Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 10 R 402/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 14 R 372/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 24.10.2006 geändert.
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 16.03.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.09.2005 verurteilt, dem Kläger unter Berücksichtigung einer glaubhaft gemachten Ghettobeitragszeit von Juli 1941 bis Juni 1943 Regelaltersrente ab 01.07.1997 nach im Übrigen näherer Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Regelaltersrente aus der deutschen Rentenversicherung. Dabei macht der Kläger Beitragszeiten für eine Beschäftigung im Ghetto Minsk von Juli 1941 bis Juni 1943 nach den Vorschriften des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) geltend.
Der im März 1926 in Minsk (damals UdSSR) geborene Kläger ist jüdischen Glaubens. Seit 1972 lebt er in Israel und besitzt die israelische Staatsbürgerschaft.
Nach dem Ergebnis einer Anfrage bei der Bundeszentralkartei der Bezirksregierung Düsseldorf hat der Kläger kein Verfahren nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG) durchgeführt.
In einem Antrag bei der Claims Conference (Art. 2 Fund) gab der Kläger 1993 an, er habe bei Kriegsausbruch mit seinen Eltern und Geschwistern in Minsk gelebt. Im Juli 1941 seien sie in das Ghetto Minsk geschickt worden. Am 7.11.1941 seien sein Vater und Großvater während der ersten Vernichtungsaktion getötet worden. Er sei mit seiner Mutter und den Geschwistern zurückgeblieben. Sie hätten an Hunger und Kälte gelitten. Er sei gezwungen gewesen, schwere Zwangsarbeiten zu verrichten. Er habe bei den Schienen der Eisenbahn gearbeitet. 1943 seien seine Mutter und alle Geschwister während einer weiteren Vernichtungsaktion getötet worden. Nur diejenigen seien am Leben geblieben, die zu dieser Zeit bei der Arbeit gewesen seien. Im Sommer 1943 sei ihm die Flucht gelungen; er habe sich in den Wäldern bei den Partisanen versteckt. Auf der Grundlage dieser Angaben und nach Vorlage des Partisanenbuches des Klägers (Aufenthalt im okkupierten Weißrussland im April 1943) gewährte der Art. 2 Fund der Claims Conference dem Kläger Leistungen.
2001 hat der Kläger bei dem Zwangsarbeiter-Fonds der Claims Conference eine Entschädigung aufgrund seines Verfolgungsschicksals in Minsk im Jahr 1941 beantragt und erhalten.
Mit Antrag vom 04.11.2002 beantragte der Bevollmächtigte des Klägers rückwirkend ab dem 01.07.1997 für den Kläger die Gewährung einer Regelaltersrente aus der deutschen Rentenversicherung nach dem ZRGB. Im Fragebogen für die Anerkennung von Zeiten unter Berücksichtigung des ZRBG (ZRBG-Fragebogen) vom 28.10.2003 gab der Kläger an, er habe von August 1941 bis Juli 1943 außerhalb des Ghettos Minsk in einer Lederfabrik durch Vermittlung des Judenrates 10 bis 12 Stunden täglich Leder ausgeladen und hierfür Mittagessen und wöchentlich Lebensmittelkarten, deren Höhe ihm nicht erinnerlich sei, erhalten. Auf dem Weg von und zur Arbeit sei er durch jüdische Polizei bewacht worden. Als Zeugen benannte der Kläger Herrn N H. Im förmlichen Rentenantrag vom 28.10.2003 gab der Kläger ergänzend an, nicht dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört zu haben.
Mit Bescheid vom 16.03.2005 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Regelaltersrente unter Berücksichtigung von Beitragszeiten nach Maßgabe des ZRBG ab. Es sei nicht glaubhaft, dass der Kläger von August 1941 bis Juli 1943 außerhalb des Ghettos Minsk in einer Lederfabrik gearbeitet habe. Gegenüber der Claims Conference habe er zu seiner Beschäftigung abweichende Angaben gemacht. Danach sei er "gezwungen gewesen, schwere Zwangsarbeiten zu verrichten", und hätte "bei den Schienen der Eisenbahn gearbeitet”.
Hiergegen erhob der Klägerbevollmächtigte Widerspruch, mit dem er eine Erklärung des Klägers vom 04.05.2005 übersandte. Darin führte der Kläger im wesentlichen aus, er habe sich von Sommer 1941 bis Sommer 1943 im Ghetto Minsk befunden. Die Lage im Ghetto Minsk sei sehr schwer gewesen, man habe ihnen überhaupt kein Essen gegeben. Darum habe er sich an den Judenrat mit der Bitte um Arbeit gewandt. Der Judenrat habe ihm Arbeit in der Lederfabrik gegeben. Dafür habe er jeden Tag Mittagessen und wöchentlich Lebensmittelkarten von der Fabrikleitung bekommen, für die er zusätzliche Lebensmittel für zu Hause habe kaufen können und durch die er ziemlich gut habe existieren können. Zur Zwangsarbeit habe man ihn auch genommen, aber er sei jung gewesen und habe solche schwere Arbeit nicht gut erfüllen können, darum habe man ihn nur selten zur Zwangsarbeit genommen, ein-, zweimal in der Woche. In diesem Fall habe er an der Eisenbahn gearbeitet. In seinen Angaben bei der Claims Conference habe er nur über Zwangsarbeit erzählt, weil man ihn über die freiwillige Arbeit gar nicht gefragt habe.
Im Laufe des Widerspruchsverfahrens übersandte der Kläger im übrigen einen erneuten Antrag auf Altersrente aufgrund von Ghettobeitragszeiten, überschrieben als "2. Antrag”. Hier gab er an, von August 1941 bis April 1943 als "Blue Color employee in the leather factory” gearbeitet zu haben.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 15.09.2005 zurück. Die nicht aufzulösenden Widersprüche der Angaben im ZRBG-Verfahren zu früheren Aussagen im Entschädigungsverfahren (Claims Conference) müsse sich der Kläger zurechnen lassen.
Auf die Klage vom 20.09.2005 hat der Klägerbevollmächtigte eine vor einem israelischen Notar abgegebene schriftliche Erklärung des Zeugen N H übersandt. Der Zeuge hat angegeben, er kenne den Kläger schon von der frühen Kindheit her, sie hätten in derselben Stadt, Minsk, gewohnt und seien auch in dasselbe Ghetto, Minsk, eingewiesen worden. Er wisse, dass der Kläger freiwillig eine entlohnte Arbeit gesucht habe, um seinen und den Lebensunterhalt seiner Familie zu verbessern. Es sei dem Kläger in Kürze gelungen, mit der Hilfe des Judenrates eine entlohnte Arbeit zu bekommen, in einer Lederfabrik. Der Kläger habe dort von Sommer 1941 bis Sommer 1943 gearbeitet. Die Arbeit sei außerhalb des Ghettos gewesen, und der Kläger sei nur auf dem Weg von und zu der Arbeit von jüdischer Polizei bewacht worden, nicht aber bei der Arbeit. Der Kläger habe dort ungefähr 10 Stunden am Tag beim Leder ausladen und beim Schuhsohlen ausschneiden gearbeitet. Für seine freiwillige Arbeit habe der Kläger wöchentlich Lebensmittelkarten bekommen, mit denen er sich Lebensmittel für zu Hause habe beschaffen können, auch habe er Mittagessen am Arbeitsplatz bekommen. Die Lebensmittel hätten weit über die Bedürfnisse des Klägers ausgereicht, so dass dieser noch seiner nicht arbeitenden Mutter und Geschwistern mit Nahrungsmitteln habe aushelfen können. Er selbst, der Zeuge, habe auch eine kurze Zeit in der Fabrik gearbeitet.
