L 8 SB 4755/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 7 SB 1306/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 4755/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 9. August 2006 aufgehoben. Die Klage des Klägers wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Instanzen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist der Grad der Behinderung (GdB) nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) im Rahmen eines Neufeststellungsverfahrens streitig.

Bei dem 1963 geborenen Kläger stellte das Versorgungsamt Rottweil (VA) mit Bescheid vom 30.06.1994 wegen eines Morbus Crohn mit Darmteilresektion den GdB mit 50 seit 11.04.1994 fest. Im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens teilte das VA dem Kläger mit Bescheid vom 01.08.1996 mit, dass derzeit eine Neufeststellung nicht beabsichtigt sei.

Am 19.12.2002 beantragte der Kläger wegen Verschlimmerung des Morbus Crohn und neu aufgetretener Behinderungen (Kniegelenksbeschwerden insbesondere rechts infolge des Morbus Crohn) die Erhöhung des GdB. Das VA zog medizinische Befundunterlagen bei (Karteikarte Dr. W. vom 03.01.2003, Befundberichte des Universitätsklinikums Tübingen vom 24.01.2000, Dr. H. vom 07.07.2000, Dr. B. vom 28.07.2000, Befundscheine Dr. F. vom 20.03.2003 und Dr. B. vom 15.04.2003). Nach versorgungsärztlicher Auswertung stellte das VA beim Kläger mit Bescheid vom 23.05.2003 wegen eines Morbus Crohn, Teilverlustes des Dünn- und Dickdarms (Teil-GdB 50) und einer Funktionsbehinderung beider Kniegelenke (Teil-GdB 30) den GdB mit 60 seit 19.12.2002 neu fest.

Hiergegen legte der Kläger am 13.06.2003 Widerspruch ein. Er machte zur Begründung geltend, die Funktionsbeeinträchtigungen Morbus Crohn, Teilverlust des Dünn- und Dickdarms seien aufgrund der Beeinträchtigung des Allgemeinzustandes und der Schwere der Organstörung nicht angemessen bewertet worden. Ferner seien die Funktionsbeeinträchtigungen beider Kniegelenke mit einem GdB von 30 nicht ausreichend festgestellt worden. Es sei ein Einzel-GdB von 50 festzustellen. Weiter enthalte die Karteikarte des Dr. W. die Diagnosen Insomnie, Depression, Lumboischialgie und neurovegetative Dystonie. Er bitte alle bestehenden Gesundheitsstörungen festzustellen. Das VA zog weitere medizinische Befundunterlagen bei (Befundscheine des Dr. W. vom 31.07.2003, Dr. B. vom 27.08.2003 und Dr. G. vom 17.02.2004, Befundbericht Dr. G. vom 26.11.2003). Außerdem legte der Kläger den Entlassungsbericht der Reha-Klinik W. vom 26.11.2003 und sein gegen die Richtigkeit dieses Berichtes gerichtetes Schreiben vom 17.12.2003 vor. Nach versorgungsärztlicher Auswertung dieser Unterlagen wurde der Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid des Landesversorgungsamtes Baden-Württemberg vom 31.03.2004 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, die vorgenommene Erhöhung des GdB auf 60 gebe das Ausmaß der tatsächlich eingetretenen Änderung des Gesundheitszustandes des Klägers wieder. Eine weitere Erhöhung des GdB lasse sich nicht begründen. Weitere GdB-relevante Funktionsstörungen seien nicht belegt. Das Kniegelenksleiden sei korrekt bewertet.

