegungssegmente zwischen dem 5. bis 7. Halswirbelkörper in Form einer Verschmälerung der Bandscheibenfächer sowie nach vorn und hinten weisenden knöchernen Randwülsten an Grund- und Deckenplatten und des weiteren mittelgradige degenerative Veränderungen der Wirbelbogengelenke zwischen dem 2. und 5. Halswirbelkörper festgestellt. Wenn man die arbeitstechnischen Voraussetzungen für eine BK Nr. 2109 annehme, dann müssen diese krankhaften Veränderungen im Bereich der HWS nach den Ausführungen des Gutachters auch als Folgen der BK Nr. 2109 angesehen werden.
Da eine mittelgradige Einschränkung der Beweglichkeit in sämtlichen Bewegungsebenen vorliege, sei von einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 v.H. auszugehen.
Der Kläger ist der Ansicht, dass es sich bei seiner Halswirbelsäulenerkrankung um eine Berufskrankheit Nr. 2109 handele.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Bescheides vom 02.02.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.04.2005 die Beklagte zu verurteilen, bei ihm eine Berufskrankheit nach Nr. 2109 der Anlage zur BKV anzuerkennen und ihm Verletztenrente nach einer MdE von 20 v.H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht, dass bei dem Kläger eine BK Nr. 2109 nicht vorliege, da alleine das regelmäßige Tragen schwerer Lasten auf der Schulter für die Annahme der arbeitstechnischen Voraussetzungen dieser Berufskrankheit nicht ausreichend sei. Vielmehr werde im Merkblatt zur ärztlichen Untersuchung zu Nr. 2109 eine seitwärts erzwungene Kopfhaltung und das gleichzeitige maximale Anspannen der Nackenmuskulatur vorausgesetzt, welche zu einer Hyperlodorsierung und auch zu einer Verdrehung der HWS führe. Solche Zwangshaltungen habe der Kläger bei seiner Tätigkeit jedoch nur kurzzeitig einnehmen müssen. Das Tragen von Kanthölzern werde durch die geringe Auflagebreite mit geradem Kopf ausgeführt. Lediglich beim Weiterschieben und beim Aufnehmen und Absetzen der Last komme es kurzzeitig zu einer Zwangshaltung des Kopfes. Dieser Anteil betrage aber bis 1977 maximal 10 v.H. und ab dem Kraneinsatz im Jahre 1978 unter 5 v.H. pro Arbeitsschicht.
Das Gericht hat im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 06.07.2007 den Sach- und Streitstand mit den Parteien erörtert.
Zum weiteren Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakte und die Leistungsakte des Klägers bei der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die Voraussetzungen für die Anerkennung einer Berufskrankheit Nr. 2109 der Anlage zur BKV und somit für die Gewährung einer Verletztenrente liegen vor.
Die Feststellung einer Berufskrankheit im Sinne von § 9 Sozialgesetzbuch VII (SGB VII - Unfallversicherung) setzt voraus, dass in der Person des Versicherten zunächst die arbeitstechnischen Voraussetzungen gegeben sind, d.h., dass er im Rahmen der versicherten Tätigkeit schädigenden Einwirkungen im Sinne der streitigen Berufskrankheit ausgesetzt gewesen ist, die geeignet sind, einen entsprechenden Gesundheitsschaden zu bewirken (haftungsbegründende Kausalität). Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich ihrer Art und ihres Ausmaßes im Sinne eines "Vollbeweises", also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, bewiesen sein (BSGE 61, 127, 128; 45 285, 287). Dagegen genügt für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge der schädigenden Einwirkung (haftungsausfüllende Kausalität) die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs (BSGE 61, 127, 128; 58, 76, 78). Dieser ist dann wahrscheinlich, wenn nach sachgerechter Abwägung aller wesentlicher Umstände des Einzelfalls nach der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen ihn spricht; der ursächliche Zusammenhang ist jedoch nicht schon dann wahrscheinlich, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist (BSGE 60, 58, 59; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 2. Aufl. 1997, Rn. 155).