Auf Bitte des Sozialgerichts um Mitteilung, ob der Kläger noch konkrete Angaben zum Entlohnungsumfang, insbesondere zur Menge der ihm gewährten Lebensmittel machen könne, hat der Klägerbevollmächtigte eine Erklärung des Klägers vom 27.07.2006 übersandt. Darin hat der Kläger angegeben, er sei für seine freiwillige Arbeit in der Lederfabrik täglich mit einem Mittagessen und wöchentlich mit Lebensmittelkarten entlohnt worden. Mit diesen Lebensmittelkarten habe er sich die von ihm gewünschten haltbaren Lebensmittel beschaffen und nach Belieben einteilen und verwenden können. Da die von ihm wöchentlich beschafften Lebensmittel seinen persönlichen Bedarf überschritten hätten, habe er die überschüssigen Lebensmittel seinen nicht arbeitenden Familienmitgliedern überlassen und daher auch deren Lage im Ghetto um vieles verbessern können. An die genauen Mengen der dank der Lebensmittelkarten gewährten Lebensmittel könne er sich logischerweise nicht mehr erinnern, aber was er mit Bestimmtheit wisse, sei die Tatsache, dass sie über seinen Bedarf hinausgegangen seien und dass er somit seiner Familie eine große Hilfe habe sein können.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Mit Urteil vom 06.11.2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger verfüge über keine Beitrags- und Ersatzzeiten, die auf die für die Altersrente erforderliche Wartezeit anrechenbar wären. Zunächst würden Beitrags- oder Beschäftigungszeiten nach §§ 15, 16 des Fremdrentengesetzes ausscheiden, da der Kläger nicht dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört habe. Ferner würden Beitragszeiten nach Maßgabe des ZRBG ausscheiden. Die Kammer habe Zweifel daran, dass der Kläger durchgehend von Juli 1941 bis Juni 1943 außerhalb des Ghettos Minsk in einer Lederfabrik gearbeitet habe. Denn gegenüber der Claims Conference habe der Kläger 1993 angegeben, Zwangsarbeit "bei den Schienen der Eisenbahn” verrichtet zu haben. Diese Widersprüche habe der Kläger auch durch seine späteren Erklärungen nicht ausräumen können. Es erscheine der Kammer nicht überwiegend wahrscheinlich, dass der Kläger, wie er später erklärt habe, trotz Heranziehung zur Zwangsarbeit die Möglichkeit gehabt haben solle, an zwangsarbeitsfreien Tagen einer freiwillig zustande gekommen Tätigkeit in der Lederfabrik nachzugehen. Er habe auch nicht ausreichend glaubhaft gemacht, dass er im Ghetto Minsk entgeltlich tätig geworden sei. Die Kammer halte es für am wahrscheinlichsten, dass der Kläger täglich Lebensmittel (Mittagessen) und Lebensmittelkarten zur Eigenversorgung erhalten habe, was somit als lediglich freier Unterhalt nicht zur Rentenversicherungspflicht der Beschäftigung führe, § 1227 Reichsversicherungsordnung. Hierfür stütze sich die Kammer auf die Angaben des Klägers gegenüber der Claims Conference, im Ghetto Minsk an Hunger gelitten zu haben, was entscheidend dagegen spreche, dass der Kläger über die Eigenversorgung hinaus Lebensmittel erhalten habe. Nichts anderes folge aus der Angabe, Lebensmittel auch an die Familienangehörigen weitergegeben zu haben. Denn es sei zumindest ebenso wahrscheinlich, dass der Kläger aus Solidargesichtspunkten heraus ihm gewährte Lebensmittelrationen mit seinen Familienangehörigen geteilt habe.
Gegen das ihm am 06.11.2006 zugegangene Urteil hat der Klägerbevollmächtigte am 09.11.2006 Berufung eingelegt mit dem Begehren, dem Kläger eine Regelaltersrente unter Berücksichtigung einer Beitragszeit von Juli 1941 bis Juni 1943 zu gewähren. Er trägt vor, der Kläger habe eine freiwillige und entgeltliche Tätigkeit ausgeübt. Dem Kläger sei Lohn in Form von Lebensmitteln zur beliebigen Verfügung gewährt worden, da er damit auch die nicht arbeitenden Familienmitglieder habe unterstützen können. Im übrigen verweist der Klägerbevollmächtigte auf das Gutachten von Prof. Dr. Golczewski zur Region Reichskommissariat Ostland, Weissrussland vom 20.11.2006 und das Ergänzungsgutachten vom 27.11.2006. Wegen grundsätzlicher Bedeutung sei die Revision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie gibt an, dass ihr die Gutachten von Prof. Dr. Golczewski vorliegen. Sie meint, dass von einer der Art und dem Umfang nach angemessenen Entlohnung im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 07.10.2004 (B 13RJ 59/03 R) nicht ausgegangen werden könne, nachdem der Kläger angegeben habe, für die 10 bis 12 Stunden tägliche Arbeit Lebensmittelkarten (Höhe nicht erinnerlich) und Mittagessen erhalten zu haben.
Auf Anfrage des Senats hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 26.10.2007 unter Auswertung des von ihr beigezogenen Versicherungsverlaufs des Klägers in der israelischen Nationalversicherung (wonach der Kläger in der Zeit von 1972 bis 1992 Beiträge entrichtet hat) mitgeteilt, die für die Regelaltersrente erforderliche allgemeine Wartezeit wäre vorbehaltlich der Anerkennung von ZRBG-Beitragszeiten erfüllt.
Der Senat hat die Rentenakte des Klägers beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und Rentenakte verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte die Sache verhandeln und entscheiden, obwohl weder der Kläger noch sein Prozessbevollmächtigter zum Termin erschienen sind. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers ist mit der ordnungsgemäß erfolgten Terminsbenachrichtigung (Empfangsbekenntnis vom 05.11.2007) auf diese zulässige Verfahrensweise (§124 Absatz 1, 153 Absatz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) hingewiesen worden.
Die zulässige Berufung ist begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 16.03.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.09.2005 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 54 Absatz 2 SGG. Der Kläger hat Anspruch auf Regelaltersrente rückwirkend ab dem 01.07.1997 gemäß §§ 35 ff. des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) in Verbindung mit den Vorschriften des ZRBG aufgrund der (fiktiven) Beitragszeiten, die er in der Zeit von Juli 1941 bis Juni 1943 im Ghetto Minsk glaubhaft zurückgelegt hat.
Nach § 35 SGB VI hat ein Versicherter Anspruch auf Altersrente, wenn er das 65. Lebensjahr vollendet und die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllt hat. Der Kläger hat das 65. Lebensjahr bereits im März 1991 vollendet. Auch ist die allgemeine Wartezeit erfüllt. Daher braucht vorliegend nicht entschieden zu werden, ob es der Erfüllung der allgemeinen Wartezeit von fünf - mit anrechenbaren Zeiten belegten - Jahren bedarf (vgl. BSG, Urteil vom 26.07.2007, B 13 R 28/06 R) oder nicht bedarf (vgl. BSG, Urteil vom 14.12.2006, B 4 R 29/06 R), wenn - wie hier - die Gewährung einer Rente unter Anerkennung von Ghettobeitragszeiten nach dem ZRBG in Streit steht.
Als auf die Wartezeit anrechnungsfähige Zeiten kommen grundsätzlich Beitrags- und Ersatzzeiten im Sinne der §§ 50 Absatz 1 Nr. 1, 51 Absatz 1 und Absatz 4 SGB VI in Betracht. Dabei finden nach § 250 Absatz 1 SGB VI Ersatzzeiten als rentenrechtliche Zeiten allerdings nur dann Berücksichtigung, wenn vor Beginn der Rente zumindest ein Beitrag wirksam entrichtet worden ist oder als wirksam entrichtet gilt; denn Ersatzzeiten sollen nur Personen zugute kommen, die bereits Beitragsleistungen erbracht haben ("Versicherte”). Dabei sind gemäß §§ 55 Absatz 1, 247 Absatz 3 Satz 1 SGB VI Beitragszeiten Zeiten, für die nach Bundesrecht oder Reichsversicherungsgesetzen Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind. Gemäß § 2 Absatz 1 in Verbindung mit § 1 Absatz 1 Satz 1 ZRBG gelten für Zeiten der Beschäftigung eines Verfolgten in einem Ghetto Beiträge als gezahlt, wenn sich der Verfolgte zwangsweise in einem Ghetto aufgehalten hat, welches sich in einem Gebiet befand, das vom Deutschen Reich besetzt oder diesem eingegliedert war und er dort eine aus eigenem Willensentschluss zustande gekommene Beschäftigung gegen Entgelt ausgeübt hat, sofern für diese Zeiten nicht bereits eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit erbracht wird.
Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
Der Kläger ist Verfolgter im Sinne des BEG, ohne dass es hierfür eines förmlichen Anerkennungsbescheides nach dem BEG bedarf, den der Kläger nicht vorweisen kann. Der Kläger ist aus Gründen des Glaubens durch nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen verfolgt worden und hat hierdurch Schaden an Körper, Gesundheit und Freiheit erlitten, § 1 Absatz 1 BEG. Die Verfolgteneigenschaft des Klägers ist zwischen den Beteiligten unstreitig und ergibt sich im übrigen auch aus der erfolgten Entschädigung durch die Claims Conference.
Der Kläger hat auch glaubhaft gemacht, sich zwangsweise in einem Ghetto - hier im Ghetto Minsk - aufgehalten zu haben, das in einem Gebiet lag, das vom Deutschen Reich besetzt oder diesem eingegliedert war, und dort eine freiwillig aufgenommene Tätigkeit gegen Entgelt ausgeübt zu haben.
Glaubhaft gemacht ist eine Tatsache, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist, wobei gewisse noch verbleibende Zweifel unschädlich sind, jedoch insgesamt mehr für als gegen den behaupteten Sachverhalt sprechen muss (vgl. BSG SozR 3-3900 § 15 Nr. 4).
Mit dem Sozialgericht hält es der Senat zunächst für glaubhaft gemacht, dass sich der Kläger zwangsweise im Ghetto Minsk - und damit in einem vom Deutschen Reich besetzten bzw. eingegliederten Gebiet - im Zeitraum Juli 1941 bis Juni 1943 aufgehalten hat. Der Kläger hat bereits 1993 im Entschädigungsverfahren vor der Claims Conference angegeben, er habe sich von Juli 1941 bis Sommer 1943 im Ghetto Minsk aufhalten müssen; diesen Vortrag hat er in dem 2002 eingeleiteten Rentenverfahren widerspruchsfrei wiederholt. Der Zeuge N H hat den zwangsweisen Aufenthalt des Klägers im Ghetto Minsk von Sommer 1941 bis Sommer 1943 in seiner vor einem israelischen Notar abgegebenen (undatierten) Erklärung bestätigt. Dem Entgegenstehendes ist den Akten nicht zu entnehmen. Die Existenz des Ghettos Minsk im entscheidungserheblichen Zeitraum wird im Gutachten von Prof. Dr. Golczewski zur Region Reichskommissariat Ostland, Weissrussland, vom 20.11.2006 historisch bestätigt und ist zwischen den Beteiligten genauso unstreitig wie die Tatsache, dass das Ghetto Minsk in einem Gebiet lag, das vom Deutschen Reich besetzt oder diesem eingegliedert war: Die Deutschen haben Minsk am 01.07.1941 besetzt; am 19.07.1941 fiel die Entscheidung zur Ghettobildung, die im August 1941 realisiert wurde (vgl. ebenfalls Gutachten Prof. Dr. Golczewski zur Region Reichskommissariat Ostland, Weissrussland, vom 20.11.2006).
Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts hat der Kläger auch glaubhaft gemacht, in dem im Tenor genannten Zeitraum eine Tätigkeit in der Lederfabrik ausgeübt zu haben. In seinen im Rentenverfahren abgegebenen Erklärungen hat der Kläger konkret angegeben, er habe in der außerhalb des Ghettos Minsk gelegenen Lederfabrik 10 bis 12 Stunden täglich Leder ausgeladen. Der Zeuge H hat in seiner schriftlichen Erklärung die vom Kläger angegebene Tätigkeit in der Lederfabrik von Sommer 1941 bis Sommer 1943 bestätigt und weiter konkretisiert, der Kläger habe Leder ausgeladen und auch Sohlen von Schuhen ausgeschnitten. Der Erklärung des Zeugen kommt dabei besonderer Beweiswert zu, weil der Zeuge angibt, er habe selbst auch kurze Zeit in der Lederfabrik gearbeitet, so dass seine Angaben insoweit auf eigener Anschauung beruhen. Schließlich führt Prof. Dr. Golczewski in seinem Gutachten vom 20.11.2006 aus, dass es in Minsk kleine Ghettos gab, die Arbeitsbetrieben zugeordnet waren; eines habe sich von August 1941 an auf dem Gelände der Kujbysev-Lederfabrik befunden. Der so erfolgten Glaubhaftmachung steht die Angabe des Klägers gegenüber der Claims Conference nicht entgegen, er sei während des Aufenthalts im Ghetto gezwungen worden, schwere Zwangsarbeiten zu verrichten, und habe "bei den Schienen der Eisenbahn gearbeitet”. Der Kläger hat diese Angabe in seiner Erklärung vom 04.05.2005 dahingehend erläutert, dass er während des Ghettoaufenthalts nur ab und zu, nämlich ein- bis zweimal pro Woche, zur Zwangsarbeit eingeteilt worden sei, weil er noch jung und die Zwangsarbeit schwer gewesen sei; vor der Claims Conference sei es nicht auf freiwillige Tätigkeiten angekommen, so dass er diese auch nicht erwähnt habe. Diese Darlegungen des Klägers sind für den Senat schlüssig und lösen die Widersprüche hier glaubhaft auf. Es ist dem Senat - auch infolge der Kenntnis einer Vielzahl von ZRBG-Fällen mit den jeweiligen Schilderungen der Betroffenen - auch vorstellbar, dass die in Ghettos Internierten zum Teil direkt von der Straße aus aufgegriffen und zu Zwangsarbeiten eingeteilt wurden, was damit durchaus die Annahme der nur unregelmäßigen und nicht täglichen Verrichtung von Zwangsarbeit zulässt.
Glaubhaft gemacht hat der Kläger auch das Zustandekommen der Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss.
Die vom Kläger geschilderten und vom Zeugen bestätigten Umstände der Beschäftigung in der Lederfabrik sprechen dafür, dass der Kläger selbst die Tätigkeit angestrebt und freiwillig verrichtet hat. Auch die Art der Tätigkeit - Hilfstätigkeiten in einer Lederfabrik - deutet eher auf eine freiwillig ausgeübte Beschäftigung als auf Zwangsarbeit hin (so auch die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 29.11.2006, in dem sie unter Hinweis auf das Gutachten von Prof. Dr. Golczewski davon ausgeht, dass die Bewohner von Ghettos gerade zu schweren und gefährlichen Arbeiten (z. B. im Straßenbau) zwangsweise herangezogen worden sind). Schließlich haben der Kläger und der Zeuge übereinstimmend und widerspruchsfrei erklärt, der Kläger sei auf dem Weg zur Arbeit, nicht aber bei der Arbeit bewacht worden. Die allein geschilderte Bewachung durch jüdische Polizei auf dem Weg zur Arbeit ist Ausfluss des vom ZRBG vorausgesetzten zwangsweisen Aufenthalts im Ghetto insbesondere bei den (auch von der Beklagten anerkannten) Tätigkeiten außerhalb des Ghettos bei täglicher Rückkehr in das Ghetto.
Auch die Verordnungslage in Minsk im betreffenden Zeitraum führt nicht zu einer anderen Bewertung (anders noch Urteile des Landessozialgerichts NRW (LSG NRW) vom 06.03.2006, L 3 (18) R 98/05 und vom 03.11.2006, L 4 R 68/05; nicht mehr darauf abstellend aber Urteil vom 25.04.2007, L 4 R 133/06). Denn allein aus der 1941 verordneten Einführung eines Arbeitszwangs für die jüdische Bevölkerung folgt nicht schon ein Zwang zur Zwangsarbeit, sondern allenfalls zur Arbeit, bei der es sich dann aber auch um ein aus eigenem Willensentschluss aufgenommenes Beschäftigungsverhältnis handeln kann. Letztlich kommt es auf die praktische Umsetzung eines evtl. allgemeinen Arbeitszwangs im jeweiligen Einzelfall an.