Hiergegen erhob der Kläger am 29.04.2004 Klage beim Sozialgericht Reutlingen (SG) mit dem Ziel, den GdB mit 80 festzustellen. Er wiederholte zur Begründung im Wesentlichen sein im Widerspruchsverfahren gemachtes Vorbringen. Ergänzend führte aus, er leide schon ohne Belastungen unter ständigen Schmerzen in den Knien, dem Hüft- und Schulterbereich. Fast jede Nacht habe er Hüftschmerzen, an denen er ständig aufwache. Diese Schmerzen seien Auswirkungen der Entzündungen bei Morbus Crohn und könnten nicht behandelt werden. Die Schmerzen und die Schlafstörungen führten zu starken Konzentrationsstörungen. Wegen einer drohenden Kündigung seines Arbeitsplatzes sei er nachhaltig psychisch belastet. Die Insomnie, reaktive Depression, Lumboischialgie und neurovegetative Dystonie bedingten jeweils einem GdB von 10.

Das SG hörte Dr. H., Dr. B., Diplom-Psychologin P., R. und Dr. H. jeweils schriftlich als sachverständige Zeugen. Der Allgemeinarzt Dr. H. teilte in seiner Stellungnahme vom 19.06.2004 den Behandlungsverlauf und die Diagnosen mit. Zur Bewertung des GdB verwies er auf andere Fachgebiete (Orthopädie, Psychiatrie, Internist). Der Orthopäde und Rheumatologe Dr. B. teilte in seiner Stellungnahme vom 13.07.2004 die erhobenen Befunde mit und legte medizinische Befundunterlagen vor. Nicht erfasst sei eine Erkrankung der Wirbelsäule. Zu einer Bewertung des GdB sah er sich aufgrund der ihm vorliegenden Befunde nicht in der Lage. Die Diplom-Psychologin P. teilte in ihrer Stellungnahme vom 16.11.2004 mit, sie habe den Kläger am 27.09.2002 zum letzten Mal gesehen und könne keine Auskunft über aktuelle Befunde geben. Zur Bewertung des GdB sei sie nicht in der Lage. Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie R. teilte in seiner Stellungnahme vom 08.02.2005 die Befunde und Diagnosen mit. Zur Höhe des GdB verwies er auf die Klärung durch ein Gutachten. Die Ärztin für Innere Medizin und Rheumatologie Dr. H. teilte in ihrer Stellungnahme vom 25.04.2005 unter Vorlage von Arztbriefen mit, mit der Bewertung des Morbus Crohn (GdB 50) und der Funktionsbehinderungen der Kniegelenke (GdB 30) sei sie einverstanden. Hinsichtlich der BWS bestehe wegen eines entzündlichen Befalles mit einer Einschränkung der Drehung um ca. 80% ein zusätzlicher GdB von 20, somit sei ein Gesamt-GdB von 80 gerechtfertigt.

Das SG holte das nervenärztliche Gutachten des Dr. Z., Albstadt-Ebingen, vom 13.06.2005 ein. Der Sachverständige diagnostizierte beim Kläger eine ausgeprägte Insomnie und eine Angststörung mit depressiver Reaktion. Er bewertete für diese Gesundheitsstörungen den GdB mit 30. Unter Berücksichtigung des Morbus Crohn (Teil-GdB 50) und der Funktionsbehinderungen beider Kniegelenke (Teil-GdB 30) bewertete er den Gesamt-GdB mit 70 seit 19.12.2002. Der Kläger wandte hiergegen ein, ein Gesamt-GdB von 70 sei nicht nachvollziehbar begründet. Ein Gesamt-GdB von 80 werde durch Dr. H. bestätigt.

Das SG holte außerdem das orthopädische Gutachten des Prof. Dr. G.-Z., Sana-Klinik Z. GmbH, vom 17.10.2005 ein. Er diagnostizierte beim Kläger eine chronisch rezidivierende Arthritis des rechten Kniegelenks bei Morbus Crohn, eine medial betonte Gonarthrose beidseits, eine beginnende Iliosacralarthrose beidseits (rechts mehr als links), eine Spondylose und eine beginnende Omarthrose rechts. Den Gesamt-GdB bewertete er mit 80 (Morbus Crohn Teil-GdB 50, Kniegelenke Teil-GdB 30, Lendenwirbelsäule und Iliosacralgelenke Teil-GdB 20, Hüftgelenks- und Schulterbeschwerden jeweils Teil-GdB 10).

