Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 4 AS 82/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 AS 23/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 14 AS 38/07 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 13.04.2006 geändert. Die Beklagte wird verurteilt, unter Abänderung des Bescheides vom 19.11.2004 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 31.03.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 01.07.2005, sämtliche in der Fassung des Änderungsbescheides vom 13.04.2006 sowie unter Abänderung des Bescheides vom 20.05.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 01.07.2005 den Klägern Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende für den Zeitraum 01.01. bis 30.11.2005 in Höhe von monatlich weiteren 78,67 EUR zu gewähren. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Die Beklagten hat ein Fünftel der erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Kläger in beiden Instanzen zu tragen. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Kläger begehren für die Zeit vom 01.01.2005 bis 30.11.2005 Grundsicherungsleitungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II), ohne dass die von der Klägerin zu 2) bezogene Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung leistungsmindernd berücksichtigt wird.
Die Kläger beantragten am 14.09.04 die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende.
Mit Bescheid vom 19.11.04 bewilligte die "ARGE i.G. der Agentur für Arbeit der Stadt H" den Klägern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 01.01.05 bis 31.05.05 in Höhe von monatlich 868,22 EUR. Dabei wurde auf den Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft (1.573,07 EUR) Kindergeld in Höhe von 308,- EUR und die Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung der Klägerin zu 2) in Höhe von 396,85 EUR als Einkommen angerechnet.
Dagegen wandten sich die Kläger mit Widerspruch vom 25.11.04 und mit weiteren Widersprüchen. Unter anderen machten sie geltend, die Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung dürfe nicht angerechnet werden. Dies widerspreche rechtssystematischen und verfassungsrechtlichen Vorgaben.
Mit Bescheid vom 31.03.05 änderte die Beklagte den angefochtenen Bescheid und gewährte den Klägern für den Zeitraum 01.01. bis 31.05.05 monatlich Leistungen in Höhe von 924,39 EUR. Von der Rente der Klägerin zu 2) wurden Aufwendungen für eine Kfz-Versicherung und eine Versicherungspauschale in Höhe von 30,- EUR in Abzug gebracht, so dass diese nur noch in Höhe von 340,68 EUR leistungsmindernd berücksichtigt wurde.
Am 28.04.05 beantragten die Kläger die Fortzahlung der Grundsicherungsleistungen. Dabei wiesen sie darauf hin, dass sie im April 2005 eine Steuerrückerstattung für 2004 in Höhe von 254,06 EUR erhalten hätten.
Mit Bescheid vom 20.05.05 bewilligte die Beklagte den Klägern Grundsicherungsleistungen für Juni 2005 in Höhe von 774,39 EUR, für Juli 2005 820,33 EUR und für die Monate August bis November 2005 monatlich 924,39 EUR. Die zusätzliche Minderung für die Monate Juni und Juli 2005 ergab sich ausweislich der Berechnungsbögen durch die Berücksichtigung der Steuererstattung.
Hiergegen wandten sich die Kläger mit Widerspruch vom 06.06.05.
Mit Widerspruchsbescheid vom 01.07.05 änderte die Beklagte den Bescheid vom 19.11.04 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 31.03.05 ab. Sie bewilligte nun für den Zeitraum Januar bis März 2005 monatlich 924,39 EUR. Für die Zeit vom 09.04. bis 30.04.05 bewilligte sie 677,82 EUR und für Mai 2005 wiederum 924, 39 EUR. Zur Begründung führte sie aus, der Bedarf der Bedarfsgemeinschaft resultiere aus 1.036,- EUR Regelleistung und 537,07 EUR Kosten der Unterkunft und Heizung, betrage somit insgesamt 1.573,07 EUR. Auf diesen Gesamtbedarf sei das zu berücksichtigende Einkommen anzurechnen. Hierzu zählten alle Einnahmen in Geld und Geldeswert. Ausgenommen seien die Leistungen nach dem SGB II, die Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz und nach den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes vorsehen und die Renten oder Beihilfen, die nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schäden an Leben sowie an Körper und Gesundheit erbracht würden, bis zur Höhe der vergleichbaren Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz. Das Kindergeld für minderjährige Kinder sei als Einkommen anzurechnen, soweit es bei dem jeweiligen Kind zur Sicherung des Lebensunterhalts benötigt werde (§ 11 Abs. 1 SGB II).
lnsofern sei die Rente der Klägerin zu 2) als Einkommen anzurechnen. Von dem Einkommen in Höhe von 396,85 EUR sei ein Pauschbetrag für angemessene Versicherungen in Höhe von 30,- EUR (§ 3 Nr. 1 Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung - ALG lI-Verordnung -) und die Kosten für die Kfz-Versicherung in Höhe von 26,17 EUR (§ 11 Abs. 2 Nr. 1 SGB II) abzusetzen. Damit ergebe sich ein anzurechnendes Einkommen in Höhe von 340,68 EUR. Weiter sei das Kindergeld in Höhe von 308,- EUR anzurechnen. Hiervon seien weitere Abzüge nicht vorzunehmen. Nach § 3 Abs. 1 Alg II-V sei ein Pauschbetrag vom Einkommen volljähriger Angehöriger in Höhe von 30,- EUR abzusetzen. Da die Kinder noch minderjährig seien, könne ein Pauschbetrag vom Einkommen nicht in Abzug gebracht werden. Damit seien monatliche Gesamteinkünfte in Höhe von 648,98 EUR anzurechnen. Es ergebe sich somit ein monatlicher Anspruch auf Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 924,39 EUR.
