S 14 R 455/07

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
SG Lübeck (SHS)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Lübeck (SHS)
Aktenzeichen
S 14 R 455/07
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Artikel 14 Abs. 1 SozSichAbk USA enthält keine gesetzliche Fiktion der Gestalt, dass ein in den USA gestellter Antrag auf Geldleistungen nach den amerikanischen Rechtsvorschriften ohne weiteres auch als Antrag auf Geldleistungen nach den deutschen Rechtsvorschriften gilt.

2. Demgegenüber enthält Artikel 7 Nr. 1 Satz 1 der Verordnung zur Durchführung des SozSichAbk USA eine Gleichstellungsfiktion. Danach gilt ein Antrag auf Geldleistungen nach den Rechtsvorschriften des einen Vertragsstaates auch als Antrag auf Geldleistungen nach den Rechtsvorschriften des anderen Vertragsstaates, wenn der Antrag erkennen lässt, dass auch Versicherungszeiten nach den Rechtsvorschriften des anderen Vertragsstaates geltend gemacht werden.

3. Voraussetzung dieser Gleichstellungsfiktion ist nicht nur, dass im amerikanischen Rentenantrag deutsche Versicherungszeiten benannt wurden, sondern auch, dass ihre Geltendmachung nicht ausdrücklich verneint wurde.
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über einen früheren Beginn der Regelaltersrente des Klägers.

Der am 1927 geborene Kläger ist amerikanischer Staatsbürger und lebt in den USA. Von April 1942 bis 15. März 1948 legte er in Deutschland Rentenbeitragszeiten zurück. Anschließend zahlte er Rentenversicherungsbeiträge in den USA. Am 15. August 1991 beantragte er in den USA eine Altersrente. Im Antragsformular beantwortete er die Frage nach ausländischen Versicherungszeiten (engl.: "covered under foreign SSA"?) mit "Ja" und gab als Staat "Deutschland" an. Die weitere Frage, falls er im Ausland versichert sei, ob er für diese ausländischen Zeiten auch Rente "einreiche" (engl.: "if covered, filing for foreign SSA"?), beantwortete er mit "Nein". Dabei wurde im englischsprachigen Antragsformular für den Begriff "Sozial Security Administration" (deutsch: staatlicher Rentenversicherungsträger) jeweils die Abkürzung "SSA" verwendet.

Am 17. April 2004 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Regelaltersrente. Mit Bescheid vom 28. Februar 2005 gewährte die Beklagte ihm daraufhin eine Regelaltersrente ab 1. September 2004 in Höhe von monatlich EUR 74,33.

Gegen diese Entscheidung erhob der Kläger am 4. April 2005 Widerspruch. Er mache einen früheren Rentenbeginn geltend, denn bereits bei der Rentenantragstellung in den USA habe er auf seine deutschen Versicherungszeiten hingewiesen. Nach dem deutsch-amerika-nischen Sozialversicherungsabkommen (SVA USA) hätte schon damals auch ein deutsches Rentenverfahren durchgeführt werden müssen.

Die Beklagte forderte darauf hin die Angaben des Klägers gegenüber dem amerikanischen Rentenversicherungsträger über das Generalkonsulat der USA in Frankfurt am Main an und wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 15. Februar 2007 als unbegründet zurück. Das damalige Verfahren in den USA sei auf die amerikanische Rente beschränkt gewesen, da der Kläger dort angegeben habe, dass er keine deutsche Leistung beantrage.

Dagegen hat der Kläger am 24. April 2007 beim Sozialgericht Lübeck Klage erhoben. Auf seine Angaben im amerikanischen Rentenantrag komme es nicht an. Das Urteil des BSG vom 8. Dezember 2005 zum deutsch-kanadischen Sozialversicherungsabkommen (SVA Kanada) habe allgemeine Bedeutung. Im Übrigen habe er nicht gewusst, dass er einen Anspruch auf eine Rente aus Deutschland habe. Er habe die Frage nach einem Einreichen einer deutschen Rente und auch die Bedeutung des Begriffes "SSA" nicht verstanden.

