L 1 B 336/07 KR ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 112 KR 964/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 B 336/07 KR ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 5. April 2007 wird zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin hat die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin auch für das Beschwerdeverfahren zu tragen.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt sinngemäß, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, sie vorläufig bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens als freiwilliges Mitglied zu führen.

Die im Jahre 1975 geborene Antragstellerin war vom 01. Januar 2005 bis zum 31. März 2007 bei der Antragsgegnerin versichertes Mitglied wegen des Bezuges von Arbeitslosengeld II Alg II -. Mit Ablauf dieses Tages endete der Leistungsbezug und die Antragsgegnerin führt die Antragstellerin seither als Leistungsberechtigten nach § 264 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch SGB V. Seit 1. April 2007 bezieht der Antragstellerin Grundsicherung nach dem Vierten Kapitel des Sozialgesetzbuches Zwölftes Buch SGB XII -. Am 12. Februar 2007 meldete sie sich bei der Antragsgegnerin zur freiwilligen Krankenversicherung ab 1. April 2007 an.

Mit Bescheid vom 13. März 2007 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass eine Mitgliedschaft in der freiwilligen Krankenversicherung nicht möglich sei, da die zeitlichen Voraussetzungen (Vorversicherungszeiten) hierfür nicht vorlägen.

Gegen diesen Bescheid richtete sich der Widerspruch der Antragstellerin vom 20. März 2007.

Am 22. März 2007 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Berlin den Erlass einer einstweiligen Anordnung auf Gewährung von Krankenversicherung beantragt.

Mit Beschluss vom 5. April 2007 hat das Sozialgericht dem Antrag entsprochen und die Antragsgegnerin einstweilig verpflichtet, der Antragstellerin Kranken- und Pflegeversicherungsschutz zu gewähren.

Das Sozialgericht hat dies damit begründet, dass die Antragstellerin vom 01. Januar 2005 bis zum 31. März 2007 wegen des Bezuges von Alg II bei der Antragsgegnerin versicherungspflichtig gewesen sei und somit die Zwölfmonatsfrist nach § 9 Abs. 1 Ziffer 1 SGB V ebenso erfülle wie die Dreimonatsfrist des Abs. 2 dieser Vorschrift. Die Frage, ob Alg II gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 2. Halbsatz SGB V rechtswidrig bezogen worden sei oder nicht, habe nicht der Träger der Krankenversicherung, sondern der Träger der Arbeitslosenversicherung zu prüfen. Solange ein Bewilligungsbescheid bestünde, sei er für die Krankenkassen beachtlich und gegebenenfalls hätten diese die gemeinsame Einigungsstelle gemäß § 44 a Sozialgesetzbuch Zweites Buch SGB II anrufen müssen. Somit liege ein Anordnungsanspruch vor. Auch ein Anordnungsgrund sei gegeben, da die Antragstellerin wegen eine Schwangerschaft und einer HIV-Infektion laufend Leistungen benötigte. Einer Verweisung der Antragstellerin auf § 264 Abs. 2 SGB V stünde die Subsidiarität der Sozialhilfe entgegen.

Gegen diesen ihr am 13. April 2007 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnerin vom 26. April 2007, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (Nichtabhilfeentscheidung vom 26. April 2007).

Die Antragsgegnerin ist der Auffassung, das Sozialgericht habe zu Unrecht sowohl das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs als auch eines Anordnungsgrundes bejaht. Die Anwendung des § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 2. Halbsatz SGB V setze nicht voraus, dass die Bewilligung der Alg II Zahlung aufgehoben worden sei. Die Krankenkassen hätten das Einigungsverfahren gemäß § 44 a Abs. 1 SGB II nur während des laufenden Bezuges von Alg II und der damit verbundenen Leistungsverpflichtung der Krankenkasse, nicht jedoch nach dessen Abschluss durchzuführen.