Die Steuerrückerstattung in Höhe von 254,06 EUR sei von dem Monat an zu berücksichtigen, in dem diese Leistung zufließe. Es könne für die Zeit vom 01.04. - 08.04.05 (8 Tage) der Lebensunterhalt durch die Steuernachzahlung bestritten werden. Es bestehe kein Anspruch auf Arbeitslosengeld. Insofern bestünde der Anspruch für April 2005 nur in Höhe von 677,82 EUR.
Mit weiterem Widerspruchsbescheid vom 01.07.05 änderte die Beklagte auf den Widerspruch der Kläger vom 02.06.05 gegen den Bescheid vom 20.05.05 diesen Bescheid ab. Sie bewilligte den Klägern für den Zeitraum 01.06.05 bis 30.11.05 monatlich Leistungen der Grundsicherung in Höhe von 924,39 EUR. Dabei wiederholte sie im Wesentlichen ihre Berechnung aus dem Bescheid vom 01.07.05 hinsichtlich des ersten Bewilligungszeitraumes. Die Steuererstattung fand hier keine Berücksichtigung mehr.
Gegen beide Widerspruchsbescheide haben die Kläger am 22.07.05 vor dem Sozialgericht Gelsenkirchen (SG) Klage erhobenen. Sie haben sich zuletzt nur noch dagegen gewandt, dass die Verletztenrente der Klägerin zu 2) in Höhe von 340,68 EUR monatlich angerechnet wird. Zur Begründung haben sie ausgeführt, unter Geltung des bisherigen Rechts bis 31.12.04 seien Verletztenrenten als privilegiertes Einkommen nicht voll anzurechnen gewesen. Vielmehr seien sie in Höhe der Grundrente nach dem BVG anrechnungsfrei gewesen. Dies müsse auch für das SGB II gelten. Denn danach seien privilegiert Einkommen, welche einen nicht verschuldeten Körperschaden ausgleichen sollten. Durch die Rentenleistung solle der Verletzte so gestellt werden, wie er stünde, wenn der körperliche Schaden nicht eingetreten wäre. Würde die Verletztenrente angerechnet, würde dieser Ausgleich entfallen, der Verletzte stünde automatisch schlechter dar als der Versicherte ohne Körperschaden. Das sei eine Ungleichbehandlung, die von Art. 3 Grundgesetz (GG) nicht mehr gedeckt sei.
In der mündlichen Verhandlung vom 13.04.06 vor dem SG hat die Beklagte den Bescheid vom 19.11.04 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 31.03.05, beide in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 01.07.05, dahingehend abgeändert, dass sie den Klägern auch für April 2005 Leistungen in Höhe von 924,39 EUR bewilligt.
Die Kläger haben beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 19.11.04 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 31.03.05 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 01.07.05, sämtliche in der Fassung des Änderungsbescheides vom 13.04.06 sowie unter Abänderung des Bescheides vom 20.05.05 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 01.07.05 zu verurteilen, ihnen Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende für den Zeitraum 01.01. bis 30.11.05 ohne Anrechnung der Verletztenrente der Klägerin zu 2) nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das SG hat durch Urteil vom 13.04.2006 die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen folgendes ausgeführt: Die Beklagte habe im Ergebnis zutreffend monatlich 924,39 EUR bewilligt. Die Verletztenrente der Klägerin zu 2) aus §§ 56 ff. Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) sei kein privilegiertes Einkommen im Sinne von § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II. Schon der Wortlaut dieser Vorschrift schließe eine Einbeziehung von Unfall- und Verletztenrenten nach dem SGB II in den Kreis des anrechnungsfreien Einkommens nach dem SGB II aus. Gem. § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II seien ausgenommen die Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz und nach den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes vorsehen und der Renten und Beihilfen, die nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schäden an Leib sowie an Körper oder Gesundheit erbracht werden. § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II sei nicht über den Wortlaut hinaus auszulegen. Renten nach dem BVG dienen einem anderen Zweck als der Sicherung des Lebensunterhaltes, nämlich dem Ausgleich der körperlichen Unversehrtheit und dem daraus entstehenden Mehraufwand. Die Renten nach dem BVG blieben unangetastet, weil sie die Mehraufwendungen ausgleichen sollten, die der Kriegsbeschädigte - oder vergleichbar Beeinträchtigte gegenüber gesunden Menschen hätten. Demgegenüber bestehe der Sinn der gesetzlichen Unfallversicherung in der Ablösung der privatrechtlichen Unternehmerhaftung und der Schaffung einer öffentlich rechtlichen Versicherung gegen die Folgen von Arbeitsunfällen mit Pflichtmitgliedschaft aller Unternehmer. Damit diene die gesetzliche Unfallversicherung dem Zweck, das Risiko der Arbeitnehmer, durch Arbeitsunfälle oder durch Berufskrankheit ihre lebenswichtige Arbeitskraft nicht mehr einsetzen zu können, finanziell abzusichern. Die Unfallversicherung habe damit Lohnersatzfunktion. Im Hinblick auf die fehlende Vergleichbarkeit zwischen den Renten nach dem BVG und solchen nach dem SGB VII liege in der Ungleichbehandlung dieser Renten kein Verstoß gegen Art. 3 GG. Bei der Verletztenrente handele es sich auch nicht um zweckbestimmte Einnahmen im Sinne von § 11 Abs. 3 Nr. 1 a SGB II. Auch insofern sei die Verletztenrente kein privilegiertes Einkommen. Bei der Verletztenrente handele es sich um eine zweckneutrale Leistung. Deswegen sei sie auch schon in die Einkommensberechnung nach § 76 Abs. 1 BSHG einzubeziehen gewesen, da sie ebenso wie die Sozialhilfe den Zweck der Sicherstellung des Lebensunterhaltes erfüllte. Gleiches gelte auch im Rahmen von § 11 Abs. 3 Nr. 1 a SGB II. Schließlich dienten auch die Leistungen des SGB II wie die Leistungen aus dem BSHG der Sicherung des Lebensunterhaltes. Daher sei die Verletztenrente der Klägerin grundsätzlich als Einkommen anzurechnen. Die Beklagte habe die Rente zutreffend um den Versicherungsfreibetrag und die Kfz-Versicherung bereinigt. Der Anrechnungsbetrag sei insofern mit 340,68 EUR richtig errechnet.