Der Beklagte äußerte sich im Verlaufe des Klageverfahrens durch Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahmen von Dr. G. vom 29.09.2004, Dr. B. vom 19.01.2006 und dem Versorgungsarzt D. vom 02.06.2006. Er erhielt zuletzt beim Kläger einen Gesamt-GdB von 50 seit 19.12.2002 für angemessen.

Mit Urteil vom 09.08.2006 verurteilte das SG den Beklagten, beim Kläger ab 19.12.2002 einen GdB von 80 festzustellen. Es führte zur Begründung aus, im Gesundheitszustand des Klägers sei unstreitig eine wesentliche Änderung eingetreten. Der vom Beklagten festgestellte GdB von 60 reiche jedoch nicht aus, um dem Behinderungsstand des Klägers gerecht zu werden. Das Darmleiden des Klägers bleibe weiterhin mit einem GdB von 50 anerkannt, da eine wesentliche Besserung des Morbus Crohn nicht nachgewiesen sei und deshalb weiterhin von einem GdB von 50 ausgegangen werden müsse. Für die hinzugetretene Funktionsbehinderung beider Kniegelenke sei ein GdB von 30, für die depressive Verstimmung und das Wirbelsäulenleiden jeweils ein GdB von 20 in Ansatz zu bringen. Weitere Funktionsbeeinträchtigungen seien nicht festzustellen. Die vom Kläger geklagten Hüftgelenks- und Schulterbeschwerden rechtfertigten keinen GdB von wenigstens 10. Hiervon ausgehend könne zwanglos ein Gesamt-GdB von 80 angenommen werden. Auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils wird verwiesen.

Gegen das dem Beklagten am 24.08.2006 zugestellte Urteil hat er am 18.09.2006 Berufung eingelegt. Er hat zur Begründung unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. W. vom 28.08.2006 ausgeführt, der Auffassung des SG, dass der Nachweis einer wesentlichen Änderung nicht habe geführt werden können, könne beim gegenwärtigen Ergebnis der medizinischen Beweiserhebung nicht gefolgt werden. Beim SG sei zur Klärung des aktuellen Befundes des Klägers beantragt worden, Befunde beizuziehen. Diesem Antrag habe das SG nicht entsprochen. Es seien unter anderem aufgrund des Berichtes der Reha-Klinik W. Zweifel aufgetreten, ob das Darmleiden des Klägers weiterhin mit einem Teil-GdB von 50 zu beurteilen sei. Nur wenn weiterhin von einem Teil-GdB von 50 auszugehen sei, sei der Gesamt-GdB mit 80 seit 19.12.2002 zu bewerten.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 9. August 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hat zur Begründung unter Vorlage von Tagebucheintragungen ausgeführt, eine Besserung des Morbus Crohn sei nicht eingetreten.

