L 13 SB 16/05

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 40 SB 1264/04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 SB 16/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 29. Dezember 2004 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Feststellung eines Gesamt-Grades der Behinderung (GdB) von 50. Dem 1945 geborenen Kläger war zuletzt durch Widerspruchsbescheid von 2. Dezember 1998 ein Gesamt-GdB von 30 zuerkannt worden. Auf einen im November 2002 gestellten
Neufeststellungsantrag veranlasste der Beklagte eine Untersuchung des Klägers durch die praktische Ärztin Dr. J vom 6. Juni 2003, die ausführte, dass der Gesamt-GdB 40 betrage. Da im Gutachten mitgeteilt wurde, dass durch jüngste Ereignisse eine Verschlimmerung der depressiven Symptomatik erfolgt sei, hierzu jedoch keine Befunde vorlägen, holte der Beklagte einen Befundbericht des behandelnden Arztes B vom 30. August 2003 ein, dem verschiedene Untersuchungsergebnisse und Entlassungsberichte beigefügt waren, der jedoch keinen Hinweis auf psychische Beschwerden enthielt. Nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme stellte der Beklagte durch Bescheid vom 21. November 2003 einen Gesamt-GdB von 40 wegen folgender Funktionsbeeinträchtigungen fest, deren verwaltungsintern festgesetzte Einzel-GdB sich aus den Zusätzen in Klammern ergeben: a. Koronare Herzkrankheit, Stentimplantation, Bluthochdruck, Fettstoffwechselstö-rung (30) b. Lendenwirbelsäulensyndrom, Wirbelsäulenfehlform (20) c. Wiederkehrende Reizzustände im Bereich beider Knie- und Hüftgelenke (10) d. Seelisches Leiden (10) e. Diabetes mellitus (10) Im Widerspruchsverfahren brachte der Kläger ein Attest des Arztes B vom 23. März 2004 bei, in dem u. a. ausgeführt ist, dass seit einigen Jahren beim Kläger eine depressive Erkrankung vorliege. Es komme überwiegend im Frühjahr und Herbst zu depressiven Episoden mit deutlich vermindertem Antrieb und gedrückter Stimmungslage. Überwiegend sei eine
intervenierende Therapie mit Psychopharmaka erforderlich. Es bestehe aufgrund der vorbestehenden Herzerkrankung eine Herzphobie mit ängstlicher Verstimmung und teilweise auftretenden Panikattacken. Die psychische Belastbarkeit sei deutlich eingeschränkt. Die Minderung der
Erwerbfähigkeit betrage mindestens 50 %. Der Beklagte holte hierzu eine versorgungsärztliche Stellungnahme des Arztes B vom 3. Mai 2004 ein, in der ausgeführt ist, dass der Gesamt-GdB weiterhin 40 betrage, da die Herzerkrankung angesichts der kardiologischen Daten bereits maximal bewertet sei. Durch Widerspruchsbescheid vom 19. Mai 2004 wies der Beklagte den Widerspruch daraufhin zurück. Die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Berlin durch Gerichtsbescheid vom 29. Dezember 2004 abgewiesen. Die Herzleistungsbeeinträchtigung erscheine mit einem Einzel-GdB von 30 zutreffend bewertet. Den Ausführungen des Klägers und seines Arztes sei zu entnehmen, dass die seelischen Beschwerden zum Teil Begleiterscheinungen der Herzkrankheit seien. Eine fachärztliche Therapie dieser Beschwerden sei bisher für nicht erforderlich gehalten worden, sodass noch von üblichen Begleiterscheinungen der organischen Veränderungen ausgegangen werde. Die darüber hinausgehenden depressiven Episoden träten nur zeitweilig auf und seien einer hausärztlichen Behandlung zugänglich, weshalb insgesamt von leichten psychi-schen oder psychovegetativen Beschwerden auszugehen sei, die mit 10 beanstandungsfrei bewertet worden seien. Auch die übrigen Bewertungen begegneten keinen Bedenken. Gegen diesen am 7. Februar 2005 zugegangenen Gerichtsbescheid richtet sich die am 15. Feb-ruar 2005 eingegangene Berufung des Klägers. Der Kläger verweist zur Begründung auf seine Herzerkrankung, die sich stetig verschlimmert habe. Auch die funktionsbeeinträchtigenden Auswirkungen der Beschwerden der Wirbelsäule, Arthrosebildungen in den Hüften und Knien und Probleme der Füße würden verkannt. Eine fachärztliche Behandlung psychischer
Beschwerden erfolge nicht; insoweit sei nur eine Mitbehandlung in der
