S 12 KA 188/07

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 188/07
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 14/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 6 KA 1/09 R
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Eine Ausgleichregelung in einem Honorarverteilungsvertrag, wonach zur Vermeidung von praxisbezogenen Honorarverwerfungen nach Einführung des EBM 2005 ein Vergleich des für das aktuelle Abrechnungsquartal berechneten fallbezogenen Honoraranspruches der einzelnen Praxis mit der fallbezogenen Honorarzahlung im entsprechenden Abrechnungsquartal des Jahres 2004 erfolgt und in dem Fall, dass der Fallwertvergleich eine Fallwertminderung oder Fallwerterhöhung von jeweils mehr als 5% (bezogen auf den Ausgangswert des Jahres 2004) zeigt, zu einer Begrenzung oder Stützung auf den maximalen Veränderungsrahmen von 5% führt, ist jedenfalls als Anfangs- und Erprobungsregelung im Quartal II/05 nicht zu beanstanden.
2. Der Regelungszweck einer solchen Ausgleichregelung, die auf die Fallzahl des Vorjahresquartals beschränkt ist, wird jedoch für sog. junge Praxen in der Aufbauphase nicht erreicht. Abweichend hiervon ist der Stützungsbetrag aus der Fallzahl des aktuellen Abrechnungsquartals zu berechnen, maximal jedoch bis zum Durchschnittshonorar der Fachgruppe.
1. Der Honorarbescheid für das Quartal II/05 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 18.04.2007 wird aufgehoben.

2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

3. Die Beklagte hat die Verfahrenskosten zu tragen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Höhe des Honorars für das Quartal II/05 und hierbei insbesondere um die Ausgleichsregelung nach Ziffer 7.5 des Honorarverteilungsvertrages.

Der Kläger ist als Facharzt für Innere Medizin mit dem Schwerpunkt Kardiologie zur vertragsärztlichen Versorgung seit 01.02.2004 mit Praxissitz in A-Stadt zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen.

Mit Honorarbescheid vom 22.01.2006 setzte die Beklagte das Nettohonorar des Klägers für das Quartal II/05 auf 52.957,42 EUR fest. Bei einer Fallzahl von 816 setzte sie das Bruttohonorar quotiert auf 52.709,71 im Primär- und Ersatzkassenbereich fest.

Aufgrund verschiedener Probleme bei Erstellung der Honorarabrechnungen nahm die Beklagte eine Neuerstellung der Quartalsabrechnung für das Quartal II/05 vor.

Mit Bescheid vom 29.06.2006 setzte sie das Nettohonorar des Klägers auf 55.484,44 EUR fest. Das Bruttohonorar im Primär- und Ersatzkassenbereich setzte sie auf 55.163,10 EUR fest.