Der Kläger beantragt sinngemäß nach Aktenlage,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 28. Februar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Februar 2007 zu verurteilen, dem Kläger Regelaltersrente bereits ab 1. September 1992 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist sie auf den Inhalt des angefochtenen Bescheides.

In der mündlichen Verhandlung am 15. November 2007 sind weder der Kläger noch seine Prozessbevollmächtigten erschienen. Das Gericht hat die Verwaltungsakten der Beklagten beigezogen und zusammen mit der Prozessakte zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer kann trotz des Ausbleibens des Klägers und seiner Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung am 15. November 2007 durch Urteil entscheiden, weil der Kläger, dessen persönliches Erscheinen nicht angeordnet worden war, in der an seine Prozessbevollmächtigten ergangenen Ladung darauf hingewiesen worden ist, dass auch im Falle seines Ausbleibens entschieden werden kann (§ 110 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichts-gesetz -SGG-).

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 28. Februar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Februar 2007 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung einer Regelaltersrente vor dem 1. September 2004.

Eine Rente aus eigener Versicherung wird gemäß § 99 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind, wenn die Rente bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats beantragt wird, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Bei späterer Antragstellung wird eine Rente aus eigener Versicherung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 SGB VI von dem Kalendermonat an geleistet, in dem die Rente beantragt wird. So liegt der Fall hier, denn eine frühere Rentenantragstellung als der 17. September 2004, der nach § 99 Abs. 1 Satz 2 SGB VI zu einem Rentenbeginn am 1. September 2004 führt, ist nicht feststellbar. Zwar lagen die Voraussetzungen für die Gewährung der Regelaltersrente nach § 35 SGB VI bereits seit dem 24. August 1992 vor, da der Kläger an diesem Tag das 65. Lebensjahr vollendete und die allgemeine Wartezeit erfüllte. Es mangelt jedoch an einem rechtzeitigen Antrag, der nach dem SGB VI - anders als vor dessen Einführung unter Geltung der Reichsversicherungs-ordnung (RVO) - zur Leistungsgewährung zwingend erforderlich ist.

Der vom Kläger am 15. August 1991 beim amerikanischen Rentenversicherungsträger gestellte Rentenantrag gilt nicht als Antrag auf Gewährung von Rentenleistungen nach den deutschen Rechtsvorschriften. Nach Artikel 14 Abs. 1 SVA USA haben zwar schriftliche Anträge und andere Urkunden, die der zuständigen Behörde oder dem Träger des einen Vertragsstaates vorgelegt werden, dieselbe Wirkung wie bei Vorlage bei der zuständigen Behörde oder einem Träger des anderen Vertragsstaates. Hieraus folgt aber lediglich eine territoriale Erweiterung der öffentlichen Stellen, bei denen wirksam Leistungsanträge an die deutsche Rentenversicherung gestellt werden können (vgl. § 16 Abs. 1 und Abs. 2 SGB I). Diese Vorschrift enthält jedoch keine gesetzliche Fiktion der Gestalt, dass ein in den USA gestellter Antrag auf Geldleistungen nach den amerikanischen Rechtsvorschriften ohne weiteres auch als Antrag auf Geldleistungen nach den deutschen Rechtsvorschriften gilt (vgl. LSG Berlin 10. Juli 2002 - L 6 RA 95/00 ). Dies steht im Einklang mit der in Artikel 14 Abs. 2 SVA USA geregelten Dispositionsbefugnis des Antragstellers. Dieser kann bei einem Antrag auf Geldleistungen nach den Rechtsvorschriften des einen Vertragsstaates verlangen, dass der Antrag nicht als Antrag auf Geldleistungen nach den Rechtsvorschriften des anderen Vertragsstaates gilt oder dass er dort im Rahmen und nach Maßgabe der Rechtsvorschriften dieses Vertragsstaates an einem anderen Tag wirksam wird.