Das Urteil ist den Klägern am 27.04.2006 zugestellt worden. Am 16.05.2006 haben sie dagegen Berufung eingelegt. Sie sind weiter der Auffassung, dass die Verletztenrente nicht als Einkommen anrechenbar sie. Jedenfalls aber sei sie in Höhe der Mindestgrundrente nach dem BVG eine zweckbestimmte Einnahme.
Im Verhandlungstermin vor dem Senat haben die Beteiligten übereinstimmend erklärt, davon auszugehen, dass sie lediglich um die Anrechnung der Verletztenrente streiten und die Höhe der Leistungen im Übrigen zutreffend berechnet worden ist.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 13.04.2006 zu ändern und nach dem erstinstanzlich gestellten Antrag zu erkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des SG für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten. Diese Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Die Kläger haben für die Zeit von 01.01.2005 bis 30.11.2005 einen weiteren Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung (Arbeitslosengeld II und Sozialgeld) in Höhe von monatlich 78,67 EUR. Dieser Anspruch verteilt sich auf jede einzelne Person der Bedarfsgemeinschaft - also auf alle Kläger - im Verhältnis ihres eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf (§ 9 Abs. 2 S. 3 SGB II). Von einer Aufschlüsselung im Einzelnen hat der Senat abgesehen. In diesem Umfang sind die entgegenstehenden Bescheide der Beklagten und das erstinstanzliche Urteil zu ändern. Im Übrigen ist die Berufung unbegründet.
Aufgrund der Erklärungen der Beteiligten im Termin zur mündlichen Verhandlung am 25.07.2007, die zu einer den Senat bindenden Vereinbarung führten, war nicht darüber zu entscheiden, ob die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld II/Sozialgeld in dem hier streitigen Zeitraum erfüllt waren und ob die Höhe der bewilligten Leistung - abgesehen von der Streitfrage, der Anrechung der Verletztenrente - zutreffend ermittelt wurde.
Damit ist der Streitgegenstand des Verfahrens beschränkt allein auf die Frage, ob die Verletztenrente der Klägerin zu 2) in zutreffender Höhe leistungsmindernd angerechnet wurde, bzw. ob eine Anrechnung nicht oder nur in geringerer Höhe vorgenommen werden durfte und ob sich daraus ein weiterer Leistungsanspruch ergibt.
Der Senat ist hierzu der Auffassung, dass die Verletztenrente zwar nicht grundsätzlich entsprechend den Grundrenten nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) nach § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II vom Einkommensbegriff ausgenommen ist. Eine analoge Anwendung der genannten Ausnahmevorschriften kommt nicht in Betracht, da es sich bei den Grundrenten, die in Anwendung des BVG gezahlt werden, ausschließlich um Ersatzleistungen handelt für Schadensfälle auf Grund von Tätigkeiten im öffentlichen Interesse oder Einwirkungen im staatlichen Verantwortungsbereich, d.h. um so genannte "Sonderopfer". Bei Leistungen auf Grund eines Arbeitsunfalls in der Unfallversicherung fehlt es an der Vergleichbarkeit der Sachlage (so auch LSG Baden-Württemberg v. 16.05.2006 - L 12 AS 376/06; LSG Sachsen v. 23.10.2006 - L 3 B 69/06 AS-ER - und zur insoweit vergleichbaren Regelung in § 76 Abs. 1 Bundessozialhilfegesetz - BSHG - bereits BSG v. 03.12.2002 - B 2 U 12/02 R -, SozR 3-5910 § 76 Nr. 4).
Dies schließt es jedoch nicht aus, einen Teil der Verletztenrente als zweckbestimmte Einnahme i.S.d. § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II anzusehen und von der Anrechnung als Einkommen auszunehmen (so auch Söhngen in juris-PK-SGB II, 2. Auf. 2007, § 11 Rn. 62; Hänlein in Gagel, SGB II, § 11 Rn. 62; Koch, NZS 2006, 408 ff.; Grimmke, jurisPR-SozR 23/2004, Anm. 3). § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II bestimmt, dass Einnahmen nicht als Einkommen zu berücksichtigen sind, soweit sie als zweckbestimmte Einnahmen einem anderen Zweck als die Leistungen nach diesem Buch dienen und die Lage des Empfängers nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nach diesem Buch nicht gerechtfertigt wären. Dies ist bei der Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung jedenfalls teilweise der Fall. Durch die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach den §§ 19 ff. SGB II soll (lediglich) das soziokulturelle Existenzminimum der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen sichergestellt werden, wobei diese Leistungen gemäß § 3 Abs. 3 SGB II nur erbracht werden sollen, soweit die Hilfebedürftigkeit nicht anderweitig beseitigt werden kann. Zweck der Leistung ist mithin eine Basissicherung, solange und soweit ein an sich erwerbsfähiger Hilfebedürftiger keine Arbeitsstelle finden kann, mit der er selbst seinen Unterhalt zu decken in der Lage ist (so BSG v. 29.03.2007 - B 7b AS 12/06 R -).