Ein Anordnungsgrund liege deshalb nicht vor, weil die Antragstellerin zumutbar auf Leistungen gemäß § 264 Abs. 2 SGB V verwiesen werden könne, ohne dass dem die grundsätzliche Subsidiarität der Sozialhilfe entgegenstehe.

Die Antragsgegnerin beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 5. April 2007 zu ändern und den Antrag abzuweisen.

Die Beigeladene und die Antragstellerin beantragen sinngemäß,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie halten den angefochtenen Beschluss für zutreffend.

II.

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat zu Recht vorläufig festgestellt, dass die Antragstellerin seit dem 1. März 2007 bei der Antragsgegnerin freiwillig krankenversichert ist.

Gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzungen sind ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund (§ 86 b Abs. 2 in Verbindung mit § 920 Zivilprozessordnung ZPO ). Der Anordnungsanspruch ist das materielle Recht, für das vorläufiger Rechtsschutz beantragt wird, der Anordnungsgrund ist im Fall der hier zu treffenden Regelungsanordnung die Notwendigkeit zur Abwendung wesentlicher Nachteile.

Der erkennende Senat teilt nicht die Auffassung des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts (Beschluss vom 19. September 2006 L 5 B 376/06 KR ER ) sowie des 9. und 24. Senats des erkennenden Gerichts (Beschlüsse vom 14. Februar 2007 L 9 B 541/06 KR ER sowie vom 01. Oktober 2007 L 24 B 477/07 KR ER ), sondern hält die Auffassung des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 17. August 2006 L 5 B 41/06 KR ER ) für überzeugend. Die freiwillige Mitgliedschaft in einer Gesetzlichen Krankenkasse wird mit dem Zugang der Beitrittsanzeige ohne weiteres wirksam, ohne dass es einer förmlichen Feststellung der Mitgliedschaft durch die Krankenkasse in Bescheidform bedarf (vgl. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 24 B 477/07 KR ER ).

Die richtige Klageart im Hauptsacheverfahren wäre somit, wenn die Krankenkasse wie hier eine freiwillige Mitgliedschaft verneint, die Feststellungsklage. Dementsprechend ist im einstweiligen Rechtsschutzverfahren eine einstweilige Feststellung zu treffen, denn ein streitiges Rechtsverhältnis im Sinne von § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG kann auch die hier streitige freiwillige Mitgliedschaft in der Krankenversicherung sein. Für eine Differenzierung dahingehend, dass zu unterscheiden sei zwischen der Feststellung einer freiwilligen Mitgliedschaft und der vorläufigen Feststellung des (aus ihr resultierenden) behaupteten Krankenversicherungsschutzes besteht keine Veranlassung. Wer nicht Mitglied ist, dem hat die Kasse keine Leistungen zu gewähren. Die Abwicklung eines mitgliedschaftslosen Krankenversicherungsschutzes jeweils nach dem Ausgang des Hauptsacheverfahrens stellt sich als identisch mit der einer vorläufigen Mitgliedschaft dar, so dass eine solche Differenzierung keinen Sinn macht.

Ob die Voraussetzungen für den Beitritt zur freiwilligen Krankenversicherung gemäß § 9 Abs. 1 Ziffer 1 SGB V im Hauptsacheverfahren festgestellt werden können oder nicht, ist derzeit offen und sowohl vom Rechtlichen als auch vom Tatsächlichen her umstritten. Ob, wie die Antragsgegnerin meint, ein Einigungsverfahren nach Beendigung des Alg II Bezuges nicht mehr durchzuführen ist, ob die Krankenkasse ein materiell-rechtliches Prüfungsrecht hat oder nicht und ob, wenn eine materielle Prüfung der Voraussetzungen des Bezuges von Alg II bei der Antragstellerin im entscheidenden Zeitraum durchgeführt wird, diese dazu führt, dass diese tatsächlich nicht in der Lage war, einer Erwerbstätigkeit von mindestens drei Stunden täglich nachzugehen oder nicht, lässt sich im summarischen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht überprüfen. Ausschlaggebend ist somit, ob es nach den Umständen des Einzelfalles für die Antragstellerin zumutbar ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens weitgehend offen, sind die Folgen abzuwägen, die auf der einen und der anderen Seite entstehen würden, wenn das Gericht die einstweilige Anordnung nicht erließe, sich jedoch im Hauptsacheverfahren herausstellt, dass der Anspruch besteht, oder auf der anderen Seite entstünden, wenn das Gericht die einstweilige Anordnung erließe, sich aber im Hauptsacheverfahren herausstellt, dass der Anspruch nicht besteht.

