S 8 KR 409/05

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Leipzig (FSS)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 8 KR 409/05
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Eine Sozialwissenschaftlerin ist als Publizistin im Sinne des Künstlersozialversicherungsgesetzes tätig, wenn der erkennbare Schwerpunkt der Berufsausübung auf der Publikation wissenschaftlicher Aufsätze u.Ä. liegt.
I. Der Bescheid vom 26.01.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.08.2005 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte wird verurteilt, festzustellen, dass die Klägerin der Versicherungspflicht nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz unterliegt.
III. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu tragen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Versicherungspflicht in der Künstlersozialversicherung.

Die am 1965 geborene Klägerin ist Diplom-Pädagogin (Urkunde vom 09.09.1992) und promovierte an der ... im Fachbereich Erziehungswissenschaften (Urkunde vom 03.02.2004). Zuvor war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin vom ... bis ... am Lehrstuhl für allgemeine und interkulturelle Pädagogik an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität. tätig, dann vom ... bis ... wissenschaftliche Referentin am Deutschen Jugendinstitut, regionale Arbeitsstelle ... Anschließend bezog sie Arbeitslosengeld bis 20.09.2004. Ab diesem Zeitpunkt machte sie sich selbstständig und bezog von der Bundesagentur für Arbeit Überbrückungsgeld.

Am 12.08.2004 hatte sie bei der Beklagten einen Fragebogen zur Prüfung der Versicherungspflicht nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG) ausgefüllt. Hierfür legte sie ihre Zeugnisse vor, einen Dozentenvertrag vom ... mit dem Bildungsförderwerk " ...", wonach sie als Referentin bei der Fachtagung " ..." ein Honorar von 300,00 EUR erhielt, einen Werkvertrag vom 29.11.2003 mit dem Bezirksamt - zur Ausarbeitung und Präsentation eines Beitrages für die Fachtagung " ...! – ..." zu 200,00 EUR, ferner einen Lehrauftrag vom 22.05.2003 mit der Hochschule ...für eine Vortragstätigkeit zum Thema " ... ", der mit insgesamt 456,00 EUR vergütet worden war. Außerdem lag eine Bestätigung der "Verwertungsgesellschaft Wort" vor, wonach die Klägerin dort seit 2001 im Bereich Wissenschaft registriert ist.

Mit Bescheid vom 26.01.2005 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Die Tätigkeit der Klägerin könne nicht als künstlerisch/publizistisch im Sinne des Künstlersozialversicherungsgesetzes (KSVG) angesehen werden. Zwar übe sie eine gemischte Tätigkeit aus, die auch publizistische Arbeiten mit einschließe; ihrem Gesamtprofil nach bestünden indes keine ausreichenden Analogien zu publizistischen Leitbildberufen, wie Schriftsteller oder Journalist. Vielmehr werde ihre Tätigkeit insgesamt pädagogisch/fachwissenschaftlich geprägt, was aus den eingereichten wirtschaftlich bedeutsamen Nachweisen erkennbar werde (Dozenten- und Werkverträge über Beiträge für Fachtagungen (Lehraufträge)).

Hiergegen legte die Klägerin am 28.02.2005 Widerspruch ein. Seit 20.09.2004 erhalte sie von der Bundesagentur für Arbeit Überbrückungsgeld für den Berufseinstieg als freiberufliche wissenschaftliche Autorin. Sie sei im letzten halben Jahr fast ausschließlich schreibend tätig gewesen, insbesondere um das Stipendium bei einer Stiftung zu erwerben, das ausschließlich an freie Autoren vergeben werde. Deshalb habe sie sich als wissenschaftliche Autorin bei der Beklagten gemeldet. Ihre Veröffentlichungen stünden seit 1996 im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit als wissenschaftliche Autorin, was sich aus den eingereichten Nachweisen, einer Expertise vom 02.07.2004 für das ..., ergebe, die mit 3.000,00 EUR vergütet worden war, ferner durch einen Werkvertrag, ..., vom 05.07.2004 in derselben Vergütungshöhe.

