Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 8 KR 3456/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 2153/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Voraussetzungen für einen Off-Label-Use von Octagam zur Behandlung der sekundär-chronischen oder der schubförmigen Multiplen Sklerose sind nicht erfüllt (vgl. Urteil des Senats vom 16.09.2005 - L4 KR 1094/04 -). Neue wissenschaftliche Erkenntnisse, die eine andere Beurteilung rechtfertigen würden, sind nicht ersichtlich.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des SG Stuttgart vom 16. Januar 2006 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin eine Therapie mit intravenösen Immunglobulinen (Octagam) zu gewähren und die Klägerin von entsprechenden Kosten freizustellen.
Die am 1969 geborene Klägerin bezieht eine Rente wegen Erwerbsminderung und ist pflichtversichertes Mitglied der Beklagten. Seit 1992 leidet sie an einer Encephalomyelitis disseminata (Multiple Sklerose). Sie befindet sich deshalb in Behandlung bei dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. M., der im Jahre 2001 einmal monatlich Octagam vertragsärztlich verordnete. Dr. M. wandte sich mit Schreiben vom 20. November 2001 an die Beklagte und teilte mit, zur Behandlung der Encephalomyelitis disseminata sei zunächst wegen häufiger rezidivierender Schübe im akuten Schub immer Cortison angewandt worden. Cortison habe die Klägerin sehr schlecht vertragen. Zur Prophylaxe sei eine Behandlung mit mehreren Interferonen, z.B. Betaferon, Rebif und Avonix, versucht worden. Wegen gravierender Nebenwirkungen hätten die Interferone wieder abgesetzt werden müssen. Er habe einen Therapieversuch mit dem Immunglobulin Octagam unternommen. Dadurch sei es zu einer deutlichen Reduktion der Schübe gekommen. Aufgrund der Budgetierung und weil Immunglobuline zur Therapie der Multiplen Sklerose noch nicht zugelassen seien, bitte er darum, für die Klägerin diese Therapie im Nachhinein zu genehmigen. Seinem Schreiben legte er Arztbriefe des Prof. Dr. B., M.-hospital S., vom 24. und 25. September sowie 08. Oktober 2001, der über einen operativen Eingriff bei der Klägerin wegen einer Magenperforation (stationäre Aufenthalte vom 07. bis 18 September 2001 und vom 27. September bis 04. Oktober 2001) berichtete, sowie einen Arztbrief des Privatdozenten Dr. N., Neurologische Abteilung des Städtischen Krankenhauses Si., vom 16. Januar 2002, wonach im Rahmen der stationären Behandlung vom 19. bis 22. Dezember 2001 u.a. Immunglobuline (Octagam) zehn Gramm intravenös als Einmal-Gabe verabreicht worden seien und es darunter zu einer leichten Besserung der Symptomatik gekommen sei, bei.
Mit Bescheid vom 04. November 2002 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme für das Medikament Octagam ab. Octagam sei zur Behandlung der vorliegenden Erkrankung nicht zugelassen. Der Einsatz dieses Arzneimittels außerhalb seiner Zulassung sei nur bei einer schwerwiegenden oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden Erkrankung, bei der keine andere Therapie verfügbar sei und bei der aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht bestehe, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg zu erzielen sei, möglich. Das Bundessozialgericht [BSG] (Urteil vom 19. März 2002 - B 1 KR 37/00 R -= BSGE 89, 184 ff = SozR 3-2500 § 31 Nr. 8) habe festgestellt, dass zur Behandlung von Multipler Sklerose bei Immunglobulinen die Erweiterung der Zulassung nicht beantragt sei und Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung nicht veröffentlicht seien.
Die Klägerin legte Widerspruch ein. Das Urteil des BSG vom 19. März 2002 (a.a.O.) treffe Aussagen nur für eine primär chronische Multiple Sklerose. Bei ihr liege aber eine Multiple Sklerose mit schubförmigem Verlauf vor. Multiple Sklerose sei den schweren Erkrankungen zuzuordnen. Andere Behandlungsmöglichkeiten stünden nicht zur Verfügung. Wegen der Gabe von Cortison sei es im September 2001 zu einer Magenperforation gekommen. Ziel der Weiterbehandlung sei es, die Schubhäufigkeit zu reduzieren, was mit dem Therapieversuch mit Immunglobulinen im vergangenen Jahr erfolgreich erreicht worden sei. Entsprechende Versuche mit Interferonen oder Copaxone seien leider gescheitert. Es liege eine österreichische Studie zu Immunglobulinen (AIMS) vor, die bei der schubförmig verlaufenden Erkrankung eine Wirksamkeit habe nachweisen können. Ergänzend führte der Arzt für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapie und Psychoanalyse Dr. S. in einer Stellungnahme vom 20. Januar 2003 aus, dass Behandlungen mit modernen Interferonpräparaten, einschließlich Copaxone, zu so heftigen Nebenwirkungen geführt hätten, dass eine entsprechende Dauertherapie nicht möglich gewesen sei. Durch den früher durchgeführten Versuch einer Behandlung mit Octagam-Infusionen einmal monatlich zehn Gramm sei eine deutliche Stabilisierung erzielt worden.
Dr. B., Medizinischer Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK), führte in seiner Stellungnahme vom 24. Februar 2003 aus, unter der Interferontherapie sei es zwar zu Nebenwirkungen gekommen. Dabei habe es sich aber um übliche Nebenwirkungen (grippeähnliches und fiebriges Gefühl, lokale Reizung- und Schwellungssymptome sowie Abgeschlagenheit) gehandelt, die normalerweise mit Paracetamol zu beherrschen seien. Es sei deshalb fraglich, ob das erprobte Interferon tatsächlich nicht mehr zur Verfügung stehe. Eine klare Kontraindikation lasse sich den Schilderungen der Klägerin nicht entnehmen. Es stehe auch Copaxone zur Verfügung, bei dessen Anwendung nach Angaben des Dr. S. ihm (Dr. B.) gegenüber nicht die ursprünglich dargestellten Nebenwirkungen aufgetreten seien. Es sei kein medizinisch nachvollziehbarer Grund für die Nichtanwendung dieser Medikamente vorhanden. Es sei deshalb nicht davon auszugehen, dass für die Behandlung der Erkrankung der Klägerin keine anderen Mittel als Immunglobuline zur Verfügung stünden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27. Mai 2003 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch der Klägerin zurück. Die Voraussetzungen, die das BSG in seinem Urteil vom 19. März 2002 (a.a.O.) für den Einsatz von Medikamenten außerhalb der arzneimittelrechtlichen Zulassung aufgestellt habe, seien nicht erfüllt. Es stünden andere Mittel zur Verfügung.
Die Klägerin hat am 27. Juni 2003 Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben mit dem Begehren, sie zukünftig von den durch die Therapie mit intravenösen Immunglobulinen entstehenden Kosten, die sie mit ca. EUR 1.100,00 bis EUR 1.200,00 für die einmal monatliche Infusion angegeben hat, freizustellen. Sie hat ausgeführt, sie sei im Jahr 1992 an Multipler Sklerose erkrankt. Die Schubfrequenz sei relativ hoch. 1998 sei eine Therapie mit Betaferon begonnen, wegen zunehmender Nebenwirkungen aber abgebrochen worden. Dasselbe gelte für eine anschließende Behandlung mit Avonex und später mit Rebif. Auch unter der zuletzt genannten Interferontherapie sei die Schubfrequenz weiter relativ hoch gewesen. Ab 2001 sei dann eine Behandlung mit Octagam (Immunglobulin G) in monatlichen Abständen durchgeführt, Anfang 2002 aber wieder abgesetzt worden, da keine Kostenübernahme erfolgt sei. Zwischenzeitlich sei eine Behandlung mit Copaxone begonnen worden, wegen des Auftretens erheblichen Schwindels und hohen Fiebers aber abgebrochen worden. Cortison sei nicht mehr einsetzbar, da es deshalb bereits zu einer Magenperforation gekommen sei. Die Diagnose einer Multiplen Sklerose vom schubförmigen Typ sei durch eine weitere Untersuchung bei Prof. Dr. H. bestätigt worden. Als aktuelle Therapieoption sei lediglich die nochmalige hochdosierte IgG-Infusionstherapie möglich. Es lägen außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse vor, die Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels Octagam im Hinblick auf den Einsatz bei einer schubförmigen Multiple Sklerose-Erkrankung belegten. Mit einer im November 2002 publizierten Studie von Levanska und bekannten weiteren Arbeiten gebe es inzwischen mindestens vier kontrollierte Studien. Das deutsch-österreichisch-schweizerische Konsenspapier der MS-Therapie-Konsensusgruppe empfehle den Einsatz von Immunglobulinen zur Schubprophylaxe in der Basistherapie der schubförmigen Multiplen Sklerose, wenn Kontraindikationen für Interferone und Glatirameracetat (Copaxone) vorlägen und die bisherige Therapie zu einer guten dokumentierten Stabilisierung des Krankheitsverlaufs geführt habe. Auch die Leitlinien der Bundesärztekammer zur Therapie mit Blutkomponenten und Plasmaderivaten sowie die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie zur Multiplen Sklerose hielten einen Einsatz von Immunglobulinen für erfolgversprechend. Eine andere Therapie stehe ihr auch nicht zur Verfügung. Die vom BSG (a.a.O.) aufgestellten Bedingungen, aus denen sich die Leistungspflicht der Beklagten ergebe, seien erfüllt. Nach den Stellungnahmen der behandelnden Ärzte sei die begehrte Therapie angezeigt.
