L 11 AS 164/07

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 9 AS 129/06
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AS 164/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Würzburg aufgehoben. Der Bescheid der Beklagten vom 05.07.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbecheides vom 09.12.2005 wird abgeändert und der Beklagte verurteilt, an den Kläger für den Zeitraum 01.07.2005 bis 31.12.2005 Alg II in Höhe von monatlich 324,- EUR zu erbringen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
II. Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten zu 7/10 zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Anrechnung kostenloser Verpflegung als Einkommen auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II - Alg II -) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Der Kläger bezieht seit 01.01.2005 Alg II in Höhe der Regelleistung von 345,- EUR monatlich. Kosten der Unterkunft fielen nicht an, weil er bei seiner Mutter mietfrei ein Zimmer bewohne. Küche, Bad und Wohnzimmer würden gemeinschaftlich genutzt. Mit der erstmaligen Bewilligung berücksichtige die Beklagte keine Leistungen der Mutter, da - nach Angaben des Klägers - keine gegenseitige finanzielle Unterstützung erfolgte.

Im Fortzahlungsantrag vom 13.06.2005 gab der Kläger an, es seien keine Änderungen eingetreten. Die Mutter des Klägers bestätigte - wie bereits bei der erstmaligen Antragstellung -, dass sich ihr Sohn teilweise selbst versorge. Eine Nachfrage der Beklagten ergab, dass die Mutter des Klägers diesem das Mittagessen kostenlos zur Verfügung stelle. Im Zusammenhang mit dem Folgeantrag legte der Kläger auch eine Beitragsrechnung über eine Kfz-Haftpflichtversicherung für das Jahr 2005 vor (Beitrag 80,70 EUR; vierteljährliche Zahlungsweise).

Mit Bescheid vom 05.07.2005 bewilligte die Beklagte dem Kläger für die Zeit vom 01.07.2005 bis 31.12.2005 Alg II in Höhe von 266,75 EUR monatlich. In Anwendung der Sachbezugsverordnung rechnete sie dem Kläger die kostenfreie Mittagsverpflegung als Einkommen in Höhe von 78,25 EUR monatlich an.

Den Widerspruch vom 18.07.2005 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 09.12.2005 als unbegründet zurück. Nach § 2 Abs 4 Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung (Alg II-V) sei eine kostenlose Verpflegung als geldwerter Vorteil anzusehen und unter Berücksichtigung der Sachbezugsverordnung als Einkommen zu bewerten.

Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 24.03.2006 Klage beim Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben.

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 05.02.2007 abgewiesen. Der Kläger habe im Rahmen eines Eilverfahrens vor dem Bayer.Landessozialgericht (L 11 B 697/05 AS ER) bereits am 22.12.2005 Klage gegen den Widerspruchsbescheid erhoben. Die zulässige Klage sei jedoch unbegründet, denn die kostenlose Verpflegung des Klägers, die unstreitig erfolgt sei, müsse als Einkommen berücksichtigt werden. Das SG hat die Berufung nicht zugelassen.

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers vom 07.03.2007 hat das Bayer.Landessozialgericht die Berufung mit Beschluss vom 15.05.2007 wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen und das Verfahren fortgeführt. Der Kläger vertritt die Auffassung, dass die kostenlose Verpflegung nicht als Einkommen anzurechnen sei.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des SG für zutreffend.

Zum Vorbringen der Beteiligten im Einzelnen und zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der beigezogenen Beklagtenakte, die Akten des SG Würzburg und des Bayer. Landessozialgerichts sowie auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zugelassene Berufung ist statthaft, §§ 143, 144, 145 Sozialgerichtsgesetz (SGG), und im Ergebnis auch teilweise begründet, denn die kostenlose Mittagsverpflegung des Klägers ist - im streitgegenständlichen Zeitraum - zwar als Einkommen zu berücksichtigen. Von diesem Einkommen waren jedoch Aufwendungen für Versicherungen abzusetzen.

Die Kürzung der Regelleistung, wie mit Bescheid vom 05.07.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.12.2007 vorgenommen, ist rechtwidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 54 Abs 2 Satz 1 SGG. Der Kläger hat - für den Zeitraum 01.07.2005 bis 31.12.2005 - Anspruch auf die - um zu berücksichtigendes Einkommen - gekürzte Regelleistung in Höhe von 324,- EUR monatlich.

Der Kläger hat als erwerbsfähiger Hilfsbedürftiger, § 7 Abs 1 iVm § 9 SGB II, Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, § 19 Satz 1 Nr 1 SGB II, in Höhe von 345,- EUR monatlich, § 20 Abs 2 SGB II.

