Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 28 Ka 3909/94
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 Ka 1104/95
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 23. August 1995 wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger hat der Beklagten die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Verpflichtung der Beklagten zur Rücknahme rechtswidriger aber bestandskräftiger Honorarbescheide der Quartale IV/87 bis III/93 sowie I/94 und die Auszahlung von rund 511.000,– DM streitig.
Der Kläger ist als Internist und Nuklearmediziner in niedergelassen und zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Die Beklagte nahm in den streitigen Quartalen eine Kürzung des Honorars des Klägers wegen übermäßiger Ausdehnung der vertragsärztlichen Tätigkeit vor. Der Berechnung der Honorarkürzung legte die Beklagte ein RVO-Durchschnittshonorar des aktuellen Quartals als Grenzwert zugrunde. Dieser Grenzwert wurde erst nach Abschluß des Quartals bestimmt. Alle streitigen Honorarbescheide wurden vom Kläger nicht angefochten. Das Bundessozialgericht stellte mit Urteil vom 26. Januar 1994 (Az.: 6 RKa 33/91) fest, dass der Grenzwert bereits vor Beginn des jeweiligen Quartals bestimmt sein müsse.
Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 24. Oktober 1994 die Auszahlung der in den Quartalen IV/87 bis III/93 und I/94 einbehaltenen Honorarteile.
Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 28. Oktober 1994 ab. Dazu führte sie aus, der Antrag des Klägers unterfalle nicht der Regelung des § 44 Abs. 1 Sozialgesetzbuch – 10. Buch – (SGB X). Diese Regelung sei nur auf Sozialleistungen anwendbar. Die Honorare der Vertragsärzte seien dagegen keine Sozialleistungen. Auch teile sie die Auffassung des Sozialgerichts Kiel in seinem Urteil vom 13. Juli 1994 (Az.: S-8 a/Ka-37/93), wonach sich die Regelung des § 44 Abs. 2 SGB X ebenfalls auf Sozialleistungen beziehe und damit keine Anwendung finden könne. Gleichwohl habe sie die Frage geprüft, ob nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts eine Rückabwicklung der bestandskräftigen Honorarbescheide möglich sei.
Dies komme in Betracht, wenn Billigkeitsgesichtspunkte dies für zwingend notwendig erscheinen liessen. Dies scheide vorliegend aus. Zum einen sei ein unverhältnismäßig großer Verwaltungsaufwand zu erwarten, wenn aus dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung alle bestandskräftigen Honorarbescheide ab IV/87 nochmals abgewickelt werden würden. Es würde auch zu einer finanziellen Belastung führen, die nicht gerechtfertigt sei. Der damit verbundene Punktwertverfall würde auch diejenigen Ärzte treffen, die ihre Praxistätigkeit nicht übermäßig ausgedehnt hätten.
Dagegen hat der Kläger am 10. November 1994 Klage vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben. Die Beklagte hat die Klageerhebung als Widerspruch gegen ihren Bescheid angesehen und im Laufe des Klageverfahrens mit Widerspruchsbescheid vom 30. Dezember 1994 als unbegründet abgewiesen. Dazu hat sie ergänzend ausgeführt, die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei für sie nicht vorhersehbar gewesen. Rückstellungen seien nur für laufende Rechtsstreite zu bilden. Die erneute Abwicklung der streitigen Quartale könne nur zu Lasten der aktuellen Honorarverteilung erfolgen.
Zur Klagebegründung hat der Kläger vorgetragen, der Auffassung der Beklagten, dass § 44 Abs. 2 SGB X vorliegend nicht einschlägig sei, könne er sich nicht anschließen. Im Rahmen dieser Bestimmung sei es ohne Bedeutung, ob die Beklagte gutgläubig rechtswidrig gehandelt habe. Auch sei ihr Argument, sie habe kein Geld, unerheblich, da Geldschulden Gattungsschulden und damit zu erbringen seien.