Der Senat hat Dr. R., Dr. H., Dr. E., Dr. H., Dr. He. und Dr. M. schriftlich als sachverständige Zeugen zum Verlauf der Morbus Crohn Erkrankung des Klägers angehört. Der Urologe Dr. He. hat in seiner schriftlichen Stellungnahme vom 08.01.2007 über die Befunde berichtet und mitgeteilt, die Behandlung eines Morbus Crohn falle nicht in seinen Fachbereich. Der Arzt für Anästhesiologie und Schmerztherapie Dr. M. hat in seiner Stellungnahme vom 21.12.2006 über die Diagnosen berichtet und mitgeteilt, er habe den Kläger wegen des Morbus Crohn nicht behandelt. Der Arzt für Allgemeinmedizin Dr. R. hat in seiner Stellungnahme vom 11.01.2007 unter Vorlage von Arztbriefen und Befundberichten über den Behandlungsverlauf berichtet und mitgeteilt, eine Behandlung des Morbus Crohn sei von ihm nicht durchgeführt worden. Der Arzt für Neurochirurgie und Chirotherapie Dr. H. hat in seiner Stellungnahme vom 19.01.2007 unter Vorlage von Befundberichten und Arztbriefen über die von ihm beim Kläger erhobenen Befunde und Ergebnisse durchgeführten Untersuchungen berichtet und mitgeteilt, eine Behandlung des Morbus Crohn sei von seiner Seite aus nicht durchgeführt worden, sondern eine Behandlung der Wirbelsäule bei Verdacht auf einen entzündlichen BWS-, LWS-Befall bei seronegativer Spondylarthropatie und Morbus Crohn. Die Ärztin für Innere Medizin und Rheumatologie Dr. H. hat in ihrer Stellungnahme vom 26.02.2007 unter Vorlage von Arztbriefen und Befundberichten mitgeteilt, der Kläger habe offensichtlich nur am Anfang seiner Erkrankung über ein halbes Jahr Salofalk erhalten, danach sei keine spezielle medikamentöse Therapie für die chronisch entzündliche Darmerkrankung durchgeführt worden. Ein Coloskopiebefund liege ihr seit Beginn der Behandlung am 14.09.2004 nicht vor. Da die chronisch entzündliche Darmerkrankung seit September 2004 nach den Angaben des Klägers weitgehend in Remission gewesen sei, habe sie dem Kläger speziell für seinen Morbus Crohn keine Therapie verordnet. Sie habe den Kläger wegen der zum Morbus Crohn gehörenden chronisch entzündlichen Gelenkerkrankung medikamentös behandelt. Der Kläger habe sich seit Mai 2006 nicht mehr bei ihr vorgestellt. Der Arzt für Allgemeinmedizin E. hat in seiner Stellungnahme vom 03.03.2007 unter Vorlage von Befundberichten über die erhobenen Befunde berichtet und mitgeteilt, dass der Kläger ihn im November und Dezember 2006 lediglich zweimal konsultiert habe.

Der Beklagte hat sich zu den schriftlichen sachverständigen Zeugenaussagen unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. G. vom 05.06.2007 geäußert und hält einen Gesamt-GdB von 60 (Morbus Crohn, Teilverlust des Dünn- und des Dickdarms - Teil-GdB 30 -, Funktionsbehinderung des rechten Kniegelenks, entzündlich-rheumatische Erkrankung der Gelenke - Teil-GdB 30 -, depressive Verstimmung - Teil-GdB 20 -, Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Funktionsstörung der Kreuz-Darmbeingelenke - Teil-GdB 20 -) ab 19.12.2002 für angemessen.

Der Kläger hat unter Vorlage weiterer Tagebucheintragungen weiterhin einen Gesamt-GdB von 80 (Morbus Crohn Teil-GdB 50) geltend gemacht und mitgeteilt, wegen akuter Schmerzen im linken Knie und im Rücken / Lendenwirbelsäule befinde er sich derzeit in orthopädischer Behandlung.

Der Senat hat daraufhin den Orthopäden Dr. Käfer und Dr. H. schriftlich als sachverständige Zeugen gehört. Dr. Käfer hat in seiner Stellungnahme vom 17.07.2007 über die Befunde berichtet und mitgeteilt, hinsichtlich des linken Knies sei bei noch nicht abgeschlossener Behandlung derzeit von einem GdB von 10 auszugehen. Der GdB sei auf Dauer noch nicht beurteilbar. Dr. H. hat in seiner Stellungnahme vom 27.07.2007 über die Behandlung des Klägers berichtet und mitgeteilt, seitens seines Fachgebietes sei bezüglich der Wirbelsäule aufgrund einer bestehenden Sacroiliitis und des entzündlichen BWS-, LWS-Befalls von einem GdB von mindestens 40 auszugehen. Der Beklagte hat sich hierzu unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. W. vom 10.08.2007 geäußert und an seiner Ansicht (Gesamt-GdB 60) festgehalten.

