L 2 U 314/06

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 98 U 738/04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 2 U 314/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 6. November 2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Anerkennung eines Unfalls als Wegeunfall und die Gewährung von Entschädigungsleistungen.

Die 1979 geborene Klägerin studierte seit dem Wintersemester 1999/2000 an der R Universität H (RKU) Psychologie. Sie setzte im Februar 2002 ihr Studium an der A C University (ACU), M, fort, während sie an der RKU weiterhin immatrikuliert, aber beurlaubt war. Sie wollte ihr Studium u.a. in den Bereichen " vertiefen und ergänzen. Der Aufenthalt fand im Rahmen eines Austauschprogramms statt, das nach Angaben der RKU auf einer Vereinbarung zwischen der ACU und dem Ministerium für Wissenschaft und Forschung des Landes Baden-Württemberg vom 28. Juni 1999 beruhte. Nach Nr. 11 der Vereinbarung zwischen der ACU und dem Ministerium vom 28. Juni 1999 bleiben die Studenten als normale, akademischen Grad erwerbende Studenten an ihrer einheimischen Institution immatrikuliert und werden nicht als Diplomerwerber an der Gastinstitution immatrikuliert. Scheine für das Diplom des Austauschstudenten müssen bei der einheimischen Institution erworben werden. Von den Studenten wird erwartet, dass sie das Äquivalent eines Vollzeitkurses an der Gastinstitution belegen. Zum Austausch von Personal ist unter B 1. der Vereinbarung ausgeführt: "Die Parteien erkennen die Wichtigkeit von regelmäßigen beruflichen Kontakten zur Unterstützung und Erweiterung des Programms zum Austausch von Studenten. Aus diesem Grund kommen diese überein, Programme, Tätigkeiten und Vereinbarungen zu entwickeln, um den gegenseitigen Austausch von Wissen und Lehrkräften von ihren jeweiligen Hochschulinstitutionen zu fördern und zu unterstützen". Das Austauschprogramm wurde von der Universität Freiburg koordiniert, wobei ein Platz für einen Studierenden der Universität Heidelberg zur Verfügung stand. Die Klägerin, die in ihrer Bewerbung für das australische Studienjahr im Mai 2001 als erste Prioriät die Universität M angegeben hatte, während die ACU an zweiter Stelle stand, wurde nach Auskunft des Dezernats für Internationale Angelegenheiten der RKU (vom 26. August 2003- Bl. 53 Verwaltungsakten) unter 24 Heidelberger Studierenden für das Austauschprogramm nominiert, weil sie u.a. über ein konkretes und gut durchführbares Studienvorhaben an der Gastuniversität und eine überzeugende Begründung für den Auslandsaufenthalt verfügte.

Die Klägerin verunglückte am 10. April 2002, als sie nach Absolvierung einer Prüfung im Fach Psychologie mit dem Fahrrad auf dem Weg von der ACU zu ihrer Wohnung in M von einem PKW angefahren wurde. Sie erlitt ein schweres Schädelhirn-Trauma mit multiplen Hirnblutungen, in deren Folge sie unter einer schweren cerebralen Leistungsinsuffizienz leidet.

Auf die vom Studentenwerk H übersandte Unfallanzeige der Mutter und Betreuerin der Klägerin hin hielt die Beklagte mehrere Rückfragen zur Abwicklung des Austauschprogramms bei der RKU, die unter anderem mitteilte, dass das Austauschprogramm an der ACU durch das International Office betreut werde.

Mit Bescheid vom 18. Dezember 2003 lehnte die Beklagte eine Entschädigung des Ereignisses vom 10. April 2002 als Arbeitsunfall ab. Der Studienaufenthalt sei kein fester Bestandteil des Studienganges an der Heimathochschule. Es werde lediglich die Möglichkeit gegeben, einen Studienabschnitt im Ausland durchzuführen. Die Studenten müssten sich selbst um ihre Unterkunft, die Gebühren und ihren Kranken- und Unfallversicherungsschutz kümmern. Eine organisatorische Anbindung an die Heimathochschule bestehe nicht. Es reiche nicht aus, wenn Lehrveranstaltungen an der Auslandshochschule im Vorhinein vom Fachbereich der Heimathochschule genehmigt würden, der an der Gasthochschule vorgesehene Studienplan einzuhalten, jede Änderung der Heimathochschule unverzüglich mitzuteilen und nach Abschluss des Aufenthaltes eine Bescheinigung der Gasthochschule über die Durchführung des Studienprogramms vorzulegen seien, ohne dass die Heimathochschule vor Ort Einfluss nehmen könne. Eine derartige Möglichkeit der Einflussnahme habe nicht nachgewiesen werden können.