Dagegen hat die Beklagte ergänzend zu ihrem Widerspruchsbescheid ausgeführt, die Regelungen des § 44 SGB X seien wegen einer speziellen Regelung im Sinne von § 37 Sozialgesetzbuch (1. Buch) (SGB I) nicht anwendbar. Die Leitzahl 904 der Grundsätze der Honorarverteilung (HVM) alte Fassung habe abschließend geregelt, unter welchen Voraussetzungen Honorarabrechnungen nachträglich abzuändern seien. Diese Voraussetzungen lägen aber nicht vor. Im übrigen habe sie lediglich aus dem Rechtsgedanken des § 44 SGB X heraus geprüft, ob dem Kläger die einbehaltenen Honorarteile auszuzahlen seien. Im übrigen könnten gem. § 44 Abs. 4 SGB X lediglich die Begrenzungsbeträge für vier Jahre rückwirkend, berechnet vom Beginn des Jahres der Antragstellung, ausgezahlt werden.
Das Sozialgericht Frankfurt am Main hat mit Urteil vom 23. August 1995 die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, zwar sei § 44 Abs. 2 SGB X auch auf Honorarbescheide der Ärzte anwendbar. Die Beklagte habe jedoch das ihr eingeräumte Ermessen pflichtgemäß ausgeübt. Sie habe sich zutreffend bei ihrer Entscheidung an Billigkeitserwägungen des Einzelfalles orientiert und dem Begehren des Klägers nicht den Einwand fehlender Liquidität entgegengesetzt. Die Beklagte mache vielmehr geltend, dass sie die Begrenzungsbeträge nicht an den Kläger auszahlen könne, ohne dass andere Ärzte belastet würden. Dies habe die Beklagte im Rahmen ihrer Ermessenerwägungen berücksichtigen können. Diese Erwägungen entsprächen der gesetzlich vorgesehenen Mittelbeschaffung. Gem. § 85 Abs. 4 SGB V verteile die Beklagte die Gesamtvergütung unter den Vertragsärzten. Somit könne sie nur den Betrag verteilen, den sie von der Krankenkasse erhalten habe. Dabei habe sie sich an dem Grundsatz der Verteilungsgerechtigkeit zu orientieren. Die Berücksichtigung der Verteilungsgerechtigkeit sei nicht unbillig, da dem Kläger die geltend gemachten Beträge auch bei einer rechtmäßigen Ausgestaltung der HVM nicht zugestanden hätten. Die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 26. Januar 1994 (Az.: 6 RKa 33/91) stelle die Begrenzungsregelung insgesamt nicht infrage. Dem Arzt solle lediglich ermöglicht werden, seine Tätigkeit auf einen im voraus bestimmten Grenzwert einzurichten, um eine übermäßige Ausdehnung der ärztlichen Tätigkeit zu verhindern. Wenn der Arzt gleichwohl in Kenntnis des Grenzwertes seine Tätigkeit ausdehne, so habe er nur Anspruch auf das herabgesetzte Honorar.
Gegen das am 12. Oktober 1995 zugestellte Urteil hat der Kläger am 16. Oktober 1995 Berufung eingelegt. Er ist weiterhin der Auffassung, dass die Beklagte ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt habe. Darüber hinaus ist er der Auffassung, dass die Beklagte die Auszahlung der streitigen Beträge finanziell verkraften könne. Auch sei die Entscheidung der Beklagten unbillig, da er entsprechend der Rechtsprechung des Hess. Landessozialgerichts und des Bundessozialgerichts zur Gerichtsfestigkeit der Leitzahl 503 der Grundsätze der Honorarverteilung (HVM) keinen Widerspruch gegen die Honorarbescheide eingelegt habe.