Die Beklagte ist der Klage unter Bezugnahme auf ihre Ausführungen im Vorverfahren entgegengetreten und hat ausgeführt, nach den Angaben der behandelnden Ärzte gebe es Alternativpräparate und es bestehe kein Konsens über die Qualität und Wirksamkeit der Gabe von Octagam bei Multipler Sklerose. Sie hat das Urteil des Landessozialgerichts [LSG] Berlin vom 02. April 2003 (L 9 KR 70/00) vorgelegt. Einen in der mündlichen Verhandlung vom 08. August 2005 geschlossenen (widerruflichen) Vergleich, in dem sich die Beklagte verpflichtet hatte, der Klägerin ab 01. Oktober 2005 für ein Jahr die Kosten für eine zweimonatliche Behandlung mittels Immunglubulinen (Octagam) zu erstatten bzw. eine entsprechende Behandlung als Sachleistung zu gewähren, hat die Beklagte unter Hinweis auf die Entscheidung des LSG Berlin widerrufen. Es lägen keine Forschungsergebnisse vor, die erwarten ließen, dass das Präparat zur Behandlung der schubförmig verlaufenden Multiplen Sklerose eingesetzt werden könne. Zudem stehe zur Behandlung noch Copaxane zur Verfügung. In der mündlichen Verhandlung des SG am 16. Januar 2006 hat die Beklagte einen Auszug aus der Internetseite des Paul-Ehrlich-Instituts über die Therapie der schubförmigen Multiplen Sklerose mit intravenösen Immunglobulinen vorgelegt.
Die Klägerin hat erwidert, das Urteil des LSG Berlin sei auf die jetzt bestehende Erkenntnislage nicht mehr übertragbar. Copaxane sei zur Behandlung der bei ihr vorliegenden sekundär chronisch-progredienten Multiplen Sklerose nicht zugelassen. Hierzu hat sie auf einen weiter vorgelegten Arztbrief des Prof. Dr. M., Universitätsklinikum T. - Neurologische Klinik -, vom 14. September 2005 verwiesen.
Das SG hat die die Klägerin behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen gehört. Auf die Stellungnahmen des Arztes für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapie und Psychoanalyse Dr. S. vom 22. September 2003, des Dr. Hu. vom 29. September 2003, des Prof. Dr. Sc., Klinik für Neurologie, Neurophysiologie und Frührehabilitation C. G., vom 25. September 2003, der seiner Stellungnahme Kopien medizinischer Artikel beigefügt hat, und des Prof. Dr. H., Klinik für Neurologische Rehabilitation N., vom 14. Oktober 2003 wird Bezug genommen.
Das SG hat mit Urteil vom 16. Januar 2006 den Bescheid der Beklagten vom 04. November 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Mai 2003 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin eine Therapie mit intravenösen Immunglobulinen zu gewähren und die Klägerin von entsprechenden Kosten freizustellen. Die Voraussetzungen der Rechtsprechung des BSG (a.a.O.) zum Off-Label-Use seien erfüllt. Bei der Multiplen Sklerose handle es sich um eine die Lebensqualität nachhaltig und auf Dauer beeinträchtigende, schwerwiegende Erkrankung. Es bestünden bei der Klägerin keine anderen Behandlungsmöglichkeiten. Aufgrund der Datenlage bestehe die Aussicht, dass das Medikament Octagam auch bei der schubförmig verlaufenden Multiplen Sklerose mit Erfolg eingesetzt werden könne. Zwar lägen die Voraussetzungen für eine Zulassung noch nicht vor, jedoch seien außerhalb des Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in den neuen Anwendungsgebieten zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zuließen und aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen bestehe. Auch lasse sich eine positive Wirkung bei der Klägerin feststellen.
Gegen das ihr am 19. April 2006 zugestellte Urteil richtet sich die am 26. April 2006 eingelegte Berufung der Beklagten. Zur Begründung führt sie ergänzend aus, bei Octagam handle es sich um ein zugelassenes Arzneimittel, dessen Zulassung sich jedoch nicht auf die Behandlung der schubförmig verlaufenden MS-Erkrankung erstrecke. Auch andere Immunglobuline seien zur Behandlung der vorliegenden Erkrankung nicht zugelassen. Die Voraussetzungen, die das BSG in seinem Urteil vom 19. März 2002 (a.a.O.) für den ausnahmsweise zulässigen Einsatz eines Medikaments außerhalb der arzneimittelrechtlich gewährten Zulassungsindikation vorgesehen habe, seien im Falle der Klägerin nicht erfüllt. Bereits die Verlaufsform der Erkrankung der Klägerin sei fraglich. Während in den ärztlichen Stellungnahmen des Privatdozent Dr. N. vom 08. November 2001 und des Prof. Dr. H. vom 14. Oktober 2003 angegeben werde, es handle sich um eine Multiple Sklerose mit schubförmig remittierendem Verlauf, gehe Prof. Dr. M. in der Stellungnahme vom 29. August 2003 davon aus, dass sich die zunächst schubförmig verlaufende Multiple Sklerose zu einer sekundär chronisch-progredienten Multiplen Sklerose entwickelt habe. Entgegen der Auffassung des SG stünden im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung andere Therapien mit für die Erkrankung zugelassenen Arzneimitteln zur Verfügung. Eine Behandlung könne mit dem Wirkstoff Interferon oder dem Präparat Copaxone erfolgen. Dies habe auch Dr. S. in seiner Auskunft vom 22. September 2003 bestätigt. Ein Behandlungsversuch mit Copaxone sei von der Klägerin abgelehnt worden. Soweit die Klägerin behaupte, sie habe die 1998 begonnene Therapie mit Betaferon und die anschließende Behandlung mit Avonex und später mit Rebif wegen zunehmender Nebenwirkungen abbrechen müssen, verweise Dr. B., MDK, darauf, dass die beschriebenen unerwünschten Nebenwirkungen die üblichen seien, die mit Paracetamol zu beherrschen seien. Die bestehende wissenschaftliche Datenlage gebe keinen hinreichend gesicherten Wirksamkeitsnachweis von Immunglobulinen bei der vorliegenden Erkrankung. Es sei weder ein Zulassungsantrag gestellt worden noch lägen Phase III-Studien vor. Es sei nicht überzeugend, dass das SG einen bestehenden Konsens in der medizinischen Fachwelt über die Wirksamkeit von Octagam annehme. Die sozialmedizinische Expertengruppe 6 "Arzneimittelversorgung" der MDK-Arbeitsgemeinschaft habe im Dezember 2005 ein aktuelles Update der Stellungnahme von 2003 zum Einsatz von Immunglobulinen bei Multipler Sklerose vorgelegt. Diese sei das Ergebnis einer umfangreichen Recherche in Medline bei Scientific & Technical Information Network von Oktober 2003 bis Juli 2005 und in den Leitlinien zur Behandlung der Multiplen Sklerose in den Webseiten anerkannter Institutionen. Einbezogen worden seien weitere Leitlinien zur klinischen Erforschung der Arzneimitteltherapie. Als Ergebnis sei festzuhalten, dass intravenöse Immunglobuline im akuten Schub und bei der sekundär progredienten Multiplen Sklerose keinen zusätzlichen Nutzen neben einer Standardtherapie brächten und dass für die Anwendung intravenöser Immunglobuline zur Schubprophylaxe weiterhin kein Konsens bestehe. Ein solcher ergebe sich auch nicht aus der Stellungnahme des Paul-Ehrlich-Instituts. Unabhängig von der Datenlage sei im konkreten Einzelfall ein Behandlungserfolg zu bezweifeln. Aus dem Schreiben des Dr. S. vom 22. September 2003 gehe hervor, dass es trotz Anwendung von Octagam zu weiteren Schüben gekommen sei. Auch Dr. Bu. habe im Befundbericht vom 21. Juli 2003 eine Behandlung mit Immunglobulinen für nicht indiziert gehalten. Der erkennende Senat (Urteil vom 16. September 2005 - L 4 KR 1094/04 -) habe entschieden, dass sich eine Wirksamkeit bei der Behandlung mit Octagam auch nach den jüngsten wissenschaftlichen Erkenntnissen jedenfalls bei der Verlaufsform der sekundär chronisch-progredienten Multiplen Sklerose nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit feststellen lasse. Ihre Auffassung werde auch durch die Urteile des Sozialgerichts Fulda vom 26. Oktober 2006 - S 4 KR 5/05 - und des Sozialgerichts Aachen vom 17. Januar 2007 - S 2 (6) KR 110/05 - gestützt. Ein Notfall entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts [BVerfG] (Beschluss vom 06. Dezember 2005 - 1 BvR 347/98 - = SozR 4-2500 § 27 Nr. 5) sei nicht gegeben.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 16. Januar 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin hält die Entscheidung des SG für zutreffend. Zu berücksichtigen sei auch ihr Kinderwunsch, der durch das Risiko der konventionelle Behandlung für das ungeborene Kind derzeit zurückgestellt sei. Das Urteil des erkennenden Senats sei nicht einschlägig, weil es mittlerweile neuere Studien gebe und sie ihren Kinderwunsch bei der konventionelle Behandlung der Krankheit nicht verwirklichen könne. Das BVerfG (a.a.O.) fordere, ob es für die vom Arzt nach gewissenhafter sachlicher Einschätzung vorgenommene und von ihm beabsichtigte Behandlung ernsthafte Hinweise auf einen nicht ganz entfernt liegenden Erfolg der Heilung oder eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf im konkreten Einzelfall gebe.