B-Klinik erfolgt. Der Kläger beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 29. Dezember 2004 aufzuheben, den Bescheid des Beklagten vom 21. November 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19. Mai 2004 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ihm einen GdB von mindestens 50 zuzuerkennen. Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Der Beklagte trägt vor, dass sich aus den beigezogenen Befunden keine Leidenserweiterung mit einem messbaren GdB ergäbe, sodass der Gesamt-GdB von 40 beizubehalten sei. Das Gericht hat zur Aufklärung des Sachverhaltes auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein fachorthopädisches Gutachten durch Dr. M, H K E v B, vom 15. Mai 2006 eingeholt, der ausführte, dass an orthopädischen Diagnosen ein Lendenwirbelsäulensyndrom bei degenerativen Veränderungen der Lendenwirbelsäule im Sinne einer Osteochondrose und Spondylarthrose, ein Facettensyndrom, eine Uncovertebralarthrose sowie eine beginnende Retropatellararthrose bds. vorlägen. Die Wirbelsäulenproblematik sei mit einem Einzel-GdB von 20 zu bemessen. Von einer schweren funktionellen Auswirkung könne nicht gesprochen werden, sodass eine Einstufung des GdB mit 30 zu hoch erscheine. Hinsichtlich der milden Retropatellararthrose mit funktionell fehlender Beeinträchtigung könne ein GdB von 10 festgesetzt werden. Der Gesamt-GdB auf orthopädischem Gebiet betrage 20. Von einem Reizzustand im Hüftgelenksbereich könne nicht gesprochen werden. Eine Erhöhung des GdB könne aus orthopädischer Sicht nicht empfohlen werden. Das Gericht hat ferner einen aktuellen Befundbericht des behandelnden Arztes B vom 2. April 2007 eingeholt, der mitteilte, dass beim Kläger ein Zustand nach Stentimplantation RIVA 1997, Zustand nach
Re-Stenose 05/03 und Stentimplantation RCA 06/03 beständen. Eine Ergometrie vom 15. Januar 2007 habe unter submaximaler Ausbelastung bei 175 Watt keine signifikanten ST-Streckensenkungen gezeigt. Keine Angaben von Angina pectoris, keine hö-hergradigen Herzrhythmusstörungen, Abbruch wegen Erschöpfung; das Blutdruckverhalten sei vor, während und nach der Belastung regelrecht gewesen. Nach einem Befundbericht des Kardiologen Dr. S liege eine unkritische Stenose vor, es bestehe kein Hinweis auf eine höhergradige Aortenklappenstenose. Die letzten Kontrollen (Ergometrie) am 11. Juli 2006 und 15. Januar 2007 hätten keine Befundverschlechterung gezeigt. Anamnestisch sei eine depressive Erkrankung bekannt, wegen dieser Erkrankung stehe der Kläger bei ihm jedoch nicht in Behandlung. Auf Anfrage teilten ferner die behandelnden Kardiologen Dr. B u. a. mit Schreiben vom 22. Januar 2007 mit, dass der Kläger seit der letzten Befunderhebung nicht mehr vorstellig gewesen sei; beigefügt war ein Arztbrief vom 8. Dezember 2005, in dem ausgeführt ist, dass aufgrund des gefundenen nur diskreten Befundes eines peripheren Seitenastes auf eine weitere Intervention verzichtet werde, zumal der Kläger auch bei höherer Belastung beschwerdefrei sei. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie den der Verwaltungsakte des Beklagten.

Entscheidungsgründe:

Über die Berufung konnte gemäß § 124 Abs. 2 SGG mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden. Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht seinen Rechten. Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch, Rehabilitation und Teilhabe
behinderter Menschen (SGB IX) sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sind gemäß § 69 Abs. 1 Satz 3 und 4 und Abs. 3 SGB IX abgestuft als Grad der Behinderung in 10er Graden von 20 bis 100 entsprechend den Maßstäben des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz in Verbindung mit den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil II SGB IX)" in ihrer jeweils geltenden Fassung (derzeit Ausgabe 2005 – AHP 2005, im wesentlichen gleich lautend mit Ausgabe 2004), die als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen sind, festzustellen. Liegen mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vor, so sind zunächst die Einzel-GdB in Graden zu bewerten. Für die Bildung des Gesamt-GdB bei Vorliegen mehrerer Funktionsbeeinträchtigungen sind dann nach § 69 Abs. 3 SGB IX die Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander zu ermitteln, wobei sich nach Nr. 19 AHP 2005 (Seite 24ff.) die Anwendung jeglicher Rechenmethode verbietet. Vielmehr ist zu prüfen, ob und inwieweit die Auswirkungen der einzelnen Behinderungen voneinander unabhängig sind und ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen oder ob und inwieweit sich die Auswirkungen der Behinderungen überschneiden oder gegenseitig verstärken. Dabei ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB-Grad 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden, wobei