Der Kläger legte zur Darlegung des Umfangs der zu erwartenden finanziellen Belastung der Beklagten Unterlagen aus dem Rechtsstreit vor dem Hessischen Landessozialgericht Az.: L-7/Ka-1018/96 vor.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 23. August 1995 und den Bescheid der Beklagten vom 28. Oktober 1994 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30. Dezember 1994 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm die nach der Leitzahl 503 HVM einbehaltenen Honorarteile aus den Quartalen IV/87 bis III/93 und I/94 auszuzahlen,
hilfsweise,
die Beklagte zu verurteilen, ihm die einbehaltenen Honorarteile in gleichen Quartalsraten auszuzahlen,
hilfsweise,
die Beklagte zu verurteilen, über seinen Widerspruch vom 10. November 1994 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Sie ist der Auffassung, das Sozialgericht Frankfurt am Main habe mit dem angefochtenen Urteil zutreffend entschieden.
Der Senat hat den Verwaltungsvorgang der Beklagten (2 Bände) beigezogen. Wegen der Einzelheiten des Vertrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Unterlagen verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig. Sie wurde form- und fristgerecht eingelegt und ist statthaft gem. § 151 Abs. 1; §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Sie ist jedoch nicht begründet.
Weder das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 23. August 1995 noch der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 28. Oktober 1994 i.d.F. des Widerspruchsbescheides vom 30. Dezember 1994 waren aufzuheben. Das Sozialgericht hat mit dem angefochtenen Urteil zutreffend entschieden, dass die Beklagte die Rücknahme der bestandskräftigen Honorarbescheide der Quartale IV/87 bis III/93 und I/94 sowie die Auszahlung der in diesen Quartalen einbehaltenen Honorarteile rechtmäßig abgelehnt hat.
Der Kläger konnte mit seinem Hauptantrag auf Aufhebung des angefochtenen Urteils und der angefochtenen Bescheide sowie auf Auszahlung der einbehaltenen Honorarteile keinen Erfolg haben, da er seinen Anspruch nur auf die Ermessensnorm des § 44 Abs. 2 Sozialgesetzbuch – 10. Buch – (SGB X) stützen könnte.
Aus dem gleichen Grunde konnte auch der erste Hilfsantrag des Klägers keinen Erfolg haben. Die Entscheidung, ob dem Kläger die einbehaltenen Honorarteile in gleichen Raten ausgezahlt werden, steht im Ermessen der Beklagten.
Der Kläger kann den geltend gemachten Anspruch nicht auf § 44 Abs. 1 Sozialgesetzbuch – 10. Buch – (SGB X) stützen.
§ 44 Abs. 1 SGB X ist vorliegend nicht anwendbar, da Honorare der Vertragsärzte keine Sozialleistungen gem. § 11 Sozialgesetzbuch – 1. Buch – (SGB I) darstellen.
Gem. § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich ergibt, dass bei seinem Erlaß das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind.
Aber auch der zweite Hilfsantrag des Klägers konnte letztendlich keinen Erfolg haben.
Diesen hätte der Kläger ausschließlich auf § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X stützen können.
Gem. § 44 Abs. 2 Satz 1 SGB X ist im übrigen ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann gem. § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.
Der Senat konnte sich der Auffassung des Sozialgerichts Kiel in seinem Urteil vom 13. Juli 1994 (Az.: S-8 a/Ka-37/93) nicht anschließen, wonach auch § 44 Abs. 2 SGB X nur auf Sozialleistungen gem. § 11 SGB I anwendbar sei. Diese Interpretation kann nach Auffassung des Senats nicht aus dem Wortlaut der Norm entnommen werden. § 44 Abs. 2 SGB X stellt vielmehr eine Auffangvorschrift für Verwaltungsakte dar, die weder Sozialleistungen noch Beiträge betreffen oder bei denen § 44 Abs. 1 SGB X wegen einer Spezialregelung nicht zur Anwendung kommt (Steinwedel in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht Bd. II, § 44 SGB X Rdnr. 39).