In den Nummern 2108/2109 der Anlage zur BKV werden solche bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lenden-/Halswirbelsäule als Berufskrankheit bezeichnet, die durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten - auch auf der Schulter - oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können, als rechtlich wesentliche Bedingung verursacht worden sind. Das vom Bundesminister für Arbeit herausgegebene "Merkblatt für ärztliche Untersuchung" nennt unter Abschnitt I als berufliche Gefahrenquelle das "fortgesetzte Tragen schwerer Lasten auf der Schulter, einhergehend mit einer statischen Belastung der cervikalen Bewegungssegmente und außergewöhnlicher Zwangshaltung der Halswirbelsäule". In Abschnitt IV des Merkblatts wird weiter ausgeführt, dass neben dem Ausschluss anderer Krankheitsursachen der Nachweis einer langjährigen, außergewöhnlich intensiven mechanischen Belastung der HWS erforderlich sei. Ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung bandscheibenbedingter Erkrankungen sei anzunehmen, wenn Lastgewichte von 50 kg und mehr regelmäßig auf der Schulter getragen würden. Diese Erkenntnisse beruhen laut den weiteren Ausführungen des Merkblatts auf epidemiologischen Studien, die bei Transportarbeitern in Schlachthöfen gewonnen wurden, die Lastgewichte von 50 kg und mehr trugen. Bei ihnen hatte sich gezeigt, dass nicht nur die unteren Bewegungssegmente gefährdet waren, sondern dass insbesondere oberhalb von C5/C6 bis zu C2/C3 degenerative Veränderungen beobachtet wurden, die bei der Allgemeinbevölkerung weniger anzutreffen sind. Langjährig bedeutet nach diesem Merkblatt, dass 10 Berufsjahre als die im Durchschnitt untere Grenze der belastenden Tätigkeit nach den genannten Kriterien zu fordern sind. Dementsprechend benennt auch die amtliche Begründung zur BK Nr. 2109 als typische Berufsgruppe Fleischträger in Schlachthäusern, die Lasten auf den Schultern oder Überkopf unter Zwangshaltungen im Bereich der HWS und maximaler Anspannung der Nackenmuskulatur transportieren und vermerkt weiter, ähnliche Belastungen träten beim Tragen schwerer Säcke auf der Schulter, z.B. bei Lastenträgern, auf.
Unter Zugrundelegung dieser rechtlichen Voraussetzungen sowie bei Anwendung dieser Maßstäbe sieht es das Gericht als erwiesen an, dass der Kläger im Rahmen seiner versicherten Tätigkeit schädigenden Einwirkungen (arbeitstechnischen Voraussetzungen) ausgesetzt gewesen ist, die geeignet waren, eine Gesundheitsstörung im Bereich der HWS im Sinne einer Berufskrankheit Nr. 2109 der Anlage zur BKV zu verursachen. Im Verlaufe seiner über 40-jährigen Berufstätigkeit als Zimmerer musste der Kläger insbesondere beim Ausbau von Dachstühlen häufig Bauholz und Sparren auf der Schulter befördern. Wie die Beweisaufnahme durch Vernehmung des Zeugen ergeben hat, haben die Sparren getrocknet ein Gewicht von 54 kg und in nicht getrocknetem Zustand von 86 kg und es werden pro Dachstuhl 40 bis 50 Sparren verbaut. Der Zeuge hat auch die Hebeltechnik, nach der ein Arbeiter - dies war wegen seiner guten körperlichen Konstitution häufig der Kläger - den Sparren mit der Schulter nach oben drücken muss, nachvollziehbar dargelegt.
Wie Prof. Dr. D. von der orthopädischen Klinik in D-Stadt in seinem Sachverständigengutachten vom 21.03.2007 des weiteren ausgeführt hat, wird auch durch das Tragen einer solchen statisch geformten Last auf der Schulter Druck auf die Bandscheiben der HWS ausgeübt. Dieser Druck wird dadurch erzeugt, dass das Tragen schwerer Lasten auf einer Schulter eine Gegenspannung u.a. über andere Muskeln erfordert, die sowohl an der HWS als auch an den Schultern ansetzen (z.B. Kapuzenmuskel). Wird dieser Druck in einer Vielzahl von Arbeitsschichten über einen längeren Zeitraum ausgeübt, so kann diese Belastung eine vorzeitige Degeneration der Bandscheiben im Bereich der HWS zur Folge haben.
Das Gericht schließt sich insoweit den Ausführungen des Sachverständigen an, dass nicht schematisch zwischen der Belastung des Zimmermanns und der Belastung des Fleischträgers beim Tragen von Lasten auf den Schultern unterschieden werden kann. Zwar wollte der Verordnungsgeber der BKV nicht alle beruflich verursachten Bandscheibenschäden im Bereich der HWS erfassen. Vorangegangen sein muss vielmehr eine langandauernde, die HWS in spezifischer Weise besonders strapazierende Tätigkeit. Jedoch ist entgegen der Ansicht der Beklagten davon auszugehen, dass diese Voraussetzungen im Fall des Klägers erfüllt sind. Wie der Fall des Klägers zeigt, können die Voraussetzungen der BK Nr. 2109, nach denen das "langjährige Tragen schwerer Lasten auf der Schulter" maßgeblich sein soll, nämlich auch dann erfüllt sein, wenn statisch geformte schwere Lasten in einer hinreichenden Zahl von Arbeitsschichten auf der Schulter befördert werden.