Durch Widerspruchsbescheid vom 22.08.2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Klägerin habe lediglich Einnahmen aus Vortragstätigkeiten und als Referentin einer Fachtagung erzielt, nicht aus publizistischer Tätigkeit. Diese lägen aber nur vor, wenn die eigenschöpferische Wortgestaltung das Schwergewicht der Tätigkeit ausmache. Das KSVG beziehe sich nur auf Lehrtätigkeiten, die der aktiven Kunst-/Publizistikausübung der Auszubildenden dienten, d. h. der Vermittlung praktischer oder theoretischer Kenntnisse und die sich auf die hierfür erforderlichen Fähigkeiten oder Fertigkeiten auswirkten. Die Vermittlung bloßer theoretischer Kenntnisse im Rahmen von Vorträgen, Führungen oder Seminaren allein genüge nicht. Zudem habe sie lediglich Einnahmen aus Vortragstätigkeiten (auch aus dem Jahr 2003) sowie als Referentin bei einer Fachtagung belegen können. Eine Einkommenserzielung über der sozialversicherungsrechtlichen Geringfügigkeitsgrenze sei nach der von der Beklagten anzustellenden Prognose nicht plausibel belegt.

Hiergegen hat die Klägerin am 22.09.2005 Klage zum Sozialgericht Leipzig erhoben. Sie habe ab dem 20.09.2004 eine selbstständige publizistische Tätigkeit im Bereich Wort als Kritikerin und wissenschaftliche Autorin aufgenommen und auch nachgewiesen. Zu den Veröffentlichungen zählten Monographien, zahlreiche Aufsätze, Vorträge, Forschungsberichte und Expertisen. So habe sie als wissenschaftliche Autorin (und damit als Publizistin im Sinne des KSVG) das im Oktober 2005 erschienene Buch mit dem Titel " ..." mit veröffentlicht. Die Beklagte habe im Übrigen weder die sozialversicherungsrechtliche Geringfügigkeitsgrenze für das Kalenderjahr 2004 anteilig herabgesetzt, noch eine gesetzlich mögliche entsprechende Herabsetzung der Entgeltgrenze als Berufsanfängerin berücksichtigt.

Die Klägerin beantragt,

"den Bescheid vom 26.01.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.08.2005 aufzuheben und festzustellen, dass die Klägerin der Versicherungspflicht des Künstlersozialversicherungsgesetzes unterliegt."

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es sei keine publizistische Tätigkeit nachgewiesen. Die geringen Einkünfte aus Vortragstätigkeiten allein rechtfertigten bereits die Feststellung von Versicherungsfreiheit. Zwar sei die Klägerin seit August 2004 (wohl richtig: seit 2001) bei der Verwertungsgesellschaft Wort registriert, die damaligen Veröffentlichungen erfolgten indes im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung. Eine publizistische Tätigkeit im Rechtssinne liege somit nicht vor; vielmehr werde sie als "freiberufliche Sozialwissenschaftlerin" tätig, nicht als Publizistin.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt, eine Gerichtsakte sowie einen Verwaltungsvorgang der Beklagten, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Nach Einverständnis der Beteiligten entscheidet das Gericht ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Bescheid vom 26.01.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.08.2005 war aufzuheben. Er verletzt die Klägerin in ihren Rechten; denn sie hat einen Rechtsanspruch auf Feststellung der Versicherungspflicht in der Künstlersozialversicherung, da sie seit 20.09.2004 als Publizistin tätig ist.

Gemäß § 1 KSVG sind selbstständige Künstler und Publizisten in der allgemeinen Rentenversicherung, in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der sozialen Pflegeversicherung versichert, wenn sie die künstlerische oder publizistische Tätigkeit erwerbsmäßig und nicht nur vorübergehend ausüben (Nr. 1) und im Zusammenhang mit der künstlerischen oder publizistischen Tätigkeit nicht mehr als einen Arbeitnehmer beschäftigen, es sei denn, die Beschäftigung erfolgt zur Berufsausbildung oder ist geringfügig im Sinne des § 8 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB IV). Nach § 2 Satz 2 KSVG ist Publizist im Sinne dieses Gesetzes, wer als Schriftsteller, Journalist oder in anderer Weise publizistisch tätig ist oder Publizistik lehrt.

Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten ist die Klägerin "Publizistin" im Sinne des KSVG. Wie sich aus der Eröffnungsklausel "oder in anderer Weise publizistisch tätig" ergibt, hat der Gesetzgeber den Tatbestand des § 2 Satz 2 KSVG nicht allein auf die klassischen Berufe des Schriftstellers und Journalisten beschränkt. Vielmehr ist der Begriff des "Publizisten" weit zu fassen (so bereits: BSG SozR 3-5425, § 2 Nr. 12 mwN). Er erfasst jeden im Kommunikationsprozess an einer öffentlichen Aussage schöpferisch Mitwirkenden, ohne auf eigenschöpferische Wortbildungen oder die inhaltliche Gestaltung und Aufmachung von Büchern und sogenannten Massenkommunikationsmitteln, wie Zeitungen, Zeitschriften oder Broschüren begrenzt zu sein (BSG, wie vor, sowie BSG SozR 4-5425, § 25 Nr. 1). Wenn die Nachhaltigkeit der Berufsausübung nach § 1 Nr. 1 KSVG gesichert ist, ist als publizistischer Beruf auch der des wissenschaftlichen Autors anzuerkennen.

Wissenschaftlicher Autor ist, wer sich als Verfasser von schriftlichen Abhandlungen oder mündlichen Darstellungen gezielt einem wissenschaftlichen Thema widmet und das Ergebnis seiner Forschung und Recherche einem – wenn auch manchmal begrenzten – Publikum zur Kenntnis bringt. Hierzu zählen, neben "streng wissenschaftlichen" Werken, auch sogenannte populär-wissenschaftliche Arbeiten (BSG SozR 4-5425, § 24 Nr. 4). In diesem Sinne ist die Klägerin als wissenschaftliche Autorin "Publizistin" im Sinne des Gesetzes.

Zwar weist die Beklagte zutreffend darauf hin, dass zahlreiche publizistische (wissenschaftliche) Abhandlungen der Klägerin noch in die Zeit ihrer Tätigkeit als abhängig Beschäftigte, d. h. als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität. bzw. als wissenschaftliche Referentin am Deutschen Jugendinstitut, fallen; gleichwohl ergibt sich dies aus der Natur der Sache, weil die Klägerin zum Zeitpunkt der Erstellung des Ausgangsbescheides am 26.01.2005 noch kein halbes Jahr selbstständig tätig gewesen ist. Ausweislich des vorliegenden (datumslosen) Bescheides der Bundesagentur für Arbeit erhält die Klägerin nach Beendigung ihrer Arbeitslosigkeit ab dem 20.09.2004 Überbrückungsgeld zur Begründung ihrer Selbstständigkeit. Zu Recht macht sie geltend, dass zur Gewinnung eines Stipendiums wissenschaftliche Vorarbeiten erforderlich sind. Auch die von ihr wahrgenommenen vergüteten Vortrags- und Referententätigkeiten sind letztlich wissenschaftliche Vorarbeiten. Sie erweisen sich vielfach als notwendig, um auf deren Grundlage publizistischer Aufträge und Stipendien überhaupt erhalten zu können. Denn ohne einen hierdurch erlangten gewissen Bekanntheitsgrad, zumindest in den einschlägigen Fachkreisen, dürfte eine "Mitwirkung im Kommunikationsprozess" kaum zu erzielen sein.

Vielmehr liegt es im Wesen eines wissenschaftlichen Autors begründet, zunächst bei der Erstellung von Expertisen wissenschaftliches Datenmaterial, insbesondere Statistiken, auszuwerten und - aufbauend auf der wissenschaftlichen Ausbildung - hieraus sozialwissenschaftlich unterlegte und begründete Schlüsse ziehen zu können: So erhielt die Klägerin - ausweislich des im Klageverfahren vorgelegten Werksvertrages vom 21.10.2005 - eine Gesamtvergütung in Höhe von 4.600,00 EUR für das Projekt "Expertenbericht ...". Vertragsgegenstand hierbei war die Auswertung der durch Fragebögen erhobenen Daten entsprechend der Ziele des Projektes und die Erarbeitung eines die Ergebnisse zusammenfassenden Textes. Dieser Text bezieht sich gerade auf die Auswertung der Daten (vgl. § 2 Abs. 2 des Werkvertrages, Blatt 37 ff. der Gerichtsakte).