Auch kann aus der vom Sozialgericht Kiel zitierten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Nichtanwendbarkeit des § 45 SGB X auf Honorarbescheide der Vertragsärzte nicht auf die Unanwendbarkeit des § 44 Abs. 2 SGB X geschlossen werden. Nach dem Urteil des BSG vom 16. Januar 1991 (Az.: 6 RKa 10/90) unterliegt die Rücknahme von Honorarbescheiden den Einschränkungen des § 45 SGB X jedenfalls insoweit nicht, als dem Kassenarzt die vorab gezahlten Honorare durch die spätere Prüfung der Wirtschaftlichkeit seiner Leistung gekürzt werden.
Auch wenn die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden fehlerhaft davon ausgegangen ist, dass § 44 Abs. 2 SGB X vorliegend nicht anzuwenden sei, so führt dies nicht zur Aufhebung dieser Bescheide, da er gem. § 43 Abs. 1 SGB X in eine Entscheidung nach § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X umgedeutet werden kann.
Gem. § 43 Abs. 1 SGB X kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenen Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und formrechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für den Erlaß erfüllt sind. Die Voraussetzungen für den Erlaß eines Verwaltungsaktes nach § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X sind vorliegend erfüllt.
Die Honorarbescheide der Quartale IV/87 bis III/93 und I/94 sind nach dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 26. Januar 1994 (Az.: 6 RKa 33/91) rechtswidrig, da der Grenzwert nicht bereits vor dem jeweiligen Quartal festgelegt worden ist. Da vorliegend die Rücknahme der Honorarbescheide für die Vergangenheit im Streit steht, stand diese Entscheidung gem. § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X im Ermessen der Beklagten. Dieses Ermessen hat die Beklagte im Bescheid vom 28. Oktober 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Dezember 1994 in nicht zu beanstandender Weise ausgeübt. Insoweit weist der Senat die Berufung des Klägers aus den Gründen des angefochtenen Urteils gem. § 153 Abs. 2 SGG zurück und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Gründe des angefochtenen Urteils.
Lediglich ergänzend weist der Senat auf folgendes hin:
Der Beklagten war es nicht verwehrt, u.a. das Gebot der Verteilungsgerechtigkeit mit in ihre Ermessenserwägungen einzubeziehen. Vor dem Hintergrund einer nicht beliebig steigerbaren Verteilungsmasse bei gleichzeitigem Anstieg der Vertragsärztezahl sowie einer mengenmäßigen Ausbreitung der vertragsärztlichen Leistung gewinnt die Art und Weise der Verteilung der Gesamtvergütung eine immer größer werdende Relevanz (siehe dazu Axer, Der Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit im Kassenarztrecht – zur neueren Judikatur des Bundessozialgerichts in NZS 1995, S. 536 ff.). Unstreitig hätte die Auszahlung der einbehaltenen Honorarteile aus den Quartalen IV/87 bis III/93 und I/94 zu einer Reduzierung der Honorare der Ärzte aus dem aktuell abzurechnenden Quartal geführt. Ebenfalls unstreitig beruhen die einbehaltenen Honorarteile auf einer übermäßigen Ausdehnung der vertragsärztlichen Tätigkeit des Klägers. Der Schluss der Beklagten, dass die vertragsmäßig korrekt arbeitenden Ärzte nicht mit einem Punktwertverfall, resultierend aus der nichtvertragsgerechten Tätigkeit des Klägers, belastet werden sollten, ist nicht zu beanstanden.
Lediglich ergänzend weist der Senat auf die Regelung des § 44 Abs. 4 SGB X hin. Selbst wenn man sich der Auffassung des Klägers anschließen würde, die Beklagte habe ermessensfehlerhaft gehandelt, so könnte der Kläger nach dieser Norm lediglich die Honorarteile für einen Zeitraum von vier Jahren rückwirkend ab Antragstellung begehren, vorausgesetzt dass diese Norm auf Honorare der Kassenärzte anwendbar wäre.
Damit konnte die Berufung des Klägers keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsangelegenheit zuzulassen.