Gegen den Honorarbescheid legte der Kläger am 13.02.2006 Widerspruch ein. Er trug vor, er erfahre durch die Anwendung der Korrekturregelung gemäß Ziffer 7.5 des Honorarverteilungsvertrages eine Auffüllung auf die maximale Differenz von – 5 %, damit um 25.493,89 EUR. Im Referenzquartal II/04 sei er erst ein Quartal niedergelassen gewesen. Bei der Fallzahl von 583 Fällen habe es sich um die Fallzahlen aus seiner Aufbauphase gehandelt. Diese seien unterdurchschnittlich gewesen. Seine aktuelle Fallzahl liege bei 818 Fällen, der Fallwert bei 33,00 EUR. Er müsse eine Zuwachsmöglichkeit haben als neu gegründete Praxis. Es könne deshalb nicht an die unterdurchschnittliche Fallzahl der Aufbauphase von 583 Fällen angeknüpft werden. Darüber hinaus wehre er sich gegen die Honorierung nach dem EBM 2005. Hierzu behalte er sich weiteren Vortrag vor. Die durchgängig hohen Honorarverluste hätten bereits zu Liquiditätsengpässen geführt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 18.04.2007, dem Kläger am 26.04. zugestellt, wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Darin führte sie aus, gemäß Ziffer 7.5 HVV könne zur Vermeidung von praxisbezogenen Honorarverwerfungen nach Einführung des EBM 2005 eine Ausgleichsregelung zur Anwendung kommen. Die Leistungen aus dem budgetierten Teil der Gesamtvergütung würden mit dem entsprechenden Vorjahresquartal verglichen werden. Weiche der Fallwert dabei mehr als 5 % nach oben oder unten ab, könne ein Ausgleich erfolgen. Dies setze voraus, dass entsprechende Werte des Vorjahresquartals vorhanden seien. Für das Quartal II/05 sei dies bei dem Kläger der Fall. Der aktuelle Fallwert für das Quartal II/05 habe im Rahmen der Ausgleichsregelung bei 41,4561 EUR gelegen. Da der aktuelle Fallwert mehr als 5 % unter dem Referenzwert des Quartals II/04 (79,4705 EUR) gelegen habe, sei eine Korrektur auf den maximal zulässigen Wert von 5 % erfolgt, entsprechend je Fall um 34,0458 EUR. Dieser Betrag habe, multipliziert mit der Fallzahl des Quartals II/04 (583 Fälle) für das Quartal II/05 einen Auffüllbetrag in Höhe von 19.848,73 EUR ergeben. Der Umstand, dass es sich bei dem Kläger eine sog. junge Praxis handele, sei berücksichtigt worden, habe jedoch im Hinblick auf die eindeutigen Vorgaben der Honorarverteilung zu keiner begünstigenden Sonderregelung im Rahmen der Ausgleichsregelung nach Ziffer 7.5 HVV führen können. Der HVV gewähre einen Fallwertverlustausgleich bis zu 5 % und trage insoweit den Vorgaben der BSG-Rechtsprechung Rechnung. Einen Anspruch darauf, im Rahmen der Ausgleichsregelung nach der Ziffer 7.5 HVV die aktuelle Fallzahl des Quartals II/05 zugrunde zu legen, könne aus dieser Rechtsprechung nicht hergeleitet werden.

Hiergegen hat der Kläger am 08.05.2007 die Klage erhoben. Der Kläger trägt ergänzend zu seinen Ausführungen im Widerspruchsverfahren vor, er habe seine Praxis von einem Vorgänger übernommen, der eine unterdurchschnittliche Fallzahl aufgewiesen habe. Zum Zeitpunkt des Referenzquartals sei er erst seit zwei Monaten niedergelassen gewesen. Das Referenzquartal stelle das erste volle Quartal nach der Praxisübernahme dar. Er sei stetig gewachsen, was sich anhand der Fallzahlen bis heute gut erkennen lasse. Trotz des stetigen Wachstums sei er weiterhin unterhalb des Fachgruppendurchschnitts geblieben. Im Honorarbescheid gehe die Beklagte noch von einem Auffüllbetrag in Höhe von 25.493,89 EUR aus, im Widerspruchsbescheid nur noch von 19.848,73 EUR. Dies sei ihm unverständlich. Es müsse die Fallzahl von 816 zugrunde gelegt werden. Dies bedeute einen Auffüllungsbetrag in Höhe von 35.682,70 EUR. Die Fachgruppe der fachärztlichen Internisten habe im Quartal II/05 im Durchschnitt 1.226 Fälle behandelt. Er liege somit immer noch unter dem Durchschnitt der Fachgruppe, sodass von einem unbeschränkten Wachstum nicht die Rede sein könne. Das Anknüpfen an die Zahlen der Aufbauphase einer jungen Praxis verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum Wachstum der jungen Praxen müsse vom Ergebnis her auch auf die Ausgleichsregelung erstreckt werden. Im Gegensatz zu den etablierten Praxen verfüge er über keinen Puffer, auf den er notfalls zurückfallen könne. Durch die ganzen Verwerfungen des neuen EBM werde ihm gar nicht die Möglichkeit gegeben, sein Honorar über die Scheinzahl zu erarbeiten. Ihm werde, betrachte man die Entwicklung in den Folgequartalen, ein Wachstum verwehrt. Im Quartal II/06, dessen Vergleichsquartal das hier streitige Quartal darstelle, erwirtschafte er bei einer um 21 höheren Fallzahl von 837 Fällen sogar ein geringeres Honorar in Höhe von 56.301,68 EUR im Gegensatz zu 57.000,08 EUR im Quartal II/05.

Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Honorarbescheides für das Quartal II/05 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.04.2007 die Beklagte zu verurteilen, ihn unter der Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf den angefochtenen Widerspruchsbescheid und trägt weiter vor, der Fallwert des Klägers aus dem aktuellen Quartal habe den Fallwert des Referenzquartals, für den ein Wert vorgelegen habe, um mehr als 5 % unterschritten. Als Folge hiervon habe er einen Auffüllbetrag von 19.848,73 EUR erhalten. Da bei der Neuberechnung des Quartals II/05 ein um 8.102,32 EUR höheres Honorar errechnet worden sei, habe der Fallwert, da die Fallzahl mit 816 Fällen gleich geblieben sei, höher ausfallen müssen. Damit seien die Fallwerte in den Quartalen II/04 und II/05 nicht mehr in dem Maße von einander abgewichen, wie dies bei der ersten Abrechnung für das Quartal II/05 gewesen sei mit der Folge, dass der Auffüllbetrag geringer gewesen sei. Insgesamt beziehe der Kläger aber ausweislich des korrigierten Honorarbescheides ein höheres Honorar. Die Auffassung des Klägers sei bereits deshalb verfehlt, weil nach dem korrigierten Honorarbescheid nur noch 34,0458 EUR pro Fall und nicht 43,7288 EUR pro Fall auszugleichen gewesen wären. Damit könne selbst nach Auffassung des Klägers maximal ein Auffüllbetrag von 27.781,37 EUR erzielt werden. Addiere man diesen Betrag zu dem anerkannten Honorar von 57.000,00 EUR hinzu, beliefe sich das Honorar des Kläger auf 65.000,00 EUR Damit würde er das durchschnittliche Honorar pro Arzt seiner Fachgruppe mit 62.742,23 EUR bei weitem übersteigen. Dies wäre unbillig insbesondere in Anbetracht der höheren Scheinzahlen der entsprechenden Ärzte. Die Scheinzahl je Arzt habe sich im Quartal II/05 auf 931 Fälle belaufen. Die Facharztkollegen hätten sich das Honorar über die höhere Scheinzahl erarbeitet. Sie trage der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts dadurch Rechnung, dass sie dem Kläger als junge Praxis durch Aussetzung der fallzahlabhängigen Quotierung bis einschließlich IV/06 das Anwachsen bis auf die durchschnittliche Fallzahl der Fachgruppe ermögliche. Diese Fallzahl werde im Rahmen der Maßnahmen des Regelleistungsvolumens entsprechend anerkannt. Die Ausgleichsregelung sei in ihrer konkreten Ausgestaltung als Erprobungsregelung zulässig. Auch sei sie ordnungsgemäß umgesetzt worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer hat in der Besetzung mit je zwei Vertretern der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz SGG -).

Die Klage ist zulässig und begründet. Der Honorarbescheid für das Quartal II/05 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.04.2007 ist rechtswidrig und war daher aufzuheben. Der Kläger hat einen Anspruch auf Neubescheidung seines Honorars für das Quartal II/05. Die Beklagte wird abweichend vom Honorarverteilungsvertrag eine Stützung auf der Grundlage der aktuellen Fallzahl im Quartal II/05 bis zum Durchschnittshonorar der Fachgruppe vorzunehmen haben.

Die Vereinbarung zwischen der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen und den Verbänden der Krankenkassen zur Honorarverteilung für die Quartale 2/2005 bis 4/2005, bekannt gemacht als Anlage 2 zum Landesrundschreiben/Bekanntmachung vom 10.11.2005 (HVV) sieht in Ziffer 7.5 eine Regelung zur Vermeidung von Honorarverwerfungen nach Einführung des EBM 2005 vor:

Im Einzelnen bestimmt Ziffer 7.5 HVV:

7.5.1 Zur Vermeidung von praxisbezogenen Honorarverwerfungen nach Einführung des EBM 2000plus erfolgt nach Feststellung der Punktwerte und Quoten gemäß Ziffer 7.2 ein Vergleich des für das aktuelle Abrechnungsquartal berechneten fallbezogenen Honoraranspruches (Fallwert in EUR) der einzelnen Praxis mit der fallbezogenen Honorarzahlung in EUR im entsprechenden Abrechnungsquartal des Jahres 2004 ausschließlich beschränkt auf Leistungen, die dem budgetierten Teil der Gesamtvergütung unterliegen und mit Ausnahme der zeitbezogenen genehmigungspflichtigen psychotherapeutischen Leistungen. Bei der Ermittlung des Fallwertes bleiben Fälle, die gemäß Anlage 1 bzw. 2 zu Ziffer 7.1 zur Honorierung kommen, unberücksichtigt. Zeigt der Fallwertvergleich eine Fallwertminderung oder Fallwerterhöhung von jeweils mehr als 5% (bezogen auf den Ausgangswert des Jahres 2004), so erfolgt eine Begrenzung auf den maximalen Veränderungsrahmen von 5%. Die für eine Stützung bei Fallwertminderungen – Einzelheiten siehe Ziffer 7.5.2 – notwendigen Honoraranteile gehen zu Lasten der jeweiligen Honorar(unter)gruppe, der die Praxis im aktuellen Quartal zugeordnet ist, und sind gegebenenfalls durch weitergehende Quotierung der Bewertungen bzw. Punktwerte zu generieren, falls die aus der Begrenzung der Fallwerte auf einen Zuwachs von 5% resultierende Honoraranteile hierfür nicht ausreichend sein sollten. Sollte durch eine solche Quotierung die Fallwertminderung (wieder) auf einen Wert oberhalb von 5% steigen, führt dies zu keinem weitergehenden Ausgleich.

7.5.2 Ein Ausgleich von Fallwertminderungen bis zur Grenze von 5% erfolgt grundsätzlich auf der Basis vergleichbarer Praxisstrukturen und maximal bis zu der Fallzahl, die im entsprechenden Quartal des Jahres 2004 zur Abrechnung gekommen ist. Ein Ausgleich ist in diesem Sinne u. a. dann ausgeschlossen, wenn im aktuellen Quartal im Vergleich zum Vorjahresquartal erkennbar (ausgewählte) Leistungsbereiche nicht mehr erbracht wurden oder sich das Leistungsspektrum der Praxis, u. a. als Folge einer geänderten personellen Zusammensetzung der Praxis, verändert hat. Er ist des weiteren ausgeschlossen, wenn sich die Kooperationsform der Praxis entsprechend Ziffer 5.2 Buchstabe g) im Vergleich zum entsprechenden Vorjahresquartal geändert hat. Beträgt die Fallwertminderung mehr als 15%, ist eine auf die einzelne Praxis bezogene Prüfung im Hinblick auf vorstehend aufgeführte Kriterien durchzuführen, bevor eine Ausgleichszahlung erfolgt. Ausgleichsfähige Fallwertminderungen oberhalb von 15% müssen vollständig ihre Ursache in der Einführung des EBM 2000plus haben.

7.5.3 Die vorstehende Ausgleichsvorschrift steht im Übrigen unter dem Vorbehalt, dass von Seiten der Verbände der Krankenkassen mindestens eine gegenüber dem Ausgangsquartal vergleichbare budgetierte Gesamtvergütungszahlung geleistet wird und die aufgrund der Beschlussfassung des Bewertungsausschusses vom 29.10.2004 vorzunehmenden Honorarverschiebungen nach Abschluss des Abrechnungsquartals – siehe Ziffer 2.5 der Anlage 1 bzw. 2 zu Ziffer 7.2 – noch ein ausreichendes Honorarvolumen für diese Maßnahme in der einzelnen Honorar(unter)gruppe belassen.

Die Beklagte hat diese Vorgaben sowie das übrige Regelwerk zutreffend angewandt. Nach Ziff. 7.5.2 Satz 1 HVV erfolgt ein Ausgleich von Fallwertminderungen bis zur Grenze von 5% maximal bis zu der Fallzahl, die im entsprechenden Quartal des Jahres 2004 zur Abrechnung gekommen ist. Fallzahlsteigerungen sind demnach nicht zu berücksichtigen. Soweit die Fallwertminderung auf Veränderungen des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs (EBM) beruht, ist nicht ersichtlich, dass die den Kläger betreffenden Regelungen des EBM 2005 rechtswidrig wären, was der Kläger auch nicht behauptet.