Wegen Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie ein Band Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung des Beklagten ist zulässig und begründet. Der angegriffene Bescheid des Beklagten ist nicht rechtswidrig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Neufeststellung eines GdB von mehr als 60. Der davon abweichenden Auffassung des SG im angefochtenen Urteil folgt der Senat nicht, weshalb das Urteil aufzuheben ist.

Der Beklagte wird seit 01.01.2005 wirksam durch das Regierungspräsidium Stuttgart vertreten. Nach § 71 Abs. 5 SGG wird in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts das Land durch das Landesversorgungsamt oder durch die Stelle, der dessen Aufgaben übertragen worden sind, vertreten. In Baden-Württemberg sind die Aufgaben des Landesversorgungsamts durch Art 2 Abs. 2 des Gesetzes zur Reform der Verwaltungsstruktur, zur Justizreform und zur Erweiterung des kommunalen Handlungsspielraums (Verwaltungsstruktur-Reformgesetz - VRG - vom 01.07.2004 (GBl S. 469) mit Wirkung ab 01.01.2005 (Art 187 VRG) auf das Regierungspräsidium Stuttgart übergegangen.

Das Begehren des Klägers beurteilt sich zunächst nach § 48 SGB X. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Eine wesentliche Änderung im Hinblick auf den GdB gegenüber einer vorausgegangenen Feststellung liegt nur dann vor, wenn im Vergleich zu den den GdB bestimmenden Funktionsausfällen, wie sie der letzten Feststellung des GdB tatsächlich zugrunde gelegen haben, insgesamt eine Änderung eingetreten ist, die einen um wenigstens 10 geänderten Gesamt-GdB bedingt. Dabei kann sich ergeben, dass das Zusammenwirken der Funktionsausfälle im Ergebnis trotz einer gewissen Verschlimmerung unverändert geblieben ist. Rechtsverbindlich anerkannt bleibt nur die festgestellte Behinderung mit ihren tatsächlichen Auswirkungen, wie sie im letzten Bescheid in den Gesamt-GdB eingeflossen, aber nicht als einzelne (Teil-)GdB gesondert festgesetzt worden sind. Auch der Gesamt-GdB ist nur insofern verbindlich, als er im Sinne des § 48 Abs. 3 SGB X bestandsgeschützt ist, nicht aber in der Weise, dass beim Hinzutreten neuer Behinderungen der darauf entfallende Teil-GdB dem bisherigen Gesamt-GdB nach den Maßstäben der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2004/2008, (AHP) hinzuzurechnen ist (vgl. BSG SozR 1300 § 48 Nr. 29).

Nach § 69 Abs. 3 SGB IX ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt-GdB ungeeignet (vgl. Nr. 19 Abs. 1 der AHP). In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden (Nr. 19 Abs. 3 der AHP). Ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. Nr. 19 Abs. 4 der AHP). Der Gesamt-GdB ist unter Beachtung der AHP in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3 3879 § 4 Nr. 5).

Ausgehend von diesen Grundsätzen und nach dem Ergebnis der im Klage- und Berufungsverfahren durchgeführten Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, dass sich die Funktionsbeeinträchtigungen des Klägers - entgegen der Ansicht des SG - nicht in einem Ausmaß verschlimmert haben, dass eine Neufeststellung des GdB auf über 60 gerechtfertigt ist.

Der Senat folgt nach eigener Überprüfung allerdings den im angefochtenen Urteil in den Entscheidungsgründen gemachten Ausführungen soweit, als das beim Kläger neu hinzugetretene Kniegelenksleiden mit einem Teil-GdB von 30, die depressive Verstimmung und das Wirbelsäulenleiden jeweils mit einem Teil-GdB von 20 zu bewerten sind, und dass die Schultergelenks- und Hüftgelenksbeschwerden bei der Bildung des Gesamt-GdB nicht zu berücksichtigen sind. Der Senat macht sich die hierzu gemachten Ausführungen des SG (Urteil Seite 8 Absatz 2 bis Seite 9 Absatz 2) zur Begründung seiner eigenen Entscheidung vollumfänglich zu eigen, auf die er zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug nimmt (§ 153 Abs. 2 SGG).

