L 19 B 150/07 AS ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 9 AS 152/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 B 150/07 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerden der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Detmold vom 17.08.2007 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 12.10.2007 geändert. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Widerspruchsbescheid der Antragsgegnerin vom 27.09.2007 wird angeordnet, soweit hierdurch der Widerspruch gegen den Bescheid vom 22.11.2006 zurückgewiesen worden ist. Im Übrigen werden die Beschwerden zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin hat den Antragstellern 1/4 der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.

Gründe:

Die 1948 und 1952 geborenen Antragsteller leben gemeinsam mit ihrem 1985 geborenen Sohn, der in einem Ausbildungsverhältnis steht, in einer Wohnung, die sich im Haus der Eltern des Antragstellers zu 1) befindet. Die Antragsgegnerin bewilligte den Antragstellern mit Bescheid vom 18.06.2006 Grundsicherungsleistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 01.10.2006 bis 28.02.2007, hob diese Bewilligung aber ab dem 01.12.2006 im Hinblick auf eine Veränderung der Einkommensverhältnisse der Antragstellerin zu 2) auf (Bescheid vom 22.11.2006). Gegen beide Bescheide legten die Antragsteller Widerspruch ein.

Eine Bewilligung von Grundsicherungsleistungen ab März 2007 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 05.06.2007 im Hinblick auf die ihres Erachtens ungeklärten Vermögensverhältnisse der Antragsteller ab. Auch hiergegen legten die Antragsteller Widerspruch ein.

Am 04.06.2006 haben sie beim Sozialgericht (SG) Detmold beantragt,

1.den Rücknahmebescheid der Antragsgegnerin vom 22.11.2006 aufzuheben,
2.die Antragsgegnerin sofort zu verpflichten, ihnen vorläufige Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts i.H.v. 80 % der Regelleistungen sowie Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen, derzeit 684,58 EUR, zu gewähren,
hilfsweise, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 14.12.2006 gegen den Rücknahmebescheid der Antragsgegnerin vom 22.11.2006 anzuordnen.

Sie haben unter Vorlage eidesstattlicher Versicherungen geltend gemacht, über ein ausreichendes Vermögen bzw. Einkommen zur Bestreitung ihres notwendigen Lebensunterhaltes nicht zu verfügen. Die an den Vater des Antragstellers zu 1) entrichtete Miete sei von der Antragsgegnerin auch dann zu tragen, wenn hiermit Tilgungsleistungen aus Darlehen verbunden seien.

Mit Beschluss vom 17.08.2007, berichtigt durch Beschluss vom 12.10.2007, hat das SG die Hauptanträge abgelehnt, weil weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht seien. Auf die Entscheidungsgründe im Einzelnen wird Bezug genommen. Über den Hilfsantrag hat das SG nicht befunden.

Die dagegen gerichteten Beschwerden, denen das SG nicht abgeholfen hat, sind zulässig, aber nur bezüglich des Hilfsantrages begründet.

Die Anträge richten sich zulässigerweise gegen die Stadt Minden (vgl. Beschl. d. Senats v. 24.02.2006 - L 19 B 100/05 AS ER).

Der Antrag zu 1) ist jedoch mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Im Einstweiligen Rechtsschutzverfahren kann grundsätzlich nur eine vorläufige Regelung erreicht werden. Dies ist auch ausreichend, um die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) zu verwirklichen. Für ein weitergehendes Verlangen fehlt daher das Rechtsschutzbedürfnis. Da der Antrag zu 1) auf die Aufhebung des belastenden Verwaltungsaktes und damit die endgültige Beseitigung der Beschwer der Antragsteller gerichtet ist, ist dieser Antrag daher unzulässig.

Der Antrag zu 2) ist zulässig, aber unbegründet.

Nach § 86b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -). Entgegen der Ansicht der Antragsteller ist jedenfalls ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht, wie das SG zu Recht erkannt hat.

Der hierfür erforderliche, nicht anders als durch die begehrte gerichtliche Regelung abwendbare zu erwartende Nachteil ist nicht ersichtlich. Die Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts der Antragsteller nach § 20 Abs. 3 SGB II (622,- EUR) wird durch das monatliche Nettoeinkommen der Antragstellerin zu 2) gedeckt. Ein drohender Verlust der Unterkunft ist nicht einmal behauptet, geschweige denn glaubhaft gemacht worden. Bei dieser Sachlage fehlt jeglicher Anhalt, dass den Antragstellern Nachteile drohen könnten, die ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache unzumutbar machen könnten. Dagegen dienen die Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II nicht zur Tilgung von Schulden (vgl. BSG Urt. v. 07.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - Rn 35), so dass deren Bestand bzw. Zunahme nicht geeignet sind, die Eilbedürftigkeit einer gerichtlichen Regelung zu rechtfertigen.

Begründet ist jedoch der Hilfsantrag. Dessen Übergehen durch das SG können die Antragsteller mit der Beschwerde zulässigerweise rügen, da die Regelung über die Urteilsergänzung des § 140 Abs. 1 SGG in Beschwerdeverfahren keine Anwendung findet (§ 142 Abs.1 SGG). Das Beschwerdegericht ist insoweit das zur Entscheidung nach § 86b Abs. 2 SGG berufene Gericht, weil andernfalls Rechtsschutz unter Verletzung des Art. 19 Abs. 4 GG verweigert würde. Der Antrag ist nunmehr dahin auszulegen, dass die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage angeordnet werden soll, nachdem die Beklagte den Widerspruchsbescheid vom 27.09.2007 erlassen hat.

Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entscheidet, haben (zumindest bei Entscheidungen für die Zukunft) keine aufschiebende Wirkung (§ 39 Nr. 1 SGB II). Diese kann jedoch nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG angeordnet werden. Dies ist hier geboten, weil das Aussetzungsinteresse der Antragsteller das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin überwiegt. Dies folgt daraus, dass der angefochtene Bescheid vom 22.11.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.09.2007 rechtswidrig erscheint. Die Aufhebungsentscheidung richtet sich allein an den Antragsteller zu 1), obwohl hierdurch Leistungen betroffen sind, die sowohl diesem als auch der Antragstellerin zu 2) bewilligt worden sind. Der Bescheid genügt daher nicht dem Bestimmtheitserfordernis (vgl. LSG NRW Urt.v. 18.12.2006 - L 20 SO 20/06 - m.w.N.). Des weiteren ist fraglich, ob die Aufhebungsentscheidung durch die zuständige Behörde erfolgt ist (vgl. dazu Udsching/Link, SGb 2007, 513, 517 f.). Bei dieser Sach- und Rechtslage überwiegt das Aussetzungsinteresse der Antragsteller.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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