S 2 AS 429/08 ER

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Reutlingen (BWB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 2 AS 429/08 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Einkommen des mit den Stiefkindern zusammen lebenden Stiefelternteils ist nach Maßgabe von § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II und nicht nach Maßgabe von § 9 Abs. 5 SGB II bei der Berechnung der Hilfebedürftigkeit zu berücksichtigen.. Die Regelung ist verfassungsgemäß. 2. Die Tilgung von Schulden ist bei der Beurteilung der Hilfebedürftigkeit nicht zu berücksichtigen.
Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung werden abgelehnt. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Der Antrag der Antragstellerin zu 1) auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Frau Rechtsanwältin ..., ..., wird abgelehnt.

Gründe:

I. Die Beteiligten streiten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um die Gewährung von Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II.

Die Antragstellerin ist am ... geboren. Sie ist die Mutter des am ... geborenen Antragstellers zu 2) und des am ... geborenen Antragstellers zu 3). Der frühere Ehemann der Antragstellerin zu 1), der Vater der Antragsteller zu 2) und 3), ist verstorben. Die Antragstellerin zu 1) ist erneut verheiratet. Die Antragsteller leben mit dem neuen, am ... geborenen Ehemann der Antragstellerin zu 1) in einer Wohnung in ... Für die Mietwohnung fallen ein Kaltmietzins in Höhe von 530,00 EUR monatlich sowie Neben- und Heizungskosten in Höhe von 160,00 EUR monatlich an.

Der Ehemann der Antragstellerin zu 1) erzielte im Juli 2007 Einkommen aus Erwerbstätigkeit in Höhe von 1.840,43 EUR netto, im August 2007 in Höhe von 2.081,21 EUR netto, im September 2007 in Höhe von 1.774,44 EUR netto sowie im Oktober 2007 in Höhe von 1967,67 EUR netto.

Die Antragstellerin zu 1) beantragte am 21. November 2007 für sich sowie für die Antragsteller zu 2) und 3) Leistungen nach dem SGB II.

Mit Bescheid vom 11. Dezember 2007 lehnte die Antragsgegnerin den Leistungsantrag ab, da sie nicht hilfebedürftig sei. Der Bedarfsberechnung legte sie einen Gesamtbedarf der aus den Antragstellern sowie dem Ehemann der Antragstellerin zu 1) bestehenden Bedarfsgemeinschaft in Höhe von 1.729,85 EUR (Regelleistungen in Höhe von insgesamt 1.110,00 EUR sowie anerkannte monatliche Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 619,85 EUR) zugrunde, berücksichtigte andererseits aber Kindergeldeinkommen in Höhe von insgesamt 308 EUR und Erwerbseinkommen des Ehemannes der Antragstellerin zu 1) in Höhe von netto 1.967,67 EUR abzüglich von Freibeträgen und Versicherungspauschale in Höhe von insgesamt 310 EUR.

Hiergegen legte die Antragstellerin am ... Widerspruch ein. Sie trug vor, dass ihr Ehemann nicht bereit sei, für den Unterhalt ihrer Kinder aufzukommen. Die gleichwohl erfolgte Berücksichtigung des Einkommens ihres Mannes sei nicht rechtens.

Die Antragsgegnerin wies den Widerspruch mit Bescheid vom 15. Januar 2008 zurück.

Hiergegen hat die Antragstellerin am 31. Januar 2008 Klage erhoben (Az.: S 2 AS 444/08) und zugleich um einstweiligen gerichtlichen Rechtsschutz nachgesucht. Sie ist der Ansicht, dass die Anrechnung des Einkommens des Stiefvaters bei der Bedarfsberechnung der Stiefkinder verfassungswidrig sei. Da ihr Ehemann den Antragstellern zu 2) und 3) tatsächlich keinen Unterhalt leiste, könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Unterhalt der Antragsteller zu 2) und 3) tatsächlich gesichert sei. Ihr Ehemann sei zur Unterhaltsleistung auch nicht in der Lage, da er Schulden in Höhe von monatlich rund EUR 1.000,00 tilge. Ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache könne nicht zugemutet werden, da dies mit irreversiblen Nachteilen verbunden wäre.