Soweit der Kläger im Berufungsverfahren neu aufgetretene akute Schmerzen im linken Kniegelenk geltend macht, rechtfertigt dies keinen Teil-GdB von 40 (oder mehr). Nach der schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage des Dr. Käfer war die Kniegelenksbeweglichkeit des Klägers mit 120-0-0 Grad (am 15.05.2007) bzw. 110-0-0 Grad nach den AHP noch nicht so eingeschränkt (vgl. AHP Nr. 26.18. Seite 126), dass sie - einseitig betrachtet - einen GdB von 0 bis 10 rechtfertigen würde. Unter Berücksichtigung der von Dr. Käfer weiter mitgeteilten Befunde (leichte teigige Weichteilschwellung, leichte Ergussbildung, Meniskuszeichen negativ, Bänder stabil, Fibulaköpfchenblockierung, mäßiggradiger Reizzustand des Innenbandes, geringe Ansatztendopathie des Pes anserinus, diskrete Irritation des Außenbandes bei mittelgradigem synovialem Reizerguss, kein Anhalt für eine Meniskuslaesion) bei noch nicht abgeschlossener Behandlung ist mit Dr. Käfer davon auszugehen, dass die - akuten - Beschwerden des Klägers im linken Knie (allenfalls) einen Teil-GdB von 10 bedingen, der sich nicht erhöhend auf den Gesamt-GdB auswirkt.

Der Ansicht von Dr. H. in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenauskunft vom 27.07.2007, das Wirbelsäulenleiden des Klägers bedinge mindestens einen Teil-GdB von 40, kann nicht gefolgt werden. Ein GdB von 40 ist nach Nr. 26.18, S. 116 der AHP erst bei schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten anzusetzen. Dass dies beim Kläger zutrifft, lässt sich der Auskunft des Dr. H. vom 27.07.2007 aber nicht entnehmen. Nach dem von Dr. H. beigefügten Befundbericht von Dr. H. vom 30.05.2006 war die Beweglichkeit der HWS und der BWS beim Kläger jeweils um 30 % und der LWS 50 % eingeschränkt. Dies rechtfertigt nicht die Annahme schwerer funktioneller Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten. Zudem geht Dr. H. bei seiner Bewertung des GdB für das Wirbelsäulenleiden von einer bestehenden Sacroiliitis aus. Nach den vorliegenden Befundunterlagen wurde beim Kläger dagegen lediglich die Verdachtsdiagnose einer älteren Sacroiliitis rechts gestellt (Befundbericht Dr. H. vom 30.05.2006 und Dr. H. vom 12.12.2006). Soweit Dr. H. außerdem einen entzündlichen BWS-, LWS-Befall berücksichtigt, ist diese Gesundheitsstörung nach den vorliegenden Befundunterlagen (Bericht der Federseeklinik vom 17.08.2005, Seite 4, Dr. H. vom 30.05.2006) und der schriftlichen sachverständigen Aussage von Dr. H. an das SG vom 25.04.2005 kernspintomographisch nicht bestätigt. Zudem sind beim Kläger bislang auch keine beweisenden Destruktionen aufgetreten. Für das Wirbelsäulenleiden des Klägers ist bei dieser Befundlage ein Teil-GdB von 20 angemessen und ausreichend, wie Dr. W. in der Stellungnahme vom 10.08.2007 überzeugend ausgeführt hat. Diesen Ausführungen schließt sich der Senat an.