Demgegenüber enthält Artikel 7 Nr. 1 Satz 1 der Verordnung zur Durchführung (DV) des SVA USA eine Gleichstellungsfiktion. Danach gilt ein Antrag auf Geldleistungen nach den Rechtsvorschriften des einen Vertragsstaates auch als Antrag auf Geldleistungen nach den Rechtsvorschriften des anderen Vertragsstaates, wenn der Antrag erkennen lässt, dass auch Versicherungszeiten nach den Rechtsvorschriften des anderen Vertragsstaates geltend gemacht werden. Diese Regelung ist gegenüber Artikel 14 Abs. 1 SVA USA nicht nachrangig, sondern fingiert originär eine Antragstellung im jeweils anderen Vertragsstaat (vgl. LSG Berlin a. a. O.). Bei beiden Vorschriften handelt es sich um bundesgesetzliche Normen im Sinne von Artikel 59 Abs. 2 Satz 1 GG. Sofern für den amerikanischen Versicherungsträger erkennbar deutsche Versicherungszeiten behauptet werden und eine Rentenleistung aus der deutschen Rentenversicherung beantragt wird, hat er nach Artikel 8 Nr. 1 DV SVA USA die entsprechenden Erklärungen an den deutschen Rentenver-sicherungsträger weiterzureichen und das vorgesehene zwischenstaatliche Rentenfest-stellungsverfahren einzuleiten. Es muss entsprechend Artikel 7 Nr. 1 Satz 1 DV SVA USA aus dem amerikanischen Antrag erkennbar gewesen sein, dass der Antragsteller auch Versicherungszeiten nach den Rechtsvorschriften des anderen Vertragsstaates geltend machen wollte (vgl. BSG 8. Dezember 2005 – B 13 RJ 41/04 R). Diese Voraussetzung liegt nicht vor.

Der Kläger gab zwar bei Beantragung der amerikanischen Rentenleistung am 15. August 1991 seine deutschen Versicherungszeiten an. Die "Einreichung" seiner deutschen Rentenansprüche verneinte er allerdings ausdrücklich. Daran lässt der bei der SSA gestellte Antrag keinen Zweifel. Denn der Kläger beantwortete die Frage, falls er im Ausland versichert sei, ob er für diese ausländischen Zeiten auch "einreiche" (engl.: "if covered, filing for foreign SSA"?), eindeutig mit "Nein". In dieser Erklärung liegt auch anders als in der vom Kläger angeführten BSG-Entscheidung zum SVA Kanada (BSG 8. Dezember 2005 – B 13 RJ 35/05 R, SozR 4-6580 Artikel 19 Nr. 2) nach dem objektiven Empfängerhorizont ein voluntatives Element im Sinne eines rechtlich erheblichen Wollens. Denn er macht mit dieser Aussage offensichtlich von seiner ihm nach Artikel 14 Abs. 2 SVA USA zustehenden Dispositionsbefugnis Gebrauch.

Die in Artikel 7 Nr. 1 Satz 1 DV SVA USA getroffene Regelung, dass ein Antrag auf Geldleistungen aus der deutschen Rentenversicherung nur dann fingiert wird, wenn der auf Gewährung einer amerikanischen Rentenleistung gerichtete Antrag erkennen lässt, dass auch deutsche Versicherungszeiten geltend gemacht werden, begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. LSG Berlin, a. a. O.). So ist ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Artikel 3 GG bereits deshalb nicht ersichtlich, weil der vom SVA USA betroffene Personenkreis im Wege des Gegenseitigkeitsprinzips gleich behandelt wird. Eine Handhabung der in Artikel 7 Nr. 1 Satz 1 DV SVA USA getroffenen Regelung entsprechend den in anderen Sozialversicherungsabkommen enthaltenen, für den betroffenen Personenkreis günstigeren Regelungen zur Antragsgleichheit (wie z. B. Artikel 19 Abs. 3 Satz 1 SVA Kanada) ist verfassungsrechtlich nicht geboten (vgl. SG Hamburg 5. März 2002 – S 20 RJ 447/99; LSG Berlin, a. a. O.). Der Vertragstext des SVA USA unterscheidet sich deutlich von den Regelungen in anderen Sozialversicherungsabkommen zur Antragsgleichheit, insbesondere dem SVA Kanada, da hier ausdrücklich auf die Erkennbarkeit von Versicherungszeiten des anderen Vertragsstaates bei Stellung eines Leistungsantrages im Wohnsitzstaat abgestellt wird.