Die Antragsteller beantragen sinngemäß,

die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihnen Leistungen nach dem SGB II zu gewähren und dabei das Einkommen des Ehemannes der Antragstellerin zu 1) nicht bedarfsmindernd zu berücksichtigen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Die Antragsgegnerin hält an ihrer Entscheidung fest. Ergänzend trägt sie vor, dass der Gesetzgeber klargestellt habe, dass der veränderten gesellschaftlichen Entwicklung hin zu zusammengesetzten Familien dadurch Rechnung zu tragen sei, dass eine finanzielle Einbindung des Stiefvaters erfolgen müsse. Eine Anordnungsanspruch liege daher nicht vor. Dass der Ehemann Schuldverpflichtungen in Höhe von EUR 1.000,00 monatlich zu begleichen habe, sei nicht erheblich. Die Existenzsicherung bei Überschuldung sei über die Pfändungsfreigrenzen gewährleistet.

Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Akte des Gerichts sowie auf die beigezogene Akte der Antragsgegnerin Bezug genommen.

II.

1. Die beschließende Kammer hat den Antrag der Antragstellerin zu 1) unter Zurückstellung methodischer Bedenken trotz der anwaltlichen Vertretung so ausgelegt, dass er auch im Namen der Antragsteller zu 2) und zu 3) gestellt wurde. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass es sich bei den der Sache nach beantragten Leistungen für die Antragsteller zu 2) und zu 3) nicht um eigene Ansprüche der Antragstellerin zu 1) handelt, sondern um solche der Antragsteller zu 2) und zu 3) (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006, Az.: B 7b AS 8/06 R, NZS 2007, 328 [329 f.]). Eine Auslegung dahingehend, dass auch der Ehemann der Antragstellerin zu 1) als Antragsteller anzusehen ist, kam hingegen nicht in Betracht, da dessen Ansprüche von der Antragstellerin zu 1) auch nicht implizit geltend gemacht werden.

2. Die Anträge sind zulässig, aber unbegründet.

a) Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann, wenn – wie hier – ein Fall des § 86b Abs. 1 SGG nicht vorliegt – das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung).

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsachebehelfes (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) vom Antragsteller glaubhaft zu machen. Die diesbezüglichen Anforderungen sind umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen – insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz – wiegen (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 03.01.2008, Az.: L 8 AS 5486/07 ER-B, Juris, Rdnr. 9; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.01.2007, Az.: L 7 SO 5672/06 ER-B, Juris, Rdnr. 2; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 28.03.2007, Az.: L 7 AS 1214/07 ER-B, Juris, Rdnr. 3). Allerdings begrenzt die im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bestehende Obliegenheit des Antragstellers zur Glaubhaftmachung von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund die Anforderungen an die im sozialgerichtlichen Verfahren bestehende Amtsermittlungspflicht des Gerichtes (vgl. VerfGH Berlin, Beschluss vom 29.08.2003, Az.: 133/03, 133 A/03, Juris, Rdnr. 21; Sächsisches LSG, Beschluss vom 01.08.2005, Az.: L 3 B 94/05 AS-ER, Juris, Rdnr. 34; Bayerischer VGH, Beschluss vom 13.08.2004, Az.: 15 CE 04.1780, Juris, Rdnr. 20; VG Regensburg, Beschluss vom 02.05.2005, Az.: RN 3 E 05.00476, Juris, Rdnr. 29). Das Gericht ist insbesondere nicht verpflichtet, die Glaubhaftigkeit nicht vorgetragener Tatsachen zu überprüfen (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16.11.2006, Az: L 14 B 848/06 AS ER, Juris, Rdnr. 21).

Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen nicht isoliert nebeneinander; es besteht vielmehr eine Wechselbeziehung der Art, dass die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.01.2007, Az.: L 7 SO 5672/06 ER-B, Juris, Rdnr. 2). Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist (Hessisches LSG, Beschluss vom 05.02.2007, Az.: L 9 AS 254/06 ER, Juris, Rdnr. 4, insoweit in FEVS 58 [2007], S. 414 ff. nicht abgedruckt; Hessisches LSG, Beschluss vom 29.06.2005, Az.: L 7 AS 1/05 ER, FEVS 57 [2006], S. 42 [44]). Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund. In der Regel ist dann dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung stattzugeben, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann (Hessisches LSG, Beschluss vom 05.02.2007, Az.: L 9 AS 254/06 ER, Juris, insoweit in FEVS 58 [2007], S. 414 ff. nicht abgedruckt; Hessisches LSG, Beschluss vom 29.06.2005, Az.: L 7 AS 1/05 ER, FEVS 57 [2006], S. 42 [44]).

b) Es kann dahinstehen, ob ein Anordnungsgrund vorliegt, da es bereits an dem Anordnungsanspruch mangelt. Die Antragsteller haben mangels Hilfebedürftigkeit keinen Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II.

aa) Voraussetzung für die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II ist unter anderem die Hilfebedürftigkeit des Antragstellers (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II). Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit und aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält (§ 9 Abs. 1 SGB II). Bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, sind auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen (§ 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II). Bei unverheirateten Kindern, die mit ihren Eltern oder einem Elternteil in einer Bedarfsgemeinschaft leben und die die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes nicht aus ihrem eigenen Einkommen oder Vermögen beschaffen können, sind auch das Einkommen und Vermögen der Eltern oder des Elternteils und dessen in Bedarfsgemeinschaft lebenden Partners zu berücksichtigen (§ 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II). Zur Bedarfsgemeinschaft gehören unter anderem die erwerbsfähigen Hilfebedürftigen (§ 7 Abs. 3 Nr. 1 SGB II), als Partner des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte (§ 7 Abs. 3 Nr. 3 lit. a SGB II) sowie die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder dieser Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können (§ 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II).

(1) Damit bilden die Antragsteller gemeinsam mit dem Ehemann der Antragstellerin zu 1) eine Bedarfsgemeinschaft. Der Ehemann der Antragstellerin zu 1) gilt als erwerbsfähiger Hilfebedürftiger (zur Zulässigkeit dieser Fiktion BSG, Urteil vom 07.11.2006, Az.: B 7b AS 8/06 R, NZS 2007, 328 [330]); die Antragstellerin zu 1) gehört als nicht dauernd getrennt lebender Ehegatte ebenso wie die Antragsteller zu 2) und 3) als unverheiratete, das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet habende Kinder der Antragstellerin zu 1) zu dieser Bedarfsgemeinschaft.

In Folge dessen ist das Einkommen des Ehemannes der Antragstellerin zu 1) bei der Berechnung der Hilfebedürftigkeit nach Maßgabe von § 9 Abs. 1, Abs. 2 SGB II zu berücksichtigen. Für einen Rückgriff lediglich auf die Vermutung des § 9 Abs. 5 SGB II ist kein Raum (so aber LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 18.04.2007, Az.: L 9 AS 139/07 ER, Juris, Rdnr. 14; SG Berlin, Beschluss vom 20.12.2006, Az.: S 37 AS 11401/06 ER, Juris, Rdnr. 12), da diese Vorschrift nur den Fall einer Haushaltsgemeinschaft regelt, die keine Bedarfsgemeinschaft darstellt. Für diese Fälle ist § 9 Abs. 1, Abs. 2 SGB II lex specialis und allein anwendbar (ebenso SG Lüneburg, Beschluss vom 09.05.2007, Az.: S 24 AS 472/07 ER, Juris, Rdnr. 33). Zwar ist richtig, dass jede Bedarfsgemeinschaft zugleich Haushaltsgemeinschaft ist, jedoch würden die Anrechnungsvorschriften des § 9 Abs. 1, Abs. 2 SGB II leerlaufen, wenn man § 9 Abs. 5 SGB II auch in den Fällen anwendet, in denen eine Bedarfsgemeinschaft vorliegt. Zwar ist zu konzedieren, dass die Entstehungsgeschichte für die Anwendung lediglich des § 9 Abs. 5 SGB II streitet (darauf stellt LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 18.04.2007, Az.: L 9 AS 139/07 ER, Juris, Rdnr. 15 f., ab). Die insofern anzuführende Formulierung in der Gesetzesbegründung (Bundestags-Drucksache 16/1410, S. 20) beruht aber offenbar auf einer Verkennung der Regelungsstruktur des § 9 SGB II und der unterschiedlichen, die gleichzeitige Anwendung ausschließenden Funktionen von § 9 Abs. 2 SGB II einerseits und § 9 Abs. 5 SGB II andererseits.

