L 15 VS 17/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
15
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 11 VS 9/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 VS 17/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 9 VS 9/07 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 25. Juli 2006 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 20. Oktober 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. April 2005 abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der 1980 geborene Kläger begehrt Leistungen nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG) auf Grund einer fraglichen Schulterluxation im Januar oder Februar 2003.

Die Dienstzeit des Klägers als Wehrpflichtiger hat sich auf den Zeitraum 01.01.2003 bis 30.09.2003 im KRK-Lazarett D. erstreckt. Er hat mit Erstantrag vom 27.05.2003 gegenüber dem Beklagten vorgetragen, beim Schwimmen am 24.01.2003 habe er nach der zweiten Bahn am Beckenrand anschlagen und wenden wollen. Als er seinen rechten Arm nach vorne genommen habe, sei ihm seine Schulter herausgerutscht. Vorher habe er keine Probleme mit seiner Schulter gehabt. Der Truppenarzt habe ihn danach einen Tag "MSG" geschrieben. Den Tag danach habe er einen Marsch von sechs Kilometer mit Gepäck gehabt. Als er zurückgekommen sei, habe er starke Schmerzen in seiner Schulter gehabt und sei zum Truppenarzt gegangen. Dieser habe dann gesagt, dass das ein normaler Muskelkater sei. Den Tag nach dem Marsch habe er Sport gehabt. Als er Liegestützen gemacht habe, sei ihm seine Schulter wieder herausgerutscht. Er sei mit einem Krankenwagen in das Sanitätszentrum gefahren worden. Dort habe ihm der sichtlich gestresste Arzt am Freitag kurz vor Dienstschluss Schmerztabletten gegeben und ihm gesagt, er solle am Montag wiederkommen. Die richtige Diagnose sei erst am 21.03.2003 gestellt worden.

Im Rahmen seiner Ermittlungen hat der Beklagte unter anderem die Unterlagen des Bundeswehrkrankenhauses U. (Radiologie) beigezogen. Dort hat der Oberstabsarzt S. mit Arztschreiben vom 31.01.2003 berichtet, dass ein Zustand nach zweimaliger Schulterluxation nach dorsal nach inadäquatem Trauma vorliege. Soweit das MRT vom 30.01.2003 bei fehlender Kontrastierung (Ablehnung der Schulterfüllung mit Kontrastmittel durch den Kläger) beurteilbar sei, sei das MRT morphologisch unauffällig; es bestehe kein Anhalt für knöcherne Läsionen; die beschriebene Fertigung im Recessus sei am ehesten narbig bedingt.

Weiterhin hat der Neurologe B. S. mit Arztbrief vom 12.04.2004 berichtet, dass bei dem Kläger im Februar 2003 eine traumatische Schulterluxation rechts aufgetreten sei, die sich spontan reponiert habe. Seither habe er unter Schmerzen im Bereich der rechten Schulter sowie unter Gefühlsstörungen und einer Schwäche an der rechten Hand gelitten. Im Oktober 2003 sei ein operativer Eingriff am rechten Schultergelenk erfolgt. Er klage jetzt über ein anhaltendes Taubheitsgefühl der Finger III, IV und V an der rechten Hand, nächtlichen schmerzhaften Verkrampfungen und Zuckungen der Oberarmmuskulatur sowie über eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung in der rechten Schulter. Der Kläger sei Rechtshänder und könne wegen der Folgen der Verletzung seinen Beruf Industriemechaniker derzeit nicht ausüben. Er sei seit Oktober 2003 durchgehend arbeitsunfähig.

Dr.S. hat mit ärztlichem Befundbericht vom 23.06.2004 berichtet, dass der Kläger an einer Schulterinstabilität rechts seit Jahren (Luxation) leide. Der Kläger sei in der N.-Klinik B. am 09.10.2003 operiert worden. Es bestünden auch nach Krankenhausentlassung persistierende Schulterbeschwerden.

Dr.H. hat mit neurologisch-versorgungsärztlicher Begutachtung vom 09.07.2004 eine weitere Sachverhaltsaufklärung auf orthopädischem Fachgebiet für erforderlich erachtet. Der Chirurg und Unfallchirurg R. hat mit versorgungsärztlicher Stellungnahme nach Aktenlage vom 21.07.2004 hervorgehoben, dass hinsichtlich der geltend gemachten Gesundheitsstörung "Labrumablösung an der rechten Schulter, Schädigung des Plexusnervs" von einem vorgeschädigten Schultergelenk auszugehen sei, auch wenn ein Primärereignis nach Aktenlage nicht feststellbar sei. Unabhängig von der Ursache habe bei der Entlassung aus der Bundeswehr am 30.09.2003 eine behandlungsbedürftige "Stabilitätsminderung des rechten Schultergelenkes mit Belastungseinschränkung" vorgelegen.