Schließlich führt auch der Antrag des Klägers beim Zwangsarbeiterfonds der Claims Conference vorliegend nicht zwingend zur Annahme der Unfreiwilligkeit der Beschäftigung in der Lederfabrik. Eine genaue Beschreibung der Tätigkeit ist dem Antrag des Klägers bei der Claims Conference nicht zu entnehmen. Eine Entschädigung ist nur für 1941 erfolgt. Zur Überzeugung des Senats ist es deshalb durchaus denkbar, dass der Kläger mit dem Antrag auf Entschädigung wegen Zwangsarbeit nicht die Tätigkeit in der Lederfabrik gemeint hat, sondern die Tätigkeit bei der Eisenbahn, die er nach seinen Angaben nur unregelmäßig verrichten musste. Die Glaubhaftmachung der Freiwilligkeit der Arbeitsaufnahme in der Lederfabrik wird dadurch hier nicht entscheidend erschüttert.
Zur Überzeugung des Senats ist auch eine ausreichende Entgeltlichkeit der ausgeübten Tätigkeit im Sinne des ZRBG glaubhaft gemacht. Dies kann im übrigen auch bei der Beurteilung der Freiwilligkeit des Beschäftigungsverhältnisses nicht unberücksichtigt bleiben, weil der Erhalt eines ausreichenden Entgelts nach Auffassung des Senats dafür spricht, dass es sich auch ansonsten um eine halbwegs "normales” Beschäftigungsverhältnis auf freiwilliger Basis gehandelt hat (vgl. Urteil des Senats vom 14.09.2007, L 14 R 169/06). Bereits im Jahr 2003 hat der Kläger angegeben, für seine Tätigkeit Mittagessen und wöchentlich Lebensmittelkarten erhalten zu haben, an deren Höhe er sich bei seiner ersten Erklärung aus 2003 nicht erinnerte. Diese Angaben hat der Kläger zeitlich vor dem Urteil des BSG vom 07.10.2004 (B 13 RJ 59/03 R), mit dem das BSG die Anforderungen an das erforderliche Entgelt konkretisiert hat, gemacht. Die damaligen Angaben des Klägers waren daher noch verhältnismäßig ungefangen und wenig zweckgerichtet. Vor diesem Hintergrund erscheinen dem Senat auch die späteren Konkretisierungen, wonach die Lebensmittelkarten von der Fabrikleitung (also nicht vom Judenrat) ausgehändigt wurden und ausgereicht haben, um dafür auch haltbare Lebensmittel in einer Menge zu beschaffen, dass die nicht arbeitenden Familienmitglieder unterstützt werden konnten, durchaus glaubhaft. Wesentlich ist dabei für den Senat, dass der Zeuge H die Angaben des Klägers bestätigt hat, der Kläger habe nicht nur Mittagessen beim Arbeitsplatz erhalten, sondern auch wöchentlich Lebensmittelkarten, mit denen sich der Kläger Lebensmittel für zu Hause habe beschaffen können, die über die Bedürfnisse des Klägers hinaus gereicht hätten, so dass der Kläger noch der nicht arbeitenden Mutter und Geschwistern mit Nahrungsmitteln habe aushelfen können. Die Tatsache, dass der Zeuge ausdrücklich nur die Mitversorgung der nicht arbeitenden Mutter und Geschwister schildert und den Vater des Klägers damit ausnimmt, macht seine Angaben schlüssig, weil sie stimmig sind mit den 1993 gemachten Angaben des Klägers gegenüber der Claims Conference, wonach sein Vater im November 1941 in einer ersten Vernichtungsaktion im Ghetto Minsk umkam, hingegen die Mutter und Geschwister im Rahmen einer weiteren Vernichtungsaktion 1943, und wonach bei dieser weiteren Aktion nur diejenigen am Leben geblieben sind, die zu dieser Zeit bei der Arbeit waren, woraus letztlich wiederum folgt, dass die Mutter und Geschwister offenbar nicht gearbeitet haben. Entgegen der Annahme des Sozialgerichts kann sich die 1993 vom Kläger gemachte weitere Angabe vor der Claims Conference, er und seine Familie hätten an Hunger und Kälte gelitten, nach der chronologischen Reihenfolge der Angaben durchaus auch nur auf die Zeit vor Aufnahme jeglicher Arbeit - sei es Zwangsarbeit, sei es freiwillige Tätigkeit - beziehen ("Vater und Großvater wurden getötet wir litten an Hunger und Kälte ich war gezwungen, schwere Zwangsarbeit zu verrichten ), so dass dies nach Senatsauffassung hier nicht entscheidend dagegen sprechen muss, dass der Kläger für eine Tätigkeit in der Lederfabrik über die Eigenversorgung hinaus Lebensmittel erhalten hat. Im übrigen gibt Prof. Dr. Golczewski in seinem Ergänzungsgutachten vom 27.11.2006 nach Sichtung einer weiteren Dokumentation eine Übersicht über die Entlohnung im Ghetto Minsk. Daraus wird deutlich, dass etwa die als Handwerker im Ghetto Minsk arbeitenden Juden im Ghetto Minsk mit Mahlzeiten und zusätzlichen Lebensmitteln entlohnt wurden; außerdem habe die deutsche Feldkommandantur für den Bezirk Minsk im Juli 1941 verfügt, dass Juden keinen Barlohn, aber Lebensmittel erhalten; in den Arbeitslohn waren die Lebensmittelzuteilungen ausdrücklich aufzunehmen. Nach Auffassung des Senats ist daher im vorliegenden Fall von einem Entgelt auszugehen, dass schon über nur freien Unterhalt hinausgeht und auch unter Zugrundelegung der Maßstäbe des Urteils des BSG vom 07.10.2004 (B 13 RJ 59/03 R) ausreicht. Es kann daher ausdrücklich dahinstehen, ob der Senat dem neueren Urteil des BSG vom 14.12.2006 (B 4 R 29/06 R) folgt.
Auch die übrigen Voraussetzungen des ZRBG sind erfüllt. Der Kläger hat für den tenorierten Zeitraum keine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit erhalten.
Eine Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis, die der Kläger verneint hat, ist nicht Voraussetzung für die Anerkennung von Beitragszeiten nach dem ZRBG (vgl. hierzu ausführlich Urteil des BSG vom 26.07.2007, B 13 R 28/06 R).
Offen bleiben kann schließlich, ob eine Vorrangstellung des FRG gegenüber dem ZRBG besteht, so dass Ansprüche aus dem ZRBG ausscheiden, wenn für Ghetto-Zeiten bereits eine Leistung nach dem vorrangig anzuwendenden FG zu zahlen wären (vgl. BSG Urteil vom 14.12.2006, B 4 R 29/06 R). Denn die Ghetto-Beschäftigungszeit des Klägers von Juli 1941 bis Juni 1943 ist nicht als Zeit nach dem FRG Bundesgebietszeiten gleichgestellt. Der Kläger erfüllte weder die persönlichen Voraussetzungen des § 1 FRG noch gehörte er zu dem nach §§ 17 a FRG, 20 WGSVG begünstigten Personenkreis, da er weder als Vertriebener im Sinne des Bundesvertriebenengesetzes anerkannt ist noch, wie er angab, dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehörte.
Unter Berücksichtigung der glaubhaft gemachten Beitragszeiten von Juli 1941 bis Juni 1943 ist die allgemeine Wartezeit ausweislich der Auskunft der Beklagten im Schriftsatz vom 26.10.2007 unter Berücksichtigung des Versicherungsverlaufs des Klägers in der israelischen Nationalversicherung erfüllt.
Eine Rentengewährung hat hier rückwirkend ab dem 01.07.1997 zu erfolgen, da nach § 3 Absatz 1 ZRBG ein bis zum 30.06.2003 gestellter Antrag als am 18.06.1997 gestellt gilt; der Kläger hat seinen Antrag im November 2002 gestellt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Absatz 2 SGG nicht erfüllt sind. Insbesondere beruht das Urteil auf einer Beweiswürdigung im Einzelfall und ergeht unabhängig von dem neueren Urteil des BSG vom 14.12.2006 (B 4 R 29/06 R), dem die Rentenversicherungsträger nicht folgen.