Der Berichterstatter hat die Auskunft der Dr. Kerr, Paul-Ehrlich-Institut, vom 24. Mai 2007 eingeholt, auf die verwiesen wird.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten, die Akten des SG und die Akten des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten nach §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist zulässig und in der Sache begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 04. November 2002 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 27. Mai 2003 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass ihr die Beklagte die Behandlung mit dem Arzneimittel Octagam zur Verfügung stellt. Das SG hat die Beklagte zu Unrecht unter Aufhebung des angefochtenen Bescheides zur künftigen Leistung verurteilt.
Die Klägerin begehrt die Verurteilung der Beklagten, die Behandlung mit dem Arzneimittel Octagam als Sachleistung zur Verfügung zu stellen, nicht aber eine Kostenerstattung. Der in der Klagebegründung vom 12. August 2003 angekündigte und in der mündlichen Verhandlung beim SG gestellte Antrag war in die Zukunft gerichtet. Denn die Klägerin hat die zukünftige Freistellung von Kosten begehrt. Kosten für eine selbst beschaffte Behandlung mit dem Arzneimittel Octagam sind ihr bisher nicht entstanden. Denn nach ihrem Vortrag erfolgte eine Behandlung durch Dr. M. eineinhalb Jahre über eine vertragsärztliche Verordnung (S. 2 der Niederschrift über die mündliche Verhandlung beim SG am 08. August 2005, Blatt 98 SG-Akte) und wurde später wegen der Ablehnung der Kostenübernahme durch die Beklagte nicht mehr fortgeführt (S. 2 der Klagebegründung vom 12. August 2003, Blatt 6 SG-Akte).
1. Der der Klägerin wegen der bei ihr bestehenden Multiplen Sklerose, nach § 27 Abs. 1 Satz 1 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB V) zustehende Anspruch auf Krankenbehandlung, der nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V auch die Versorgung mit Arzneimitteln beinhaltet, umfasst nicht die Versorgung mit dem Arzneimittel Octagam. Arzneimittel ohne die nach § 21 Abs 1 des Arzneimittelgesetzes (AMG) erforderliche arzneimittelrechtliche Zulassung sind mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§ 2 Abs. 1 Satz 1, § 12 Abs. 1 SGB V) nicht von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 3, § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V umfasst (BSG, SozR 4-2500 § 27 Nr. 7 mwN). Dies ist hier der Fall, weil das Arzneimittel Octagam weder für die Behandlung der schubförmigen noch der sekundär progredienten Multiplen Sklerose zugelassen ist.
2. Eine zulassungsüberschreitende Anwendung von Octagam bei der Multiplen Sklerose scheidet aus. Das BSG hat bereits in seinem Urteil vom 19. März 2002 (a.a.O.) sowohl allgemein zu den Voraussetzungen für einen Off-Label-Use ausführlich Stellung genommen als auch speziell für einen an Multipler Sklerose (dort in einer primär chronisch-progredienten Verlaufsform) leidenden Versicherten den Anspruch auf eine intravenöse Verabreichung von Immunglobulinen im Einzelnen verneint. Der erkennende Senat hat sich dieser Rechtsprechung im Urteil vom 16. September 2005 angeschlossen. Ein Off-Label-Use kommt danach nur in Betracht (ebenso zuletzt BSG SozR 4-2500 § 31 Nr. 5), wenn es 1. um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, 2. wenn keine andere Therapie verfügbar ist und 3. wenn aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann.
Auch wenn es sich bei der Multiplen Sklerose um eine die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Krankheit handelt und es zumutbare Behandlungsalternativen wegen der von der Klägerin geklagten erheblicher Nebenwirkungen von Betaferon nicht geben sollte - woran allerdings im Hinblick auf den möglichen Einsatz von Interferon und Copaxone sowie die Behandlung von dabei auftretenden Nebenwirkungen mit Paracetamol erhebliche Zweifel bestehen, worauf insbesondere Dr. B. in seinem sozialmedizinischen Gutachten vom 24. Februar 2003 hinweist -, fehlt es jedenfalls an der für einen Off-Label-Use auf Kosten der gesetzlichen Krankenkassen erforderlichen Erfolgsaussicht. Wie das BSG vom 19. März 2002 (a.a.O., ebenso SozR 4-2500 § 31 Nr. 5) dargelegt hat, kann von hinreichenden Erfolgsaussichten dann ausgegangen werden, wenn Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Dies kann angenommen werden, wenn entweder (a) die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt worden ist und Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht worden sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder (b) außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht worden sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht. Diese Voraussetzungen sind für das Arzneimittel Octagam bis jetzt nicht erfüllt. Das BSG hat im Urteil vom 19. März 2002 (a.a.O.) darauf abgestellt, dass nach den vom Paul-Ehrlich-Institut veröffentlichten Ergebnissen eines internationalen Symposiums von November 2001 für die sekundär-progressive MS kein wissenschaftlicher Konsens über den Nutzen einer Behandlung mit Immunglobulinen bestand. Auch im Urteil vom 16. September 2005 konnte der erkennende Senat auf Grund der in jenem Verfahren durchgeführten Ermittlungen keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse, nach denen von einer Wirksamkeit des Arzneimittels Octagam bei Multipler Sklerose auszugehen wäre, feststellen. Daran hat sich nichts geändert. Weitere neue Erkenntnisse liegen nicht vor. Dies ergibt sich aus der im vorliegenden Verfahren eingeholten Auskunft des Paul-Ehrlich-Instituts vom 24. Mai 2007 hinsichtlich der schubförmig verlaufenden Multiplen Sklerose. Nach dieser Auskunft gibt es zwar nach der Datenlage Hinweise auf eine mögliche Wirksamkeit von Immunglobulinen zur Behandlung der schubförmig verlaufenden Multiplen Sklerose, allerdings fehlt bisher eine kontrollierte, adäquat durchgeführte Phase III-Studie, auf die die begründete Aussicht auf einen wirksamen Einsatz dieser Medikamentengruppe gestützt werden könnte. Es sind auch keine Forschungsergebnisse ersichtlich, die eine Zulassung des Präparats zur Behandlung der sekundär-chronischen oder der schubförmigen Multiplen Sklerose erwarten ließen. Damit ist auszuschließen, dass derzeit außerhalb eines arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens Erkenntnisse vorliegen, die denjenigen einer Phase III-Studie gleichstehen (vgl. BSG SozR 4-2500 § 31 Nr. 5).