Das Bayerische Landesamt für Versorgung und Familienförderung hat gegenüber dem Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen am 08.09.2004 berichtet, dass der Kläger unter dem 27.05.2003 einen Antrag auf Beschädigtenversorgung wegen einer am 23.01.2003 im Rahmen eines dienstlich angeordneten Schwimmens aufgetretenen Verletzung der rechten Schulter gestellt habe. Dr.H. sei in ihrer Stellungnahme vom 02.09.2004 schlüssig zu dem Ergebnis gekommen, dass die Verletzung der rechten Schulter angesichts der von dem Kläger zum Unfallhergang gemachten Angaben nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit auf den Wehrdienst zugeführt werden könne. Unabhängig davon habe der Kläger gemäß § 82 Abs.1 SVG einen auf drei Jahre nach dem Ausscheiden aus dem Wehrdienst befristeten Heilbehandlungsanspruch, wenn und soweit keine Leistungsverpflichtung der Krankenkasse bestehe.

Im Folgenden hat der Beklagte mit dem streitgegenständlichen Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung A. vom 20.10.2004 den Antrag auf Beschädigtenversorgung abgelehnt. Nach versorgungsärztlich-unfallchirurgischer Stellungnahme handele es sich bei der traumatischen Schulterluxation (unfallbedingte Ausrenkung des Schulterhauptgelenks) um ein hochschmerzhaftes Ereignis, welches einer erheblichen äußeren Gewalteinwirkung bedürfe, zum Beispiel Sturz auf den ausgestreckten Arm aus größerer Höhe oder Abgleiten des Körpers beim Festhalten am ausgestreckten Arm. Die fehlende Ruhigstellung nach einem solchen Ausrenkungsereignis habe sehr häufig wiederkehrende Ausrenkungen bei kleineren Anlässen zur Folge, die dann in wiederkehrende Schulterluxationen einmünden würden. Hierbei werde häufig beobachtet, dass Ausrenkungen oder Teilausrenkungen des Schultergelenks bereits bei ausfahrenden Bewegungen, Hebe- und Tragebelastungen, Ausüben von Liegestützen, Schwimmbewegungen oder Anziehen von Kleidungsstücken vorkämen. Ein echter Unfallcharakter komme hierbei nur dem Erstereignis zu, also der Ausrenkung mittels Gewalteinwirkung. Der von dem Kläger geschilderte Vorfall anlässlich des dienstlich angeordneten Schwimmens sei nach ärztlicher Stellungnahme nicht geeignet gewesen, ein zuvor intaktes Schultergelenk zur Ausrenkung zu bringen. Nach versorgungsärztlicher Auffassung hätte der Kläger bei einer gewaltsamen Ausrenkung des Schultergelenks keinesfalls am nächsten bzw. übernächsten Tag im Geländedienst Gepäck tragen oder kurz darauf Liegestützen vollführen können. Der gesamte Verlauf spräche für ein vorgeschädigtes Schultergelenk, sodass ein ursächlicher Zusammenhang dieser Gesundheitsstörung mit wehrdienstlichen Verrichtungen nicht wahrscheinlich sei.

Die (ehemaligen) Bevollmächtigten des Klägers haben mit Widerspruchsbegründung vom 14.01.2005 hervorgehoben, dass der Kläger kein vorgeschädigtes Schultergelenk gehabt habe. Die Angabe im ärztlichen Befundbericht vom 16.06.2004, der Kläger leide unter einer Schulterinstabilität rechts "seit Jahren", sei unrichtig. Bei Dr.S. habe sich der Kläger erst seit 17.06.2003 in ärztlicher Behandlung befunden.

Der Beklagte hat den Widerspruch vom 02.11.2004 gegen den Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung A. vom 20.10.2004 mit Widerspruchsbescheid des Bayerischen Landesamtes für Versorgung und Familienförderung vom 07.04.2005 zurückgewiesen. Dass eine Behandlung bei Dr.S. erst seit 17.06.2003 erfolgte, spräche nicht gegen seine Angabe, dass bereits seit Jahren eine Instabilität der Schulter vorliege. Es sei anzunehmen, dass es sich hierbei um eine Angabe aus der Anamnese handele.