Anders als bei § 9 Abs. 5 SGB II handelt es sich bei § 9 Abs. 1, Abs. 2 SGB II nicht um eine widerlegliche Vermutung. Damit kommt der Frage, ob mit der (rechnerischen) Einkommensberücksichtigung eine (tatsächliche) Unterhaltszahlung korrespondiert, keine Bedeutung zu (a.A. offenbar LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 21.01.2008, Az.: L 6 AS 734/07 ER, Juris, Rdnr. 14 ff.). Es kommt für die Frage, ob der Zufluss von Einkommen vorliegt, auch nicht darauf an, ob der Zufluss jedes einzelne Mitglied der Bedarfsgemeinschaft erreicht (so aber offenbar LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 21.01.2008, Az.: L 6 AS 734/07 ER, Juris, Rdnr. 17), sondern allein darauf, dass das Einkommen einem Mitglied der Bedarfsgemeinschaft und damit der Bedarfsgemeinschaft insgesamt zufließt. Dies ist hier aber hinsichtlich des Erwerbseinkommens des Ehemannes der Antragstellerin zu 1) unstreitig der Fall.

(2) Das zu berücksichtigende Einkommen in Höhe von mindestens insgesamt 1.772,44 EUR übersteigt den Bedarf in Höhe von höchstens 1.750,28 EUR.

Der Bedarf der Bedarfsgemeinschaft setzt sich zusammen aus den Regelleistungen der Antragstellerin zu 1) und ihres Ehemannes in Höhe von jeweils 312 EUR (§ 20 Abs. 3 SGB II), den Regelleistungen des Antragstellers zu 2) in Höhe von 278 EUR (§ 28 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 1. Var. SGB II) und des Antragstellers zu 3) in Höhe von 208 EUR (§ 28 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 1. Var. SGB II) sowie den Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von insgesamt 690 EUR (§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II), von denen die sog. Warmwasserpauschale in Höhe von insgesamt 14,92 EUR und die sog. Energiepauschale in Höhe von 34,80 EUR abzuziehen ist (zur Zulässigkeit dieser Abzüge siehe nur LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24.05.2007, Az.: L 7 AS 3135/06, FEVS 59 [2008], S. 14 [15 f.]).

Dem steht Einkommen in Gestalt des Kindergeldes für die Antragsteller zu 2) und 3) in Höhe von insgesamt 308 EUR sowie in Gestalt des Erwerbseinkommens des Ehemannes der Antragstellerin zu 1) in Höhe von mindestens 1.774,44 EUR netto, nach Abzug der Freibeträge gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II (100 EUR) und § 30 SGB II (210 EUR) also in zu berücksichtigender Höhe von 1.464,44 EUR gegenüber; weitere Abzüge nach § 6 Abs. 1 ALG II-Verordnung waren nicht vorzunehmen, da § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II insoweit lex specialis ist. Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist es zulässig, auf das in den Vormonaten erzielte Einkommen abzustellen, zumal dabei zugunsten der Antragsteller das niedrigste nachgewiesene Einkommen zugrunde gelegt wird und die Antragsteller auch nicht vorgetragen haben, dass Änderungen zu ihren Lasten eingetreten wären.

