L 9 AL 86/06

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 30 AL 209/04
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 AL 86/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 22.06.2005 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über den Eintritt einer Sperrzeit vom 03.03.2004 bis zum 23.03.2004 wegen der Ablehnung eines Arbeitsangebotes.

Der im Juni 1958 geborene Kläger stand seit 1996 unterbrochen durch Umschulungen bei der Beklagten im Leistungsbezug. Vom 02.02.1998 bis zum 28.01.2000 durchlief er in Kostenträgerschaft der Beklagten erfolgreich eine Umschulung zum Fotografen. Der Kläger bezog Arbeitslosenhilfe i. H. v. täglich 23,22 Euro, als die Beklagte ihm mit entsprechender Rechtsfolgenbelehrung (Schreiben vom 25.02.2004) ein Stellenangebot als Industriefotograf in Vollzeit bei der Firma E O Explosivstoffe und Systemtechnik, C unterbreitete. Mit Schreiben vom 02.03.2004 teilte der Kläger mit, dass er von einer Bewerbung absehe, weil eine mögliche Tätigkeit für diese Firma nicht mit seinem Gewissen vereinbar sei. Als anerkannter Kriegsdienstverweigerer käme für ihn eine Tätigkeit für einen Rüstungskonzern nicht in Betracht.

Daraufhin stellte die Beklagte mit Bescheid vom 11.03.2004 eine Sperrzeit vom 03.03.2004 bis zum 23.04.2004 fest. Sie konnte in den vorgetragenen Gewissensgründen keinen wichtigen Grund für die Nichtannahme der Stelle erkennen. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 13.04.2004 mit der bekannten Begründung Widerspruch ein. Diesen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 06.05.2004 zurück. Sie bezog sich hierbei insbesondere auf ihre Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid. Den Widerspruchsbescheid erhielt der Kläger am 07.05.2004.

Mit seiner Klage vom 07.06.2004 hat er sein Begehren weiter verfolgt. Die Firma E O sei ein Unternehmen, das insbesondere Panzerabwehrsysteme, Gefechtsköpfe für Raketen und Sprengstoffe herstelle. Als anerkannter Kriegsdienstverweigerer könne er es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren, für einen solchen Rüstungskonzern zu arbeiten. In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht hat der Kläger ferner erklärt, er gehe davon aus, dass die angebotene Stelle seinen Fähigkeiten entsprochen habe. Seit Dezember 2004 sei er als Fotograf und Web-Designer selbständig und betreibe auch Produktfotografie. Worin die Tätigkeit bei E O bestanden hätte, könne er "jetzt natürlich nicht genau sagen".

Mit Urteil vom 22.06.2005 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und hierbei der Funktionsfähigkeit der Arbeitslosenversicherung vor der Gewissensbeeinträchtigung des Klägers (Artikel 4 Abs. 1 Grundgesetz/GG) den Vorrang gegeben. Die Berufung hat es nicht zugelassen.

Gegen dieses dem Kläger am 07.07.2005 zugestellte Urteil richtete sich die am 08.08.2005 (Montag) eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde. Der Kläger hat gemeint, E O stehe wie kein anderes Unternehmen für die Kriegswaffenproduktion, weshalb einem Kriegsdienstverweigerer eine Tätigkeit dort unzumutbar sei. Auch habe das Sozialgericht nicht ermittelt, inwieweit er für diese Firma habe tätig werden sollen, insbesondere, ob er die Verbreitung von Kriegswaffen aktiv fördern sollte.

Die Beklagte hat gemeint, jedenfalls sei es dem Kläger zumutbar gewesen, sich bei E O vorzustellen und im Rahmen des Vorstellungsgesprächs über die Einzelheiten seines Aufgabenbereichs zu informieren.

Mit Beschluss vom 20.06.2006 (Az.: L 9 B 48/05 AL NZB) hat der Senat die Berufung zugelassen.

Auf Anfrage des Senats hat E O unter Beifügung von Unterlagen mitgeteilt, der Inhaber der fraglichen Stelle sei nicht in die Produktion eingebunden, müsse jedoch mit auf Schießplätze der Bundeswehr und auch Testschüsse fotografisch dokumentieren, weshalb eine Berührung mit Waffen nicht ausgeschlossen sei.