II. Der Kläger hat der Beklagten die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Verpflichtung der Beklagten zur Rücknahme rechtswidriger aber bestandskräftiger Honorarbescheide der Quartale IV/87 bis III/93 sowie I/94 und die Auszahlung von rund 511.000,– DM streitig.
Der Kläger ist als Internist und Nuklearmediziner in niedergelassen und zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Die Beklagte nahm in den streitigen Quartalen eine Kürzung des Honorars des Klägers wegen übermäßiger Ausdehnung der vertragsärztlichen Tätigkeit vor. Der Berechnung der Honorarkürzung legte die Beklagte ein RVO-Durchschnittshonorar des aktuellen Quartals als Grenzwert zugrunde. Dieser Grenzwert wurde erst nach Abschluß des Quartals bestimmt. Alle streitigen Honorarbescheide wurden vom Kläger nicht angefochten. Das Bundessozialgericht stellte mit Urteil vom 26. Januar 1994 (Az.: 6 RKa 33/91) fest, dass der Grenzwert bereits vor Beginn des jeweiligen Quartals bestimmt sein müsse.
Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 24. Oktober 1994 die Auszahlung der in den Quartalen IV/87 bis III/93 und I/94 einbehaltenen Honorarteile.
Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 28. Oktober 1994 ab. Dazu führte sie aus, der Antrag des Klägers unterfalle nicht der Regelung des § 44 Abs. 1 Sozialgesetzbuch – 10. Buch – (SGB X). Diese Regelung sei nur auf Sozialleistungen anwendbar. Die Honorare der Vertragsärzte seien dagegen keine Sozialleistungen. Auch teile sie die Auffassung des Sozialgerichts Kiel in seinem Urteil vom 13. Juli 1994 (Az.: S-8 a/Ka-37/93), wonach sich die Regelung des § 44 Abs. 2 SGB X ebenfalls auf Sozialleistungen beziehe und damit keine Anwendung finden könne. Gleichwohl habe sie die Frage geprüft, ob nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts eine Rückabwicklung der bestandskräftigen Honorarbescheide möglich sei.
Dies komme in Betracht, wenn Billigkeitsgesichtspunkte dies für zwingend notwendig erscheinen liessen. Dies scheide vorliegend aus. Zum einen sei ein unverhältnismäßig großer Verwaltungsaufwand zu erwarten, wenn aus dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung alle bestandskräftigen Honorarbescheide ab IV/87 nochmals abgewickelt werden würden. Es würde auch zu einer finanziellen Belastung führen, die nicht gerechtfertigt sei. Der damit verbundene Punktwertverfall würde auch diejenigen Ärzte treffen, die ihre Praxistätigkeit nicht übermäßig ausgedehnt hätten.
Dagegen hat der Kläger am 10. November 1994 Klage vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben. Die Beklagte hat die Klageerhebung als Widerspruch gegen ihren Bescheid angesehen und im Laufe des Klageverfahrens mit Widerspruchsbescheid vom 30. Dezember 1994 als unbegründet abgewiesen. Dazu hat sie ergänzend ausgeführt, die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei für sie nicht vorhersehbar gewesen. Rückstellungen seien nur für laufende Rechtsstreite zu bilden. Die erneute Abwicklung der streitigen Quartale könne nur zu Lasten der aktuellen Honorarverteilung erfolgen.
Zur Klagebegründung hat der Kläger vorgetragen, der Auffassung der Beklagten, dass § 44 Abs. 2 SGB X vorliegend nicht einschlägig sei, könne er sich nicht anschließen. Im Rahmen dieser Bestimmung sei es ohne Bedeutung, ob die Beklagte gutgläubig rechtswidrig gehandelt habe. Auch sei ihr Argument, sie habe kein Geld, unerheblich, da Geldschulden Gattungsschulden und damit zu erbringen seien.