Der Senat vermag jedoch der Ansicht des SG, das Darmleiden des Klägers bleibe weiterhin mit einem GdB von 50 anerkannt, da eine wesentliche Besserung des Morbus Crohn nicht nachgewiesen sei und deshalb weiterhin von einem GdB von 50 ausgegangen werden müsse, nicht zu folgen. Nach der Rechtsprechung des Senats kann eine wesentliche Verschlimmerung der Behinderung entsprechend § 48 Abs. 3 SGB X nur dann zu einer Erhöhung führen, wenn dies ohne Berücksichtigung der Bestandskraft nach den wirklichen Verhältnissen gerechtfertigt ist (Senatsurteil vom 21.11.2003 - L 8 SB 771/03 -; vgl. auch BSG, Urteil vom 22.10.1986 - SozR 1300 § 48 Nr. 29). Nach den wirklichen Verhältnissen rechtfertigen der Morbus Crohn sowie der Teilverlust des Dünn- und Dickdarms des Klägers zur Überzeugung des Senats keinen Teil-GdB von 50. Der Senat folgt vielmehr der zuletzt vertretenen Ansicht des Beklagten, dass für diese Erkrankung des Klägers ein Teil-GdB von (maximal) 30 anzusetzen ist.

Nach den AHP (Nr. 26.10, Seite 79 f) beträgt bei einer Colitis ulcerosa, Crohn-Krankheit (Enteritis regionalis) - mit geringer Auswirkung (geringe Beschwerden, keine oder geringe Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustandes, selten Durchfälle) der GdB 10 - 20, - mit mittelschwerer Auswirkung (häufig rezidivierende oder länger anhaltende Beschwerden, geringe bis mittelschwere Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustandes, häufiger Durchfälle) der GdB 30 - 40, - mit schwerer Auswirkung (anhaltende oder häufig rezidivierende erhebliche Beschwerden, erhebliche Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustandes, häufige, tägliche, auch nächtliche Durchfälle) der GdB 50 - 60, - mit schwerster Auswirkung (häufig rezidivierende oder anhaltende schwere Beschwerden, schwere Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustandes, ausgeprägte Anämie) der GdB 70 - 80. Fisteln, Stenosen, postoperative Folgezustände (z.B. Kurzdarmsyndrom, Stomakomplikationen), extraintestinale Manifestationen (z.B. Arthritiden), bei Kindern auch Wachstums und Entwicklungsstörungen, sind zusätzlich zu bewerten.

Nach den vorliegenden Befundunterlagen und den Aussagen der schriftlich als sachverständige Zeugen gehörten Ärzte hat der Morbus Crohn beim Kläger geringe bis allenfalls mittelschwere Auswirkungen. In dem vom Kläger im Widerspruchsverfahren vorgelegten Bericht der Reha-Klinik W. vom 26.11.2003 über eine stationäre Behandlung des Klägers vom 21.10.2003 bis 11.11.2003 wird von einem seit der Operation nicht mehr aktiven Morbus Crohn berichtet. Nach den im Bericht wiedergegebenen Angaben des Klägers waren der Appetit normal, das Gewicht konstant und der Stuhlgang ohne Probleme. Die mit Schreiben vom 17.12.2003 vom Kläger gegen den Bericht erhobenen Einwendungen waren gegen diese Angaben nicht gerichtet. Auch Dr. H. diagnostizierte beim Kläger in ihren Befundberichten vom 20.06.2005 und 30.05.2006 einen inaktiven Morbus Crohn. Nach dem Befundbericht des Z. Klinikums vom 25.08.2006 ergab eine Untersuchung des Klägers (Doppelkontrastdarstellung des Kolons) einen unauffälligen Befund. Ein Hinweis für eine Manifestation des Morbus Crohn im Bereich des Kolons sowie des anastomosierten Ileums, von Divertikeln, Polypen oder sonstigen tumorösen Veränderungen fand sich bei der Untersuchung nicht. Weiter waren beim Kläger nach dem Befundbericht des Klinikums Z. vom 12.09.2006 bei einer Abdomen-Sonografie keine akut entzündlichen Veränderungen erkennbar. In der schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage von Dr. H. vom 26.02.2007 wird im Rahmen der Behandlung vom September 2004 bis Mai 2005 anamnestisch von Beschwerdefreiheit von Seiten des Darms bei äußerst seltenen Durchfällen unter der Medikation mit Quantalan berichtet. Auch im Verlauf der Behandlung hat der Kläger selbst nach den Angaben von Dr. H. über einen unauffälligen Stuhlgang berichtet. Deshalb wurde von Dr. H. speziell für den Morbus Crohn keine Therapie verordnet. Nach dem Bericht der Federseeklinik vom 17.08.2005 über eine stationäre Behandlung des Klägers vom 11.07.2005 bis 19.07.2005 bestand beim Kläger aktuell ein relativ unauffälliges Stuhlverhalten mit ein- bis zweimaligen Diarrhoen für ca. 24 Stunden anhaltend, ohne begleitende Bauchschmerzen oder Blutauflagerungen. Sonst gab der Kläger nach dem Bericht monatlich ein- bis zweimaligen Durchfall an. Nach der schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage des Dr. E. vom 03.03.2007 war der Stuhlgang beim Kläger (derzeit) unter Quantalan wechselnd bei einem leicht reduzierten Allgemein- und Ernährungszustand. Dem entsprechen auch die vom Kläger vorgelegten Tagebucheinträge. Danach bestehen überwiegend Durchfälle einmal täglich, gelegentlich häufiger, gelegentlich aber auch normaler Stuhlgang. Dies hat der Kläger auch im Rahmen seiner persönlichen Anhörung in der mündlichen Verhandlung bestätigt.