Die Antragstellerin benötigt aufgrund ihrer gesundheitlichen Situation durchgehend Leistungen der Krankenversicherung.

Es ist ihr zur Überzeugung des Senats nicht zumutbar, während des Hauptsacheverfahrens auf Leistungen gemäß § 264 Abs. 2 SGB V verwiesen zu werden.

Dafür sprechen zweierlei Gründe:

1. Nach dem Wortlaut der Vorschrift ist die von der Antragsgegnerin in Abrede gestellte Subsidiarität der Leistung in § 264 Abs. 1 SGB V deutlich zum Ausdruck gebracht. Danach gilt diese Regelung "für Arbeits- und Erwerbslose, die nicht gesetzlich gegen Krankheit versichert sind". Dies zeigt eindeutig, dass für eine Regelung nach § 264 SGB V nur dann Raum ist, wenn keine Gesetzliche Krankenversicherung besteht, also Voraussetzung hierfür gerade wäre, dass die Antragstellerin nicht Mitglied bei der Antragsgegnerin ist. Dies ist jedoch streitig. Zunächst hat die Antragstellerin ihren Beitritt am 12. Februar 2007 wirksam angezeigt und der Verwaltungsakt vom 13. März 2007, mit dem die Antragsgegnerin die Wirksamkeit der Beitrittserklärung bestreitet, ist bislang nicht bestandskräftig.

2. Der Leistungsanspruch nach § 264 Abs. 2 SGB V stellt keinen gleichwertigen Leistungsanspruch dar wie derjenige als freiwilliges Mitglied bei einer Krankenkasse. Dies ergibt sich bereits aus Folgendem: Gemäß § 264 Abs. 5 SGB V haben die Träger der Sozialhilfe Leistungsempfänger bei der jeweiligen Krankenkasse abzumelden, wenn diese nicht mehr bedürftig im Sinne des SGB XII sind, und die Krankenversicherungskarte einzuziehen. Das heißt: Wenn die Antragstellerin auch nur vorübergehend für wenige Tage etwa durch eine kleinere Zuwendung, eine kleinere Erbschaft, ein Geschenk, den Verkauf von Gegenständen nicht mehr bedürftig ist, wäre dies der Beigeladenen mitzuteilen, die sie dann bei der Antragsgegnerin abzumelden und ihren Krankenversicherungsausweis einzuziehen hätte. Unabhängig davon, ob dieser Fall häufig eintritt oder nicht, zeigt dies, dass hier kein gleichwertiger Leistungsanspruch besteht, sondern eine zumindest latente fortdauernde Unsicherheit darüber, ob im Leistungsfall entsprechende Leistungen in Anspruch genommen werden können und von wem.

Daher hat die Antragstellerin ein berechtigtes Interesse an der Feststellung, dass bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens die freiwillige Mitgliedschaft besteht. Umgekehrt werden berechtigte Interessen der Antragsgegnerin nicht berührt. Wenn die Antragstellerin im Hauptsacheverfahren unterliegt, so erhält sie eine vollständige Kostenerstattung nach § 264 Abs. 2 SGB V von der Beigeladenen.

Die Kostenentscheidung entspricht dem Ausgang des Verfahrens und beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 SGG.

Gegen diesen Beschluss findet die Beschwerde an das Bundessozialgericht nicht statt (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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