Demgegenüber ist bei der Verletztenrente davon auszugehen, dass zumindest ein Teil dieser Rente einen anderen Zweck verfolgt, nämlich der Teil, der keine Lohnersatzfunktion hat. Ein Teil der Unfallrente wird nämlich weniger für den Lebensunterhalt, sondern mehr wegen des Verlustes der körperlichen Unversehrtheit (u.a. Kompensation des immateriellen Schadens) und für schädigungsbedingte Mehraufwendungen gewährt (ausführlich Koch, NZS 2006, 408, 409). Sie ist hierfür vorrangig zu verwenden und steht deshalb nicht zur Basissicherung des Lebensunterhaltes zur Verfügung (vgl. BSG v. 10.02.2004 - B 7 AL 94/02 R -, SozR 4-4220 § 11 Nr 2; ähnlich bereits BVerfG v. 08.02.1995 - 1 BvR 753/94 - SozR 3-2200 § 636 Nr. 1).
Entgegen der Auffassung des SG (die im Ergebnis auch vertreten wird von: LSG Thüringen v. 22.03.2006 - L 7 AS 845/05; LSG Baden-Württemberg v. 16.05.2006 - L 12 AS 376/06 -; LSG Rheinland-Pfalz v. 29.09.2006 - L 3 AS 20/06 - und - L 3 AS 4/06 -) ergibt sich nichts anderes aus der zu § 77 Abs. 1 BSHG ergangen Entscheidung des BSG v. 03.12.2002 (B 2 U 12/02 R, SozR 3-5910 § 76 Nr. 4). Denn im Unterschied zu § 11 Abs 3 Nr 1a SGB II verlangte § 77 Abs. 1 BSHG für das bis 31.12.2004 geltenden Recht der Sozialhilfe – eine entsprechende Regelung enthält jetzt § 83 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII ) - für die Privilegierung von zweckbestimmten Leistungen, dass sich die Zweckbestimmung ausdrücklich aus der Rechtsgrundlage der Leistung ergeben musste. Eine diesem Erfordernis genügende ausdrückliche Zweckbestimmung vermochte das BSG in den Regelungen zur Verletztenrente der gesetzlichen Unfallversicherung nicht zu erkennen (vgl. BSG v. 03.12.2002 - B 2 U 12/02 R -, SozR 3-5910 § 76 Nr. 4 Rz. 22 f.). Nur vor diesem Hintergrund sah es die Verletztenrente als "zweckneutrale" Leistung an (BSG aaO. Rz. 23). Eine Übertragung dieser Entscheidung auf den insoweit abweichend formulierten § 11 Abs 3 Nr 1a SGB II verbietet sich also (so auch Koch, NZS 2006, 408).
Welcher Anteil der Verletztenrente als zweckbestimmte Leistung anzusehen ist, kann nach Auffassung des Senats unter Rückgriff auf § 2 Nr. 2 Arbeitslosenhilfeverordnung 2002 (AlhiV 2002) und § 93 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) bestimmt werden. In beiden Reglungen wird der Teil der Verletztenrente privilegiert, welcher der Grundrente nach § 31 BVG entspricht. In sachgerechter Weise wird damit zum Ausdruck gebracht, dass dieser Teil zum Ausgleich des nicht im Verdienstausfall bestehenden Schadens geleistet wird, mithin also einem anderen Zweck dient als die Leistungen nach dem SGB II (vgl. BVerfG v. 08.02.1995 - 1 BvR 753/94 - SozR 3-2200 § 636 Nr. 1 zur gesetzlichen Rentenversicherung; BSG v. 10.02.2004 - B 7 AL 94/02 R -, SozR 4-4220 § 11 Nr 2 zur Arbeitslosenhilfe; so im Übrigen auch Söhngen in juris-PK-SGB II, 2. Auf. 2007, § 11 Rn. 62; Hänlein in Gagel, SGB II, § 11 Rn. 62; Koch, NZS 2006, 408 ff.; Grimmke, jurisPR-SozR 23/2004, Anm. 3).
Vorliegend bezog die Klägerin zu 2) in dem hier streitigen Zeitraum eine Verletztenrente in Höhe von 396,85 EUR monatlich nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 vom Hundert. Die Mindestgrundrente nach § 31 Abs. 1 BVG in der hier anwendbaren vom 01.07.2003 bis 30.06.2007 geltenden Fassung betrug 118 EUR. Nach § 2 Nr. 2 Alhi-V 2002 und § 93 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a SGB VI sind bei einer MdE von 20 vom Hundert als privilegierter Betrag 2/3 der Mindestgrundrente nach dem BVG anzusetzen. 2/3 von 118 EUR ergeben einen Betrag von 78,67 EUR, der als zweckbestimmtes Einkommen i.S.v. § 11 Abs 3 Nr 1a SGB II von der Einkommensanrechung auszunehmen war. Weil die Beklagte im hier streitigen Zeitraum die Verletztenrente der Klägerin zu 2) auch in Höhe dieses Betrages angerechnet hat, war den Klägern ein weiterer Anspruch in Höhe von monatlich 78,67 EUR zuzuerkennen.