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 16.03.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.09.2005 verurteilt, dem Kläger unter Berücksichtigung einer glaubhaft gemachten Ghettobeitragszeit von Juli 1941 bis Juni 1943 Regelaltersrente ab 01.07.1997 nach im Übrigen näherer Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Regelaltersrente aus der deutschen Rentenversicherung. Dabei macht der Kläger Beitragszeiten für eine Beschäftigung im Ghetto Minsk von Juli 1941 bis Juni 1943 nach den Vorschriften des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) geltend.
Der im März 1926 in Minsk (damals UdSSR) geborene Kläger ist jüdischen Glaubens. Seit 1972 lebt er in Israel und besitzt die israelische Staatsbürgerschaft.
Nach dem Ergebnis einer Anfrage bei der Bundeszentralkartei der Bezirksregierung Düsseldorf hat der Kläger kein Verfahren nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG) durchgeführt.
In einem Antrag bei der Claims Conference (Art. 2 Fund) gab der Kläger 1993 an, er habe bei Kriegsausbruch mit seinen Eltern und Geschwistern in Minsk gelebt. Im Juli 1941 seien sie in das Ghetto Minsk geschickt worden. Am 7.11.1941 seien sein Vater und Großvater während der ersten Vernichtungsaktion getötet worden. Er sei mit seiner Mutter und den Geschwistern zurückgeblieben. Sie hätten an Hunger und Kälte gelitten. Er sei gezwungen gewesen, schwere Zwangsarbeiten zu verrichten. Er habe bei den Schienen der Eisenbahn gearbeitet. 1943 seien seine Mutter und alle Geschwister während einer weiteren Vernichtungsaktion getötet worden. Nur diejenigen seien am Leben geblieben, die zu dieser Zeit bei der Arbeit gewesen seien. Im Sommer 1943 sei ihm die Flucht gelungen; er habe sich in den Wäldern bei den Partisanen versteckt. Auf der Grundlage dieser Angaben und nach Vorlage des Partisanenbuches des Klägers (Aufenthalt im okkupierten Weißrussland im April 1943) gewährte der Art. 2 Fund der Claims Conference dem Kläger Leistungen.
2001 hat der Kläger bei dem Zwangsarbeiter-Fonds der Claims Conference eine Entschädigung aufgrund seines Verfolgungsschicksals in Minsk im Jahr 1941 beantragt und erhalten.
Mit Antrag vom 04.11.2002 beantragte der Bevollmächtigte des Klägers rückwirkend ab dem 01.07.1997 für den Kläger die Gewährung einer Regelaltersrente aus der deutschen Rentenversicherung nach dem ZRGB. Im Fragebogen für die Anerkennung von Zeiten unter Berücksichtigung des ZRBG (ZRBG-Fragebogen) vom 28.10.2003 gab der Kläger an, er habe von August 1941 bis Juli 1943 außerhalb des Ghettos Minsk in einer Lederfabrik durch Vermittlung des Judenrates 10 bis 12 Stunden täglich Leder ausgeladen und hierfür Mittagessen und wöchentlich Lebensmittelkarten, deren Höhe ihm nicht erinnerlich sei, erhalten. Auf dem Weg von und zur Arbeit sei er durch jüdische Polizei bewacht worden. Als Zeugen benannte der Kläger Herrn N H. Im förmlichen Rentenantrag vom 28.10.2003 gab der Kläger ergänzend an, nicht dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört zu haben.
Mit Bescheid vom 16.03.2005 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Regelaltersrente unter Berücksichtigung von Beitragszeiten nach Maßgabe des ZRBG ab. Es sei nicht glaubhaft, dass der Kläger von August 1941 bis Juli 1943 außerhalb des Ghettos Minsk in einer Lederfabrik gearbeitet habe. Gegenüber der Claims Conference habe er zu seiner Beschäftigung abweichende Angaben gemacht. Danach sei er "gezwungen gewesen, schwere Zwangsarbeiten zu verrichten", und hätte "bei den Schienen der Eisenbahn gearbeitet”.
Hiergegen erhob der Klägerbevollmächtigte Widerspruch, mit dem er eine Erklärung des Klägers vom 04.05.2005 übersandte. Darin führte der Kläger im wesentlichen aus, er habe sich von Sommer 1941 bis Sommer 1943 im Ghetto Minsk befunden. Die Lage im Ghetto Minsk sei sehr schwer gewesen, man habe ihnen überhaupt kein Essen gegeben. Darum habe er sich an den Judenrat mit der Bitte um Arbeit gewandt. Der Judenrat habe ihm Arbeit in der Lederfabrik gegeben. Dafür habe er jeden Tag Mittagessen und wöchentlich Lebensmittelkarten von der Fabrikleitung bekommen, für die er zusätzliche Lebensmittel für zu Hause habe kaufen können und durch die er ziemlich gut habe existieren können. Zur Zwangsarbeit habe man ihn auch genommen, aber er sei jung gewesen und habe solche schwere Arbeit nicht gut erfüllen können, darum habe man ihn nur selten zur Zwangsarbeit genommen, ein-, zweimal in der Woche. In diesem Fall habe er an der Eisenbahn gearbeitet. In seinen Angaben bei der Claims Conference habe er nur über Zwangsarbeit erzählt, weil man ihn über die freiwillige Arbeit gar nicht gefragt habe.
Im Laufe des Widerspruchsverfahrens übersandte der Kläger im übrigen einen erneuten Antrag auf Altersrente aufgrund von Ghettobeitragszeiten, überschrieben als "2. Antrag”. Hier gab er an, von August 1941 bis April 1943 als "Blue Color employee in the leather factory” gearbeitet zu haben.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 15.09.2005 zurück. Die nicht aufzulösenden Widersprüche der Angaben im ZRBG-Verfahren zu früheren Aussagen im Entschädigungsverfahren (Claims Conference) müsse sich der Kläger zurechnen lassen.
Auf die Klage vom 20.09.2005 hat der Klägerbevollmächtigte eine vor einem israelischen Notar abgegebene schriftliche Erklärung des Zeugen N H übersandt. Der Zeuge hat angegeben, er kenne den Kläger schon von der frühen Kindheit her, sie hätten in derselben Stadt, Minsk, gewohnt und seien auch in dasselbe Ghetto, Minsk, eingewiesen worden. Er wisse, dass der Kläger freiwillig eine entlohnte Arbeit gesucht habe, um seinen und den Lebensunterhalt seiner Familie zu verbessern. Es sei dem Kläger in Kürze gelungen, mit der Hilfe des Judenrates eine entlohnte Arbeit zu bekommen, in einer Lederfabrik. Der Kläger habe dort von Sommer 1941 bis Sommer 1943 gearbeitet. Die Arbeit sei außerhalb des Ghettos gewesen, und der Kläger sei nur auf dem Weg von und zu der Arbeit von jüdischer Polizei bewacht worden, nicht aber bei der Arbeit. Der Kläger habe dort ungefähr 10 Stunden am Tag beim Leder ausladen und beim Schuhsohlen ausschneiden gearbeitet. Für seine freiwillige Arbeit habe der Kläger wöchentlich Lebensmittelkarten bekommen, mit denen er sich Lebensmittel für zu Hause habe beschaffen können, auch habe er Mittagessen am Arbeitsplatz bekommen. Die Lebensmittel hätten weit über die Bedürfnisse des Klägers ausgereicht, so dass dieser noch seiner nicht arbeitenden Mutter und Geschwistern mit Nahrungsmitteln habe aushelfen können. Er selbst, der Zeuge, habe auch eine kurze Zeit in der Fabrik gearbeitet.