Dagegen hat die Beklagte ergänzend zu ihrem Widerspruchsbescheid ausgeführt, die Regelungen des § 44 SGB X seien wegen einer speziellen Regelung im Sinne von § 37 Sozialgesetzbuch (1. Buch) (SGB I) nicht anwendbar. Die Leitzahl 904 der Grundsätze der Honorarverteilung (HVM) alte Fassung habe abschließend geregelt, unter welchen Voraussetzungen Honorarabrechnungen nachträglich abzuändern seien. Diese Voraussetzungen lägen aber nicht vor. Im übrigen habe sie lediglich aus dem Rechtsgedanken des § 44 SGB X heraus geprüft, ob dem Kläger die einbehaltenen Honorarteile auszuzahlen seien. Im übrigen könnten gem. § 44 Abs. 4 SGB X lediglich die Begrenzungsbeträge für vier Jahre rückwirkend, berechnet vom Beginn des Jahres der Antragstellung, ausgezahlt werden.
Das Sozialgericht Frankfurt am Main hat mit Urteil vom 23. August 1995 die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, zwar sei § 44 Abs. 2 SGB X auch auf Honorarbescheide der Ärzte anwendbar. Die Beklagte habe jedoch das ihr eingeräumte Ermessen pflichtgemäß ausgeübt. Sie habe sich zutreffend bei ihrer Entscheidung an Billigkeitserwägungen des Einzelfalles orientiert und dem Begehren des Klägers nicht den Einwand fehlender Liquidität entgegengesetzt. Die Beklagte mache vielmehr geltend, dass sie die Begrenzungsbeträge nicht an den Kläger auszahlen könne, ohne dass andere Ärzte belastet würden. Dies habe die Beklagte im Rahmen ihrer Ermessenerwägungen berücksichtigen können. Diese Erwägungen entsprächen der gesetzlich vorgesehenen Mittelbeschaffung. Gem. § 85 Abs. 4 SGB V verteile die Beklagte die Gesamtvergütung unter den Vertragsärzten. Somit könne sie nur den Betrag verteilen, den sie von der Krankenkasse erhalten habe. Dabei habe sie sich an dem Grundsatz der Verteilungsgerechtigkeit zu orientieren. Die Berücksichtigung der Verteilungsgerechtigkeit sei nicht unbillig, da dem Kläger die geltend gemachten Beträge auch bei einer rechtmäßigen Ausgestaltung der HVM nicht zugestanden hätten. Die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 26. Januar 1994 (Az.: 6 RKa 33/91) stelle die Begrenzungsregelung insgesamt nicht infrage. Dem Arzt solle lediglich ermöglicht werden, seine Tätigkeit auf einen im voraus bestimmten Grenzwert einzurichten, um eine übermäßige Ausdehnung der ärztlichen Tätigkeit zu verhindern. Wenn der Arzt gleichwohl in Kenntnis des Grenzwertes seine Tätigkeit ausdehne, so habe er nur Anspruch auf das herabgesetzte Honorar.
Gegen das am 12. Oktober 1995 zugestellte Urteil hat der Kläger am 16. Oktober 1995 Berufung eingelegt. Er ist weiterhin der Auffassung, dass die Beklagte ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt habe. Darüber hinaus ist er der Auffassung, dass die Beklagte die Auszahlung der streitigen Beträge finanziell verkraften könne. Auch sei die Entscheidung der Beklagten unbillig, da er entsprechend der Rechtsprechung des Hess. Landessozialgerichts und des Bundessozialgerichts zur Gerichtsfestigkeit der Leitzahl 503 der Grundsätze der Honorarverteilung (HVM) keinen Widerspruch gegen die Honorarbescheide eingelegt habe.