Der Kläger meint, er habe die Kriegswaffen von E O fotografisch in Szene setzen sollen, damit sich diese besser verkaufen ließen. Damit habe er die Kriegswaffenproduktion aktiv unterstützen sollen, was ihm nicht zumutbar sei. Hierüber habe er auch nicht vorher Ermittlungen anstellen müssen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 22.06.2005 abzuändern und den Bescheid der Beklagten vom 11.03.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.05.2004 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, da selbst die Berührung mit Waffen als äußerst gering anzusehen gewesen wäre, sei dem Kläger die Annahme der angebotenen Stelle zumutbar gewesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes nimmt der Senat auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug. Beide Akten haben vorgelegen und sind sowohl Gegenstand der mündlichen Verhandlung als auch der Beratung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die aufgrund des Beschlusses vom 20.06.2006 statthafte Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die angefochtenen Bescheide als rechtmäßig angesehen und die Klage abgewiesen.

Der Kläger hat sich gemäß § 144 Abs. 1 S. 1, Abs. 1 S. 2 Nr. 2 Alternative 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) versicherungswidrig verhalten, weil er die Anbahnung eines Beschäftigungsverhältnisses, nämlich das Zustandekommen eines Vorstellungsgesprächs, durch sein Verhalten verhindert hat, indem er sich geweigert hat, sich bei E O vorzustellen. Das versicherungswidrige Verhalten des Klägers liegt also darin, dass er sich bei E O nicht beworben bzw. vorgestellt hat.

Für dieses Verhalten hatte der Kläger keinen wichtigen Grund (§ 144 Abs. 1 S. 1 SGB III). Seine Weigerung hat der Kläger mit Schreiben vom 02.03.2004 damit begründet, dass E O einer der führenden Hersteller für Sprengstoffe und Waffensysteme sei. Durch Minen dieser Firma seien zahllose Menschen getötet und verstümmelt worden. Es sei nicht mit seinem Gewissen zu vereinbaren, in dieser Firma zu arbeiten, weil er anerkannter Kriegsdienstverweigerer und Pazifist sei. Er hätte sich auf die Stelle beworben, wenn es sich nicht um ein Unternehmen der Rüstungsindustrie gehandelt hätte.

Diese im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang für seine Weigerung, mit E O auch nur ein Vorstellungsgespräch zu führen, abgegebene Begründung, sieht der Senat für seine weitere Prüfung als maßgeblich an. Soweit der Kläger hingegen im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde zusätzlich vorgetragen hat, das Sozialgericht habe nicht ermittelt, inwieweit er für E O habe tätig werden sollen, ist dies nicht entscheidungserheblich, weil aus der vorgenannten Äußerung des Klägers hervorgeht, dass er sich bereits deshalb nicht bei E O beworben hat, weil er in keiner Weise für diese Firma arbeiten wollte. Inhalt der bei nachfolgenden Abwägung zugrunde zu legenden Grundrechtsposition des Klägers (vgl. dazu BSG, Urteil vom 23.06.1982, Az.: 7 Rar 89/81, Rn. 23) ist demnach, dass es ihm sein Gewissen generell verbiete, bei E O zu arbeiten. Hierin liegt zur Überzeugung des Senats keine Gewissensentscheidungen im Sinne des Artikel 4 GG, die einen der Sperrzeit entgegenstehenden wichtigen Grund im Sinne des § 144 Abs. 1 S. 1 SGB III darstellen kann.

Für seine Haltung kann sich der Kläger nicht auf Artikel 4 Abs. 3 GG berufen, weil dieses Grundrecht nicht vor einem Einsatz in der Rüstungswirtschaft schützt (BSG, a. a. O., Rn. 21).

Ob sich der Kläger für seine Weigerung im Rahmen der Sperrzeitprüfung demgegenüber auf die in Artikel 4 Abs. 1 GG auch gewährleistete Gewissensäußerungsfreiheit (forum externum) berufen kann, hält der Senat für zweifelhaft. Denn der mit der Anordnung der Sperrzeit für einen Versicherten verbundene Nachteil ist ein Ausgleich für ein besonderes, in seiner Person liegendes Risiko im Rahmen des Versicherungsprinzips der Arbeitslosenversicherung und berührt somit den Schutzbereich des Artikel 4 Abs. 1 GG allenfalls mittelbar (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.06.1982, Az.: 1 BvR 1239/82, in SozR 4100, § 119 AFG, Nr. 22).