3. Auch weitere von der Klägerin vorgetragene Gesichtspunkte verhelfen der Klage nicht zum Erfolg. Um einen so genannten Seltenheitsfall, in dem sich eine Krankheit und ihre Behandlung einer systematischen Erforschung entzieht und bei dem eine erweiterte Leistungspflicht der Krankenkassen in Betracht zu ziehen wäre (dazu BSG SozR 4-2500 § 27 Nr. 1), handelt es sich vorliegend nicht. Der von der Klägerin speziell für ihren Einzelfall geltend gemachte Behandlungserfolg ist unerheblich, weil die streitige Therapie wissenschaftlich anerkannt wirksam sein muss, um den sich für den Behandlungs- und Versorgungsanspruch eines Versicherten aus § 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen genügen zu können. Der Anspruch umfasst folglich nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind sowie deren Qualität dem allgemein anerkannten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entspricht. Hierzu genügt es nicht, dass die Arzneimitteltherapie bei einem Versicherten nach seiner eigenen Ansicht oder derjenigen seiner Ärzte positiv gewirkt haben soll und gegebenenfalls herkömmlichen Arzneimitteln vorzuziehen ist (BSG SozR 3-2500 § 27 Nr. 5). Zu Qualität und Wirksamkeit eines Arzneimittels muss es vielmehr grundsätzlich zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen in dem Sinne geben, dass der Erfolg der Behandlungsmethode in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Anzahl von Behandlungsfällen belegt ist (BSG SozR 4-2500 § 31 Nr. 1, BSG SozR 4-2500 § 31 Nr. 3). Auch bei einer erfolgten Arzneimittelanwendung sind Spontanheilungen und wirkstoffunabhängige Effekte mit in Rechnung zu stellen (BSG SozR 4 2500 § 31 Nr. 4).
4. Zu keinem anderen Ergebnis führt die entsprechend dem Beschluss des BVerfG vom 06. Dezember 2005 (a.a.O.) gebotene verfassungskonforme Auslegung derjenigen Normen des SGB V, die einem verfassungsrechtlich begründeten Anspruch auf Arzneimittelversorgung entgegenstehen (vgl dazu BSG SozR 4-2500 § 31 Nr. 4). Diese Auslegung hat zur Folge, dass im Rahmen der Anspruchsvoraussetzungen von § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit ausnahmsweise bejaht werden müssen, obwohl ein Mittel bzw. eine Behandlungsmethode an sich von der Versorgung zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen ausgeschlossen ist. Die verfassungskonforme Auslegung setzt u.a. voraus, dass eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende oder eine zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung vorliegt (vgl. BSG SozR 4-2500 § 27 Nr. 7). Daran fehlt es.
Das BSG hat insoweit (zuletzt SozR 4-2500 § 31 Nr. 8) ausgeführt, dass mit den genannten Krankheits-Kriterien des BVerfG eine strengere Voraussetzung umschrieben wird, als sie mit dem Erfordernis einer "schwerwiegenden" Erkrankung für die Eröffnung des Off-Label-Use formuliert ist. Denn hieran knüpfen weitergehende Folgen an. Ohne einschränkende Auslegung ließen sich fast beliebig vom Gesetzgeber bewusst gezogene Grenzen überschreiten. Entscheidend ist, dass das vom BVerfG herangezogene Kriterium bei weiter Auslegung sinnentleert würde, weil nahezu jede schwere Krankheit ohne therapeutische Einwirkung irgendwann auch einmal lebensbedrohende Konsequenzen nach sich zieht. Das kann aber ersichtlich nicht ausreichen, das Leistungsrecht des SGB V und die dazu ergangenen untergesetzlichen Regelungen nicht mehr als maßgebenden rechtlichen Maßstab für die Leistungsansprüche der Versicherten anzusehen (vgl. auch BSG SozR 4-2500 § 27 Nr. 10).
Bereits die Anforderungen an das Bestehen einer "schwerwiegenden" Erkrankung für einen Off-Label-Use sind hoch. Nicht jede Art von Erkrankung kann den Anspruch auf eine Behandlung mit dazu nicht zugelassenen Arzneimitteln begründen, sondern nur eine solche, die sich durch ihre Schwere oder Seltenheit vom Durchschnitt der Erkrankungen abhebt. Auch ein Off-Label-Use bedeutet nämlich, Arzneimittel für bestimmte Indikationen ohne die arzneimittelrechtlich vorgesehene Kontrolle der Sicherheit und Qualität einzusetzen, die in erster Linie Patienten vor inakzeptablen unkalkulierbaren Risiken für die Gesundheit schützen soll. Ausnahmen können schon insoweit nur in engen Grenzen aufgrund einer Güterabwägung anerkannt werden, die der Gefahr einer krankenversicherungsrechtlichen Umgehung arzneimittelrechtlicher Zulassungserfordernisse entgegenwirkt, die Anforderungen des Rechts der gesetzlichen Krankenkassen an Qualität und Wirksamkeit der Arzneimittel (§ 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V) beachtet und den Funktionsdefiziten des Arzneimittelrechts in Fällen eines unabweisbaren, anders nicht zu befriedigenden Bedarfs Rechnung trägt (so zum Ganzen BSG SozR 4-2500 § 31 Nr. 8 und zuletzt ausführlich BSG, Urteil vom 27. März 2007 B 1 KR 17/06 R - mit zahlreichen Nachweisen). Verneint hat das BSG die qualifizierten Erfordernisse einer lebensbedrohlichen Krankheit im Sinne des Beschlusses des BVerfG vom 06. Dezember.2005 (a.a.O.) z.B. bei einem Prostata-Karzinom im Anfangsstadium (SozR 4-2500 § 27 Nr. 8 - Interstitielle Brachytherapie mit Permanent-Seeds), bei einer in 20 bis 30 Jahren drohenden Erblindung (Beschluss vom 26. September 2006 - B 1 KR 16/06 B -) sowie bei einer langsam progredient verlaufenden Friedreichschen Ataxie mit über Jahre hinweg möglichen stabilen Symptomen (SozR 4-2500 § 31 Nr. 8 - Idebenone).
Gerechtfertigt ist eine verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen gesetzlichen Regelungen nur, wenn eine notstandsähnliche Situation im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik vorliegt, wie sie für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch ist. Das bedeutet, dass nach den konkreten Umständen des Falles bereits drohen muss, dass sich der voraussichtlich tödliche Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird. Ähnliches kann für den gegebenenfalls gleichzustellenden, akut drohenden und nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion gelten. Solches ist bei einer bestehenden Multiplen Sklerose in sekundär-progredienter Verlaufsform trotz der unbestreitbaren Schwere dieser Krankheit nicht anzunehmen (dazu BSG, Urteil vom 27. März 2007 - B 1 KR 17/06 R -). Es handelt sich bei der sekundär-progredienten und der schubförmigen Multiplen Sklerose nicht um eine Krankheit, die von ihrem akuten Behandlungsbedarf her derjenigen gleichsteht, welche dem vom BVerfG am 06. Dezember 2005 entschiedenen Fall der Duchenneschen Muskeldystrophie zugrunde lag. Während die von diesem Leiden betroffenen Patienten zumeist das 20. Lebensjahr nicht erleben (vgl. BSG SozR 3-2500 § 135 Nr. 4), besteht für Patienten mit sekundär-progredienter Multiplen Sklerose eine deutlich andere Situation. Die letztgenannte Krankheit wird charakterisiert durch eine chronische, z. T. schubartig verlaufende Progredienz. Eine gezielt kausale Therapie gibt es insoweit nicht, vielmehr kann - auch mit den von der Klägerin begehrten, im Übrigen nicht nebenwirkungsfreien Immunglobulinen - nur versucht werden, die Schubrate bzw. die Schwere der Schübe zu vermindern bzw. die Progression der Behinderung zu hemmen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin eine Therapie mit intravenösen Immunglobulinen (Octagam) zu gewähren und die Klägerin von entsprechenden Kosten freizustellen.