Der Kläger legte zur Darlegung des Umfangs der zu erwartenden finanziellen Belastung der Beklagten Unterlagen aus dem Rechtsstreit vor dem Hessischen Landessozialgericht Az.: L-7/Ka-1018/96 vor.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 23. August 1995 und den Bescheid der Beklagten vom 28. Oktober 1994 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30. Dezember 1994 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm die nach der Leitzahl 503 HVM einbehaltenen Honorarteile aus den Quartalen IV/87 bis III/93 und I/94 auszuzahlen,
hilfsweise,
die Beklagte zu verurteilen, ihm die einbehaltenen Honorarteile in gleichen Quartalsraten auszuzahlen,
hilfsweise,
die Beklagte zu verurteilen, über seinen Widerspruch vom 10. November 1994 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Sie ist der Auffassung, das Sozialgericht Frankfurt am Main habe mit dem angefochtenen Urteil zutreffend entschieden.
Der Senat hat den Verwaltungsvorgang der Beklagten (2 Bände) beigezogen. Wegen der Einzelheiten des Vertrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Unterlagen verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig. Sie wurde form- und fristgerecht eingelegt und ist statthaft gem. § 151 Abs. 1; §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Sie ist jedoch nicht begründet.
Weder das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 23. August 1995 noch der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 28. Oktober 1994 i.d.F. des Widerspruchsbescheides vom 30. Dezember 1994 waren aufzuheben. Das Sozialgericht hat mit dem angefochtenen Urteil zutreffend entschieden, dass die Beklagte die Rücknahme der bestandskräftigen Honorarbescheide der Quartale IV/87 bis III/93 und I/94 sowie die Auszahlung der in diesen Quartalen einbehaltenen Honorarteile rechtmäßig abgelehnt hat.
Der Kläger konnte mit seinem Hauptantrag auf Aufhebung des angefochtenen Urteils und der angefochtenen Bescheide sowie auf Auszahlung der einbehaltenen Honorarteile keinen Erfolg haben, da er seinen Anspruch nur auf die Ermessensnorm des § 44 Abs. 2 Sozialgesetzbuch – 10. Buch – (SGB X) stützen könnte.
Aus dem gleichen Grunde konnte auch der erste Hilfsantrag des Klägers keinen Erfolg haben. Die Entscheidung, ob dem Kläger die einbehaltenen Honorarteile in gleichen Raten ausgezahlt werden, steht im Ermessen der Beklagten.
Der Kläger kann den geltend gemachten Anspruch nicht auf § 44 Abs. 1 Sozialgesetzbuch – 10. Buch – (SGB X) stützen.
§ 44 Abs. 1 SGB X ist vorliegend nicht anwendbar, da Honorare der Vertragsärzte keine Sozialleistungen gem. § 11 Sozialgesetzbuch – 1. Buch – (SGB I) darstellen.
Gem. § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich ergibt, dass bei seinem Erlaß das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind.
Aber auch der zweite Hilfsantrag des Klägers konnte letztendlich keinen Erfolg haben.
Diesen hätte der Kläger ausschließlich auf § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X stützen können.
Gem. § 44 Abs. 2 Satz 1 SGB X ist im übrigen ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann gem. § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.
Der Senat konnte sich der Auffassung des Sozialgerichts Kiel in seinem Urteil vom 13. Juli 1994 (Az.: S-8 a/Ka-37/93) nicht anschließen, wonach auch § 44 Abs. 2 SGB X nur auf Sozialleistungen gem. § 11 SGB I anwendbar sei. Diese Interpretation kann nach Auffassung des Senats nicht aus dem Wortlaut der Norm entnommen werden. § 44 Abs. 2 SGB X stellt vielmehr eine Auffangvorschrift für Verwaltungsakte dar, die weder Sozialleistungen noch Beiträge betreffen oder bei denen § 44 Abs. 1 SGB X wegen einer Spezialregelung nicht zur Anwendung kommt (Steinwedel in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht Bd. II, § 44 SGB X Rdnr. 39).