Der Kläger kann nicht verlangen, auf Grund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches so gestellt zu werden, als hätte er den Rentenantrag rechtzeitig gestellt. Dieses von der Rechtsprechung entwickelte Rechtsinstitut setzt voraus, dass ein Leistungsträger rechtswidrig Pflichten aus einem Sozialleistungsverhältnis verletzt und dadurch einen Schaden bewirkt hat, den er durch eine gesetzlich zulässige Amtshandlung ausgleichen kann (vgl. BSG 18. August 1983 – 11 RA 60/82, BSGE 55, 261; BSG 5. April 2000 – B 5 RJ 50/98 R, SozR 3-1200 § 14 Nr. 29). Vorliegend hat die Beklagte weder ihre Beratungs- und Auskunftspflicht nach den §§ 14, 15 SGB I noch ihre Hinweispflicht nach § 115 Abs. 6 SGB VI verletzt.

Die Verletzung einer allgemeinen Beratungspflicht durch die Beklagte scheidet aus. Der Kläger bat weder um Beratung oder Auskunft im Sinne von §§ 14, 15 SGB I, noch bestand Anlass zu einer sog. Spontanberatung. Eine Beratungspflicht besteht auch ohne konkretes Beratungsersuchen, wenn Gestaltungsmöglichkeiten klar zutage liegen, die sich offen-sichtlich als zweckmäßig aufdrängen und die von jedem verständigen Versicherten mutmaßlich genutzt würden (vgl. BSG 16. September 1998 – B 11 AL 17/98 R, SGb 1999, 251). Hier fehlt es bereits am Vorliegen eines konkreten Anlasses zur Beratung, weil bis zur Antragstellung des Klägers bei der Beklagten am 17. September 2004 ein den Kläger betreffender Verwaltungsvorgang nicht existierte.

Die Beklagte verletzte auch nicht ihre aus § 115 Abs. 6 SGB VI resultierende Hinweispflicht. Nach dieser Vorschrift sollen die Träger der Rentenversicherung die Berechtigten in geeigneten Fällen darauf hinweisen, dass sie eine Leistung erhalten können, wenn sie diese beantragen. Die Vorschrift wurde durch das Rentenreformgesetz 1992 zugleich mit § 99 SGB VI eingeführt, welcher die Auswirkungen des Antragszeitpunktes für den Rentenbeginn regelt und der gravierendere Folgen an die Antragstellung knüpft als nach dem Recht der RVO. Als Korrektiv hierzu ist die Regelung des § 115 Abs. 6 SGB VI vorgesehen. Es muss sich um Fälle handeln, in denen das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen vom Versicherungsträger generell auf Grund des Versicherungskontos ohne Befragung der Versicherten festgestellt werden kann. Um einen solchen Fall handelt es sich aber vorliegend nicht, denn die Beklagte hatte zur Feststellung eines Rentenanspruches zunächst ein Kontenklärungsverfahren durchzuführen. In Deutschland zurückgelegte Beitragszeiten des Klägers konnte die Beklagte vor September 2004 nicht erkennen, weil solche Zeiten nicht gespeichert waren.

Ein Beratungsfehler des amerikanischen Rentenversicherungsträgers ist ungeachtet dessen, ob dieser der Beklagten zuzurechnen wäre, nicht ersichtlich. Nach dem Inhalt der Protokolle der deutsch-amerikanischen Verbindungsstellenbesprechungen vom 31. Mai bis 2. Juni 1989 und vom 4. bis 6. Mai 1993 ist regelmäßig davon auszugehen, dass die SSA bei Antragstellung, und zwar auch schon vor Einführung der zwingenden Abfrage nach ausländischen Versicherungszeiten im Rahmen des computergestützten Antragsverfahrens Anfang der 90er Jahre, regelmäßig geklärt hat, ob auch ausländische (deutsche) Versicherungszeiten geltend gemacht werden sollen (vgl. LSG Berlin, a. a. O.). Dies deckt sich mit dem vom Generalkonsulat vorgelegten Antragsinhalt. Dafür, dass der Kläger falsch oder auf Nachfrage nicht beraten wurde, gibt es keine Hinweise.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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