Die Anrechung der Verletztenrente im Übrigen ist demgegenüber entgegen der Auffassung der Kläger zu Recht erfolgt, weil insoweit kein Privilegierungstatbestand eingreift. Die weitergehende Berufung der Kläger ist daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 SGG.
Die Revision wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Hinblick auf die divergierende Rechtsprechung verschiedener Landessozialgerichte zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Tatbestand:
Die Kläger begehren für die Zeit vom 01.01.2005 bis 30.11.2005 Grundsicherungsleitungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II), ohne dass die von der Klägerin zu 2) bezogene Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung leistungsmindernd berücksichtigt wird.
Die Kläger beantragten am 14.09.04 die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende.
Mit Bescheid vom 19.11.04 bewilligte die "ARGE i.G. der Agentur für Arbeit der Stadt H" den Klägern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 01.01.05 bis 31.05.05 in Höhe von monatlich 868,22 EUR. Dabei wurde auf den Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft (1.573,07 EUR) Kindergeld in Höhe von 308,- EUR und die Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung der Klägerin zu 2) in Höhe von 396,85 EUR als Einkommen angerechnet.
Dagegen wandten sich die Kläger mit Widerspruch vom 25.11.04 und mit weiteren Widersprüchen. Unter anderen machten sie geltend, die Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung dürfe nicht angerechnet werden. Dies widerspreche rechtssystematischen und verfassungsrechtlichen Vorgaben.
Mit Bescheid vom 31.03.05 änderte die Beklagte den angefochtenen Bescheid und gewährte den Klägern für den Zeitraum 01.01. bis 31.05.05 monatlich Leistungen in Höhe von 924,39 EUR. Von der Rente der Klägerin zu 2) wurden Aufwendungen für eine Kfz-Versicherung und eine Versicherungspauschale in Höhe von 30,- EUR in Abzug gebracht, so dass diese nur noch in Höhe von 340,68 EUR leistungsmindernd berücksichtigt wurde.
Am 28.04.05 beantragten die Kläger die Fortzahlung der Grundsicherungsleistungen. Dabei wiesen sie darauf hin, dass sie im April 2005 eine Steuerrückerstattung für 2004 in Höhe von 254,06 EUR erhalten hätten.
Mit Bescheid vom 20.05.05 bewilligte die Beklagte den Klägern Grundsicherungsleistungen für Juni 2005 in Höhe von 774,39 EUR, für Juli 2005 820,33 EUR und für die Monate August bis November 2005 monatlich 924,39 EUR. Die zusätzliche Minderung für die Monate Juni und Juli 2005 ergab sich ausweislich der Berechnungsbögen durch die Berücksichtigung der Steuererstattung.
Hiergegen wandten sich die Kläger mit Widerspruch vom 06.06.05.
Mit Widerspruchsbescheid vom 01.07.05 änderte die Beklagte den Bescheid vom 19.11.04 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 31.03.05 ab. Sie bewilligte nun für den Zeitraum Januar bis März 2005 monatlich 924,39 EUR. Für die Zeit vom 09.04. bis 30.04.05 bewilligte sie 677,82 EUR und für Mai 2005 wiederum 924, 39 EUR. Zur Begründung führte sie aus, der Bedarf der Bedarfsgemeinschaft resultiere aus 1.036,- EUR Regelleistung und 537,07 EUR Kosten der Unterkunft und Heizung, betrage somit insgesamt 1.573,07 EUR. Auf diesen Gesamtbedarf sei das zu berücksichtigende Einkommen anzurechnen. Hierzu zählten alle Einnahmen in Geld und Geldeswert. Ausgenommen seien die Leistungen nach dem SGB II, die Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz und nach den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes vorsehen und die Renten oder Beihilfen, die nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schäden an Leben sowie an Körper und Gesundheit erbracht würden, bis zur Höhe der vergleichbaren Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz. Das Kindergeld für minderjährige Kinder sei als Einkommen anzurechnen, soweit es bei dem jeweiligen Kind zur Sicherung des Lebensunterhalts benötigt werde (§ 11 Abs. 1 SGB II).
lnsofern sei die Rente der Klägerin zu 2) als Einkommen anzurechnen. Von dem Einkommen in Höhe von 396,85 EUR sei ein Pauschbetrag für angemessene Versicherungen in Höhe von 30,- EUR (§ 3 Nr. 1 Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung - ALG lI-Verordnung -) und die Kosten für die Kfz-Versicherung in Höhe von 26,17 EUR (§ 11 Abs. 2 Nr. 1 SGB II) abzusetzen. Damit ergebe sich ein anzurechnendes Einkommen in Höhe von 340,68 EUR. Weiter sei das Kindergeld in Höhe von 308,- EUR anzurechnen. Hiervon seien weitere Abzüge nicht vorzunehmen. Nach § 3 Abs. 1 Alg II-V sei ein Pauschbetrag vom Einkommen volljähriger Angehöriger in Höhe von 30,- EUR abzusetzen. Da die Kinder noch minderjährig seien, könne ein Pauschbetrag vom Einkommen nicht in Abzug gebracht werden. Damit seien monatliche Gesamteinkünfte in Höhe von 648,98 EUR anzurechnen. Es ergebe sich somit ein monatlicher Anspruch auf Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 924,39 EUR.
Die Steuerrückerstattung in Höhe von 254,06 EUR sei von dem Monat an zu berücksichtigen, in dem diese Leistung zufließe. Es könne für die Zeit vom 01.04. - 08.04.05 (8 Tage) der Lebensunterhalt durch die Steuernachzahlung bestritten werden. Es bestehe kein Anspruch auf Arbeitslosengeld. Insofern bestünde der Anspruch für April 2005 nur in Höhe von 677,82 EUR.