Auch kann aus der vom Sozialgericht Kiel zitierten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Nichtanwendbarkeit des § 45 SGB X auf Honorarbescheide der Vertragsärzte nicht auf die Unanwendbarkeit des § 44 Abs. 2 SGB X geschlossen werden. Nach dem Urteil des BSG vom 16. Januar 1991 (Az.: 6 RKa 10/90) unterliegt die Rücknahme von Honorarbescheiden den Einschränkungen des § 45 SGB X jedenfalls insoweit nicht, als dem Kassenarzt die vorab gezahlten Honorare durch die spätere Prüfung der Wirtschaftlichkeit seiner Leistung gekürzt werden.
Auch wenn die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden fehlerhaft davon ausgegangen ist, dass § 44 Abs. 2 SGB X vorliegend nicht anzuwenden sei, so führt dies nicht zur Aufhebung dieser Bescheide, da er gem. § 43 Abs. 1 SGB X in eine Entscheidung nach § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X umgedeutet werden kann.
Gem. § 43 Abs. 1 SGB X kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenen Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und formrechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für den Erlaß erfüllt sind. Die Voraussetzungen für den Erlaß eines Verwaltungsaktes nach § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X sind vorliegend erfüllt.
Die Honorarbescheide der Quartale IV/87 bis III/93 und I/94 sind nach dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 26. Januar 1994 (Az.: 6 RKa 33/91) rechtswidrig, da der Grenzwert nicht bereits vor dem jeweiligen Quartal festgelegt worden ist. Da vorliegend die Rücknahme der Honorarbescheide für die Vergangenheit im Streit steht, stand diese Entscheidung gem. § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X im Ermessen der Beklagten. Dieses Ermessen hat die Beklagte im Bescheid vom 28. Oktober 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Dezember 1994 in nicht zu beanstandender Weise ausgeübt. Insoweit weist der Senat die Berufung des Klägers aus den Gründen des angefochtenen Urteils gem. § 153 Abs. 2 SGG zurück und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Gründe des angefochtenen Urteils.
Lediglich ergänzend weist der Senat auf folgendes hin:
Der Beklagten war es nicht verwehrt, u.a. das Gebot der Verteilungsgerechtigkeit mit in ihre Ermessenserwägungen einzubeziehen. Vor dem Hintergrund einer nicht beliebig steigerbaren Verteilungsmasse bei gleichzeitigem Anstieg der Vertragsärztezahl sowie einer mengenmäßigen Ausbreitung der vertragsärztlichen Leistung gewinnt die Art und Weise der Verteilung der Gesamtvergütung eine immer größer werdende Relevanz (siehe dazu Axer, Der Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit im Kassenarztrecht – zur neueren Judikatur des Bundessozialgerichts in NZS 1995, S. 536 ff.). Unstreitig hätte die Auszahlung der einbehaltenen Honorarteile aus den Quartalen IV/87 bis III/93 und I/94 zu einer Reduzierung der Honorare der Ärzte aus dem aktuell abzurechnenden Quartal geführt. Ebenfalls unstreitig beruhen die einbehaltenen Honorarteile auf einer übermäßigen Ausdehnung der vertragsärztlichen Tätigkeit des Klägers. Der Schluss der Beklagten, dass die vertragsmäßig korrekt arbeitenden Ärzte nicht mit einem Punktwertverfall, resultierend aus der nichtvertragsgerechten Tätigkeit des Klägers, belastet werden sollten, ist nicht zu beanstanden.
Lediglich ergänzend weist der Senat auf die Regelung des § 44 Abs. 4 SGB X hin. Selbst wenn man sich der Auffassung des Klägers anschließen würde, die Beklagte habe ermessensfehlerhaft gehandelt, so könnte der Kläger nach dieser Norm lediglich die Honorarteile für einen Zeitraum von vier Jahren rückwirkend ab Antragstellung begehren, vorausgesetzt dass diese Norm auf Honorare der Kassenärzte anwendbar wäre.
Damit konnte die Berufung des Klägers keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsangelegenheit zuzulassen.
Rechtskraft
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