Auf Bitte des Sozialgerichts um Mitteilung, ob der Kläger noch konkrete Angaben zum Entlohnungsumfang, insbesondere zur Menge der ihm gewährten Lebensmittel machen könne, hat der Klägerbevollmächtigte eine Erklärung des Klägers vom 27.07.2006 übersandt. Darin hat der Kläger angegeben, er sei für seine freiwillige Arbeit in der Lederfabrik täglich mit einem Mittagessen und wöchentlich mit Lebensmittelkarten entlohnt worden. Mit diesen Lebensmittelkarten habe er sich die von ihm gewünschten haltbaren Lebensmittel beschaffen und nach Belieben einteilen und verwenden können. Da die von ihm wöchentlich beschafften Lebensmittel seinen persönlichen Bedarf überschritten hätten, habe er die überschüssigen Lebensmittel seinen nicht arbeitenden Familienmitgliedern überlassen und daher auch deren Lage im Ghetto um vieles verbessern können. An die genauen Mengen der dank der Lebensmittelkarten gewährten Lebensmittel könne er sich logischerweise nicht mehr erinnern, aber was er mit Bestimmtheit wisse, sei die Tatsache, dass sie über seinen Bedarf hinausgegangen seien und dass er somit seiner Familie eine große Hilfe habe sein können.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Mit Urteil vom 06.11.2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger verfüge über keine Beitrags- und Ersatzzeiten, die auf die für die Altersrente erforderliche Wartezeit anrechenbar wären. Zunächst würden Beitrags- oder Beschäftigungszeiten nach §§ 15, 16 des Fremdrentengesetzes ausscheiden, da der Kläger nicht dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört habe. Ferner würden Beitragszeiten nach Maßgabe des ZRBG ausscheiden. Die Kammer habe Zweifel daran, dass der Kläger durchgehend von Juli 1941 bis Juni 1943 außerhalb des Ghettos Minsk in einer Lederfabrik gearbeitet habe. Denn gegenüber der Claims Conference habe der Kläger 1993 angegeben, Zwangsarbeit "bei den Schienen der Eisenbahn” verrichtet zu haben. Diese Widersprüche habe der Kläger auch durch seine späteren Erklärungen nicht ausräumen können. Es erscheine der Kammer nicht überwiegend wahrscheinlich, dass der Kläger, wie er später erklärt habe, trotz Heranziehung zur Zwangsarbeit die Möglichkeit gehabt haben solle, an zwangsarbeitsfreien Tagen einer freiwillig zustande gekommen Tätigkeit in der Lederfabrik nachzugehen. Er habe auch nicht ausreichend glaubhaft gemacht, dass er im Ghetto Minsk entgeltlich tätig geworden sei. Die Kammer halte es für am wahrscheinlichsten, dass der Kläger täglich Lebensmittel (Mittagessen) und Lebensmittelkarten zur Eigenversorgung erhalten habe, was somit als lediglich freier Unterhalt nicht zur Rentenversicherungspflicht der Beschäftigung führe, § 1227 Reichsversicherungsordnung. Hierfür stütze sich die Kammer auf die Angaben des Klägers gegenüber der Claims Conference, im Ghetto Minsk an Hunger gelitten zu haben, was entscheidend dagegen spreche, dass der Kläger über die Eigenversorgung hinaus Lebensmittel erhalten habe. Nichts anderes folge aus der Angabe, Lebensmittel auch an die Familienangehörigen weitergegeben zu haben. Denn es sei zumindest ebenso wahrscheinlich, dass der Kläger aus Solidargesichtspunkten heraus ihm gewährte Lebensmittelrationen mit seinen Familienangehörigen geteilt habe.
Gegen das ihm am 06.11.2006 zugegangene Urteil hat der Klägerbevollmächtigte am 09.11.2006 Berufung eingelegt mit dem Begehren, dem Kläger eine Regelaltersrente unter Berücksichtigung einer Beitragszeit von Juli 1941 bis Juni 1943 zu gewähren. Er trägt vor, der Kläger habe eine freiwillige und entgeltliche Tätigkeit ausgeübt. Dem Kläger sei Lohn in Form von Lebensmitteln zur beliebigen Verfügung gewährt worden, da er damit auch die nicht arbeitenden Familienmitglieder habe unterstützen können. Im übrigen verweist der Klägerbevollmächtigte auf das Gutachten von Prof. Dr. Golczewski zur Region Reichskommissariat Ostland, Weissrussland vom 20.11.2006 und das Ergänzungsgutachten vom 27.11.2006. Wegen grundsätzlicher Bedeutung sei die Revision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie gibt an, dass ihr die Gutachten von Prof. Dr. Golczewski vorliegen. Sie meint, dass von einer der Art und dem Umfang nach angemessenen Entlohnung im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 07.10.2004 (B 13RJ 59/03 R) nicht ausgegangen werden könne, nachdem der Kläger angegeben habe, für die 10 bis 12 Stunden tägliche Arbeit Lebensmittelkarten (Höhe nicht erinnerlich) und Mittagessen erhalten zu haben.
Auf Anfrage des Senats hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 26.10.2007 unter Auswertung des von ihr beigezogenen Versicherungsverlaufs des Klägers in der israelischen Nationalversicherung (wonach der Kläger in der Zeit von 1972 bis 1992 Beiträge entrichtet hat) mitgeteilt, die für die Regelaltersrente erforderliche allgemeine Wartezeit wäre vorbehaltlich der Anerkennung von ZRBG-Beitragszeiten erfüllt.
Der Senat hat die Rentenakte des Klägers beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und Rentenakte verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte die Sache verhandeln und entscheiden, obwohl weder der Kläger noch sein Prozessbevollmächtigter zum Termin erschienen sind. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers ist mit der ordnungsgemäß erfolgten Terminsbenachrichtigung (Empfangsbekenntnis vom 05.11.2007) auf diese zulässige Verfahrensweise (§124 Absatz 1, 153 Absatz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) hingewiesen worden.
Die zulässige Berufung ist begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 16.03.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.09.2005 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 54 Absatz 2 SGG. Der Kläger hat Anspruch auf Regelaltersrente rückwirkend ab dem 01.07.1997 gemäß §§ 35 ff. des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) in Verbindung mit den Vorschriften des ZRBG aufgrund der (fiktiven) Beitragszeiten, die er in der Zeit von Juli 1941 bis Juni 1943 im Ghetto Minsk glaubhaft zurückgelegt hat.
Nach § 35 SGB VI hat ein Versicherter Anspruch auf Altersrente, wenn er das 65. Lebensjahr vollendet und die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllt hat. Der Kläger hat das 65. Lebensjahr bereits im März 1991 vollendet. Auch ist die allgemeine Wartezeit erfüllt. Daher braucht vorliegend nicht entschieden zu werden, ob es der Erfüllung der allgemeinen Wartezeit von fünf - mit anrechenbaren Zeiten belegten - Jahren bedarf (vgl. BSG, Urteil vom 26.07.2007, B 13 R 28/06 R) oder nicht bedarf (vgl. BSG, Urteil vom 14.12.2006, B 4 R 29/06 R), wenn - wie hier - die Gewährung einer Rente unter Anerkennung von Ghettobeitragszeiten nach dem ZRBG in Streit steht.
Als auf die Wartezeit anrechnungsfähige Zeiten kommen grundsätzlich Beitrags- und Ersatzzeiten im Sinne der §§ 50 Absatz 1 Nr. 1, 51 Absatz 1 und Absatz 4 SGB VI in Betracht. Dabei finden nach § 250 Absatz 1 SGB VI Ersatzzeiten als rentenrechtliche Zeiten allerdings nur dann Berücksichtigung, wenn vor Beginn der Rente zumindest ein Beitrag wirksam entrichtet worden ist oder als wirksam entrichtet gilt; denn Ersatzzeiten sollen nur Personen zugute kommen, die bereits Beitragsleistungen erbracht haben ("Versicherte”). Dabei sind gemäß §§ 55 Absatz 1, 247 Absatz 3 Satz 1 SGB VI Beitragszeiten Zeiten, für die nach Bundesrecht oder Reichsversicherungsgesetzen Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind. Gemäß § 2 Absatz 1 in Verbindung mit § 1 Absatz 1 Satz 1 ZRBG gelten für Zeiten der Beschäftigung eines Verfolgten in einem Ghetto Beiträge als gezahlt, wenn sich der Verfolgte zwangsweise in einem Ghetto aufgehalten hat, welches sich in einem Gebiet befand, das vom Deutschen Reich besetzt oder diesem eingegliedert war und er dort eine aus eigenem Willensentschluss zustande gekommene Beschäftigung gegen Entgelt ausgeübt hat, sofern für diese Zeiten nicht bereits eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit erbracht wird.
Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
Der Kläger ist Verfolgter im Sinne des BEG, ohne dass es hierfür eines förmlichen Anerkennungsbescheides nach dem BEG bedarf, den der Kläger nicht vorweisen kann. Der Kläger ist aus Gründen des Glaubens durch nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen verfolgt worden und hat hierdurch Schaden an Körper, Gesundheit und Freiheit erlitten, § 1 Absatz 1 BEG. Die Verfolgteneigenschaft des Klägers ist zwischen den Beteiligten unstreitig und ergibt sich im übrigen auch aus der erfolgten Entschädigung durch die Claims Conference.
Der Kläger hat auch glaubhaft gemacht, sich zwangsweise in einem Ghetto - hier im Ghetto Minsk - aufgehalten zu haben, das in einem Gebiet lag, das vom Deutschen Reich besetzt oder diesem eingegliedert war, und dort eine freiwillig aufgenommene Tätigkeit gegen Entgelt ausgeübt zu haben.
Glaubhaft gemacht ist eine Tatsache, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist, wobei gewisse noch verbleibende Zweifel unschädlich sind, jedoch insgesamt mehr für als gegen den behaupteten Sachverhalt sprechen muss (vgl. BSG SozR 3-3900 § 15 Nr. 4).
Mit dem Sozialgericht hält es der Senat zunächst für glaubhaft gemacht, dass sich der Kläger zwangsweise im Ghetto Minsk - und damit in einem vom Deutschen Reich besetzten bzw. eingegliederten Gebiet - im Zeitraum Juli 1941 bis Juni 1943 aufgehalten hat. Der Kläger hat bereits 1993 im Entschädigungsverfahren vor der Claims Conference angegeben, er habe sich von Juli 1941 bis Sommer 1943 im Ghetto Minsk aufhalten müssen; diesen Vortrag hat er in dem 2002 eingeleiteten Rentenverfahren widerspruchsfrei wiederholt. Der Zeuge N H hat den zwangsweisen Aufenthalt des Klägers im Ghetto Minsk von Sommer 1941 bis Sommer 1943 in seiner vor einem israelischen Notar abgegebenen (undatierten) Erklärung bestätigt. Dem Entgegenstehendes ist den Akten nicht zu entnehmen. Die Existenz des Ghettos Minsk im entscheidungserheblichen Zeitraum wird im Gutachten von Prof. Dr. Golczewski zur Region Reichskommissariat Ostland, Weissrussland, vom 20.11.2006 historisch bestätigt und ist zwischen den Beteiligten genauso unstreitig wie die Tatsache, dass das Ghetto Minsk in einem Gebiet lag, das vom Deutschen Reich besetzt oder diesem eingegliedert war: Die Deutschen haben Minsk am 01.07.1941 besetzt; am 19.07.1941 fiel die Entscheidung zur Ghettobildung, die im August 1941 realisiert wurde (vgl. ebenfalls Gutachten Prof. Dr. Golczewski zur Region Reichskommissariat Ostland, Weissrussland, vom 20.11.2006).
Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts hat der Kläger auch glaubhaft gemacht, in dem im Tenor genannten Zeitraum eine Tätigkeit in der Lederfabrik ausgeübt zu haben. In seinen im Rentenverfahren abgegebenen Erklärungen hat der Kläger konkret angegeben, er habe in der außerhalb des Ghettos Minsk gelegenen Lederfabrik 10 bis 12 Stunden täglich Leder ausgeladen. Der Zeuge H hat in seiner schriftlichen Erklärung die vom Kläger angegebene Tätigkeit in der Lederfabrik von Sommer 1941 bis Sommer 1943 bestätigt und weiter konkretisiert, der Kläger habe Leder ausgeladen und auch Sohlen von Schuhen ausgeschnitten. Der Erklärung des Zeugen kommt dabei besonderer Beweiswert zu, weil der Zeuge angibt, er habe selbst auch kurze Zeit in der Lederfabrik gearbeitet, so dass seine Angaben insoweit auf eigener Anschauung beruhen. Schließlich führt Prof. Dr. Golczewski in seinem Gutachten vom 20.11.2006 aus, dass es in Minsk kleine Ghettos gab, die Arbeitsbetrieben zugeordnet waren; eines habe sich von August 1941 an auf dem Gelände der Kujbysev-Lederfabrik befunden. Der so erfolgten Glaubhaftmachung steht die Angabe des Klägers gegenüber der Claims Conference nicht entgegen, er sei während des Aufenthalts im Ghetto gezwungen worden, schwere Zwangsarbeiten zu verrichten, und habe "bei den Schienen der Eisenbahn gearbeitet”. Der Kläger hat diese Angabe in seiner Erklärung vom 04.05.2005 dahingehend erläutert, dass er während des Ghettoaufenthalts nur ab und zu, nämlich ein- bis zweimal pro Woche, zur Zwangsarbeit eingeteilt worden sei, weil er noch jung und die Zwangsarbeit schwer gewesen sei; vor der Claims Conference sei es nicht auf freiwillige Tätigkeiten angekommen, so dass er diese auch nicht erwähnt habe. Diese Darlegungen des Klägers sind für den Senat schlüssig und lösen die Widersprüche hier glaubhaft auf. Es ist dem Senat - auch infolge der Kenntnis einer Vielzahl von ZRBG-Fällen mit den jeweiligen Schilderungen der Betroffenen - auch vorstellbar, dass die in Ghettos Internierten zum Teil direkt von der Straße aus aufgegriffen und zu Zwangsarbeiten eingeteilt wurden, was damit durchaus die Annahme der nur unregelmäßigen und nicht täglichen Verrichtung von Zwangsarbeit zulässt.
Glaubhaft gemacht hat der Kläger auch das Zustandekommen der Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss.
Die vom Kläger geschilderten und vom Zeugen bestätigten Umstände der Beschäftigung in der Lederfabrik sprechen dafür, dass der Kläger selbst die Tätigkeit angestrebt und freiwillig verrichtet hat. Auch die Art der Tätigkeit - Hilfstätigkeiten in einer Lederfabrik - deutet eher auf eine freiwillig ausgeübte Beschäftigung als auf Zwangsarbeit hin (so auch die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 29.11.2006, in dem sie unter Hinweis auf das Gutachten von Prof. Dr. Golczewski davon ausgeht, dass die Bewohner von Ghettos gerade zu schweren und gefährlichen Arbeiten (z. B. im Straßenbau) zwangsweise herangezogen worden sind). Schließlich haben der Kläger und der Zeuge übereinstimmend und widerspruchsfrei erklärt, der Kläger sei auf dem Weg zur Arbeit, nicht aber bei der Arbeit bewacht worden. Die allein geschilderte Bewachung durch jüdische Polizei auf dem Weg zur Arbeit ist Ausfluss des vom ZRBG vorausgesetzten zwangsweisen Aufenthalts im Ghetto insbesondere bei den (auch von der Beklagten anerkannten) Tätigkeiten außerhalb des Ghettos bei täglicher Rückkehr in das Ghetto.
Auch die Verordnungslage in Minsk im betreffenden Zeitraum führt nicht zu einer anderen Bewertung (anders noch Urteile des Landessozialgerichts NRW (LSG NRW) vom 06.03.2006, L 3 (18) R 98/05 und vom 03.11.2006, L 4 R 68/05; nicht mehr darauf abstellend aber Urteil vom 25.04.2007, L 4 R 133/06). Denn allein aus der 1941 verordneten Einführung eines Arbeitszwangs für die jüdische Bevölkerung folgt nicht schon ein Zwang zur Zwangsarbeit, sondern allenfalls zur Arbeit, bei der es sich dann aber auch um ein aus eigenem Willensentschluss aufgenommenes Beschäftigungsverhältnis handeln kann. Letztlich kommt es auf die praktische Umsetzung eines evtl. allgemeinen Arbeitszwangs im jeweiligen Einzelfall an.