Die am 1969 geborene Klägerin bezieht eine Rente wegen Erwerbsminderung und ist pflichtversichertes Mitglied der Beklagten. Seit 1992 leidet sie an einer Encephalomyelitis disseminata (Multiple Sklerose). Sie befindet sich deshalb in Behandlung bei dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. M., der im Jahre 2001 einmal monatlich Octagam vertragsärztlich verordnete. Dr. M. wandte sich mit Schreiben vom 20. November 2001 an die Beklagte und teilte mit, zur Behandlung der Encephalomyelitis disseminata sei zunächst wegen häufiger rezidivierender Schübe im akuten Schub immer Cortison angewandt worden. Cortison habe die Klägerin sehr schlecht vertragen. Zur Prophylaxe sei eine Behandlung mit mehreren Interferonen, z.B. Betaferon, Rebif und Avonix, versucht worden. Wegen gravierender Nebenwirkungen hätten die Interferone wieder abgesetzt werden müssen. Er habe einen Therapieversuch mit dem Immunglobulin Octagam unternommen. Dadurch sei es zu einer deutlichen Reduktion der Schübe gekommen. Aufgrund der Budgetierung und weil Immunglobuline zur Therapie der Multiplen Sklerose noch nicht zugelassen seien, bitte er darum, für die Klägerin diese Therapie im Nachhinein zu genehmigen. Seinem Schreiben legte er Arztbriefe des Prof. Dr. B., M.-hospital S., vom 24. und 25. September sowie 08. Oktober 2001, der über einen operativen Eingriff bei der Klägerin wegen einer Magenperforation (stationäre Aufenthalte vom 07. bis 18 September 2001 und vom 27. September bis 04. Oktober 2001) berichtete, sowie einen Arztbrief des Privatdozenten Dr. N., Neurologische Abteilung des Städtischen Krankenhauses Si., vom 16. Januar 2002, wonach im Rahmen der stationären Behandlung vom 19. bis 22. Dezember 2001 u.a. Immunglobuline (Octagam) zehn Gramm intravenös als Einmal-Gabe verabreicht worden seien und es darunter zu einer leichten Besserung der Symptomatik gekommen sei, bei.
Mit Bescheid vom 04. November 2002 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme für das Medikament Octagam ab. Octagam sei zur Behandlung der vorliegenden Erkrankung nicht zugelassen. Der Einsatz dieses Arzneimittels außerhalb seiner Zulassung sei nur bei einer schwerwiegenden oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden Erkrankung, bei der keine andere Therapie verfügbar sei und bei der aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht bestehe, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg zu erzielen sei, möglich. Das Bundessozialgericht [BSG] (Urteil vom 19. März 2002 - B 1 KR 37/00 R -= BSGE 89, 184 ff = SozR 3-2500 § 31 Nr. 8) habe festgestellt, dass zur Behandlung von Multipler Sklerose bei Immunglobulinen die Erweiterung der Zulassung nicht beantragt sei und Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung nicht veröffentlicht seien.
Die Klägerin legte Widerspruch ein. Das Urteil des BSG vom 19. März 2002 (a.a.O.) treffe Aussagen nur für eine primär chronische Multiple Sklerose. Bei ihr liege aber eine Multiple Sklerose mit schubförmigem Verlauf vor. Multiple Sklerose sei den schweren Erkrankungen zuzuordnen. Andere Behandlungsmöglichkeiten stünden nicht zur Verfügung. Wegen der Gabe von Cortison sei es im September 2001 zu einer Magenperforation gekommen. Ziel der Weiterbehandlung sei es, die Schubhäufigkeit zu reduzieren, was mit dem Therapieversuch mit Immunglobulinen im vergangenen Jahr erfolgreich erreicht worden sei. Entsprechende Versuche mit Interferonen oder Copaxone seien leider gescheitert. Es liege eine österreichische Studie zu Immunglobulinen (AIMS) vor, die bei der schubförmig verlaufenden Erkrankung eine Wirksamkeit habe nachweisen können. Ergänzend führte der Arzt für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapie und Psychoanalyse Dr. S. in einer Stellungnahme vom 20. Januar 2003 aus, dass Behandlungen mit modernen Interferonpräparaten, einschließlich Copaxone, zu so heftigen Nebenwirkungen geführt hätten, dass eine entsprechende Dauertherapie nicht möglich gewesen sei. Durch den früher durchgeführten Versuch einer Behandlung mit Octagam-Infusionen einmal monatlich zehn Gramm sei eine deutliche Stabilisierung erzielt worden.
Dr. B., Medizinischer Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK), führte in seiner Stellungnahme vom 24. Februar 2003 aus, unter der Interferontherapie sei es zwar zu Nebenwirkungen gekommen. Dabei habe es sich aber um übliche Nebenwirkungen (grippeähnliches und fiebriges Gefühl, lokale Reizung- und Schwellungssymptome sowie Abgeschlagenheit) gehandelt, die normalerweise mit Paracetamol zu beherrschen seien. Es sei deshalb fraglich, ob das erprobte Interferon tatsächlich nicht mehr zur Verfügung stehe. Eine klare Kontraindikation lasse sich den Schilderungen der Klägerin nicht entnehmen. Es stehe auch Copaxone zur Verfügung, bei dessen Anwendung nach Angaben des Dr. S. ihm (Dr. B.) gegenüber nicht die ursprünglich dargestellten Nebenwirkungen aufgetreten seien. Es sei kein medizinisch nachvollziehbarer Grund für die Nichtanwendung dieser Medikamente vorhanden. Es sei deshalb nicht davon auszugehen, dass für die Behandlung der Erkrankung der Klägerin keine anderen Mittel als Immunglobuline zur Verfügung stünden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27. Mai 2003 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch der Klägerin zurück. Die Voraussetzungen, die das BSG in seinem Urteil vom 19. März 2002 (a.a.O.) für den Einsatz von Medikamenten außerhalb der arzneimittelrechtlichen Zulassung aufgestellt habe, seien nicht erfüllt. Es stünden andere Mittel zur Verfügung.
Die Klägerin hat am 27. Juni 2003 Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben mit dem Begehren, sie zukünftig von den durch die Therapie mit intravenösen Immunglobulinen entstehenden Kosten, die sie mit ca. EUR 1.100,00 bis EUR 1.200,00 für die einmal monatliche Infusion angegeben hat, freizustellen. Sie hat ausgeführt, sie sei im Jahr 1992 an Multipler Sklerose erkrankt. Die Schubfrequenz sei relativ hoch. 1998 sei eine Therapie mit Betaferon begonnen, wegen zunehmender Nebenwirkungen aber abgebrochen worden. Dasselbe gelte für eine anschließende Behandlung mit Avonex und später mit Rebif. Auch unter der zuletzt genannten Interferontherapie sei die Schubfrequenz weiter relativ hoch gewesen. Ab 2001 sei dann eine Behandlung mit Octagam (Immunglobulin G) in monatlichen Abständen durchgeführt, Anfang 2002 aber wieder abgesetzt worden, da keine Kostenübernahme erfolgt sei. Zwischenzeitlich sei eine Behandlung mit Copaxone begonnen worden, wegen des Auftretens erheblichen Schwindels und hohen Fiebers aber abgebrochen worden. Cortison sei nicht mehr einsetzbar, da es deshalb bereits zu einer Magenperforation gekommen sei. Die Diagnose einer Multiplen Sklerose vom schubförmigen Typ sei durch eine weitere Untersuchung bei Prof. Dr. H. bestätigt worden. Als aktuelle Therapieoption sei lediglich die nochmalige hochdosierte IgG-Infusionstherapie möglich. Es lägen außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse vor, die Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels Octagam im Hinblick auf den Einsatz bei einer schubförmigen Multiple Sklerose-Erkrankung belegten. Mit einer im November 2002 publizierten Studie von Levanska und bekannten weiteren Arbeiten gebe es inzwischen mindestens vier kontrollierte Studien. Das deutsch-österreichisch-schweizerische Konsenspapier der MS-Therapie-Konsensusgruppe empfehle den Einsatz von Immunglobulinen zur Schubprophylaxe in der Basistherapie der schubförmigen Multiplen Sklerose, wenn Kontraindikationen für Interferone und Glatirameracetat (Copaxone) vorlägen und die bisherige Therapie zu einer guten dokumentierten Stabilisierung des Krankheitsverlaufs geführt habe. Auch die Leitlinien der Bundesärztekammer zur Therapie mit Blutkomponenten und Plasmaderivaten sowie die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie zur Multiplen Sklerose hielten einen Einsatz von Immunglobulinen für erfolgversprechend. Eine andere Therapie stehe ihr auch nicht zur Verfügung. Die vom BSG (a.a.O.) aufgestellten Bedingungen, aus denen sich die Leistungspflicht der Beklagten ergebe, seien erfüllt. Nach den Stellungnahmen der behandelnden Ärzte sei die begehrte Therapie angezeigt.
