L 5 B 1410/07 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 94 AS 15620/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 5 B 1410/07 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Bestehen bei summarischer Prüfung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitigen Bescheides und ist daher eine Erfolgsaussicht des Hauptsacheverfahrens zu bejahen, überwiegt regelmäßig das Aussetzungsinteresse, denn an der sofortigen Vollziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts kann schlechthin kein öffentliches Interesse bestehen. Der gesonderten Prüfung eines Eilbedürfnisses bedarf es in den Fällen des § 86 b Abs. 1 SGG, in denen die Rechtsmäßigkeit der zu vollziehenden Grundverfügung zentraler Prüfungsgegenstand ist, nicht.
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 26. Juli 2007 aufgehoben. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 11. Juli 2007 gegen den Sanktionsbescheid vom 22. Juni 2007 wird angeordnet. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller 312,00 EUR auszuzahlen. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller seine notwendigen außergerichtlichen Kosten für das gesamte einstweilige Rechtsschutzverfahren zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 26. Juli 2007 ist gemäß §§ 172 Abs. 1, 173 SGG zulässig und begründet. Der Eilantrag des Antragstellers richtet sich gemäß § 86 b Abs. 1 SGG auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs. Mit dem ursprünglichen Bewilligungsbescheid sind ihm Leistungen zur Sicherung seines Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den hier streitbefangenen Zeitraum vom 1. Juli 2007 bis zum 30. September 2007 in ungekürzter Höhe (728,26 Euro) gewährt worden. Damit hat der Antragsgegner einen Rechtsgrund geschaffen, aus dem der Antragsteller für die jeweiligen Monate die Auszahlung der ihm mit diesem Bescheid gewährten Leistungen verlangen kann. Wenn der Antragsgegner meint, diese Leistungsgewährung sei vom 1. Juli 2007 an teilweise rechtswidrig geworden, so bedarf der ursprüngliche Bewilligungsbescheid der Aufhebung gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Verbindung mit § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Dieser Bescheid, der hier unter dem 22. Juni 2007 ergangen ist, stellt eine den Antragsteller belastende Regelung dar, weil mit ihr in die ihn begünstigende Rechtsposition eingegriffen worden ist. Da der Widerspruch des Antragstellers gegen den Bescheid vom 22. Juni 2007 nach § 39 Nr. 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung hat, richtet sich der einstweilige Rechtsschutz nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG. Hiernach kann das Gericht auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Ob die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anzuordnen ist oder nicht, entscheidet das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen auf der Grundlage einer Abwägung, bei der das private Interesse des Bescheidadressaten an der Aussetzung der Vollziehung gegen das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes abzuwägen ist. Bestehen bei summarischer Prüfung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitigen Bescheides und ist daher eine Erfolgsaussicht des Hauptsacheverfahrens zu bejahen, überwiegt regelmäßig das Aussetzungsinteresse, denn an der sofortigen Vollziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts kann schlechthin kein öffentliches Interesse bestehen (allg. Meinung, vgl. nur Keller in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 8. Aufl. 2005, Rdnr. 12 c zu § 86 b SGG; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 3. Aufl. 2002, S. 174; Schoch, VwGO, Rdnr. 264 zu § 80 VwGO; Finkelnburg u.a., Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 5. Aufl. 2008, Rdnr. 967). Der gesonderten Prüfung eines Eilbedürfnisses bedarf es in den Fällen des § 86 b Abs. 1 SGG, in denen die Rechtmäßigkeit der zu vollziehenden Grundverfügung zentraler Prüfungsgegenstand ist, nicht; lediglich im Rahmen des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86 b Abs. 2 SGG ist ein Eilbedürfnis als Anordnungsgrund glaubhaft zu machen (anders insoweit Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 