Mit weiterem Widerspruchsbescheid vom 01.07.05 änderte die Beklagte auf den Widerspruch der Kläger vom 02.06.05 gegen den Bescheid vom 20.05.05 diesen Bescheid ab. Sie bewilligte den Klägern für den Zeitraum 01.06.05 bis 30.11.05 monatlich Leistungen der Grundsicherung in Höhe von 924,39 EUR. Dabei wiederholte sie im Wesentlichen ihre Berechnung aus dem Bescheid vom 01.07.05 hinsichtlich des ersten Bewilligungszeitraumes. Die Steuererstattung fand hier keine Berücksichtigung mehr.
Gegen beide Widerspruchsbescheide haben die Kläger am 22.07.05 vor dem Sozialgericht Gelsenkirchen (SG) Klage erhobenen. Sie haben sich zuletzt nur noch dagegen gewandt, dass die Verletztenrente der Klägerin zu 2) in Höhe von 340,68 EUR monatlich angerechnet wird. Zur Begründung haben sie ausgeführt, unter Geltung des bisherigen Rechts bis 31.12.04 seien Verletztenrenten als privilegiertes Einkommen nicht voll anzurechnen gewesen. Vielmehr seien sie in Höhe der Grundrente nach dem BVG anrechnungsfrei gewesen. Dies müsse auch für das SGB II gelten. Denn danach seien privilegiert Einkommen, welche einen nicht verschuldeten Körperschaden ausgleichen sollten. Durch die Rentenleistung solle der Verletzte so gestellt werden, wie er stünde, wenn der körperliche Schaden nicht eingetreten wäre. Würde die Verletztenrente angerechnet, würde dieser Ausgleich entfallen, der Verletzte stünde automatisch schlechter dar als der Versicherte ohne Körperschaden. Das sei eine Ungleichbehandlung, die von Art. 3 Grundgesetz (GG) nicht mehr gedeckt sei.
In der mündlichen Verhandlung vom 13.04.06 vor dem SG hat die Beklagte den Bescheid vom 19.11.04 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 31.03.05, beide in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 01.07.05, dahingehend abgeändert, dass sie den Klägern auch für April 2005 Leistungen in Höhe von 924,39 EUR bewilligt.
Die Kläger haben beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 19.11.04 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 31.03.05 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 01.07.05, sämtliche in der Fassung des Änderungsbescheides vom 13.04.06 sowie unter Abänderung des Bescheides vom 20.05.05 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 01.07.05 zu verurteilen, ihnen Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende für den Zeitraum 01.01. bis 30.11.05 ohne Anrechnung der Verletztenrente der Klägerin zu 2) nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das SG hat durch Urteil vom 13.04.2006 die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen folgendes ausgeführt: Die Beklagte habe im Ergebnis zutreffend monatlich 924,39 EUR bewilligt. Die Verletztenrente der Klägerin zu 2) aus §§ 56 ff. Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) sei kein privilegiertes Einkommen im Sinne von § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II. Schon der Wortlaut dieser Vorschrift schließe eine Einbeziehung von Unfall- und Verletztenrenten nach dem SGB II in den Kreis des anrechnungsfreien Einkommens nach dem SGB II aus. Gem. § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II seien ausgenommen die Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz und nach den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes vorsehen und der Renten und Beihilfen, die nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schäden an Leib sowie an Körper oder Gesundheit erbracht werden. § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II sei nicht über den Wortlaut hinaus auszulegen. Renten nach dem BVG dienen einem anderen Zweck als der Sicherung des Lebensunterhaltes, nämlich dem Ausgleich der körperlichen Unversehrtheit und dem daraus entstehenden Mehraufwand. Die Renten nach dem BVG blieben unangetastet, weil sie die Mehraufwendungen ausgleichen sollten, die der Kriegsbeschädigte - oder vergleichbar Beeinträchtigte gegenüber gesunden Menschen hätten. Demgegenüber bestehe der Sinn der gesetzlichen Unfallversicherung in der Ablösung der privatrechtlichen Unternehmerhaftung und der Schaffung einer öffentlich rechtlichen Versicherung gegen die Folgen von Arbeitsunfällen mit Pflichtmitgliedschaft aller Unternehmer. Damit diene die gesetzliche Unfallversicherung dem Zweck, das Risiko der Arbeitnehmer, durch Arbeitsunfälle oder durch Berufskrankheit ihre lebenswichtige Arbeitskraft nicht mehr einsetzen zu können, finanziell abzusichern. Die Unfallversicherung habe damit Lohnersatzfunktion. Im Hinblick auf die fehlende Vergleichbarkeit zwischen den Renten nach dem BVG und solchen nach dem SGB VII liege in der Ungleichbehandlung dieser Renten kein Verstoß gegen Art. 3 GG. Bei der Verletztenrente handele es sich auch nicht um zweckbestimmte Einnahmen im Sinne von § 11 Abs. 3 Nr. 1 a SGB II. Auch insofern sei die Verletztenrente kein privilegiertes Einkommen. Bei der Verletztenrente handele es sich um eine zweckneutrale Leistung. Deswegen sei sie auch schon in die Einkommensberechnung nach § 76 Abs. 1 BSHG einzubeziehen gewesen, da sie ebenso wie die Sozialhilfe den Zweck der Sicherstellung des Lebensunterhaltes erfüllte. Gleiches gelte auch im Rahmen von § 11 Abs. 3 Nr. 1 a SGB II. Schließlich dienten auch die Leistungen des SGB II wie die Leistungen aus dem BSHG der Sicherung des Lebensunterhaltes. Daher sei die Verletztenrente der Klägerin grundsätzlich als Einkommen anzurechnen. Die Beklagte habe die Rente zutreffend um den Versicherungsfreibetrag und die Kfz-Versicherung bereinigt. Der Anrechnungsbetrag sei insofern mit 340,68 EUR richtig errechnet.