Die Frage der Schutzbereichsberührung kann der Senat jedoch letztlich dahinstehen lassen. Denn selbst dann, wenn man nicht nur eine - mittelbare - Schutzbereichsberüh-rung, sondern auch einen Eingriff in Artikel 4 Abs. 1 GG bejaht, ist die Weigerung des Klägers nicht durch einen wichtigen Grund gerechtfertigt.

Die aufgezeigte, auch im Rahmen des Sperrzeittatbestandes bei der Prüfung des wichtigen Grundes zu beachtende und von Artikel 4 Abs. 1 GG verfasssungsrechtlich geschützte Gewissensposition des Klägers kann mämlich eine zusätzliche Belastung der Versichertengemeinschaft nur dann rechtfertigen, wenn bei der gebotenen Rechtsgüterabwägung der Gewissensposition des Klägers ein höheres Gewicht zukommt als der Funktionsfähigkeit der Systeme, in der Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe gewährt werden. Wegen der Hochwertigkeit des letztgenannten, über das Sozialstaatsprinzip des Artikel 20 Abs. 1 GG ebenfalls mit Verfassungsrang ausgestatteten Rechtsgutes ist dem Arbeitslosen im Regelfall unter wenigstens zeitweiser Zurückstellung seiner eigenen Belange ein anderes Verhalten zumutbar, was dazu führt, dass im Allgemeinen das Grundrecht aus Artikel 4 Abs. 1 GG hinter die dem Arbeitslosen im Gemeinschaftsinteresse abzufordernde Pflicht zur Entlastung der Solidargemeinschaft zurücktritt (BSG, Urteil vom 28.10.1987, Az.: 7 RAr 8/86, Rn. 25, 26 u. 28).

Anderes gilt nur dann (BSG, a. a. O., Rn. 28), wenn der feststehende Grund der Gewissensentscheidung des Arbeitslosen unmittelbar in diametralem Gegensatz zu dem durch den Inhalt der angebotenen Arbeit angesonnenen Verhalten stehen muss oder steht. Dies wiederum ist nicht schon dann der Fall, wenn eine Berührung der angebotenen Arbeit mit der gewissensorientierten Grundhaltung des Arbeitslosen möglich ist. Einen wichtigen Grund kann der Arbeitslose vielmehr allenfalls dann für sich beanspruchen, wenn er Arbeiten auszuführen hätte, die unmittelbar die Herstellung von Waffen oder Munition betreffen (BSG, Urteil vom 23.06.1982, a. a. O., Rn. 23). Dieser Rechtsprechung schließt sich der Senat nach eigener Überprüfung an.

Die hiernach bestehenden Voraussetzungen für eine Beachtlichkeit der Gewissensentscheidung des Klägers im Rahmen der Rechtmäßigkeitsprüfung einer Sperrzeit sind nicht gegeben. Nach der von E O am 10.07.2006 erteilten Auskunft, an deren Richtigkeit der Senat nicht zweifelt, sollte der Kläger Waffen und deren Einsatz auf Schießplätzen der Bundeswehr fotografieren, diese hingegen nicht herstellen. Er hätte also keine Arbeiten auszuführen gehabt, die unmittelbar die Herstellung von Waffen oder Munition betreffen. Lediglich eine Berührung mit Waffen und Munition war nicht ausgeschlossen, was für eine Beachtlichkeit der Gewissensentscheidung des Klägers gerade nicht ausreicht. Dem Kläger oblag es vielmehr, sich zumindest zu bewerben und zu einem Vorstellungsgespräch zu erscheinen. Dafür, bereits dies zu verweigern, hatte der Kläger besonders auch vor dem Hintergrund seiner langjährigen Arbeitslosigkeit keinen wichtigen Grund.

Auch die weiteren Voraussetzungen für die festgestellte Sperrzeit liegen vor. Den Sperrzeitbeginn hat die Beklagte mit dem 03.03.2004 gemäß § 144 Abs. 2 SGB III richtig festgestellt. Die dreiwöchige Dauer der festgestellten Sperrzeit ist gemäß § 144 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 c SGB III ebenfalls rechtmäßig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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