12. Juli 2007, L 28 B 1087/07 AS ER sowie Beschluss vom 12. Mai 2006, L 10 B 191/06 AS ER, jeweils unter Bezugnahme auf Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 2005, Rdnr. 197, der für eine Stattgabe im Aussetzungsverfahren ein besonderes Dringlichkeitsinteresse fordert). Hieran gemessen hat der Eilantrag Erfolg, denn der Bescheid vom 22. Juni 2007 erweist sich bei summarischer Prüfung als rechtswidrig, weil er in seinem Verfügungssatz zu unbestimmt ist. Mit dem Bescheid vom 22. Juni 2007 hat der Antragsgegner eine monatliche Absenkung des Arbeitslosengeldes II für die Zeit vom 1. Juli 2007 bis zum 30. September 2007 "um 30 vom Hundert der Regelleistung, höchstens jedoch in Höhe des (dem Antragsteller) zustehenden Auszahlungsbetrages", "maximal" aber "in Höhe 104,00 Euro" verfügt. Den Anforderungen, die an die Bestimmtheit eines Verwaltungsaktes zu stellen sind, wird dieser Verfügungssatz nicht gerecht. Das ist somit zu Recht vom Antragsteller gerügt worden. Nach § 33 Abs. 1 SGB X muss ein Verwaltungsakt, um materiell rechtmäßig zu sein, inhaltlich hinreichend bestimmt sein. In Zusammenhang mit einem Sanktionsbescheid nach § 31 SGB II bedeutet dies zumindest, dass dem Adressaten, in dessen Besitzstand eingegriffen wird, von vornherein klar sein muss, in welcher konkreten Höhe er eine Absenkung hinzunehmen hat (ebenso zuletzt Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 12. Juli und 7. August 2007, L 28 B 1087/07 AS ER sowie L 28 B 1231/07 AS ER). Im vorliegenden Fall ist dem Verfügungssatz des Sanktionsbescheides ein konkreter Absenkungsbetrag nicht zu entnehmen. Er benennt lediglich einen Rahmen (mindestens 30 vom Hundert / höchstens in Höhe des zustehenden Auszahlungsbetrages / maximal 104,00 Euro), um den die Regelleistung für den Sanktionzeitraum abgesenkt werden soll. Der Bescheidadressat kann einem solchen Verfügungssatz nicht mit der notwendigen unmissverständlichen Bestimmtheit entnehmen, um welchen konkreten Betrag die ihm bereits gewährte Regelleistung gekürzt wird und welcher Betrag ihm letztendlich damit für die Folgezeit, für den Sanktionszeitraum, konkret zur Sicherung seines Lebensunterhalts zur Verfügung steht. Der Hinweis des Antragsgegners auf den auch am 22. Juni 2007 ergangenen Änderungsbescheid führt dabei nicht weiter. Denn auch dieser Bescheid benennt als eingetretene "Änderungen" lediglich die "Berücksichtigung der Heizkostenabschläge" und nennt in seinem Verfügungssatz im Übrigen für die Monate Mai bis Oktober 2007 vier unterschiedliche Leistungsbeträge zwischen 538,26 Euro und 728,26 Euro. Die Berücksichtigung eines Absenkungsbetrages nach § 31 SGB II ist im Bescheid selbst nicht erwähnt. Lediglich im Berechnungsbogen ist ein Minderungsbetrag wegen Sanktion in Höhe von 104 Euro aufgeführt. Angesichts des Erfordernisses, dass ein Bescheid aus sich heraus verständlich und bestimmt sein muss, kann zur Überzeugung des Senats die Erwähnung eines bestimmten Minderungsbetrages in einem anderen als dem Sanktionsbescheid – zumal nur im ohnehin unübersichtlichen Berechnungsbogen – dem Sanktionsbescheid selbst nicht zu hinreichender Bestimmtheit verhelfen. Ob die verhängte Sanktion an sich rechtmäßig war, bedarf nach alledem keiner Prüfung. Der Senat weist den Antragsteller jedoch darauf hin, dass eine Sanktion stets droht, wenn eine vom Antragsgegner angebotene zumutbare Arbeit nicht angenommen wird (§ 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe c SGB II).

Soweit der Senat schließlich die Auszahlung von 312,00 Euro an den Antragsteller angeordnet hat, stützt er sich auf § 86b Abs. 1 Satz 2 SGG. Da der Bescheid vom 22. Juni 2007 hinsichtlich der nicht rechtmäßigen Leistungskürzung für die Monate Juli bis September 2007 zum Zeitpunkt der hiesigen Entscheidung bereits vollzogen ist, hielt es der Senat für geboten, die Aufhebung der Vollziehung anzuordnen. Der Antragsteller hat im Hinblick auf den Charakter der Leistungen zur Grundsicherung als Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums ein sachliches Rückabwicklungsinteresse.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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