Im Rahmen des sich anschließenden Klageverfahrens hat das Sozialgericht Augsburg die Akten des Beklagten und der Wehrbereichsverwaltung Süd beigezogen. Dort ist Folgendes aktenkundig:

- Oberfeldarzt Dr.E. vom 21.01.2003: Bereits vor zwei Wochen habe der Patient eine Subluxation des rechten Schultergelenkes beim Schwimmen erlitten. Der Humeruskopf sei spontan reponiert. Vor drei Tagen sei eine erneute Luxation aufgetreten nach dorsal. Mit der linken Hand habe der Patient den Humeruskopf durch Zug nach ventral reponiert. Es handelte sich wiederholt um ein inadäquates Trauma (Liegestütz). - Oberfeldarzt Dr.E. vom 30.01.2003: Unklarer Schulterschmerz, kein Anhalt auf stattgehabte Schulterluxation. Nach Beurteilung des MRT rechte Schulter und klinischer Untersuchung durch Oberarzt Dr.F. ist nicht von einer stattgehabten Schulterluxation auszugehen. Das MRT stellt sich ohne pathologischen Befund dar. Der Bewegungsumfang ist nicht eingeschränkt; der typische Apprehension-Test ist negativ, das Schultergelenk stellt sich in alle Richtungen stabil dar. - Oberfeldarzt Dr.E. vom 24.07.2003: Unklare anteriore Schulterinstabilität mit Slapläsion, Bizepssehnenteilruptur sowie untere Plexusläsion im Versorgungsgebiet des Nervus Ulnaris. - Bundeswehrkrankenhaus U. vom 24.07.2003: Januar 2003 erstmals Schmerzen, in den nächsten Tagen nach mehrfacher Belastung (Tragen schwerer Lasten, Liegestützen). - Unfallvermerk des Klägers: Unfallzeitpunkt 24.01.2003 um 10.00 Uhr in der Sporthalle W.kaserne. Am Vortag (Donnerstag), 23.01.2003, war Geländetag. Als wir vom Truppenübungsplatz zurückgelaufen sind, nahm ich das Gepäck von einem Kameraden, da er keine Kraft mehr hatte. Ich bemerkte da schon ein leichtes Ziehen in meiner rechten Schulter. Am Freitag beim Sport machten wir ein Zirkeltraining. Als ich Liegestützen machte, kam das Ziehen vom Vortag wieder. Nun war das Ziehen so stark, dass mir jede weitere Bewegung wehtat und ich mit dem Zirkeltraining aufhören musste. Ich meldete meine Schmerzen meinen Vorgesetzten, die umgehend einen Krankenwagen riefen.

Im Folgenden hat das Sozialgericht Augsburg mit Beweisanordnung vom 19.07.2005 Dr.P. gemäß § 106 Abs.3 Nr.5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zum ärztlichen Sachverständigen bestellt. Dieser hat mit chirurgisch-orthopädischem Gutachten vom 08.09.2005 zusammenfassend ausgeführt, eine Schulterluxation auf Grund des Verlaufes während des Ereignisses und nach demselben im Schwimmbad sei nicht wahrscheinlich. Dagegen spräche der Verlauf mit den nachfolgenden Befunden für eine eingetretene Subluxation, die sie bei dem beschriebenen akuten Verdrehvorgang des Schultergelenkes nachvollziehbar sei. Der Schwimmbadunfall sei somit die wesentliche Ursache der bestehenden Gesundheitsstörung im Sinne der Entstehung. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage ab Mai 2003 20 v.H.

Der Kläger hat mit Stellungnahme vom 12.12.2005 vorgetragen, er habe beim Schwimmen nach der zweiten Bahn am Beckenrand anschlagen und wenden wollen. Als er seinen rechten Arm nach vorne genommen habe, habe er ein starkes Ziehen an seiner rechten Schulter verspürt. Er sei die Bahn zu Ende geschwommen, habe nach der Stange gefasst, sich an den Beckenrand gezogen und auf die geflieste Stufe gestellt, die an der Beckenwand angebaut gewesen sei. Er sei von der Stufe abgerutscht, dabei sei ihm seiner Meinung nach die Schulter ausgekugelt, die aber sofort wieder in die Schulterpfanne zurückgesprungen sei. Er habe das Schwimmen daraufhin abgebrochen, sich angezogen und sei zum Truppenarzt gegangen, der sich die Schulter angeschaut habe, ihn einen Tag Marsch-Sport-Gelände (MSG) befreite und ihm Schmerztabletten gegeben habe.