Mit dem Widerspruch hiergegen machte die Klägerin durch ihre Bevollmächtigten geltend, bei jedem Studiengang werde eine teilweise Ausbildung an einer geeigneten ausländischen Universität gefördert und aktiv unterstützt. Ein Unterschied zu dem Erasmus-Programm, dem Mobilitätsprogramm der EU, bei dessen Durchführung die Beklagte den Fortbestand des Unfallversicherungsschutzes gegenüber der RKU ausdrücklich bestätigt habe, sei nicht erkennbar. Die RKU habe Zeit, Ort, Form und Dauer des Aufenthaltes maßgeblich mitbestimmt. Über das "International Office", das mit einem Professor der Gast-Universität besetzt sei, bestehe regelmäßig Kontakt mit der Heimatuniversität. Über diesen Kontakt erfolge eine Beratung und in gewissem Umfang auch eine Kontrolle der Studenten. Eine engere Verknüpfung bestehe auch im Rahmen des Erasmus-Programms nicht.

Durch Widerspruchsbescheid vom 26. Oktober 2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Mit der Aufnahme der Studien an der ACU habe sich die Klägerin aus dem organisatorischen Verantwortungsbereich der RKU entfernt, die keine Möglichkeit gehabt habe, auf den Studienbetrieb in Australien einzuwirken. Eine Verletzung des Gleichbehandlungsprinzips sei nicht erkennbar, weil eine organisatorische und rechtliche Verantwortung der RKU für das Auslandsstudium nicht zu erkennen sei.

Mit der dagegen vor dem Sozialgericht Berlin erhobenen Klage haben die Bevollmächtigten der Klägerin ihr Vorbringen vertieft und Auskünfte des Dezernats Internationale Angelegenheiten /Akademisches Auslandsamt der RKU vom 17. November 2004, 13. April 2005, 2. Dezember 2005 und 9. März 2006 eingereicht. Darin wird darauf hingewiesen, dass es aufgrund der Austauschvereinbarung "durchaus möglich sei, einen organisatorischen Verantwortungsbereich der Universität zu sehen" (Bl. 46 der Gerichtsakten). Für die Teilnahme an dem Austauschprogramm werde ein Auswahlgespräch durchgeführt, das von zwei Dozenten der Universität und einer Vertreterin des Akademischen Auslandsamtes geführt worden sei. Daraufhin sei die Klägerin von der Universität H für das Programm nominiert worden. Sie habe sich nicht individuell an der Gasthochschule beworben. Die Universität führe ein Vorbereitungsseminar für Teilnehmer an Austauschprogrammen durch. Das Akademische Auslandsamt unterstütze die Teilnehmer bei Visaverfahren und ähnlichem. Alle Korrespondenz zur Organisation des Austausches werde zwischen dem Akademischen Auslandsamt und dem International Office der ACU geführt. Zeit, Ort, Form und Dauer des Aufenthaltes seien durch die Teilnahme am Austauschprogramm eindeutig festgelegt. Austauschstudenten absolvierten im Ausland ein reguläres Studium, die dort erworbenen Studienleistungen würden in Absprache mit den Studienberatern der Fächer an den Heimathochschulen anerkannt, es fehle nur die Möglichkeit, an den Abschlussprüfungen der Gasthochschule teilzunehmen. In der gängigen Praxis bestünden zwischen dem Erasmus- und anderen Austauschprogrammen mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede.