Diese Regelung nach Ziff. 7.5 HVV ist jedenfalls für das Quartal II/05 nicht zu beanstanden. Durch die Regelung sollen Verwerfungen in der Honorarverteilung aufgrund des zum Quartal II/05 eingeführten neuen EBM 2005, von der Beklagten als EBM 2000plus bezeichnet, verhindert werden. Im Ergebnis wird etwa das um 5 % verminderte Honorar des Vorjahresquartals garantiert. Dem Normgeber steht bei der Neuregelung komplexer Materien unter dem Gesichtspunkt der Anfangs- und Erprobungsregelungen ein besonders weiter Gestaltungsspielraum zu, weil sich häufig bei Erlass der maßgeblichen Vorschriften deren Auswirkungen nicht in allen Einzelheiten übersehen lassen und deshalb auch gröbere Typisierungen und geringere Differenzierungen zunächst hingenommen werden müssen (vgl. BSG, Urt. v. 08.03.2000 - B 6 KA 8/99 R - USK 2000-110, juris Rdnr. 23; BSG, Urt. v. 29.01.1997 - 6 RKa 18/96 - SozR 3-2500 § 87 Nr. 16, juris Rdnr. 14; Freudenberg in: jurisPK-SGB V, online-Ausgabe, Stand: 01.08.2007, § 85, Rdnr. 129; Engelhard in: Hauck-Haines, SGB V, § 85, Rdnr. 165).

Der Regelungszweck der Ziff. 7.5 HVV wird jedoch im Falle des Klägers nicht erreicht. Das Anknüpfen auf das entsprechende Vorjahresquartal verhindert, dass jahreszeitlich bedingte Schwankungen zwischen den Quartalen eines Jahres ohne Bedeutung sind. Schwankungen vom Referenzquartal zum aktuellen Quartal treten bei etablierten Praxen im Regelfall in keinem größeren Umfang ein. Von daher ist es für etablierte Praxen durchaus sinnvoll, die Ausgleichsregelung am Maßstab des Quartal II/04 und nicht des Quartals I/05 anzusetzen, wenn auch gerade die möglichen Honorarverwerfungen vom Quartal I/05 zum Quartal II/05 ausgeglichen werden sollen. Die Praxisentwicklung des Klägers weicht hiervon aber atypisch ab. Zu einem enormen Fallwertrückgang um annähernd 48 % von 79,4705 EUR auf 41,4561 EUR kommt hinzu, dass sich der Kläger als neu niedergelassener Vertragsarzt im Referenzquartal noch in der Aufbauphase befindet, die auch im aktuellen Abrechnungsquartal noch nicht abgeschlossen war. Im Referenzquartal, das das erste vollständige Quartal nach Niederlassung war, rechnete er nur weniger als 600 Fälle ab. Er steigerte die Fallzahl kontinuierlich auf 829 Fälle im aktuellen Quartal. Wie die weitere Fallzahlentwicklung zeigt, war der Aufbau der Praxis noch nicht abgeschlossen und setzte sich in den Folgequartalen weiter fort. Demgegenüber rechnete die Fachgruppe im Quartal II/05 nach Angaben der Fachgruppe 931 Fälle ab, was weiter verdeutlicht, dass der Kläger sich noch in der Aufbauphase seiner Praxis befand. Nur etwa bei Verdoppelung seiner Fallzahl und des Leistungsvolumens innerhalb eines Jahres hätte er ein dem Honorar aus dem Vorjahresquartal vergleichbares Honorar erzielen können. Demgegenüber hätte ein Arzt, der bereits im Vorjahresquartal diese Fallzahl erreicht hatte, bei gleichbleibender Fallzahl und gleichbleibendem Leistungsvolumen ein annähernd gleiches Honorar erzielt. Bei gleicher Leistung im aktuellen Abrechnungsquartal führt daher die Ausgleichsregelung nach Ziff. 7.5 HVV zu einer Benachteiligung junger Praxen, die ihre Wachstumsphase im Referenzquartal nicht abgeschlossen hatten. Dies verstößt gegen den Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit.