Soweit die Antragsteller vortragen, dass der Ehemann der Antragstellerin zu 1) monatlich Schulden in Höhe von 1.000 EUR begleiche, kann dies weder zu einer Erhöhung des Bedarfs der Bedarfsgemeinschaft noch zu einer Reduzierung des zu berücksichtigenden Vermögens führen (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 21.01.2008, Az.: L 6 AS 734/07 ER, Juris, Rdnr. 13; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22.05.2007, Az.: L 5 B 240/07 AS ER, Juris, Rdnr. 14). Die Tilgung von Schulden ist eine freiwillige Disposition über die eigenen Mittel und bei der Beurteilung der Hilfebedürftigkeit nicht zu berücksichtigen (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 24.08.2007, Az.: L 13 AS 46/07 ER, Juris, Rdnr. 6, m.w.N.). Anderenfalls würde die dem Tilgungsbetrag entsprechenden Leistungen des Leistungsträgers mittelbar zur Schuldentilgung gewährt. Auf Hilfe zur Schuldentilgung besteht aber im Rahmen des SGB II grundsätzlich kein Anspruch, was sich auch aus einem Umkehrschluss zu § 22 Abs. 5 SGB II ergibt. Entsprechend darf der Einsatz von Einkommen zur Schuldentilgung im Rahmen der Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts grundsätzlich nicht zum Vorteil des Hilfesuchenden berücksichtigt werden (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 01.02.2007, Az.: L 13 AS 6118/06 ER-B, Juris, Rdnr. 7; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 09.05.2007, Az.: L 12 AS 52/06, Juris, Rdnr. 27).

bb) Ein anderes Ergebnis ist auch durch die von den Antragstellern vertretene Ansicht, die Regelung des § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II sei verfassungswidrig, soweit damit auch die Anrechnung von Einkommen des Stiefvaters bei der Hilfebedürftigkeitsberechnung der Stiefkinder vorgeschrieben wird, nicht veranlasst.

(1) Die gilt zum einen, weil die Kammer nicht befugt ist, die Vorschrift des § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II außer Anwendung zu lassen. Gemäß Art. 100 Abs. 1 Grundgesetz (GG) hat allein das Bundesverfassungsgericht die Befugnis, über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen zu befinden. Die den Fachgerichten fehlende Verwerfungskompetenz beansprucht auch in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes Geltung (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 07.11.2005, Az.: 1 BvR 1178/05, NJW 2006, 1339 [1340]; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22.05.2007, Az.: L 5 B 240/07 AS ER, Juris, Rdnr. 15; tendenziell ebenso LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20.12.2007, Az.: L 10 B 1434/07 AS ER, Juris, Rdnr. 16; wohl auch LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 18.04.2007, Az.: L 9 AS 139/07 ER, Juris, Rdnr. 13; a.A. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 24.06.1992, Az.: 1 BvR 1028/91, BVerfGE 86, 382 [389]).

(2) Zum anderen hat die Kammer aber auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II in Verbindung mit § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II (ebenso LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 23.01.2007, Az.: L 13 AS 27/06 ER, Juris, Rdnr. 6; SG Lüneburg, Beschluss vom 09.05.2007, Az.: S 24 AS 472/07 ER, Juris, Rdnr. 27 ff., m.w.N.; SG Lübeck, Beschluss vom 02.03.2007, Az.: S 29 AS 28/07 ER, Juris, Rdnr. 10, m.w.N.; SG Aachen, Beschluss vom 05.01.2007, Az.: S 9 AS 146/06 ER, Juris, Rdnr. 14 ff.; a.A. SG Duisburg, Beschluss vom 07.03.2007, Az.: S 17 AS 60/07 ER, Juris, Rdnr. 19; SG Berlin, Beschluss vom 08.01.2007, Az.: S 103 AS 10869/06 ER, Juris, Rdnr. 31 ff.).