Demgegenüber hat die Beklagte auf die Unterschiede zum Erasmus-Programm verwiesen, die u.a. darin bestünden, dass der organisatorische Einfluss der Heimatuniversität nur beiläufig

geregelt sei, insbesondere kein spezieller Programmbeauftragter für die einzelnen Fächer benannt sei, der den Ablauf koordiniere.

Durch Urteil vom 6. November 2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung von Studierenden im Geltungsbereich des Sozialgesetzbuch (SGB) VII bleibe nicht ohne weiteres aufrechterhalten, wenn das Studium im Ausland fortgesetzt werde. Entscheidend sei, ob der Auslandsaufenthalt eine in das Ausland ausstrahlende Maßnahme oder Veranstaltung der deutschen Hochschule sei bzw. der organisatorische Verantwortungsbereich der Universität auch die Durchführung der dem Studium dienenden Verrichtungen erfasse. Der Auslandsaufenthalt werde dem gegenüber zwar den Studierenden dringend empfohlen, sei aber kein fester Bestandteil des Studiums. Es sei der Klägerin vielmehr weitestgehend freigestellt gewesen, welche Kurse sie habe belegen wollen, solange das Äquivalent eines Vollzeitkurses an Vorlesungen besucht werde. Eine enge organisatorische Anbindung an die Heimatuniversität sei nicht gegeben, weil die im Ausland erworbenen Scheine nur nach Rücksprache mit Dozenten in Deutschland anerkannt würden. Es liege auch keine gegen Art. 3 des Grundgesetzes verstoßende Ungleichbehandlung gegenüber den Teilnehmern am Erasmus-Programm vor. Die Frage, ob der Schutz der Unfallversicherung im Ausland bestehe, sei allein anhand der in den § 2 Abs. 1 Nr. 8 c SGB VII bzw. § 4 SGB IV enthaltenen Tatbestandmerkmale zu beurteilen. Eine etwaige Verwaltungspraxis der Beklagten zu anderen Austauschprogrammen entfalte für das Gericht keine Bindungswirkung.

Mit ihrer Berufung macht die Klägerin durch ihre Bevollmächtigten geltend, entgegen der Auffassung des Sozialgerichts werde das Studienprogramm an der australischen Gasthochschule bereits vor Beginn des Auslandsaufenthalts an der Heimatuniversität festgelegt. Es erfolge frühzeitig eine ausführliche Klärung zwischen den Studierenden und den Fachstudienberatern, um die Anerkennung der im Ausland angestrebten Studienleistungen zu gewährleisten. Die Auswahl der Veranstaltungen sei an die Bedingungen geknüpft, dass das Niveau der Veranstaltungen dem Ausbildungsstand an der Heimatuniversität und der zeitliche Umfang dem eines "full-time-Student" entspräche und dass die Veranstaltungen für das Fachstudium anerkannt werden könnten. Zeit, Form und Dauer des Aufenthaltes würden durch das Auswahlverfahren an der Heimatuniversität bestimmt.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 6. November 2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 18. Dezember 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 2004 aufzuheben und festzustellen, dass der Verkehrsunfall vom 10. April 2002 ein Wegeunfall ist und diesen als Arbeitsunfall zu entschädigen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und weist darauf hin, dass sich die Klägerin mit der Aufnahme der Studien an der ACU in den Verantwortungsbereich dieser Hochschule begeben habe.

Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Ferner wird auf den weiteren Inhalt der Gerichtsakte, der Akte des Sozialgerichts und des die Klägerin betreffenden Verwaltungsvorgangs der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Aufhebung der angefochtenen Bescheide und Feststellung, dass der Verkehrsunfall auf dem Weg von der ACU zu ihrer Wohnung in M einen Wegeunfall im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII darstellt. Nach dieser Vorschrift gilt als Arbeitsunfall auch ein Unfall auf einem mit den in §§ 2, 3 und 6 SGB VII genannten Tätigkeiten zusammenhängenden Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit. Die Klägerin war als Studierende nach § 2 Abs. 1 Nr. 8 c SGB VII während der Aus- und Fortbildung an einer Hochschule versichert. Diese Versicherung bestand aber wegen der Sonderregelung des § 2 Abs. 3 S. 2 SGB VII nur, solange die genannte Tätigkeit im Inland ausgeübt wurde, sofern nicht § 4 SGB IV entsprechend anzuwenden war. Bei Tätigkeiten von Studenten im Ausland besteht danach nur Unfallversicherungsschutz, wenn es sich um eine in das Ausland ausstrahlende Maßnahme oder Veranstaltung einer deutschen Hochschule handelt. Maßgeblich hierfür ist, ob der Auslandsaufenthalt noch dem organisatorischen Verantwortungsbereich der Universität zugerechnet werden kann. Dies ist dann der Fall, wenn dieser Verantwortungsbereich der Universität auch die Durchführung der dem Studium im Ausland dienenden Verrichtungen erfasst (vgl. BSG, Urteil vom 30. Juni 1993, 2 RU 43/92, SozR 3-2200 § 539 Nr. 26).