Um Stellungnahme gebeten hat Dr.P. am 20.02.2006 ausgeführt, dass die Kausalität zwischen dem angeschuldigten Ereignis und dem jetzt bestehenden Handicap gegeben sei. Dr.H. hat mit chirurgisch-versorgungsärztlicher Stellungnahme nach Aktenlage vom 15.03.2003 erwidert, dass entgegen den Einlassungen des Gerichtsgutachters durch die nachgewiesene große Gelenktasche mit Ausstülbung des vorderen unteren Schultergelenkraumes eine ausgeprägte Formvariante gegeben sei, die zu einer außergewöhnlichen Luxationstendenz des Oberarmkopfes prädestiniere. Dass mehr für als gegen eine eingetretene habituelle Schultergelenksluxation bei der beschriebenen ausgeprägten Formvariante des Schultergelenkes spräche, werde weiterhin dadurch bewiesen, dass weder kernspintomographisch noch arthroskopisch Läsionen im Bereich des Schultergelenkes in Form von Einblutungen, Labrumdefekten, Kapselrissbildungen oder auch nur in Form von Signalstörungen des Knorpels oder Knochens zu erkennen gewesen seien, welche bei einem eingetretenen traumatischen Ereignis, wenn auch nur im Sinne einer Subluxation, stets hätten vorgefunden werden müssen.

Das Sozialgericht Augsburg hat mit Urteil vom 25.07.2006 der Klage teilweise stattgegeben und den Beklagten verurteilt, den Bescheid vom 20.10.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.04.2005 aufzuheben und beim Kläger eine "Instabilität der rechten Schulter" als Wehrdienstbeschädigung festzustellen. Im Übrigen ist die Klage abgewiesen worden. Hierbei hat sich das Sozialgericht Augsburg vor allem auf die gutachterlichen Ausführungen von Dr.P. mit chirurgisch-orthopädischem Gutachten vom 08.09.2005 und ergänzender Stellungnahme vom 20.02.2006 gestützt.

Die hiergegen gerichtete Berufung des Beklagten vom 08.09.2006 ging am selben Tag in Bayerischen Landessozialgericht ein. Der Kläger habe mehrere Versionen des "Unfallgeschehens" abgegeben. Das erstinstanzliche Gericht habe sich letztendlich für die letzte Version der Unfallschilderung entschieden ohne darzulegen, weshalb es die anderen Versionen für unglaubwürdig halte. Das erstinstanzliche Gericht habe es auch nicht für nötig befunden, auf die chirurgischen Stellungnahmen des Beklagten vom 16.11.2005 sowie vom 15.03.2006 einzugehen bzw. sich mit ihnen auseinanderzusetzen. In dem beiliegenden chirurgischen Gutachten habe sich der Beklagte nochmals mit sämtlichen Varianten der Einlassungen des Klägers auseinandergesetzt und mögliche Kausalzusammenhänge überprüft. Nach Auswertung aller abgelieferten Einlassungsschilderungen könne man zu keiner anderen Schlussfolgerung kommen, als dass auf Grund der nachgewiesenen Veränderungen der Schultergelenkskapsel eine habituelle Luxationsneigung des rechten Schultergelenkes vorgelegen habe. Letztendlich müsse daher das dienstlich angeordnete Schwimmen als Gelegenheitsursache für die Verletzung des Klägers angesehen werden. Dr.K. H. hat mit chirurgisch-versorgungsärztlicher Stellungnahme nach Aktenlage vom 23.08.2006 herausgearbeitet, dass im Detail sogar fünf voneinander divergierende Unfallschilderungen des Klägers aktenkundig seien. Es werde erneut darauf hingewiesen, dass eine eingetretene Luxation des Schultergelenkes ein hochschmerzhaftes Ereignis darstelle, das keine weitere Schulterbewegung mehr zulasse und auch bei einem Erstereignis nicht eigentätig behoben werden könne, wie dies der erstinstanzliche Gerichtsgutachter selbst betont habe. Fest stehe auch, dass durch die nachfolgenden kernspintomographischen und arthroskopischen Untersuchungen keine Läsionen im Bereich des Schultergelenkes in Form von Einblutungen, Labrumdefekten, Kapselrissbildungen oder auch nur in Form von Signalstörung des Knorpels oder Knochens zu erkennen gewesen seien, welche bei einem eingetretenen traumatischen Ereignis, wenn auch nur im Sinne einer Subluxation, hätten regelmäßig vorgefunden werden müssen.