Das Urteil ist den Klägern am 27.04.2006 zugestellt worden. Am 16.05.2006 haben sie dagegen Berufung eingelegt. Sie sind weiter der Auffassung, dass die Verletztenrente nicht als Einkommen anrechenbar sie. Jedenfalls aber sei sie in Höhe der Mindestgrundrente nach dem BVG eine zweckbestimmte Einnahme.
Im Verhandlungstermin vor dem Senat haben die Beteiligten übereinstimmend erklärt, davon auszugehen, dass sie lediglich um die Anrechnung der Verletztenrente streiten und die Höhe der Leistungen im Übrigen zutreffend berechnet worden ist.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 13.04.2006 zu ändern und nach dem erstinstanzlich gestellten Antrag zu erkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des SG für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten. Diese Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Die Kläger haben für die Zeit von 01.01.2005 bis 30.11.2005 einen weiteren Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung (Arbeitslosengeld II und Sozialgeld) in Höhe von monatlich 78,67 EUR. Dieser Anspruch verteilt sich auf jede einzelne Person der Bedarfsgemeinschaft - also auf alle Kläger - im Verhältnis ihres eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf (§ 9 Abs. 2 S. 3 SGB II). Von einer Aufschlüsselung im Einzelnen hat der Senat abgesehen. In diesem Umfang sind die entgegenstehenden Bescheide der Beklagten und das erstinstanzliche Urteil zu ändern. Im Übrigen ist die Berufung unbegründet.
Aufgrund der Erklärungen der Beteiligten im Termin zur mündlichen Verhandlung am 25.07.2007, die zu einer den Senat bindenden Vereinbarung führten, war nicht darüber zu entscheiden, ob die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld II/Sozialgeld in dem hier streitigen Zeitraum erfüllt waren und ob die Höhe der bewilligten Leistung - abgesehen von der Streitfrage, der Anrechung der Verletztenrente - zutreffend ermittelt wurde.
Damit ist der Streitgegenstand des Verfahrens beschränkt allein auf die Frage, ob die Verletztenrente der Klägerin zu 2) in zutreffender Höhe leistungsmindernd angerechnet wurde, bzw. ob eine Anrechnung nicht oder nur in geringerer Höhe vorgenommen werden durfte und ob sich daraus ein weiterer Leistungsanspruch ergibt.
Der Senat ist hierzu der Auffassung, dass die Verletztenrente zwar nicht grundsätzlich entsprechend den Grundrenten nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) nach § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II vom Einkommensbegriff ausgenommen ist. Eine analoge Anwendung der genannten Ausnahmevorschriften kommt nicht in Betracht, da es sich bei den Grundrenten, die in Anwendung des BVG gezahlt werden, ausschließlich um Ersatzleistungen handelt für Schadensfälle auf Grund von Tätigkeiten im öffentlichen Interesse oder Einwirkungen im staatlichen Verantwortungsbereich, d.h. um so genannte "Sonderopfer". Bei Leistungen auf Grund eines Arbeitsunfalls in der Unfallversicherung fehlt es an der Vergleichbarkeit der Sachlage (so auch LSG Baden-Württemberg v. 16.05.2006 - L 12 AS 376/06; LSG Sachsen v. 23.10.2006 - L 3 B 69/06 AS-ER - und zur insoweit vergleichbaren Regelung in § 76 Abs. 1 Bundessozialhilfegesetz - BSHG - bereits BSG v. 03.12.2002 - B 2 U 12/02 R -, SozR 3-5910 § 76 Nr. 4).
Dies schließt es jedoch nicht aus, einen Teil der Verletztenrente als zweckbestimmte Einnahme i.S.d. § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II anzusehen und von der Anrechnung als Einkommen auszunehmen (so auch Söhngen in juris-PK-SGB II, 2. Auf. 2007, § 11 Rn. 62; Hänlein in Gagel, SGB II, § 11 Rn. 62; Koch, NZS 2006, 408 ff.; Grimmke, jurisPR-SozR 23/2004, Anm. 3). § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II bestimmt, dass Einnahmen nicht als Einkommen zu berücksichtigen sind, soweit sie als zweckbestimmte Einnahmen einem anderen Zweck als die Leistungen nach diesem Buch dienen und die Lage des Empfängers nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nach diesem Buch nicht gerechtfertigt wären. Dies ist bei der Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung jedenfalls teilweise der Fall. Durch die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach den §§ 19 ff. SGB II soll (lediglich) das soziokulturelle Existenzminimum der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen sichergestellt werden, wobei diese Leistungen gemäß § 3 Abs. 3 SGB II nur erbracht werden sollen, soweit die Hilfebedürftigkeit nicht anderweitig beseitigt werden kann. Zweck der Leistung ist mithin eine Basissicherung, solange und soweit ein an sich erwerbsfähiger Hilfebedürftiger keine Arbeitsstelle finden kann, mit der er selbst seinen Unterhalt zu decken in der Lage ist (so BSG v. 29.03.2007 - B 7b AS 12/06 R -).