Die Beklagte ist der Klage unter Bezugnahme auf ihre Ausführungen im Vorverfahren entgegengetreten und hat ausgeführt, nach den Angaben der behandelnden Ärzte gebe es Alternativpräparate und es bestehe kein Konsens über die Qualität und Wirksamkeit der Gabe von Octagam bei Multipler Sklerose. Sie hat das Urteil des Landessozialgerichts [LSG] Berlin vom 02. April 2003 (L 9 KR 70/00) vorgelegt. Einen in der mündlichen Verhandlung vom 08. August 2005 geschlossenen (widerruflichen) Vergleich, in dem sich die Beklagte verpflichtet hatte, der Klägerin ab 01. Oktober 2005 für ein Jahr die Kosten für eine zweimonatliche Behandlung mittels Immunglubulinen (Octagam) zu erstatten bzw. eine entsprechende Behandlung als Sachleistung zu gewähren, hat die Beklagte unter Hinweis auf die Entscheidung des LSG Berlin widerrufen. Es lägen keine Forschungsergebnisse vor, die erwarten ließen, dass das Präparat zur Behandlung der schubförmig verlaufenden Multiplen Sklerose eingesetzt werden könne. Zudem stehe zur Behandlung noch Copaxane zur Verfügung. In der mündlichen Verhandlung des SG am 16. Januar 2006 hat die Beklagte einen Auszug aus der Internetseite des Paul-Ehrlich-Instituts über die Therapie der schubförmigen Multiplen Sklerose mit intravenösen Immunglobulinen vorgelegt.
Die Klägerin hat erwidert, das Urteil des LSG Berlin sei auf die jetzt bestehende Erkenntnislage nicht mehr übertragbar. Copaxane sei zur Behandlung der bei ihr vorliegenden sekundär chronisch-progredienten Multiplen Sklerose nicht zugelassen. Hierzu hat sie auf einen weiter vorgelegten Arztbrief des Prof. Dr. M., Universitätsklinikum T. - Neurologische Klinik -, vom 14. September 2005 verwiesen.
Das SG hat die die Klägerin behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen gehört. Auf die Stellungnahmen des Arztes für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapie und Psychoanalyse Dr. S. vom 22. September 2003, des Dr. Hu. vom 29. September 2003, des Prof. Dr. Sc., Klinik für Neurologie, Neurophysiologie und Frührehabilitation C. G., vom 25. September 2003, der seiner Stellungnahme Kopien medizinischer Artikel beigefügt hat, und des Prof. Dr. H., Klinik für Neurologische Rehabilitation N., vom 14. Oktober 2003 wird Bezug genommen.
Das SG hat mit Urteil vom 16. Januar 2006 den Bescheid der Beklagten vom 04. November 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Mai 2003 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin eine Therapie mit intravenösen Immunglobulinen zu gewähren und die Klägerin von entsprechenden Kosten freizustellen. Die Voraussetzungen der Rechtsprechung des BSG (a.a.O.) zum Off-Label-Use seien erfüllt. Bei der Multiplen Sklerose handle es sich um eine die Lebensqualität nachhaltig und auf Dauer beeinträchtigende, schwerwiegende Erkrankung. Es bestünden bei der Klägerin keine anderen Behandlungsmöglichkeiten. Aufgrund der Datenlage bestehe die Aussicht, dass das Medikament Octagam auch bei der schubförmig verlaufenden Multiplen Sklerose mit Erfolg eingesetzt werden könne. Zwar lägen die Voraussetzungen für eine Zulassung noch nicht vor, jedoch seien außerhalb des Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in den neuen Anwendungsgebieten zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zuließen und aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen bestehe. Auch lasse sich eine positive Wirkung bei der Klägerin feststellen.
Gegen das ihr am 19. April 2006 zugestellte Urteil richtet sich die am 26. April 2006 eingelegte Berufung der Beklagten. Zur Begründung führt sie ergänzend aus, bei Octagam handle es sich um ein zugelassenes Arzneimittel, dessen Zulassung sich jedoch nicht auf die Behandlung der schubförmig verlaufenden MS-Erkrankung erstrecke. Auch andere Immunglobuline seien zur Behandlung der vorliegenden Erkrankung nicht zugelassen. Die Voraussetzungen, die das BSG in seinem Urteil vom 19. März 2002 (a.a.O.) für den ausnahmsweise zulässigen Einsatz eines Medikaments außerhalb der arzneimittelrechtlich gewährten Zulassungsindikation vorgesehen habe, seien im Falle der Klägerin nicht erfüllt. Bereits die Verlaufsform der Erkrankung der Klägerin sei fraglich. Während in den ärztlichen Stellungnahmen des Privatdozent Dr. N. vom 08. November 2001 und des Prof. Dr. H. vom 14. Oktober 2003 angegeben werde, es handle sich um eine Multiple Sklerose mit schubförmig remittierendem Verlauf, gehe Prof. Dr. M. in der Stellungnahme vom 29. August 2003 davon aus, dass sich die zunächst schubförmig verlaufende Multiple Sklerose zu einer sekundär chronisch-progredienten Multiplen Sklerose entwickelt habe. Entgegen der Auffassung des SG stünden im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung andere Therapien mit für die Erkrankung zugelassenen Arzneimitteln zur Verfügung. Eine Behandlung könne mit dem Wirkstoff Interferon oder dem Präparat Copaxone erfolgen. Dies habe auch Dr. S. in seiner Auskunft vom 22. September 2003 bestätigt. Ein Behandlungsversuch mit Copaxone sei von der Klägerin abgelehnt worden. Soweit die Klägerin behaupte, sie habe die 1998 begonnene Therapie mit Betaferon und die anschließende Behandlung mit Avonex und später mit Rebif wegen zunehmender Nebenwirkungen abbrechen müssen, verweise Dr. B., MDK, darauf, dass die beschriebenen unerwünschten Nebenwirkungen die üblichen seien, die mit Paracetamol zu beherrschen seien. Die bestehende wissenschaftliche Datenlage gebe keinen hinreichend gesicherten Wirksamkeitsnachweis von Immunglobulinen bei der vorliegenden Erkrankung. Es sei weder ein Zulassungsantrag gestellt worden noch lägen Phase III-Studien vor. Es sei nicht überzeugend, dass das SG einen bestehenden Konsens in der medizinischen Fachwelt über die Wirksamkeit von Octagam annehme. Die sozialmedizinische Expertengruppe 6 "Arzneimittelversorgung" der MDK-Arbeitsgemeinschaft habe im Dezember 2005 ein aktuelles Update der Stellungnahme von 2003 zum Einsatz von Immunglobulinen bei Multipler Sklerose vorgelegt. Diese sei das Ergebnis einer umfangreichen Recherche in Medline bei Scientific & Technical Information Network von Oktober 2003 bis Juli 2005 und in den Leitlinien zur Behandlung der Multiplen Sklerose in den Webseiten anerkannter Institutionen. Einbezogen worden seien weitere Leitlinien zur klinischen Erforschung der Arzneimitteltherapie. Als Ergebnis sei festzuhalten, dass intravenöse Immunglobuline im akuten Schub und bei der sekundär progredienten Multiplen Sklerose keinen zusätzlichen Nutzen neben einer Standardtherapie brächten und dass für die Anwendung intravenöser Immunglobuline zur Schubprophylaxe weiterhin kein Konsens bestehe. Ein solcher ergebe sich auch nicht aus der Stellungnahme des Paul-Ehrlich-Instituts. Unabhängig von der Datenlage sei im konkreten Einzelfall ein Behandlungserfolg zu bezweifeln. Aus dem Schreiben des Dr. S. vom 22. September 2003 gehe hervor, dass es trotz Anwendung von Octagam zu weiteren Schüben gekommen sei. Auch Dr. Bu. habe im Befundbericht vom 21. Juli 2003 eine Behandlung mit Immunglobulinen für nicht indiziert gehalten. Der erkennende Senat (Urteil vom 16. September 2005 - L 4 KR 1094/04 -) habe entschieden, dass sich eine Wirksamkeit bei der Behandlung mit Octagam auch nach den jüngsten wissenschaftlichen Erkenntnissen jedenfalls bei der Verlaufsform der sekundär chronisch-progredienten Multiplen Sklerose nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit feststellen lasse. Ihre Auffassung werde auch durch die Urteile des Sozialgerichts Fulda vom 26. Oktober 2006 - S 4 KR 5/05 - und des Sozialgerichts Aachen vom 17. Januar 2007 - S 2 (6) KR 110/05 - gestützt. Ein Notfall entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts [BVerfG] (Beschluss vom 06. Dezember 2005 - 1 BvR 347/98 - = SozR 4-2500 § 27 Nr. 5) sei nicht gegeben.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 16. Januar 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin hält die Entscheidung des SG für zutreffend. Zu berücksichtigen sei auch ihr Kinderwunsch, der durch das Risiko der konventionelle Behandlung für das ungeborene Kind derzeit zurückgestellt sei. Das Urteil des erkennenden Senats sei nicht einschlägig, weil es mittlerweile neuere Studien gebe und sie ihren Kinderwunsch bei der konventionelle Behandlung der Krankheit nicht verwirklichen könne. Das BVerfG (a.a.O.) fordere, ob es für die vom Arzt nach gewissenhafter sachlicher Einschätzung vorgenommene und von ihm beabsichtigte Behandlung ernsthafte Hinweise auf einen nicht ganz entfernt liegenden Erfolg der Heilung oder eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf im konkreten Einzelfall gebe.