Diese könnten allein daraus erwachsen, dass das Existenzminimum der Kinder nicht gewährleistet ist, weil einerseits eine Hilfeleistung durch die Allgemeinheit ausgeschlossen ist, andererseits aber ein zivilrechtlicher Unterhaltsanspruch der Kinder gegen ihren Stiefvater nicht besteht und die leiblichen Eltern nicht leistungsfähig sind (vgl. SG Lüneburg, Beschluss vom 09.05.2007, Az.: S 24 AS 472/07 ER, Juris, Rdnr. 28). Mit Blick auf die Sicherung des Existenzminimums unterscheidet sich die Situation, in der ein zivilrechtlicher Anspruch von vorneherein nicht besteht, aber nicht von der Situation, in der ein solcher Anspruch zwar besteht, aber (noch) nicht oder (noch) nicht hinreichend erfüllt wird. Anders gewendet: Auch bei der Anrechnung von Einkommen des leiblichen Vaters – oder der leiblichem Mutter – geht der Gesetzgeber davon aus, dass die Eltern ihrer Unterhaltspflicht tatsächlich nachkommen, ohne im Einzelfall zu prüfen, ob und in welchem Umfang dies tatsächlich der Fall ist. Auch bei Bestehen zivilrechtlicher Unterhaltsansprüche vertraut der Gesetzgeber grundsätzlich ungeprüft darauf, dass die Eltern ihre Unterhaltspflicht erfüllen, durchaus in Kenntnis der Tatsache, dass etwa Kleinkinder ihren Unterhaltsanspruch kaum gerichtlich geltend machen würden, wenn er nicht erfüllt würde.

Der Gesetzgeber ist berechtigt, in diesem Sinne typisierende Regelungen zu treffen und dabei eine Bedarfsdeckung durch die Eltern – seien es leibliche Eltern oder Stiefeltern – unwiderleglich zu vermuten. Eine staatliche Fürsorgeleistung an tatsächliche Hilfebedürftigkeit zu knüpfen und diese dort zu verneinen, wo ein Eintreten Dritter aufgrund rechtlicher oder moralischer Verpflichtung typischerweise erwartet werden kann, begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (so ausdrücklich SG Aachen, Beschluss vom 05.01.2007, Az.: S 9 AS 146/06 ER, Juris, Rdnr. 17). Eine solche weite Gestaltungsfreiheit kommt dem Gesetzgeber insbesondere bei der hier in Rede stehenden Verwirklichung des leistungsrechtlichen Gehalts der Grundrechte zu (vgl. allgemein bzgl. der Gestaltung des Sozialrechts BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 26.07.2007, Az.: 1 BvR 824/03, 1 BvR 1247/07, Juris, Rdnr. 53; ferner LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 23.01.2007, Az.: L 13 AS 27/06 ER, Juris, Rdnr. 6). Die Kammer hat auch keine Anhaltspunkte dafür, dass diese typisierende Regelung in der Lebenswirklichkeit keine Rechtfertigung finden könnte, sondern geht davon aus, dass in aller Regel sowohl leibliche Eltern als auch Stiefeltern ihrer Verantwortung für die mit ihnen zusammen lebenden Kinder nachkommen (ähnlich LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 23.01.2007, Az.: L 13 AS 27/06 ER, Juris, Rdnr. 6, unter Hinweis auf das Rechtssprichwort "Wer die Mutter bessert, bessert auch das Kind."; a.A. hingegen SG Berlin, Beschluss vom 08.01.2007, Az.: S 103 AS 10869/06 ER, Juris, Rdnr. 44, unter Hinweis u.a. auf die "Grimmschen Märchen" [sic!]), wie dies der auch sittlich-moralischen Erwartung einer ganz überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung entspricht (in diesem Sinne auch SG Lübeck, Beschluss vom 02.03.2007, Az.: S 29 AS 28/07 ER, Juris, Rdnr. 12; SG Aachen, Beschluss vom 05.01.2007, Az.: S 9 AS 146/06 ER, Juris, Rdnr. 17). Insbesondere ist auch die Einschätzung des Gesetzgebers, dass demjenigen, der die Ehe mit einem Elternteil eingeht, ohne weiteres zumutbar sei, nicht nur die Verantwortung für den neuen Ehegatten zu übernehmen, sondern auch für dessen Kinder (ähnlich LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 23.01.2007, Az.: L 13 AS 27/06 ER, Juris, Rdnr. 6), verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass in Extremfällen diese Verantwortung nicht erfüllt wird, sondern elterliches Versagen zu konstatieren ist. In solchen Exzesssituationen versagen aber auch rechtliche Regelungen, weil sich die Betroffenen gar nicht an die – geschriebenen und ungeschriebenen – Vorgaben menschlichen Zusammenlebens halten: Eltern, die ihre Kindern nicht ausreichend versorgen, obwohl sie dies aus eigenen Mittel könnten, werden dies regelmäßig auch dann nicht tun, wenn sie hierfür staatliche Unterstützung erfahren.