Selbst wenn man auf Grund des wissenschaftlichen Charakters der Tätigkeit und der für die Veröffentlichung von Wortbeiträgen erforderlichen statistischen Vorarbeiten, wie statistischer Auswertung des Datenmaterials usw., eine "gemischte Tätigkeit" im Sinne der Beklagten annehmen wollte, überwiegt hier der publizistische Charakter der Tätigkeit. Dies beruht darauf, dass es im Endergebnis auf die wissenschaftliche Ausarbeitung und deren wissenschaftliche Belegbarkeit anhand des beigezogenen Datenmaterials für die Auftraggeber ankommt. Diese prägt den Schwerpunkt der Berufsausübung (vgl. dazu auch im Bereich der Kunst: BSGE 82, 107 (111)). Ebenso wie ein Journalist oder Schriftsteller benötigt der Wissenschaftler ein publizistisches Medium (Druckerzeugnis oder elektronisches Medium), um seine Tätigkeit ausüben zu können (vgl. dazu auch: BSG, Urteil vom 24.06.1998, Az: B 3 KR 10/97 R). Damit versteht man unter einem Publizisten jeden im Kommunikationsprozess an einer öffentlichen Aussage schöpferisch Mitwirkenden. Es handelt sich hierbei um an die Öffentlichkeit gerichtete Aussagen, wenngleich die Öffentlichkeit hier auf den interessierten, oder wissenschaftlich entsprechend vorgebildeten, Teilnehmerkreis beschränkt sein dürfte.

Wenn die Beklagte demgegenüber darauf verweist, dass nach der von ihr anzustellenden Prognose keine erwerbsmäßige und nicht nur vorübergehende publizistische Tätigkeit vorliege, wird dies durch den vorgelegten Werkvertrag vom 21.10.2005 widerlegt. Insoweit kann die Beklagte nicht darauf verweisen, dass die erzielten Einnahmen der Klägerin ausschließlich auf Vortragstätigkeiten beruhten. Die aus diesem Werkvertrag erzielten Einnahmen in Höhe von insgesamt 4.600,00 EUR liegen über der sozialversicherungsrechtlichen Geringfügigkeitsgrenze. Gemäß § 3 Abs. 1 KSVG ist nach diesem Gesetz versicherungsfrei, wer in dem Kalenderjahr aus selbstständiger künstlerische und publizistischer Tätigkeit voraussichtlich ein Arbeitseinkommen erzielt, das 3.900,00 EUR nicht übersteigt.

Wird die selbstständige künstlerische oder publizistische Tätigkeit allerdings nur während eines Teil des Kalenderjahres ausgeübt, ist die in Satz 1 genannte Grenze entsprechend herabzusetzen. Wenn die Tätigkeit somit –wie hier am 20.09.2004 - erst innerhalb eines Jahres aufgenommen wird, ist – worauf der Prozessbevollmächtigte der Klägerin zu Recht hinweist – nach Maßgabe des § 3 Abs. 1 Satz 2 KSVG die in Satz 1 der Vorschrift genannte Grenze entsprechend zu mindern (vgl. dazu bereits: SG A-Stadt, Urteil vom 10.11.2005, Az: S 8 KR 108/03, veröffentlicht in "Juris"). Zwar sind die von der Klägerin bei Antragstellung vorgelegten Verträge, der Dozentenvertrag vom 24.06.2004, der Werkvertrag vom 27.11.2003 und der Lehrauftrag vom 22.05.2003 noch vor Beginn der Selbstständigkeit am 20.09.2004 abgeschlossen worden; insoweit sind diese aber als "Vor-Arbeiten" zur Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit als Publizistin ab 20.09.2004 zu werten. Die sich daran anschließenden bezahlten Vorträge und Referate dienten – wie aufgezeigt - der Steigerung des Bekanntheitsgrades in den einschlägigen Fachkreisen, um wissenschaftliche Werkverträge zur Publikation wissenschaftlicher Erkenntnisse "akquirieren" zu können.

Dass Auftraggeber für die Klägerin bei Erstellung ihrer wissenschaftlichen Werke Träger öffentlicher Einrichtungen sind, spricht ebenfalls nicht gegen eine Tätigkeit als Publizistin; dies ist vielmehr der Tätigkeit selbst immanent, weil schulische, wissenschaftliche und kulturelle Einrichtungen größtenteils von der öffentlichen Hand betrieben, unterhalten oder gefördert werden.

Die Beklagte hat ferner § 3 Abs. 2 KSVG nicht hinreichend berücksichtigt. Danach gilt Abs. 1 der Vorschrift nicht bis zum Ablauf von 3 Jahren nach erstmaliger Aufnahme der Tätigkeit. Die Frist nach Satz 1 verlängert sich um die Zeiten, in denen keine Versicherungspflicht nach diesem Gesetz oder Versicherungsfreiheit nach § 5 Abs. 1 Nr. 8 besteht.