Der Berichterstatter hat die Auskunft der Dr. Kerr, Paul-Ehrlich-Institut, vom 24. Mai 2007 eingeholt, auf die verwiesen wird.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten, die Akten des SG und die Akten des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten nach §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist zulässig und in der Sache begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 04. November 2002 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 27. Mai 2003 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass ihr die Beklagte die Behandlung mit dem Arzneimittel Octagam zur Verfügung stellt. Das SG hat die Beklagte zu Unrecht unter Aufhebung des angefochtenen Bescheides zur künftigen Leistung verurteilt.
Die Klägerin begehrt die Verurteilung der Beklagten, die Behandlung mit dem Arzneimittel Octagam als Sachleistung zur Verfügung zu stellen, nicht aber eine Kostenerstattung. Der in der Klagebegründung vom 12. August 2003 angekündigte und in der mündlichen Verhandlung beim SG gestellte Antrag war in die Zukunft gerichtet. Denn die Klägerin hat die zukünftige Freistellung von Kosten begehrt. Kosten für eine selbst beschaffte Behandlung mit dem Arzneimittel Octagam sind ihr bisher nicht entstanden. Denn nach ihrem Vortrag erfolgte eine Behandlung durch Dr. M. eineinhalb Jahre über eine vertragsärztliche Verordnung (S. 2 der Niederschrift über die mündliche Verhandlung beim SG am 08. August 2005, Blatt 98 SG-Akte) und wurde später wegen der Ablehnung der Kostenübernahme durch die Beklagte nicht mehr fortgeführt (S. 2 der Klagebegründung vom 12. August 2003, Blatt 6 SG-Akte).
1. Der der Klägerin wegen der bei ihr bestehenden Multiplen Sklerose, nach § 27 Abs. 1 Satz 1 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB V) zustehende Anspruch auf Krankenbehandlung, der nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V auch die Versorgung mit Arzneimitteln beinhaltet, umfasst nicht die Versorgung mit dem Arzneimittel Octagam. Arzneimittel ohne die nach § 21 Abs 1 des Arzneimittelgesetzes (AMG) erforderliche arzneimittelrechtliche Zulassung sind mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§ 2 Abs. 1 Satz 1, § 12 Abs. 1 SGB V) nicht von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 3, § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V umfasst (BSG, SozR 4-2500 § 27 Nr. 7 mwN). Dies ist hier der Fall, weil das Arzneimittel Octagam weder für die Behandlung der schubförmigen noch der sekundär progredienten Multiplen Sklerose zugelassen ist.
2. Eine zulassungsüberschreitende Anwendung von Octagam bei der Multiplen Sklerose scheidet aus. Das BSG hat bereits in seinem Urteil vom 19. März 2002 (a.a.O.) sowohl allgemein zu den Voraussetzungen für einen Off-Label-Use ausführlich Stellung genommen als auch speziell für einen an Multipler Sklerose (dort in einer primär chronisch-progredienten Verlaufsform) leidenden Versicherten den Anspruch auf eine intravenöse Verabreichung von Immunglobulinen im Einzelnen verneint. Der erkennende Senat hat sich dieser Rechtsprechung im Urteil vom 16. September 2005 angeschlossen. Ein Off-Label-Use kommt danach nur in Betracht (ebenso zuletzt BSG SozR 4-2500 § 31 Nr. 5), wenn es 1. um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, 2. wenn keine andere Therapie verfügbar ist und 3. wenn aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann.
Auch wenn es sich bei der Multiplen Sklerose um eine die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Krankheit handelt und es zumutbare Behandlungsalternativen wegen der von der Klägerin geklagten erheblicher Nebenwirkungen von Betaferon nicht geben sollte - woran allerdings im Hinblick auf den möglichen Einsatz von Interferon und Copaxone sowie die Behandlung von dabei auftretenden Nebenwirkungen mit Paracetamol erhebliche Zweifel bestehen, worauf insbesondere Dr. B. in seinem sozialmedizinischen Gutachten vom 24. Februar 2003 hinweist -, fehlt es jedenfalls an der für einen Off-Label-Use auf Kosten der gesetzlichen Krankenkassen erforderlichen Erfolgsaussicht. Wie das BSG vom 19. März 2002 (a.a.O., ebenso SozR 4-2500 § 31 Nr. 5) dargelegt hat, kann von hinreichenden Erfolgsaussichten dann ausgegangen werden, wenn Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Dies kann angenommen werden, wenn entweder (a) die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt worden ist und Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht worden sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder (b) außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht worden sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht. Diese Voraussetzungen sind für das Arzneimittel Octagam bis jetzt nicht erfüllt. Das BSG hat im Urteil vom 19. März 2002 (a.a.O.) darauf abgestellt, dass nach den vom Paul-Ehrlich-Institut veröffentlichten Ergebnissen eines internationalen Symposiums von November 2001 für die sekundär-progressive MS kein wissenschaftlicher Konsens über den Nutzen einer Behandlung mit Immunglobulinen bestand. Auch im Urteil vom 16. September 2005 konnte der erkennende Senat auf Grund der in jenem Verfahren durchgeführten Ermittlungen keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse, nach denen von einer Wirksamkeit des Arzneimittels Octagam bei Multipler Sklerose auszugehen wäre, feststellen. Daran hat sich nichts geändert. Weitere neue Erkenntnisse liegen nicht vor. Dies ergibt sich aus der im vorliegenden Verfahren eingeholten Auskunft des Paul-Ehrlich-Instituts vom 24. Mai 2007 hinsichtlich der schubförmig verlaufenden Multiplen Sklerose. Nach dieser Auskunft gibt es zwar nach der Datenlage Hinweise auf eine mögliche Wirksamkeit von Immunglobulinen zur Behandlung der schubförmig verlaufenden Multiplen Sklerose, allerdings fehlt bisher eine kontrollierte, adäquat durchgeführte Phase III-Studie, auf die die begründete Aussicht auf einen wirksamen Einsatz dieser Medikamentengruppe gestützt werden könnte. Es sind auch keine Forschungsergebnisse ersichtlich, die eine Zulassung des Präparats zur Behandlung der sekundär-chronischen oder der schubförmigen Multiplen Sklerose erwarten ließen. Damit ist auszuschließen, dass derzeit außerhalb eines arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens Erkenntnisse vorliegen, die denjenigen einer Phase III-Studie gleichstehen (vgl. BSG SozR 4-2500 § 31 Nr. 5).