Von diesen Grundsätzen ausgehend stand die Klägerin im Unfallzeitpunkt nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Dies hat das Sozialgericht unter Würdigung der verschiedenen Auskünfte der RKU zutreffend dargelegt. Der Senat verweist insoweit gemäß § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung. Das Vorbringen der Bevollmächtigten der Klägerin im Berufungsverfahren führt zu keinem anderen Ergebnis. Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls waren die Einflussmöglichkeiten der RKU auf den Aufenthalt der Klägerin in M nicht ausgeprägt genug, um noch einen organisatorischen Verantwortungsbereich der RKU annehmen zu können. Zwar ist der Klägerin zuzugeben, dass Zeit, Ort und Dauer des Aufenthalts dadurch festgelegt waren, dass sie an dem Austauschprogramm teilgenommen hat. Denn trotz der ursprünglichen Präferenz für die Universität M nahm die Klägerin aufgrund der organisatorischen Einflussnahme der RKU ihre Studien an der ACU auf. Der Einfluss der RKU beschränkte sich jedoch auf diesen äußeren Rahmen, während die Ausgestaltung des Aufenthaltes vor Ort diesem organisatorischen Verantwortungsbereich entzogen war. Insoweit unterlag der Teilnehmer an dem Austauschprogramm nur den Vorgaben, Veranstaltungen zu besuchen, die seinem Ausbildungsstand entsprachen, einen ausreichenden zeitlichen Umfang hatten und bei denen die Möglichkeit bestand, dass sie für das Fachstudium im Heidelberg anerkannt wurden. Daran, dass die Frage der Anerkennungsfähigkeit der einzelnen "Scheine" im Vorhinein zu klären war, wird deutlich, dass gerade keine Weisungs- und Kontrollrechte über die zu besuchenden Lehrveranstaltungen bestanden, sondern von der inländischen Universität geprüft wurde, ob die in einem anderen organisatorischen Zusammenhang zu erwerbenden Leistungsnachweise als den Anforderungen der RKU entsprechend zu bewerten seien. Die von der Klägerin dargestellte enge Anbindung an die Heimatuniversität als solche ersetzt das Erfordernis eines nach wie vor bestehenden organisatorischen Verantwortungsbereiches nicht. Dabei hatte der Senat nicht zu prüfen, ob das durchgeführte Austauschprogramm mit dem Mobilitäts-Programm der EU vergleichbar ist. Abgesehen davon, dass im Rahmen des Erasmus-Programms im Vorhinein eine formelle Anerkennung des im Ausland zu absolvierenden Studienabschnitts vorgesehen ist, ist die Erfüllung des Tatbestandes der Ausstrahlung im Sinne des § 4 SGB IV anhand objektiver Kriterien zu überprüfen. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass ein Auslandsaufenthalt während des Studiums "politisch gewollt" ist. Denn insoweit ist es Sache des Gesetzgebers, zu entscheiden, ob ein weitergehender Unfallversicherungsschutz, wie er etwa in § 2 Abs. 3 S. 3 SGB VII für Nothelfer und andere geregelt ist, diesen Erfordernissen Rechnung tragen soll. Die nach § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG zu treffende Kostenentscheidung berücksichtigt, dass die Berufung keinen Erfolg hat.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.
Rechtskraft
Aus
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