Schließlich führt auch der Antrag des Klägers beim Zwangsarbeiterfonds der Claims Conference vorliegend nicht zwingend zur Annahme der Unfreiwilligkeit der Beschäftigung in der Lederfabrik. Eine genaue Beschreibung der Tätigkeit ist dem Antrag des Klägers bei der Claims Conference nicht zu entnehmen. Eine Entschädigung ist nur für 1941 erfolgt. Zur Überzeugung des Senats ist es deshalb durchaus denkbar, dass der Kläger mit dem Antrag auf Entschädigung wegen Zwangsarbeit nicht die Tätigkeit in der Lederfabrik gemeint hat, sondern die Tätigkeit bei der Eisenbahn, die er nach seinen Angaben nur unregelmäßig verrichten musste. Die Glaubhaftmachung der Freiwilligkeit der Arbeitsaufnahme in der Lederfabrik wird dadurch hier nicht entscheidend erschüttert.
Zur Überzeugung des Senats ist auch eine ausreichende Entgeltlichkeit der ausgeübten Tätigkeit im Sinne des ZRBG glaubhaft gemacht. Dies kann im übrigen auch bei der Beurteilung der Freiwilligkeit des Beschäftigungsverhältnisses nicht unberücksichtigt bleiben, weil der Erhalt eines ausreichenden Entgelts nach Auffassung des Senats dafür spricht, dass es sich auch ansonsten um eine halbwegs "normales” Beschäftigungsverhältnis auf freiwilliger Basis gehandelt hat (vgl. Urteil des Senats vom 14.09.2007, L 14 R 169/06). Bereits im Jahr 2003 hat der Kläger angegeben, für seine Tätigkeit Mittagessen und wöchentlich Lebensmittelkarten erhalten zu haben, an deren Höhe er sich bei seiner ersten Erklärung aus 2003 nicht erinnerte. Diese Angaben hat der Kläger zeitlich vor dem Urteil des BSG vom 07.10.2004 (B 13 RJ 59/03 R), mit dem das BSG die Anforderungen an das erforderliche Entgelt konkretisiert hat, gemacht. Die damaligen Angaben des Klägers waren daher noch verhältnismäßig ungefangen und wenig zweckgerichtet. Vor diesem Hintergrund erscheinen dem Senat auch die späteren Konkretisierungen, wonach die Lebensmittelkarten von der Fabrikleitung (also nicht vom Judenrat) ausgehändigt wurden und ausgereicht haben, um dafür auch haltbare Lebensmittel in einer Menge zu beschaffen, dass die nicht arbeitenden Familienmitglieder unterstützt werden konnten, durchaus glaubhaft. Wesentlich ist dabei für den Senat, dass der Zeuge H die Angaben des Klägers bestätigt hat, der Kläger habe nicht nur Mittagessen beim Arbeitsplatz erhalten, sondern auch wöchentlich Lebensmittelkarten, mit denen sich der Kläger Lebensmittel für zu Hause habe beschaffen können, die über die Bedürfnisse des Klägers hinaus gereicht hätten, so dass der Kläger noch der nicht arbeitenden Mutter und Geschwistern mit Nahrungsmitteln habe aushelfen können. Die Tatsache, dass der Zeuge ausdrücklich nur die Mitversorgung der nicht arbeitenden Mutter und Geschwister schildert und den Vater des Klägers damit ausnimmt, macht seine Angaben schlüssig, weil sie stimmig sind mit den 1993 gemachten Angaben des Klägers gegenüber der Claims Conference, wonach sein Vater im November 1941 in einer ersten Vernichtungsaktion im Ghetto Minsk umkam, hingegen die Mutter und Geschwister im Rahmen einer weiteren Vernichtungsaktion 1943, und wonach bei dieser weiteren Aktion nur diejenigen am Leben geblieben sind, die zu dieser Zeit bei der Arbeit waren, woraus letztlich wiederum folgt, dass die Mutter und Geschwister offenbar nicht gearbeitet haben. Entgegen der Annahme des Sozialgerichts kann sich die 1993 vom Kläger gemachte weitere Angabe vor der Claims Conference, er und seine Familie hätten an Hunger und Kälte gelitten, nach der chronologischen Reihenfolge der Angaben durchaus auch nur auf die Zeit vor Aufnahme jeglicher Arbeit - sei es Zwangsarbeit, sei es freiwillige Tätigkeit - beziehen ("Vater und Großvater wurden getötet wir litten an Hunger und Kälte ich war gezwungen, schwere Zwangsarbeit zu verrichten ), so dass dies nach Senatsauffassung hier nicht entscheidend dagegen sprechen muss, dass der Kläger für eine Tätigkeit in der Lederfabrik über die Eigenversorgung hinaus Lebensmittel erhalten hat. Im übrigen gibt Prof. Dr. Golczewski in seinem Ergänzungsgutachten vom 27.11.2006 nach Sichtung einer weiteren Dokumentation eine Übersicht über die Entlohnung im Ghetto Minsk. Daraus wird deutlich, dass etwa die als Handwerker im Ghetto Minsk arbeitenden Juden im Ghetto Minsk mit Mahlzeiten und zusätzlichen Lebensmitteln entlohnt wurden; außerdem habe die deutsche Feldkommandantur für den Bezirk Minsk im Juli 1941 verfügt, dass Juden keinen Barlohn, aber Lebensmittel erhalten; in den Arbeitslohn waren die Lebensmittelzuteilungen ausdrücklich aufzunehmen. Nach Auffassung des Senats ist daher im vorliegenden Fall von einem Entgelt auszugehen, dass schon über nur freien Unterhalt hinausgeht und auch unter Zugrundelegung der Maßstäbe des Urteils des BSG vom 07.10.2004 (B 13 RJ 59/03 R) ausreicht. Es kann daher ausdrücklich dahinstehen, ob der Senat dem neueren Urteil des BSG vom 14.12.2006 (B 4 R 29/06 R) folgt.
Auch die übrigen Voraussetzungen des ZRBG sind erfüllt. Der Kläger hat für den tenorierten Zeitraum keine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit erhalten.
Eine Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis, die der Kläger verneint hat, ist nicht Voraussetzung für die Anerkennung von Beitragszeiten nach dem ZRBG (vgl. hierzu ausführlich Urteil des BSG vom 26.07.2007, B 13 R 28/06 R).
Offen bleiben kann schließlich, ob eine Vorrangstellung des FRG gegenüber dem ZRBG besteht, so dass Ansprüche aus dem ZRBG ausscheiden, wenn für Ghetto-Zeiten bereits eine Leistung nach dem vorrangig anzuwendenden FG zu zahlen wären (vgl. BSG Urteil vom 14.12.2006, B 4 R 29/06 R). Denn die Ghetto-Beschäftigungszeit des Klägers von Juli 1941 bis Juni 1943 ist nicht als Zeit nach dem FRG Bundesgebietszeiten gleichgestellt. Der Kläger erfüllte weder die persönlichen Voraussetzungen des § 1 FRG noch gehörte er zu dem nach §§ 17 a FRG, 20 WGSVG begünstigten Personenkreis, da er weder als Vertriebener im Sinne des Bundesvertriebenengesetzes anerkannt ist noch, wie er angab, dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehörte.
Unter Berücksichtigung der glaubhaft gemachten Beitragszeiten von Juli 1941 bis Juni 1943 ist die allgemeine Wartezeit ausweislich der Auskunft der Beklagten im Schriftsatz vom 26.10.2007 unter Berücksichtigung des Versicherungsverlaufs des Klägers in der israelischen Nationalversicherung erfüllt.
Eine Rentengewährung hat hier rückwirkend ab dem 01.07.1997 zu erfolgen, da nach § 3 Absatz 1 ZRBG ein bis zum 30.06.2003 gestellter Antrag als am 18.06.1997 gestellt gilt; der Kläger hat seinen Antrag im November 2002 gestellt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Absatz 2 SGG nicht erfüllt sind. Insbesondere beruht das Urteil auf einer Beweiswürdigung im Einzelfall und ergeht unabhängig von dem neueren Urteil des BSG vom 14.12.2006 (B 4 R 29/06 R), dem die Rentenversicherungsträger nicht folgen.
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