Angesichts des weiten Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers (siehe auch LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 23.01.2007, Az.: L 13 AS 27/06 ER, Juris, Rdnr. 6; SG Lübeck, Beschluss vom 02.03.2007, Az.: S 29 As 28/07 ER, Juris, Rdnr. 1. – SG Berlin, Beschluss vom 08.01.2007, Az.: S 103 AS 10869/06 ER, Juris, Rdnr. 32, hält den auch von ihm anerkannten weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers indes für überschritten.) könnte die Ausräumung etwaiger gleichwohl bestehender verfassungsrechtlicher Bedenken im übrigen auch dadurch erfolgen, dass ein zivilrechtlicher Unterhaltsanspruch gegen das Stiefelternteil geschaffen würde (vgl. SG Lüneburg, Beschluss vom 09.05.2007, Az.: S 24 AS 472/07 ER, Juris, Rdnr. 29). Die Entscheidung, ob etwaige Friktionen durch sozialrechtliche oder durch zivilrechtliche Regelungen zu entschärfen wären, obliegt aber dem Gesetzgeber und nicht den Gerichten.

Vor diesem Hintergrund ist § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II auch im Hinblick auf die dem Stiefelternteil mittelbar auferlegte faktische Unterhaltspflicht und seine durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Handlungsfreiheit nicht zu beanstanden. Sollte man in der Regelung einen Grundrechtseingriff sehen (hiergegen LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 23.01.2007, Az.: L 13 AS 27/06 ER, Juris, Rdnr. 6), wäre dieser jedenfalls verfassungsrechtlich gerechtfertigt, da Art. 2 Abs. 1 GG im Ergebnis einem einfachen Gesetzesvorbehalt unterliegt und die Regelung nach dem Dargelegten verhältnismäßig ist (siehe auch SG Lübeck, Beschluss vom 02.03.2007, Az.: S 29 AS 28/07 ER, Juris, Rdnr. 11 f.).

Die weiteren von den Antragstellern vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken überzeugen jedenfalls bei summarischer Prüfung bereits im Ansatzpunkt nicht. Weder Art. 6 Abs. 1 GG noch Art. 3 Abs. 1 GG schützen vor der faktischen Auferlegung von finanziellen Verpflichtungen durch den Eheschluss und zwar nicht nur bezüglich solcher Verpflichtungen gegenüber dem neuen Ehegatten, sondern auch bezüglich solcher Verpflichtungen gegenüber dessen Kindern (in diesem Sinne auch LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 23.01.2007, Az.: L 13 AS 27/06 ER, Juris, Rdnr. 6; SG Lübeck, Beschluss vom 02.03.2007, Az.: S 29 AS 28/07 ER, Juris, Rdnr. 13). Im übrigen erscheint die Annahme, durch § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II würde der Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG in Gestalt der durch ihn gewährleisteten Eheschließungsfreiheit berührt (in diese Richtung auch SG Duisburg, Beschluss vom 07.03.2007, Az.: S 17 AS 60/07 ER, Juris, Rdnr. 19), fernliegend (siehe auch SG Aachen, Beschluss vom 05.01.2007, Az.: S 9 AS 146/06 ER, Juris, Rdnr. 17). Im Gegenteil wäre es gerade mit Blick auf Art. 6 Abs. 5 GG eher fraglich, ob eine Privilegierung des Stiefvaters gegenüber dem leiblichen Vater zulässig wäre.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

4. Der Antrag der Antragstellerin zu 1) auf Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihrer Verfahrensbevollmächtigten war mangels Erfolgsaussichten abzulehnen (§ 73a SGG i.V.m. §§ 114 ZPO).
Rechtskraft
Aus
Saved