Bei dieser Befundlage kann - entgegen der vom Kläger verteidigten Ansicht des SG - nicht von schweren Auswirkungen des Morbus Crohn ausgegangen werden, die nach den AHP einen GdB von 50 bis 60 rechtfertigen. Es liegen vielmehr lediglich geringe bis grenzwertig mittelschwere Auswirkungen vor, die nach den AHP einen Teil-GdB von allenfalls 30 bis 40 rechtfertigen, wobei die Befunde es nicht angezeigt erscheinen lassen, den GdB-Rahmen nach oben auszuschöpfen. Vielmehr ist die - im Berufungsverfahren vertretene - Ansicht des Beklagten, die Auswirkungen des Morbus Crohn seien beim Kläger mit einem GdB von 30 zu bewerten, nicht zu beanstanden. Auch der Senat hält beim Kläger für den Morbus Crohn bei der dargestellten Befundlage einen GdB von 30 für ausreichend. Soweit sich der Kläger darauf beruft, sein Stuhl habe aus Blut bestanden, handelte es sich nach seinen Tagebuchaufzeichnungen um einen Einzelfall, der nicht zur Grundlage der GdB-Bewertung gemacht werden kann.

Sonstige Funktionsstörungen, die bei der Bildung des Gesamt-GdB zu berücksichtigen sind, liegen beim Kläger nicht vor. Soweit sich der Kläger auf die in der Karteikarte des Dr. W. genannten Diagnosen beruft, ist den vorliegenden zahlreichen medizinischen Befundunterlagen und eingeholten Gutachten nicht zu entnehmen, dass beim Kläger deswegen GdB-relevante Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die nicht berücksichtigt worden sind. Der Kläger selbst erachtet vielmehr jeweils Teil-GdB-Werte von 10 für angemessen, die bei der Bildung des Gesamt-GdB nicht zu berücksichtigen sind.

Nach den oben dargestellten Grundsätzen zur Bildung des Gesamt-GdB lässt sich damit beim Kläger ein GdB von mehr als 60 nicht begründen. Dem entsprechen die streitgegenständlichen Bescheide des Beklagten. Den abweichenden Bewertungen von Dr. Z. in seinem Gutachten vom 13.06.2005 und Prof. Dr. G.-Z. in seinem Gutachten vom 17.10.2005 kann nicht gefolgt werden, da beide Sachverständigen ihrer Bewertung des GdB einen unzutreffenden Teil-GdB von 50 für den Morbus Crohn des Klägers zugrunde legen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht.
Rechtskraft
Aus
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