Das vom Bundesminister für Arbeit herausgegebene Merkblatt für die ärztliche Untersuchung zur BK Nr. 2109 und zu anderen Nummern der Anlage zur BKV stellt insoweit kein antizipiertes Sachverständigengutachten und keine Dokumentation des Sachverstandes der einschlägigen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft zur Frage der Entstehung von Erkrankungen dar und bindet insofern insbesondere die Gerichte bei ihren Entscheidungen nicht (BSG, Urteil vom 02.05.2001 - Az.: B 2 U 16/00 R in SozR 3 - 2200 § 551 Nr. 16). Zwar ist es richtig, dass dieses Merkblatt Hinweise darauf liefert, aus welchem Grund diese Berufskrankheit in die BKV aufgenommen worden ist (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.05.2003 - L 10 U 4524/01, Rn. 28). Dies dürfte ausweislich des Abschnitts I und des Abschnitts IV des Merkblatts tatsächlich seine Ursache in den Ergebnissen epidemiologischer Studien unter Fleischträgern haben. Mittels dieser Studien wurde bewiesen, dass bei diesen Berufstätigen die besondere Belastung der HWS durch das Tragen von mindestens 50 kg schweren Gegenständen auf der Schulter verursacht wird, welches eine erzwungene Kopfhaltung nach vorn und seitlich sowie eine gleichzeitige maximale Anspannung der Nackenmuskulatur mit Hyperlodorsierung und Verdrehung der HWS zur Folge hat.
Wie der Sachverständige jedoch nachvollziehbar begründet hat, wird die HWS durch die Lastaufnahme auf der Schulter nicht nur dann belastet, wenn wie bei Fleischträgern durch Seitenneigung des Kopfes aus HWS und Schulter eine Art Mulde gebildet wird, in der die Last ruht, damit sie nicht von der Schulter rutscht, sondern auch dann, wenn in einer Vielzahl von Arbeitsschichten über eine langen Zeitraum schwere statische Gegenstände auf einer Schulter getragen werden, weil auch hierbei zum Ausbalancieren des Gewichts ein Gegendruck der an der HWS und an den Schultern ansetzenden Muskulatur (z.B. Kapuzenmuskel) erzeugt werden muss, der zu einer Belastung der HWS führt. Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, warum ein durch schwere statische Gegenstände verursachter Druck auf die HWS, der durch den notwendigen Aufbau einer Gegenspannung der Muskulatur beim Tragen auf einer Schulter verursacht wird, anders zu behandeln sein soll als eine durch die Tätigkeit erzwungene Kopfhaltung nach vorn und seitlich mit einer maximalen Anspannung der Nackenmuskulatur und einer Überdehnung und Verdrehung der HWS. Aus dem insoweit die Gerichte allein bindenden Text der BK Nr. 2109 der Anlage zur BKV wird eine solche Verengung des Tatbestands auf die letztgenannte Gruppe jedenfalls nicht ersichtlich.
Neben der haftungsbegründenden Kausalität ist auch die haftungsausfüllende Kausalität für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge der schädigenden Einwirkung gegeben. Insofern genügt - wie bereits ausgeführt wurde -, dass nach sachgerechter Abwägung aller wesentlicher Umstände im Sinne der im Unfallversicherungsrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingungen eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für den ursächlichen Zusammenhang zwischen der schädigenden Einwirkung und dem Gesundheitsschaden besteht (BSGE 61, 127, 128; 58, 76, 78).
Diese Voraussetzungen sind im Fall des Klägers erfüllt, da die Bandscheibenschäden im Bereich der HWS (mittelgradige degenerative Veränderungen im Bereich der Bewegungssegmente zwischen dem 5. bis 7. Halswirbelkörper und mittelgradige degenerative Veränderungen der Wirbelbogengelenke zwischen dem 2. bis 5. Halswirbelkörper) durch das Tragen schwerer Lasten auf einer Schulter in einer Vielzahl von Arbeitsschichten verursacht worden sind. Auch insoweit hält das Gericht die Ausführungen des Sachverständen Prof. Dr. D. für nachvollziehbar und begründet und schließt sich diesen Ausführungen an.
Aufgrund der durch die HWS-Schädigung verursachten mittelgradigen Einschränkung der Beweglichkeit in sämtlichen Bewegungsebenen ist daher im Fall des Klägers von einer MdE von 20 v.H. auszugehen. Die Beklagte war daher zur Zahlung einer Verletztenrente nach einer MdE in dieser Höhe zu verurteilen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 u. 3 SGG. Die Rechtsmittelbelehrung ergibt sich aus § 143 SGG.
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