3. Auch weitere von der Klägerin vorgetragene Gesichtspunkte verhelfen der Klage nicht zum Erfolg. Um einen so genannten Seltenheitsfall, in dem sich eine Krankheit und ihre Behandlung einer systematischen Erforschung entzieht und bei dem eine erweiterte Leistungspflicht der Krankenkassen in Betracht zu ziehen wäre (dazu BSG SozR 4-2500 § 27 Nr. 1), handelt es sich vorliegend nicht. Der von der Klägerin speziell für ihren Einzelfall geltend gemachte Behandlungserfolg ist unerheblich, weil die streitige Therapie wissenschaftlich anerkannt wirksam sein muss, um den sich für den Behandlungs- und Versorgungsanspruch eines Versicherten aus § 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen genügen zu können. Der Anspruch umfasst folglich nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind sowie deren Qualität dem allgemein anerkannten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entspricht. Hierzu genügt es nicht, dass die Arzneimitteltherapie bei einem Versicherten nach seiner eigenen Ansicht oder derjenigen seiner Ärzte positiv gewirkt haben soll und gegebenenfalls herkömmlichen Arzneimitteln vorzuziehen ist (BSG SozR 3-2500 § 27 Nr. 5). Zu Qualität und Wirksamkeit eines Arzneimittels muss es vielmehr grundsätzlich zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen in dem Sinne geben, dass der Erfolg der Behandlungsmethode in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Anzahl von Behandlungsfällen belegt ist (BSG SozR 4-2500 § 31 Nr. 1, BSG SozR 4-2500 § 31 Nr. 3). Auch bei einer erfolgten Arzneimittelanwendung sind Spontanheilungen und wirkstoffunabhängige Effekte mit in Rechnung zu stellen (BSG SozR 4 2500 § 31 Nr. 4).
4. Zu keinem anderen Ergebnis führt die entsprechend dem Beschluss des BVerfG vom 06. Dezember 2005 (a.a.O.) gebotene verfassungskonforme Auslegung derjenigen Normen des SGB V, die einem verfassungsrechtlich begründeten Anspruch auf Arzneimittelversorgung entgegenstehen (vgl dazu BSG SozR 4-2500 § 31 Nr. 4). Diese Auslegung hat zur Folge, dass im Rahmen der Anspruchsvoraussetzungen von § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit ausnahmsweise bejaht werden müssen, obwohl ein Mittel bzw. eine Behandlungsmethode an sich von der Versorgung zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen ausgeschlossen ist. Die verfassungskonforme Auslegung setzt u.a. voraus, dass eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende oder eine zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung vorliegt (vgl. BSG SozR 4-2500 § 27 Nr. 7). Daran fehlt es.
Das BSG hat insoweit (zuletzt SozR 4-2500 § 31 Nr. 8) ausgeführt, dass mit den genannten Krankheits-Kriterien des BVerfG eine strengere Voraussetzung umschrieben wird, als sie mit dem Erfordernis einer "schwerwiegenden" Erkrankung für die Eröffnung des Off-Label-Use formuliert ist. Denn hieran knüpfen weitergehende Folgen an. Ohne einschränkende Auslegung ließen sich fast beliebig vom Gesetzgeber bewusst gezogene Grenzen überschreiten. Entscheidend ist, dass das vom BVerfG herangezogene Kriterium bei weiter Auslegung sinnentleert würde, weil nahezu jede schwere Krankheit ohne therapeutische Einwirkung irgendwann auch einmal lebensbedrohende Konsequenzen nach sich zieht. Das kann aber ersichtlich nicht ausreichen, das Leistungsrecht des SGB V und die dazu ergangenen untergesetzlichen Regelungen nicht mehr als maßgebenden rechtlichen Maßstab für die Leistungsansprüche der Versicherten anzusehen (vgl. auch BSG SozR 4-2500 § 27 Nr. 10).
Bereits die Anforderungen an das Bestehen einer "schwerwiegenden" Erkrankung für einen Off-Label-Use sind hoch. Nicht jede Art von Erkrankung kann den Anspruch auf eine Behandlung mit dazu nicht zugelassenen Arzneimitteln begründen, sondern nur eine solche, die sich durch ihre Schwere oder Seltenheit vom Durchschnitt der Erkrankungen abhebt. Auch ein Off-Label-Use bedeutet nämlich, Arzneimittel für bestimmte Indikationen ohne die arzneimittelrechtlich vorgesehene Kontrolle der Sicherheit und Qualität einzusetzen, die in erster Linie Patienten vor inakzeptablen unkalkulierbaren Risiken für die Gesundheit schützen soll. Ausnahmen können schon insoweit nur in engen Grenzen aufgrund einer Güterabwägung anerkannt werden, die der Gefahr einer krankenversicherungsrechtlichen Umgehung arzneimittelrechtlicher Zulassungserfordernisse entgegenwirkt, die Anforderungen des Rechts der gesetzlichen Krankenkassen an Qualität und Wirksamkeit der Arzneimittel (§ 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V) beachtet und den Funktionsdefiziten des Arzneimittelrechts in Fällen eines unabweisbaren, anders nicht zu befriedigenden Bedarfs Rechnung trägt (so zum Ganzen BSG SozR 4-2500 § 31 Nr. 8 und zuletzt ausführlich BSG, Urteil vom 27. März 2007 B 1 KR 17/06 R - mit zahlreichen Nachweisen). Verneint hat das BSG die qualifizierten Erfordernisse einer lebensbedrohlichen Krankheit im Sinne des Beschlusses des BVerfG vom 06. Dezember.2005 (a.a.O.) z.B. bei einem Prostata-Karzinom im Anfangsstadium (SozR 4-2500 § 27 Nr. 8 - Interstitielle Brachytherapie mit Permanent-Seeds), bei einer in 20 bis 30 Jahren drohenden Erblindung (Beschluss vom 26. September 2006 - B 1 KR 16/06 B -) sowie bei einer langsam progredient verlaufenden Friedreichschen Ataxie mit über Jahre hinweg möglichen stabilen Symptomen (SozR 4-2500 § 31 Nr. 8 - Idebenone).
Gerechtfertigt ist eine verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen gesetzlichen Regelungen nur, wenn eine notstandsähnliche Situation im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik vorliegt, wie sie für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch ist. Das bedeutet, dass nach den konkreten Umständen des Falles bereits drohen muss, dass sich der voraussichtlich tödliche Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird. Ähnliches kann für den gegebenenfalls gleichzustellenden, akut drohenden und nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion gelten. Solches ist bei einer bestehenden Multiplen Sklerose in sekundär-progredienter Verlaufsform trotz der unbestreitbaren Schwere dieser Krankheit nicht anzunehmen (dazu BSG, Urteil vom 27. März 2007 - B 1 KR 17/06 R -). Es handelt sich bei der sekundär-progredienten und der schubförmigen Multiplen Sklerose nicht um eine Krankheit, die von ihrem akuten Behandlungsbedarf her derjenigen gleichsteht, welche dem vom BVerfG am 06. Dezember 2005 entschiedenen Fall der Duchenneschen Muskeldystrophie zugrunde lag. Während die von diesem Leiden betroffenen Patienten zumeist das 20. Lebensjahr nicht erleben (vgl. BSG SozR 3-2500 § 135 Nr. 4), besteht für Patienten mit sekundär-progredienter Multiplen Sklerose eine deutlich andere Situation. Die letztgenannte Krankheit wird charakterisiert durch eine chronische, z. T. schubartig verlaufende Progredienz. Eine gezielt kausale Therapie gibt es insoweit nicht, vielmehr kann - auch mit den von der Klägerin begehrten, im Übrigen nicht nebenwirkungsfreien Immunglobulinen - nur versucht werden, die Schubrate bzw. die Schwere der Schübe zu vermindern bzw. die Progression der Behinderung zu hemmen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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