Hilfebedürftigkeit besteht jedoch nur soweit, wie der Lebensunterhalt nicht aus eigenen Mitteln, vor allem nicht aus dem zu berücksichtigenden Einkommen gesichert werden kann, § 9 Abs 1 Nr 2 SG B II, und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen, erlangt wird.

Vorliegend lebten der Kläger und seine Mutter - im streitgegenständlichen Zeitraum - in einer Haushaltsgemeinschaft, nachdem sie eine Wohnung, insbesondere das Wohnzimmer, das Esszimmer, das Bad und die Küche gemeinschaftlich nutzen. Auch in tatsächlicher Hinsicht liegen hinreichende Anhaltspunkte vor, dass der Kläger und seine Mutter gemeinschaftlich wirtschafteten bzw. dass der Kläger durch seine Mutter finanzielle Unterstützung erhalten hat.

Nach den vom Kläger im Verwaltungsverfahren vorgelegten Kontoauszügen Nr 1 bis 8 des Jahres 2005 der Raiffeissen Bank W. für die Zeit vom 01.01.2005 bis 28.06.2005 ist ersichtlich, dass der Kläger keine weiteren Aufwendungen, als die für seine Lebensversicherung (beim B.), seine Kfz-Versicherung (R.-Versicherungen), die Tageszeitung (Mainpresse) und ein Gewinnsparen hat. Andere Überweisungen oder Barabhebungen, um sich aus der Regelleistung, die auf das Konto des Klägers geflossen sind, Güter des täglichen Lebens anzuschaffen, sind nicht vorgenommen worden, so dass der Schluss zu ziehen ist, dass der Kläger in dem halben Jahr zwischen dem 01.01.2005 bis 28.06.2005 tatsächlich von Zuwendungen seiner Mutter gelebt hat.

Diese Zuwendungen sind als freiwilliger (Natural-)Unterhalt der Mutter des Klägers anzusehen, so dass es auf die Frage der Tauschbarkeit der empfangenen Leistung nicht ankommt (vgl. hierzu Urteil des Senats vom 19.06.2007 - L 11 AS 4/07 -), und der weite Einkommensbegriff legt es nahe, Leistungen, die zur Befriedigung eines Unterhaltsbedarfs eines Leistungsberechtigten erbracht werden, grundsätzlich ebenfalls wie Einkommen zu berücksichtigen (vgl. BSG; Urteil vom 08.02.2007 - B 9b SO 6/05 - mwN).

Es kann in diesem Zusammenhang offen bleiben, ob von der Mutter des Klägers aufgrund deren Einkommensverhältnisse nicht ohnehin erwartet werden durfte, dass sie den Kläger unterstützt, § 9 Abs 5 SGB II.

Auch wenn die gesetzliche Vermutung des § 9 Abs 5 SGB II nicht greift und ein gesetzlicher Unterhaltsanspruch des Klägers iSd § 1601 BGB nicht zu belegen ist, ist der an den Kläger erbrachte - freiwillige - Naturalunterhalt als geldwerter Vorteil zu berücksichtigen, denn anders als nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (dort § 43 SGB XII) gibt es im Recht der Grundsicherung für Arbeitssuchende keine Regelung, die eine Berücksichtigung von Unterhaltsleistungen begrenzen würde. Demzufolge ist jeder geldwerte Vorteil, der - wie eine freie Verpflegung - als Unterhaltsleistung angesehen werden kann, als Einkommen zu berücksichtigen.

Für die Bewertung des Einkommens ist nach § 13 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB II iVm § 2 Abs 4 Satz 1 Alg II-V, da es sich um eine Sachleistung handelt, auf die für den Leistungszeitraum maßgebliche Fassung der bis 30.09.2005 geltenden Sachbezugsverordnung abzustellen. Nach § 1 Abs 1 Satz 2 Spielstrich 2 der Verordnung über den Wert von Sachbezügen in der Sozialversicherung (Sachbezugsverordnung - SachBezV - vom 19.12.1994, geändert durch die Verordnung vom 22.10.2004; BGBl I S 2663) ist für eine Teilverpflegung durch ein (tägliches) Mittagessen ein Betrag (für das Jahr 2005) in Höhe von 78,25 EUR monatlich als Einkommen zu berücksichtigen.