Von Seiten des Bayerischen Landessozialgerichts wurden die erstinstanzlichen Unterlagen sowie die Versorgungsakten des Beklagten und die der Wehrbereichsverwaltung Süd beigezogen. Auf Nachfrage berichtete Dr.W. mit Nachricht vom 11.10.2006 als Nachfolgerin von B. S. , in der Akte werde als Schulterluxationsdatum lediglich der Februar 2003 genannt; genauere Datumsangaben fänden sich nicht. In dem bereits vorliegenden Arztbrief vom 12.04.2004 sei detailgenau alles dokumentiert, was in der noch vorliegenden Karteikarte handschriftlich vermerkt sei. Darüber hinausgehende Informationen seien der Karteikarte nicht zu entnehmen.

Die Bevollmächtigten des Klägers übermittelten mit Schriftsatz vom 16.11.2006 bereits aktenkundige Unterlagen, vor allem die letzte Unfallschilderung des Klägers vom 13.11.2006.

Der Beklagte hob mit Schriftsatz vom 04.01.2007 hervor, dass entsprechend der beigefügten chirurgisch-versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr.H. vom 20.12.2006 die letzte Unfallschilderung des Klägers nicht glaubhaft sei.

Die Bevollmächtigten des Klägers verwiesen mit Schriftsatz vom 12.01.2007 vor allem auf die erstinstanzlichen Akten und Unterlagen des Sozialgerichts Augsburg.

In der mündlichen Verhandlung vom 09.10.2007 stellte der Bevollmächtigte des Beklagten den Antrag,

das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 25.07.2006 - S 11 VS 9/05 - aufzuheben und die Klage als unbegründet abzuweisen.

Die Bevollmächtigte des Klägers beantragt,

die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird gemäß § 202 SGG i.V.m. § 540 der Zivilprozessordnung (ZPO) sowie entsprechend § 136 Abs.2 SGG auf die Unterlagen des Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten ist gemäß §§ 143, 144 und 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig und begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 25.07.2006 - S 11 VS 9/05 ist aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 20.10.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.04.2005 abzuweisen.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Versorgung gemäß §§ 80, 81 des Soldatenversorgungsgesetzes (SVG) auf Grund der fraglichen Schulterluxation im Januar oder Februar 2003 im Rahmen eines sog. "dienstlichen Schwimmens".

Gemäß § 81 Abs.1 SVG ist eine Wehdienstbeschädigung eine gesundheitliche Schädigung, die durch eine Wehrdienstverrichtung, durch einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall oder durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist. Ein Unfall wird in § 27 Abs.2 SVG als ein auf äußere Einwirkung beruhendes, örtlich und zeitlich bestimmbares, einen Körperschaden verursachendes Ereignis definiert. Ein Dienstunfall ist ein Unfall, der in Ausübung oder infolge des Dienstes eingetreten ist, also ursächlich auf den Dienst zurückzuführen ist (Sailer in Wilke, Soziales Entschädigungsrecht, 7. Auflage, Rz.16 zu § 81 SVG m.w.N.). Eine Versorgung wird nur gewährt, wenn ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einem schädigenden Vorgang und der anerkannten Gesundheitsstörung gegeben ist. Dabei ist eine mehrgliedrige Kausalkette zu unterscheiden. Das erste Glied ist der schädigende Vorgang, nämlich zum Beispiel ein Unfall während der Ausübung des Dienstes. Das zweite Glied bildet die durch den schädigenden Vorgang hervorgerufene gesundheitliche Schädigung. Das dritte Glied stellt die Folge der gesundheitlichen Schädigung, die Gesundheitsstörung dar, die auch als Versorgungsleiden bzw. Wehrdienstbeschädigungsfolge bezeichnet wird. Es muss ein Zusammenhang zwischen dem ersten und zweiten sowie zwischen dem zweiten und dritten Glied, letztlich also eine geschlossene Kausalreihe vorhanden sein (Fehl in Wilke, Soziales Entschädigungsrecht, 7. Auflage, Rz.61 ff. zu § 1 BVG).