die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden dürfen. Lediglich leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB-Grad von 10 bedingen, führen hierbei regelmäßig nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, und zwar auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB-Grad von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (AHP 2005 Nr. 19, Abs. 1, 3 und 4, Seite 24 ff.). Unter Beachtung dieser Vorgaben kam die Zuerkennung eines GdB von 50 nicht in Betracht. Zur Begründung wird zunächst gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Gerichtsbescheid Bezug genommen, denen sich der Senat nach eigener Prüfung anschließt. Hier ist unter Auswertung der vorliegenden medizinischen Unterlagen jeweils im Einzelnen dargelegt, weshalb weder höhere Einzel-GdB für die verschiedenen Funktionsbeein-trächtigungen noch ein höher Gesamt-GdB bestehen. Das Ergebnis der im Berufungsverfahren angestellten Ermittlungen bestätigt die Ausführungen im erstinstanzlichen Gerichtsbescheid insoweit, als jedenfalls kein höherer Gesamt-GdB als 40 in Betracht kommt. Dr. M hat aufgrund einer umfassenden Untersuchung des Klägers bestätigt, dass einer Erhöhung des GdB auf orthopädischem Gebiet nicht zugestimmt werden kann und dass der Gesamt-GdB auf orthopädischem Gebiet entsprechend dem führenden Wirbelsäulen-schaden angesichts der nur mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt, nämlich der Lendenwirbelsäule, bei nur unwesentlichen Beeinträchtigungen aufgrund der Veränderungen im Halswirbelsäulenbereich und der nur ausgesprochen geringen Funktionsbeeinträchtigung des Gehens durch die Veränderungen im Kniegelenkbereich lediglich 20 betrage. Dies entspricht den Vorgaben der Anhaltspunkte, wie bereits erstinstanzlich dargelegt wurde. Dem Vortrag des Klägers im Hinblick auf eine stetige Verschlimmerung seiner Herzkrankheit konnte aufgrund der eingeholten medizinischen Befunde ebenfalls nicht gefolgt werden. Nach Nr. 26.9 AHP 2005 (Seite 71) setzt ein GdB von 20 bis 40 für Krankheiten des Herzens eine Leistungsbeeinträchtigung bei mittelschwerer Belastung und Beschwerden und Auftreten pathologischer Messdaten bei Ergometerbelastung mit 75 Watt (für wenigstens zwei Minuten) voraus, ein höher Einzel-GdB von 50 bis 70 erfordert Beschwerden und Auftreten pathologischer Messdaten bei Ergometerbelastung mit 50 Watt. Derartige Beeinträchtigungen sind beim Kläger nicht annähernd gegeben. Dies folgt aus dem Befundbericht des behandelnden Arztes B vom 2. April 2007, der eine Ausbelastung bei 175 Watt in der Ergometrie bei regelrechtem Blutdruckverhalten vor, während und nach der Belastung beschreibt. Auch der letzte Bericht der kardiologischen Praxis Dr. B u. a. vom 8. Dezember 2005 gibt Beschwerdefreiheit des Klägers auch bei höherer Belastung sowie einen lediglich diskreten Befund an. Der Beklagte hat zu Recht durch versorgungsärztliche Stellungnahme des Facharztes für Innere Medizin Dr. D vom 8. Mai 2007 hierzu vorgetragen, dass von einer wesentlichen Herzleistungsminderung im Sinne der Anhaltspunkte keine Rede mehr sein könne. Vielmehr müsse darüber nachgedacht werden, ob der bisherige Einzel-GdB von 30 für die Beschwerden des Herzens überhaupt aufrechterhalten werden könne. Dieser Einschätzung ist unter Zugrundelegung der AHP 2005 zuzustimmen. Anhaltspunkte für die Erforderlichkeit einer Höherbewertung des Einzel-GdB auf psychischen Gebiet bestehen ebenfalls nicht. Dr. B hat in seinem genannten Befundbericht ausgeführt, derartige Leiden des Klägers nicht zu behandeln. Der Kläger hat angegeben, dass lediglich im Rahmen der in der B-Klinik durchgeführten Reha-Maßnahme eine psychologische Betreuung stattgefunden habe. Im Entlassungsbericht der B-Klinik vom 17. November 1997 über die Behandlung des Klägers in der Zeit vom 30. September bis 21. Oktober 1997 taucht eine psychische Erkrankung bei den Diagnosen jedoch nicht auf. Lediglich zur allgemeinen Sozialanamnese ist ausgeführt, dass eine psychische Belastung aufgrund privater Probleme, die auch den beruflichen Bereich mit beträfen, bestehe. Eine Erkrankung, die zu einem messbaren GdB führen könnte, lässt sich diesen Unterlagen nicht entneh-men. Nach alledem war die Berufung daher zurückzuweisen. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG, sie folgt dem Ergebnis in der Haupt-sache. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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