Durch den uneingeschränkten Verweis des § 2 Abs 4 Alg II-V auf die Sach-BezV sieht der Senat auch keinen Verstoß gegen die Ermächtigungsgrundlage des § 13 Satz 1 Nr 1 SGB II, denn in den Fällen kostenloser Verpflegung handelt es sich nicht um die Pauschalierung eines fiktiven Einkommens (so jedoch LSG Niedersachsen - Bremen, Beschluss vom 29.01.2007 - L 13 AS 14/06 ER), sondern um die Bewertung tatsächlich zugeflossenen Einkommens (in der Form des Sachbezuges). Eine kostenlose Verpflegung umfasst nicht nur den tatsächlichen Materialwert der zur Verfügung gestellten Nahrungsmittel, sondern auch die damit verbundenen Herstellungs- und Entsorgungskosten, die dem Betroffenen in Form einer Dienstleistung zufließen. Für die Frage der Bewertung des Einkommens ist jedoch nicht auf den individuellen Nutzen des Leistungsempfängers abzustellen, den er - zusätzlich zum Materialwert der Mahlzeit - aus der erhaltenen Dienstleistung zieht, sondern auf deren Wert, auch wenn der Leistungsempfänger keinen konkreten Nutzen aus dieser Dienstleistung ziehen kann.

Dem Senat erscheint die Anwendung der Sach-BezV als sachnächster Bewertungsmaßstab nicht ungeeignet, auch wenn dieser im Wesentlichen das Bild eines Arbeitgebers zugrunde liegt, der im Rahmen seines Geschäftsbetriebes Mitarbeitern die Mahlzeiten zur Verfügung stellt.

Eine Differenzierung in Bezug auf die Größe des Geschäftsbetriebes ist nicht vorgesehen, d.h. die Sach-BezV findet sowohl Anwendung auf Betriebe mit (personalaufwändigen) Großkantinen, als auch auf Kleinbetriebe, in denen den Mitarbeitern - wie in einem Haushalt - Mahlzeiten individuell zur Verfügung gestellt werden. Hieraus ist der Schluss zu ziehen, dass nicht der individuelle Wert der zur Verfügung gestellten Mahlzeit Ausgangspunkt für die Bewertung des durch Sachbezug erzielten Einkommens ist, sondern ein in pauschalierter Weise ermittelter Gesamtnutzen des Empfängers, der in der Regel mit dem Empfang einer Mahlzeit verbunden ist. Hierin unterscheidet sich die Situation eines Arbeitnehmers jedoch nicht wesentlich von der eines Sozialleistungsempfängers, denn beiden Personengruppen wird mit dem Sachbezug eine Leistung (in Form von Nahrungsmitteln und Dienstleistungen) zugewandt, die pauschal und nicht nach dem objektiven oder konkreten Nutzen zu beurteilen ist (hierzu bereits oben).

Die Berücksichtigung der kostenfreien Verpflegung als Einkommen zieht jedoch nach sich, dass auch Aufwendungen zu öffentlichen und privaten Versicherungen (§ 11 Abs 2 Nr 3 SGB II) sowie die notwendigen Aufwendungen für den Erwerb dieses Einkommens (§ 11 Abs 2 Nr 5 SGB II) abzugsfähig sind.

Vorliegend hat der Kläger zwar keine Aufwendungen, wie die Zahlung von Kostgeld an die Mutter, für den Erwerb des Einkommens geltend gemacht, und solche Zahlungen sind nach Lage der Akten auch nicht ersichtlich. Berücksichtigungsfähig sind jedoch die Beiträge zu den Versicherungen des Klägers (vgl. Urteil des Senates vom 19.06.2007 aaO). Als gesetzlich vorgeschriebene Versicherung sind abzugsfähig die Aufwendungen für die Kfz-Haftpflichtversicherung in Höhe von 26,90 EUR (vierteljährlich: 80,70 EUR) sowie ein Pauschbetrag in Höhe von monatlich 30,- EUR für angemessene Versicherungen nach § 11 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2; § 13 Satz 1 Nr 3 SGB II iVm § 3 Nr 1 Alg II-V.

Insgesamt ergibt sich daraus ein anzurechnendes Einkommen von 21,35 EUR (= 78,25 EUR -26,90 EUR - 30,- EUR), so dass sich ein Anspruch von 323,65 EUR (= 345,- EUR - 21,35 EUR) errechnet, der auf 324,- EUR zu runden ist, § 41 Abs 2 SGB II.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG, und entspricht dem Erfolg der Beteiligten in Bezug auf den Verfahrensausgang.

Die Revision ist zuzulassen, denn nach Auffassung des Senates hat die Frage der Berücksichtigung einer kostenlosen Verpflegung als Einkommen grundsätzliche Bedeutung, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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