Hier ist bereits das erste Glied zweifelhaft. Das genaue Unfalldatum ist ungeklärt. Der Kläger hat mit Erstantrag vom 27.05.2003 einen Schwimmunfall am 24.01.2003 angegeben. Am Folgetag (25.01.2003?) sei er durch den Truppenarzt MSG geschrieben worden. Den Tag danach (26.01.2003?) habe er einen Marsch von ca. sechs Kilometer mit Gepäck zurückgelegt. Den Tag nach dem Marsch (27.01.2003?) habe er Sport gehabt. Als er Liegestützen gemacht habe, sei ihm die Schulter wieder herausgerutscht.

In Auswertung der Akten der Wehrbereichsverwaltung Süd ist entsprechend dem Bericht des Oberfeldarztes Dr.E. vom 27.01.2003 eine Subluxation des rechten Schultergelenkes beim Schwimmen "bereits vor zwei Wochen" (= 13.01.2003?) angeschuldigt worden. Dr.W. hat als Praxisnachfolgerin von B. S. mit Schreiben vom 11.10.2006 bekräftigt, dass aktenkundig als Schulterluxationsdatum lediglich der Februar 2003 genannt werde. Auch in der mündlichen Verhandlung vom 09.10.2007 hat das genaue Datum der angeschuldigten Schulter(sub)luxation im Rahmen des dienstlichen Schwimmens im Januar (oder Februar) 2003 nicht geklärt werden können.

Unabhängig davon hat Dr.H. mit chirurgisch-versorgungsärztlicher Stellungnahme vom 23.08.2006 zutreffend herausgearbeitet, dass nach Aktenlage insgesamt fünf verschiedene Unfallversionen aktenkundig sind:

- Im Rahmen des Erstantrages auf Beschädigtenversorgung vom 27.05.2003 hat der Kläger angegeben: "Beim Schwimmen wollte ich nach der zweiten Bahn am Beckenrand anschlagen und wenden. Als ich meinen rechten Arm nach vorne nahm, rutschte mir meine Schulter raus." - In der Anamnese nach eingehender Befragung wird für Donnerstag, den 23.01.2003 folgender Vorgang geschildert: "Nach etwa 40 Meter Kraulen, das heißt vorhergegangener Wende im 25-Meter-Bad, Krampf in der rechten Wade, sodass er nur mit Mühe, die am Beckenrand fixierte quer verlaufende Stange, erreichte, sich daran festhielt und sich auf den darunter liegenden Sockel stellte. Aus unklarem Grund (anhaltender Krampf?) sei er jedoch vom Sockel abgerutscht, habe sich jedoch mit dem rechten Arm an der Stange festgehalten und sei links rotierend nach unten abgesunken. Danach Schmerzen in der rechten Schulter, bei jedoch weiter vorhandener Beweglichkeit." - Im Rahmen der Klageerhebung vom 22.04.2005: "Der Kläger hielt sich beim Schwimmen während der Ausübung seines Wehrdienstes an einer Haltestange des Beckenrandes fest. Als er mit den Füßen vom Trittsockel ausrutschte, kugelte er sich die Schulter kurzfristig aus, wobei die Schulter direkt im Anschluss daran wieder selbständig in die Schulterpfanne sprang. Zwei Tage später sprang die Schulter erneut beim Sport gänzlich aus dem Gelenk und es kam dabei zu den nun vorliegenden Schädigungen." - Schreiben der Bevollmächtigten des Klägers vom 03.04.2006: "Der Kläger bestätigte mit Schreiben vom 12.12.2005, dass er zwar die Bahn zu Ende geschwommen habe, dann nach der Treppenstange fasste und beim Aussteigen von der Treppe abrutschte. Hierbei hielt er sich weiterhin an der Treppenstange fest, sodass ein Zug auf das Schultergelenk stattfand, welches zur Schulterluxation führte." - Stellungnahme des Klägers vom 12.12.2005: "Beim Schwimmen wollte ich nach der zweiten Bahn am Beckenrand anschlagen und wenden. Als ich meinen rechten Arm nach vorne nahm, verspürte ich ein starkes Ziehen in meiner rechten Schulter. Ich schwamm die Bahn zu Ende, fasste nach der Stange, zog mich an den Beckenrand und stellte mich auf die geflieste Stufe, die an der Beckenwand angebaut war. Ich rutschte von der Stufe ab, dabei kugelte ich (meiner Meinung nach) die Schulter aus, die aber sofort wieder in die Schulterpfanne zurücksprang. Ich brach das Schwimmen daraufhin ab, zog mich an und ging zum Truppenarzt, der sich die Schulter anschaute, mich einen Tag Marsch-Sport-Gelände(MSG) befreite und mir Schmerztabletten gab. Zwei Tage später, am Donnerstag den 23.01.2003 hatten wir einen Geländetag, der einen Marsch mit Gepäck beinhaltete. Als wir auf dem Rückmarsch waren, konnte einer meiner Kameraden seine Ausrüstung nicht mehr tragen, sodass ich den Rucksack zusätzlich zu meiner Ausrüstung aufnahm. Als wir wieder in der Kaserne ankamen, hatte ich starke Schmerzen in meiner rechten Schulter, worauf ich wieder zum Truppenarzt ging. Der Truppenarzt sagte zu mir, dass es ein normaler Muskelkater sei, und fragte, ob ich noch Schmerztabletten habe, die ich nehmen kann."