Hier hatte die Klägerin ihre Selbstständigkeit indes erst ab 20.09.2004, nach vorangegangener Arbeitslosigkeit, begründet. Bereits zuvor hatte sie als abhängige Beschäftigte, d. h. als wissenschaftliche Mitarbeiterin bzw. wissenschaftliche Referentin, wissenschaftliche Abhandlungen veröffentlicht. Ihr wäre insoweit hinsichtlich der Entgeltgrenze zu Gute zu halten, dass entsprechende Einnahmen regelmäßig erst nach einer "Anlaufphase" wirtschaftlichen Erfolg zu zeitigen vermögen. Dies gilt auch vor dem Hintergrund der Tatsache, dass ihr zur Begründung der Selbstständigkeit erst ein Überbrückungsgeld von der Bundesagentur für Arbeit bewilligt worden war.

Wenn die Beklagte demgegenüber darauf verweist, dass sie nicht als Publizistin, sondern als "freiberufliche Sozialwissenschaftlerin" tätig geworden sei, hat die Kammer Bedenken dahingehend, ob mit einer derartigen Tätigkeit überhaupt ein wirtschaftlich ausreichender, lebenssichernder Unterhalt erzielt werden kann, zumal fraglich ist, ob dieses Berufsbild tatsächlich so existiert. Sozialwissenschaftler sind vielmehr üblicherweise in abhängiger Beschäftigung bei entsprechenden wissenschaftlichen Einrichtungen tätig, nicht als Selbstständige; denn grundsätzlich werden deren Forschungsergebnisse der sich daran anschließenden publizistischen Arbeit zu Grunde gelegt.

Zwar hat das Bundessozialgericht (BSG) mit Urteil vom 23.03.2006 (Az: B 3 KR 13/05 R) darauf hingewiesen, dass eine Ausdehnung des Schutzbereichs des KSVG selbst dann nicht geboten sei, wenn ein Betroffener nicht anderweitig sozialversicherungsrechtlich geschützt sei. Der Gesetzgeber habe von einer generellen Versicherungspflicht für selbstständig Erwerbstätige abgesehen, selbst wenn diese im Einzelfall sozialschutzbedürftig sein mögen. Das Grundgesetz verpflichte ihn dazu nicht (so auch: BVerfGE 27, 253; 59, 172; 77, 340); andererseits ist der Gesetzgeber bei der Konzeption des Künstlersozialversicherungsgesetzes aber davon ausgegangen, dass sich selbstständige Künstler und Publizisten größtenteils in einer wirtschaftlichen und sozialen Lage befinden, die Arbeitnehmern in vielen Punkten vergleichbar ist. Wenn keine anderweitige soziale Absicherung erfolgt ist, werden sie deshalb als pflichtversichert in die gesetzliche Renten-, Kranken- und die soziale Pflegeversicherung einbezogen und nur mit dem halben Beitrag belastet. Die andere Hälfte wird durch einen Bundeszuschuss und durch die Künstlersozialabgabe erbracht. Diese wird von Unternehmen erhoben, die Werke und Leistungen selbstständiger Künstler und Publizisten für Zwecke ihres Unternehmens gegen Entgelt in Anspruch nehmen.

Um diesem sozialen Sicherungsgedanken Rechnung tragen zu können, hat der Gesetzgeber nunmehr mit dem Gesetz zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit in der gesetzlichen Krankenversicherung (WSG-GKV) § 5 Abs. 1 Nr. 13 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) eingeführt. Danach haben selbst diejenigen, die keinen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall haben und zuletzt gesetzlich krankenversichert waren oder bisher nicht gesetzlich oder privat krankenversichert waren, Anspruch auf Krankenversicherungsschutz, es sei denn, dass sie zu den in Abs. 5 oder zu denen in § 6 Abs. 1 oder 2 genannten Personen gehören oder bei Ausübung der beruflichen Tätigkeit im Inland gehört hätten. Damit sollte vermieden werden, dass eine immer größer werdende Berufsgruppe, trotz sozialer Schutzbedürftigkeit, ohne Krankenversicherungsschutz bleibt. Dem entspricht auch die Intention des Künstlersozialversicherungsgesetzes, so dass die Klägerin als wissenschaftliche Autorin in deren Schutzbereich mit einzubeziehen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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