Bisher war lediglich bei honorarbegrenzenden Maßnahmen in der Rechtsprechung zu entscheiden, dass kleinen Praxen zumindest ein Wachstum bis zum Umsatz einer für ihre Fachgruppe typischen Praxis gestattet werden muss. Anfängerpraxen muss danach zumindest für einen begrenzten Zeitraum ein unbeschränktes Wachstum zugestanden werden (vgl. Freudenberg, aaO., Rdnr. 142). Umsatzmäßig unterdurchschnittlich abrechnende Praxen - dabei insbesondere, aber nicht nur, neu gegründete Praxen – müssen die Möglichkeit haben, durch Erhöhung der Zahl der von ihnen behandelten Patienten den durchschnittlichen Umsatz der Arztgruppe zu erreichen. Jedem Vertragsarzt muss grundsätzlich die Chance bleiben, durch Qualität und Attraktivität seiner Behandlung oder auch durch eine bessere Organisation seiner Praxis neue Patienten für sich zu gewinnen und so legitimerweise seine Position im Wettbewerb mit den Berufskollegen zu verbessern. Das gilt für die damit verbundenen Umsatzsteigerungen allerdings nur bis zum Durchschnittsumsatz der Fachgruppe. Dabei muss der HVM es dem einzelnen Vertragsarzt in effektiver Weise ermöglichen, den durchschnittlichen Umsatz der Arztgruppe zu erreichen. Das bedeutet nicht, dass alle Praxen mit unterdurchschnittlichem Umsatz von jeder Begrenzung des Honorarwachstums verschont werden müssten, wie dies den neu gegründeten Praxen einzuräumen ist, solange diese sich noch in der Aufbauphase befinden, die auf drei bis fünf Jahre bemessen werden kann (vgl. BSG v. 10.03.2004 - B 6 KA 3/03 R - SozR 4-2500 § 85 Nr. 9 = BSGE 92, 233 = GesR 2004, 393 = MedR 2004, 639, juris Rdnr. 25).

Hieraus kann im Umkehrschluss gefolgert werden, dass eine Verpflichtung zur Stützung bis zum Durchschnittshonorar der Fachgruppe nach Ziff. 7.5 HVV für sog. junge Praxen auch dann bestehen muss, soweit eine Fallzahlsteigerung stattgefunden hat. Soweit der Kläger im streitbefangenen Quartal noch unterdurchschnittlich abrechnet, liegt dies weniger an seiner unterdurchschnittlichen Fallzahl, sondern insbesondere an der wesentlich geringeren Fallzahl im Referenzquartal. Zum Schutz einer sog. jungen Praxis reicht es daher nicht aus, dass die Beklagte von Begrenzungsmaßnahmen gegenüber dem Kläger abgesehen hat. Der Regelungsmechanismus nach der Ziff. 7.5 HVV führt zu einer Ungleichbehandlung des Klägers, die mit Begrenzungsmaßnahmen vergleichbar ist. Von daher wird die Beklagte bei einer Neubescheidung bei Anwendung der Regelung nach Ziff. 7.5 HVV von der aktuellen Fallzahl im Quartal II/05 auszugehen haben. Der auf diese Weise errechnete Ausgleichsbetrag und das hieraus errechnete fiktive Honorar ist dem Durchschnittshonorar der Fachgruppe gegenüber zu stellen. Das Honorar ist ggf. auf das Durchschnittshonorar zu begrenzen, soweit das fiktive Honorar das Durchschnittshonorar überschreitet. Liegt das fiktive Honorar darunter, so ist in dieser Höhe das Honorar festzusetzen.

Einer Änderung des Honorarverteilungsvertrages bedarf es hierzu nicht. Insofern handelt es sich nicht um einen strukturellen Fehler des Honorarverteilungsvertrages, sondern fehlt lediglich eine Sonderregelung für atypische Fälle. Diese kann der Vorstand der Beklagten hier selbst treffen (vgl. LSG Hessen, Urt. v. 09.08.2006 – L 4 KA 7/05 – www.sozialgerichtsbarkeit.de).

Im Ergebnis war der Klage daher stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
Rechtskraft
Aus
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