Hinsichtlich der letztgenannten fünften Version fällt auf, dass der Kläger im Rahmen des Unfallvermerkes vom 24.01.2003, der sich in der WDB-Akte der Wehrbereichsverwaltung Süd befindet, Folgendes schildert: "Am Vortag (Donnerstag), 23.01.2003 war Geländetag. Als wir vom Truppenübungsplatz zurückgelaufen sind, nahm ich das Gepäck von einem Kameraden, da er keine Kraft mehr hatte. Ich bemerkte da schon ein leichtes Ziehen in meiner rechten Schulter. Am Freitag beim Sport machten wir ein Zirkeltraining. Als ich Liegestützen machte, kam das Ziehen vom Vortag wieder. Nun war das Ziehen so stark, dass mir jede weitere Bewegung wehtat und ich mit dem Zirkeltraining aufhören musste. Ich meldete meine Schmerzen meinen Vorgesetzten, die umgehend einen Krankenwagen riefen." Insoweit handelt es sich um die sechste Version des Gesamt-Geschehensablaufs von mehreren Schulter(sub)luxationen.

Weiterhin fehlt es an dem dritten Glied der eingangs beschriebenen Kausalkette. Aktenkundig unstreitig hat bei dem Kläger bei Beendigung des Wehrdienstes 30.09.2003 eine behandlungsbedürftige Schulterverletzung vorgelegen. Diese kann jedoch nicht kausal im Sinne des Versorgungsrechts auf die fragliche Schulter(sub)luxation im Rahmen des dienstlichen Schwimmens im Januar (oder Februar) 2003 zurückgeführt werden. Denn bereits Dr.S. hat mit Befundbericht vom 23.06.2004 mitgeteilt, dass der Kläger "seit Jahren" an einer Schulterinstabilität rechts (Luxation) leidet. Auch wenn sich der Kläger erst seit dem 17.06.2003 bei Dr.S. in Behandlung befunden hat, bestehen keinerlei Zweifel, dass dessen anamnestisch erhobene Daten zutreffend sind. Denn das Bundeswehrkrankenhaus U. hat zeitnah mit MRT des rechten Schultergelenkes vom 30.01.2003 Folgendes festgestellt: Die STIR-Sequenzen zeigen kein bone bruise, im Gelenkbinnenraum keine vermehrten Flüssigkeitsansammlungen. Keine Signalstörungen des Knorpels. Keine Kontinuitätsunterbrechung der Supraspinatussehne und anderer Strukturen der RM. Nach caudal etwas betonter und etwas verdickt wirkender Gelenkrecessus. Labrum inferior und superior des Cavum glenoidale, insbesondere auf den transversalen T1-Sequenzen aber regelrecht abgrenzbar. Beurteilung: Soweit bei fehlender Kontrastierung (Ablehnung der Schulterfüllung mit Kontrastmittel durch den Kläger) beurteilbar, MR-morphologisch unauffälliges Schultergelenk, kein Anhalt für knöcherne Läsionen. Beschriebene Verdickung im Recessus am ehesten narbig bedingt. Oberstabsarzt S. hat insoweit mit Arztbrief vom 31.01.2003 einen Zustand nach Schulterluxation, zweimalig, nach dorsal nach inadäquatem Trauma diagnostiziert.