Demgegenüber ist bei der Verletztenrente davon auszugehen, dass zumindest ein Teil dieser Rente einen anderen Zweck verfolgt, nämlich der Teil, der keine Lohnersatzfunktion hat. Ein Teil der Unfallrente wird nämlich weniger für den Lebensunterhalt, sondern mehr wegen des Verlustes der körperlichen Unversehrtheit (u.a. Kompensation des immateriellen Schadens) und für schädigungsbedingte Mehraufwendungen gewährt (ausführlich Koch, NZS 2006, 408, 409). Sie ist hierfür vorrangig zu verwenden und steht deshalb nicht zur Basissicherung des Lebensunterhaltes zur Verfügung (vgl. BSG v. 10.02.2004 - B 7 AL 94/02 R -, SozR 4-4220 § 11 Nr 2; ähnlich bereits BVerfG v. 08.02.1995 - 1 BvR 753/94 - SozR 3-2200 § 636 Nr. 1).
Entgegen der Auffassung des SG (die im Ergebnis auch vertreten wird von: LSG Thüringen v. 22.03.2006 - L 7 AS 845/05; LSG Baden-Württemberg v. 16.05.2006 - L 12 AS 376/06 -; LSG Rheinland-Pfalz v. 29.09.2006 - L 3 AS 20/06 - und - L 3 AS 4/06 -) ergibt sich nichts anderes aus der zu § 77 Abs. 1 BSHG ergangen Entscheidung des BSG v. 03.12.2002 (B 2 U 12/02 R, SozR 3-5910 § 76 Nr. 4). Denn im Unterschied zu § 11 Abs 3 Nr 1a SGB II verlangte § 77 Abs. 1 BSHG für das bis 31.12.2004 geltenden Recht der Sozialhilfe – eine entsprechende Regelung enthält jetzt § 83 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII ) - für die Privilegierung von zweckbestimmten Leistungen, dass sich die Zweckbestimmung ausdrücklich aus der Rechtsgrundlage der Leistung ergeben musste. Eine diesem Erfordernis genügende ausdrückliche Zweckbestimmung vermochte das BSG in den Regelungen zur Verletztenrente der gesetzlichen Unfallversicherung nicht zu erkennen (vgl. BSG v. 03.12.2002 - B 2 U 12/02 R -, SozR 3-5910 § 76 Nr. 4 Rz. 22 f.). Nur vor diesem Hintergrund sah es die Verletztenrente als "zweckneutrale" Leistung an (BSG aaO. Rz. 23). Eine Übertragung dieser Entscheidung auf den insoweit abweichend formulierten § 11 Abs 3 Nr 1a SGB II verbietet sich also (so auch Koch, NZS 2006, 408).
Welcher Anteil der Verletztenrente als zweckbestimmte Leistung anzusehen ist, kann nach Auffassung des Senats unter Rückgriff auf § 2 Nr. 2 Arbeitslosenhilfeverordnung 2002 (AlhiV 2002) und § 93 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) bestimmt werden. In beiden Reglungen wird der Teil der Verletztenrente privilegiert, welcher der Grundrente nach § 31 BVG entspricht. In sachgerechter Weise wird damit zum Ausdruck gebracht, dass dieser Teil zum Ausgleich des nicht im Verdienstausfall bestehenden Schadens geleistet wird, mithin also einem anderen Zweck dient als die Leistungen nach dem SGB II (vgl. BVerfG v. 08.02.1995 - 1 BvR 753/94 - SozR 3-2200 § 636 Nr. 1 zur gesetzlichen Rentenversicherung; BSG v. 10.02.2004 - B 7 AL 94/02 R -, SozR 4-4220 § 11 Nr 2 zur Arbeitslosenhilfe; so im Übrigen auch Söhngen in juris-PK-SGB II, 2. Auf. 2007, § 11 Rn. 62; Hänlein in Gagel, SGB II, § 11 Rn. 62; Koch, NZS 2006, 408 ff.; Grimmke, jurisPR-SozR 23/2004, Anm. 3).
Vorliegend bezog die Klägerin zu 2) in dem hier streitigen Zeitraum eine Verletztenrente in Höhe von 396,85 EUR monatlich nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 vom Hundert. Die Mindestgrundrente nach § 31 Abs. 1 BVG in der hier anwendbaren vom 01.07.2003 bis 30.06.2007 geltenden Fassung betrug 118 EUR. Nach § 2 Nr. 2 Alhi-V 2002 und § 93 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a SGB VI sind bei einer MdE von 20 vom Hundert als privilegierter Betrag 2/3 der Mindestgrundrente nach dem BVG anzusetzen. 2/3 von 118 EUR ergeben einen Betrag von 78,67 EUR, der als zweckbestimmtes Einkommen i.S.v. § 11 Abs 3 Nr 1a SGB II von der Einkommensanrechung auszunehmen war. Weil die Beklagte im hier streitigen Zeitraum die Verletztenrente der Klägerin zu 2) auch in Höhe dieses Betrages angerechnet hat, war den Klägern ein weiterer Anspruch in Höhe von monatlich 78,67 EUR zuzuerkennen.
Die Anrechung der Verletztenrente im Übrigen ist demgegenüber entgegen der Auffassung der Kläger zu Recht erfolgt, weil insoweit kein Privilegierungstatbestand eingreift. Die weitergehende Berufung der Kläger ist daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 SGG.
Die Revision wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Hinblick auf die divergierende Rechtsprechung verschiedener Landessozialgerichte zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
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