Auch Oberfeldarzt Dr.E. hat mit Bericht vom 27.01.2003 eine "Subluxation des rechten Schultergelenkes" anamnestisch erhoben. Weiterhin hat Oberfeldarzt Dr.E. am 30.01.2003 bekräftigt, dass nicht von einer stattgehabten Schulterluxation auszugehen ist. Das MRT stellt sich ohne pathologischen Befund dar. Der Bewegungsumfang ist nicht eingeschränkt, der typische Apprehension-Test ist negativ, das Schultergelenk stellt sich in alle Richtungen stabil dar.

Weiterhin ist zu beachten, dass Dr.K. am 19.02.2003 arthroskopisch festgestellt hat, dass eine vordere Schulterinstabilität rechts mit Schnappphänomen beim Subluxieren vorliegt und eine große vordere und untere Gelenktasche mit Ausdehnung des inferioren Glenohumoralgelenkes als Formvariante vorliegt. In diesem Zusammenhang hat der erstinstanzlich bestellte gerichtliche Sachverständige Dr.P. auf Seite 16 seines Gutachtens vom 08.09.2005 eingeräumt, Ursache war die Darstellung einer großen vorderen und unteren Gelenktasche mit Ausdehnung in den unteren Gelenkanteil. Das führte konsequenterweise zu der Operation des Shrinkings, das heißt der Schrumpfung der Kapsel und des unteren Recessus. Es handelte sich also um eine nach dem Ereignis erstmals nachgewiesene Veränderung ausschließlich im Bereich der Kapselanteile des Gelenks. Eine Subluxation, das heißt das Springen des Oberarmkopfes auf das Labrum bzw. den Pfannenrand, ist aus dieser Konstellation ableitbar. Ob diese von der Norm abweichende Kapselveränderung bereits vor dem Ereignis bestanden hat oder erst durch die entzündlichen Reaktionen auf das Ereignis eingetreten ist, kann nicht mit letzter Sicherheit beurteilt werden. Die Wahrscheinlichkeit spricht jedoch für ein Vorbestehen, da nur so die Subluxation denkbar ist. Rechtlich ist das Herausspringen der rechten Schulter aus dem Schultergelenk somit als Gelegenheitsursache einzustufen. Hierfür besteht jedoch gem. §§ 80 ff. SVG keine Entschädigungspflicht.

Bekräftigend weist Dr.H. nochmals mit chirurgisch-versorgungsärztlicher Stellungnahme nach Aktenlage vom 23.08.2006 darauf hin, dass eine eingetretene Luxation des Schultergelenkes ein hochschmerzhaftes Ereignis darstellt, das keine weitere Schulterbewegung mehr zulässt und auch bei einem Erstereignis nicht eigentätig behoben werden kann, wie dies auch Dr.P. selbst betont hat. Fest steht auch, dass durch die nachfolgende kernspintomographischen und arthroskopischen Untersuchungen keine Läsionen im Bereich des Schultergelenkes in Form von Einblutungen, Labrumdefekten, Kapselrissbildungen oder auch nur in Form von Signalstörung des Knorpels oder Knochens zu erkennen waren, welche bei einem eingetretenen traumatischen Ereignis, wenn auch nur im Sinne einer Subluxation, hätten regelmäßig vorgefunden werden müssen.

Auf Grund der Gesamtschau der Akten ist der Senat davon überzeugt, dass der Kläger um den 21.01.2003 herum im Rahmen eines sog. "dienstlichen Schwimmens" ein Herausschnappen des Schultergelenkes erlitten hat. Dieses Herausschnappen ist jedoch von ihm selbst reponierbar gewesen. Dieses relativ geringfügige Trauma (andernfalls hätte der Kläger an den Folgetagen nicht an einem Marsch von sechs Kilometer mit Gepäck bzw. dem dienstlichen Sport samt Liegestützen teilnehmen können) ist jedoch nicht ursächlich auf den angeschuldigten Schwimmunfall zurückzuführen. Es handelt sich vielmehr um eine Gelegenheitsursache bei einem habituell veränderten Schultergelenk (Nachgewiesene große Gelenktasche mit Ausstülpung des vorderen unteren Schultergelenksraumes).

Nach alledem ist das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 25.07.2006 - S 11 VS 9/05 - aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 20.10.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.04.2005 abzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved