S 12 KA 60/07

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 60/07
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Es ist ermessensfehlerhaft, einer Kinderarztpraxis mit mehr als 1/3 kinderkardiologischer Behandlungsfälle im Rahmen einer Individualbudgetierungsmaßnahme die Fallwerte der Vergleichsgruppe aller Kinderärzte als Ausnahmeregelung (sog. Bestwertregelung für „Junge Praxen“) zuzugestehen.
1. Unter Abänderung der Honorarbescheide für die Quartale IV/03 bis IV/04 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.01.2007 wird die Beklagte verpflichtet, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts über seine Honoraransprüche neu zu bescheiden.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Der Kläger hat 30%, die Beklagte hat 70% der Gerichtskosten zu tragen. Die Beklagte hat auch 70% der notwendigen Kosten des Klägers zu tragen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten noch um die Höhe des Honorars für die sechs Quartale IV/03 bis I/05 und hierbei insbesondere um die die Anwendung der Individualbudgetierungsmaßnahme nach Anlage 3 zu LZ 702 (1) HVM.

Der Kläger ist als Kinderarzt mit dem Schwerpunkt Kinderkardiologie zur vertragsärztlichen Versorgung seit 01.07.2001 zugelassen. Er übte seine Tätigkeit zunächst in Gemeinschaftspraxis mit Herrn Dr. C mit Praxissitz in A-Stadt aus. Herr Dr. C war bereits seit 1971 niedergelassen und der Kläger war als sog. Job-Sharing-Partner in die bestehende Praxis eingetreten. Zum 01.02.2002 übernahm er die Praxis und führte diese als Einzelpraxis fort.

Die Beklagte setzte in den streitbefangenen Quartalen und dem Quartal III/03 das Honorar durch Honorarbescheid fest. Hiergegen legte der Kläger jeweils Widerspruch ein. Im Einzelnen ergeben sich die Abrechnungswerte und das Datum der Widerspruchseinlegung aus nachfolgender Tabelle:

Quartal III/03 IV/03 I/04 II/04
Honorarbescheid v. 16.04.2004 18.06.2004 05.08.2004 10.10.2004 Nettohonorar gesamt in Euro 53.868,48 56.573,46 59.915,08 57.169,58 Bruttohonorar PK + EK 53.235,32 55.655,67 60.133,60 57.825,85 Fallzahl PK + EK 859 868 968 899

LZ 505
Fallzahlgrenze 824
Relevante aktuelle Fallzahl 859
Quote 97,96 %
Nicht anerkanntes Honorarvolumen in Punkten 25.646,2
Belastung 25.605,8

Indidividualbudgetierung nach LZ 702 (1)
Unterer PW Punktmenge PK 86.572,9 89.595,8 80.695,0
Unterer PW Punktmenge EK 67.899,8 86.471,0 66.636,6
Oberer Punktwert PK/EK in Cent (nach EHV) 4,306/4,715 4,355/4,365 4,253/4,641
Unterer Punktwert PK/EK in Cent 0 0 0

Widerspruch eingelegt am 06.05.2004 28.09.2004 04.11.2004 21.12.2004

Quartal III/04 IV/04 I/05
Honorarbescheid v. 07.02.2005 18.04.2005 26.07.2005
Nettohonorar gesamt in Euro 58.619,49 59.260,45 56.726,20 Bruttohonorar PK + EK 59.246,44 60.259,91 57.051,76
Fallzahl PK + EK 1.015 940 973

Indidividualbudgetierung nach LZ 702 (1)
Unterer PW Punktmenge PK 93.502,0 85.249,5 121.235,0
Unterer PW Punktmenge EK 81.946,0 82.295,5 88.555,5 Oberer Punktwert PK/EK in Cent (nach EHV) 3,859/4,428 4,125/4,567 4,052/4,180
Unterer Punktwert PK/EK in Cent 0 0 0

Widerspruch eingelegt am 28.04.2005 09.06.2005 20.09.2005

Zur Begründung seiner Widersprüche trug der Kläger bezüglich des Quartals III/03 vor, Herr Dr. C sei zu erheblichen Teilen psychotherapeutisch tätig gewesen. Dieser Bereich sei nach seinem Ausscheiden vollständig weggefallen. Stattdessen habe er eine kinderkardiologische Sprechstunde mit heute noch wachsender Patientenzahl etabliert. Seine Praxis entspreche deshalb einer Neugründung. Man müsse ihm einen Zuwachs der Patientenzahlen zugestehen, zumal er alleinig zugelassener Kinderkardiologe sei. Er stelle einen Antrag auf eine Sonderregelung für seine Praxis im Rahmen der Fallzahlbegrenzung. Für die übrigen Quartale trug er vor, die Beklagte habe die durchschnittliche fallbezogene Honorarforderung bei der Anwendung des Individualbudgets nach Anlage 3 zu LZ 702 (1) HVM herangezogen. Da er zum Wesentlichen kinderkardiologisch tätig sei, entspreche seine durchschnittliche fallbezogene Leistung absolut nicht der eines Allgemeinpädiaters. Sie liege deutlich darüber. Vergleichbar sei er allenfalls mit einem in Hessen niedergelassenen Kinderkardiologen. In A-Stadt und Umgebung sei er der einzige Kinderkardiologe.

Die Beklagte verband alle Widerspruchsverfahren und gab den Widersprüchen insofern statt, als sie für das Quartal III/03 die Fallzahlbegrenzung nach LZ 505 HVM aufhob und für das Quartal I/05 beim sog. Individualbudget nach Anlage 3 zu LZ 702 (1) HVM die praxisindividuellen Werte aus I/04 zugrunde legte. Im Übrigen wies sie die Widersprüche als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, der EBM sei rechtmäßig. Aufgrund der Praxisübernahme zum 01.02.2002 sei die sog. Fallzahlbegrenzung aufzuheben. Weitere Kürzungen lägen in diesem Quartal nicht vor. In den übrigen Quartalen seien Maßnahmen nach LZ 505 HVM und LZ 506 HVM nicht durchgeführt worden. Im Rahmen des sog. Individualbudgets gemäß Anlage 3 zu LZ 702 (1) HVM würden für die der Honorargruppe 2 zugeordneten Honorarforderungen aus ambulanter und stationärer Tätigkeit bei getrennter Betrachtung für Primär- und Ersatzkassen jeweils maximal das der Praxis für die vergleichbare Honorarforderung in Punkten in den entsprechenden Quartalen des Jahres 2002 bei Primärkassen und bei Ersatzkassen vergütete Honorarvolumen zur Verfügung gestellt werden. Die Honorarzahlung im aktuellen Quartal reduziere sich anteilig im Verhältnis zur Reduktion der Honorarforderungen bei Vergleich zwischen aktuellem Abrechnungsquartal und entsprechendem Basisquartal. Hierbei sei klarzustellen, dass als Individualbudget grundsätzlich nur der Punktzahlumfang zugrunde gelegt werde, der sich seinerzeit nach Anwendung der Praxisbudgetierung und der Fallzahlbegrenzung im Rahmen der Honorargruppe 2 ergeben habe. Im Rahmen der Bestwertregelung für "junge Praxen" sei die Ermittlung des Vergleichsvolumens jeweils auf Grundlage der Multiplikation der Fallzahl im aktuellen Quartal mit der durchschnittlichen fallbezogenen Honorarforderung erfolgt, da sich diese Variante gegenüber den praxisindividuellen Werten aus 2002 als die günstigere Regelung für die Praxis darstelle. Diese Regelung sei auch im Quartal I/05 umgesetzt worden, obwohl der Status "junge Praxis" mit dem Quartal IV/04 geendet habe. Nach Beschlussfassung des Vorstandes würden im Falle von jungen Praxen bei erstmaliger Anwendung der Fallzahlbegrenzung, also ab dem 13. Quartal, die davor liegenden vier Quartale der Praxistätigkeit die Grundlage für die Durchführung der Fallzahlbegrenzungsregelung bilden. Hier sei eine Korrektur dahingehend durchzuführen, dass anstatt der durchschnittlich fallbezogenen Honorarforderung die praxisindividuellen Werte aus dem Quartal I/04 zugrunde gelegt würden. Das Nettohonorar des Klägers liege jeweils oberhalb des arztgruppenbezogenen Honorardurchschnitts der Fachgruppe inklusive kardiologisch tätiger Kinderärzte. Das Durchschnittshonorar betrage im Quartal III/03 43.471,29 EUR, im Quartal IV/03 46.693,12 EUR, im Quartal I/04 48.433,11 EUR, im Quartal II/04 47.019,61 EUR, im Quartal III/04 43.149,33 EUR, im Quartal IV/04 46.612,64 EUR und im Quartal I/05 45.687,88 EUR.

Hiergegen hat der Kläger am 16.02.2007 die Klage erhoben. In der mündlichen Verhandlung hat er die Klage bzgl. des Honorarbescheids für das Quartal III/03 zurückgenommen.

Er trägt vor, eine Sonderbedarfszulassung für ihn sei seinerzeit abgelehnt worden. Sie sei auch für einen Kollegen abgelehnt worden, der mit ihm hätte in Gemeinschaftspraxis tätig sein sollen. Seit diesem Verfahren habe sich herausgestellt, dass für die Kinderkardiologie durchaus ein Bedarf bestehe. In seiner Praxis bestünden hier Wartezeiten, die zum Teil als unzumutbar anzusehen seien, aber nicht verhindert werden könnten. Im Widerspruch hierzu werde er nun so behandelt, als ob er der Fachgruppe der Kinderärzte zuzurechnen sei. Dies sei abwegig. Die kinderärztliche Tätigkeit sei eine völlig andere als die außerordentlich zeitintensive Behandlung im Bereich der Kinderkardiologie. Es fehle für ein Abstellen auf die durchschnittliche Honorarforderung der Fachgruppe an einer Vergleichbarkeit. Auch zwischen der Erwachsenenkardiologie und der Kinderkardiologie bestünden gravierende Unterschiede.

Der Kläger beantragt,
die Honorarbescheide für die Quartale IV/03 bis I/05 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.01.2007 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihn unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts über seine Honoraransprüche neu zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Unter Verweis auf ihre Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid trägt sie ergänzend vor, der Rückgriff auf die durchschnittlichen Abrechnungswerte der Fachgruppe sei günstiger gewesen als auf klägereigene Werte im entsprechenden Vergleichszeitraum. Aufgrund des Zulassungsstatus des Klägers als Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin sei folgerichtig auf die Abrechnungswerte der Fachgruppe der Kinderärzte aus dem jeweiligen Quartal des Jahres 2002 zurückzugreifen. Eine weitergehende Ausnahmeregelung - ausgenommen des alternativen Rückgriffs auf das entsprechende Referenzquartal des Jahres 2001 – für junge Praxen kenne der HVM nicht. Der Kläger könne nicht damit gehört werden, dass er fachgruppen-atypische Leistungen erbringe, da er im Rahmen des Individualbudgets einem Eigenvergleich zugeführt werde.

Wegen der weiteren Einzelheiten wir auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer hat in der Besetzung mit zwei Vertretern der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten handelt (§ 12 Abs. 3 S. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG ).

Die zulässige Klage ist z. T. begründet. Die angefochtenen Honorarbescheide für die Quartale IV/03 bis IV/04, alle in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.01.2007 sind rechtswidrig und waren daher abzuändern. Der Kläger hat insoweit einen Anspruch darauf, dass er für diese Quartale unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts über seine Honoraransprüche neu beschieden wird. Im Übrigen war die Klage aber abzuweisen. Der angefochtene Honorarbescheid für das Quartal I/05 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.01.2007 war rechtmäßig und daher nicht aufzuheben.

Die angefochtenen Honorarbescheide für die Quartale IV/03 bis IV/04, alle in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.01.2007 sind rechtswidrig.

Die Beklagte hat durch Beschluss ihrer Abgeordnetenversammlung vom 11.06.2003 ihre Grundsätze der Honorarverteilung neu gefasst, veröffentlicht als Anlage zum Rundschreiben 5/6 der Bekanntmachung vom 25.06.2003 (info.doc Nr. 5/6 Juni 2003) (im Folgenden: HVM).

Nach Anlage 3 zu LZ 702 HVM gelten abweichend von den Honorierungsvorgaben in den Anlagen 1 bzw. 2 zu LZ 702 HVM betreffend die Honorierung der Honorarforderungen in den Honorargruppen A2 bzw. B2 mit einem rechnerischen Verteilungspunktwert für die nachstehend aufgeführten Honorar(unter)gruppen Sonderregelungen:

1. Honorar(unter)gruppen A 2.1 bis A 2.3.1, B 2.1 bis B 2.5.1, B 2.6, B 2.7.1, B 2.8 und B 2.9 Für die einzelnen Praxen in den Honorar(unter)gruppen A 2.1 bis A 2.3.1, B 2.1 bis B 2.5.1, B 2.6, B 2.7.1, B 2.8 und B 2.9 gelten bei getrennter Anwendung in den einzelnen Honorar(unter)gruppen folgende Bewertungsvorgaben:

1. Für die der Honorargruppe 2 zugeordneten Honorarforderungen aus ambulanter und stationärer Tätigkeit steht bei getrennter Betrachtung für Primär- und Ersatzkassen jeweils maximal das der Praxis für die vergleichbare Honorarforderung in Punkten im entsprechenden Quartal des Jahres 2002 bei Primärkassen und bei Ersatzkassen vergütete Honorarvolumen zur Verfügung. Die Honorarzahlung im aktuellen Quartal reduziert sich anteilig im Verhältnis zur Reduktion der Honorarforderungen bei Vergleich zwischen aktuellem Abrechnungsquartal und entsprechendem Vorjahresquartal.

2. Soweit für eine Praxis eine solche Honorarzahlung im entsprechenden Quartal des Jahres 2002 nicht zur Verfügung steht, ist auf die durchschnittliche Honorarzahlung je Arzt der Arzt-/Fachgruppe (in dem betreffenden Quartal des Jahres 2002) abzustellen mit der dazugehörigen durchschnittlichen Honorarforderung in Punkten. Von der genannten Voraussetzung des Nichtvorliegens einer Honorarforderung bzw. Honorarzahlung aus dem jeweiligen Quartal des Jahres 2002 ist dann nicht auszugehen, wenn mindestens ein Mitglied der Praxis bereits im entsprechenden Vorjahresquartal niedergelassen gewesen ist. In diesem Fall bestimmt sich die durchschnittliche Honorarzahlung des entsprechenden Quartals des Jahres 2002 unter Berücksichtigung der Zahl der neu in eine Praxis eingetretenen bzw. ausgeschiedenen Praxisteilnehmer, für die in der Regel die entsprechende durchschnittliche Honorarforderung bzw. Honorarzahlung je Arzt-/Fachgruppe als Bemessungsgrundlage heranzuziehen ist. Wird eine Einzelpraxis übernommen, kann anstelle der Regelung nach Satz 1 auch die Honorarzahlung aus der bisherigen Praxistätigkeit im entsprechenden Vergleichsquartal des Jahres 2002 zugrunde gelegt werden. Ist eine "junge Praxis" nach Maßgabe der LZ 505 von der fallzahlabhängigen Bewertung freigestellt, kann hier maximal ihre Fallzahl im aktuellen Quartal multipliziert mit der durchschnittlichen fallbezogenen Honorarforderung bzw. mit der durchschnittlichen fallbezogenen Honorarzahlung zuerkannt werden. Ziffer 1 letzter Absatz gilt für alle Fallgestaltungen unter Ziffer 2 entsprechend.

3. In begründeten Ausnahmefällen (Urlaub, Krankheit etc.) kann auf Beschluss des zuständigen Geschäftsausschusses anstelle des entsprechenden Vergleichsquartals aus dem Jahre 2002 als Referenzquartal das entsprechende Quartal des Jahres 2001 zugrunde gelegt werden.

4. Steht im Rahmen der Honorarabrechnung des aktuellen Quartals kein ausreichendes Honorarvolumen für die Bedienung der bisherigen Honorarzahlungen nach Ziffer 1 sowie von Honorarforderungen, berechnet nach Ziffer 2, an die teilnehmenden Ärzte bzw. Praxen in den jeweiligen Honorar(unter)gruppen zur Verfügung, so ist eine Quotierung unter Berücksichtigung des zur Verfügung stehenden Verteilungsbetrages vorzunehmen.

5. Ergänzende Vorgaben sowie Regelungen zur Durchführung der Honorierungsbestimmungen erlässt der Vorstand.

Die Beklagte hat diese Vorgaben für die Quartale IV/03 bis IV/04 nicht zutreffend angewandt.

Die Regelung selbst ist allerdings nicht zu beanstanden.

Das Individualbudget nach dem HVM dient gerade einer Punktwertstabilisierung, indem es Leistungsausweitungen nicht zulässt. Das Bundessozialgericht hat sog Individualbudgets wiederholt für rechtens erklärt, die nach Abrechnungsergebnissen des jeweiligen Arztes aus vergangenen Zeiträumen bemessen wurden und dessen gesamtes Leistungsvolumen umfassten (vgl. zuletzt BSG, Urt. v. 08.02.2006 - B 6 KA 25/05 R - SozR 4-2500 § 85 Nr. 23 = BSGE 96, 53 = MedR 2006, 603 = NZS 2006, 667, juris Rdnr. 23 unter Hinweis auf BSGE 92, 10 = SozR 4-2500 § 85 Nr. 5; BSG SozR 4-2500 § 85 Nr. 6 Rdnr. 9, 11; BSGE 94, 50 = SozR 4-2500 § 72 Nr. 2, jeweils Rdnr. 53, 56; BSG SozR 4-2500 § 87 Nr. 10 Rdnr. 21, 25; - vgl. auch die Beispielsaufzählung in BSG SozR 4-2500 § 85 Nr. 17 Rdnr. 22). Dem liegt die berechtigte Annahme zu Grunde, dass der in der Vergangenheit erreichte Praxisumsatz bei typisierender Betrachtung ein maßgebendes Indiz für den Umfang ist, auf den der Vertragsarzt seine vertragsärztliche Tätigkeit ausgerichtet hat. Die sachliche Rechtfertigung für solche Honorarkontingente ergibt sich aus dem Ziel, die Anreize zur Ausweitung der Leistungsmenge zu verringern, dadurch die Gesamthonorarsituation zu stabilisieren und damit die Kalkulierbarkeit der Einnahmen aus vertragsärztlicher Tätigkeit zu verbessern sowie die Versorgungsqualität zu steigern (vgl. BSG, Urt. v. 10.12.2003 - B 6 KA 54/02 R - SozR 4-2500 § 85 Nr. 5 = BSGE 92, 10 = GesR 2004, 325 = NZS 2004, 612, juris Rdnr. 17). Zutreffend weist die Beklagte darauf hin, dass die Rechtssprechung des Bundessozialgerichts zu den Praxisbudgets von der Rechtmäßigkeit der Praxisbudgets für die Vergangenheit ausgeht. Lediglich für die Zukunft sollte eine Neubemessung vorzunehmen sein (vgl. zuletzt BSG, Urt. v. 23.05.2007 - B 6 KA 16/06 R – juris Rdnr. 13 m.w.N.).

Der von der Rechtsprechung des BSG aufgestellte Schutz beinhaltet lediglich die Möglichkeit, im aktuellen Quartal bis zum Durchschnitt der Fachgruppe wachsen zu können. Umsatzmäßig unterdurchschnittlich abrechnende Praxen - typischerweise insbesondere neu gegründete Praxen - müssen die Möglichkeit haben, durch Erhöhung der Zahl der von ihnen behandelten Patienten den durchschnittlichen Umsatz der Arztgruppe zu erreichen. Dem Vertragsarzt muss die Chance bleiben, durch Qualität und Attraktivität seiner Behandlung oder auch durch eine bessere Organisation seiner Praxis neue Patienten für sich zu gewinnen und so legitimerweise seine Position im Wettbewerb mit den Berufskollegen zu verbessern. Das gilt für die damit verbundenen Umsatzsteigerungen jedenfalls bis zum Durchschnittsumsatz der Fachgruppe (vgl. BSG, Urt. v. 10.12.2003 - B 6 KA 54/02 R -, aaO., juris Rdnr. 26). Ein unbegrenztes Wachstum auch in den ersten Jahren einer Zulassung wird damit nicht garantiert. Nach den von der Klägerin in den streitbefangenen Quartalen erzielten Honorarumsätzen ist nicht ersichtlich, dass sie damit unterhalb der Umsätze ihrer Fachgruppe liegen würde. Dies wird auch nicht vorgetragen. Ebenso ist nicht ersichtlich, dass das Honorar unangemessen wäre mit der Folge, dass die Klägerin einen Anspruch auf ein höheres Honorar hätte (vgl. BSG, Urt. v. 09.12.2004 - B 6 KA 44/03 R - SozR 4-2500 § 72 Nr. 2 = BSGE 94, 50 = GesR 2005, 307 = MedR 2005, 538 = Breith 2005, 817, juris Rdnr. 129 ff.).

Der Kläger hat aber einen Anspruch auf eine Sonderregelung auf der Grundlage der Nr. 1.5 der Anlage 3 zu LZ 702 HVM. Eine entsprechende Sondersituation des Klägers liegt vor.

Soweit die Beklagte für die Quartale IV/03 bis IV/04 im Rahmen der Bestwertregelung für "junge Praxen" bei Ermittlung des Vergleichsvolumens jeweils auf Grundlage der Multiplikation der Fallzahl im aktuellen Quartal mit der durchschnittlichen fallbezogenen Honorarforderung abstellt, da sich diese Variante gegenüber den praxisindividuellen Werten aus 2002 als die günstigere Regelung für die Praxis darstelle, berücksichtigt sie lediglich den Umstand, dass es sich um eine "junge Praxis" handelt. Bei dem Kläger liegt aber bereits in den streitbefangenen Quartalen ein signifikanter Schwerpunkt auf dem Gebiet der Kinderkardiologie vor, was die Beklagte für die Folgequartale II/05 ff. im Rahmen der Zuerkennung des Regelleistungsvolumens anerkannt hat (vgl. Urteil der Kammer v. 20.02.2008 – S 12 KA 766/07 –). Der Schwerpunkt der klägerischen Praxis wird anhand der Abrechnungshäufigkeiten insbesondere der Ziff. 78, 603, 618 und 687 EBM 1996 deutlich, wie sich exemplarisch für beispielhaft herausgegriffene Quartale nachfolgender Aufstellung entnehmen lässt:

Punktezahl EBM 1996 Auf 100 Behandlungsf. III/03 Auf 100 Behandlungsf. I/04 Auf 100 Behandlungsf. IV/04 Auf 100 Behandlungsf. I/05
Fallzahl 859 968 940 973

Ziff. 1 Ordinat. 285 793 922 873 940
Ziff. 60 Ganzkörperstatus 320 321/37 483/50 566/60 629/65
Ziff. 78 Ausf. Arztbrief 180 283/33 351/36 354/38 333/34
Ziff. 603 Elektrokard. 250 258/30 346/36 360/38 347/36
Ziff. 618 Zweidim. farbc. Doppleru. 1.100 266/31 354/37 367/39 360/37 Ziff. 687 Duplex-son. U. 600 266 323/33 346/37 342/35
Ziff. 689 Zuschlag 300 266 323/33 346/37 342/35
Summe 3.035

Danach machen beim Kläger die kinderkardiologischen Fälle etwa 35 bis 39 % aller Behandlungsfälle aus. Bei diesen Behandlungsfällen fallen typischerweise die aufgeführten Leistungen an, die im Ergebnis die durchschnittlichen Fallwerte des Klägers der übrigen Fälle bzw. der Fachgruppe des Klägers wesentlich überschreiten. Im Hinblick darauf, dass diese Fälle mehr als 1/3 aller Behandlungsfälle des Klägers ausmachen, kann der Kläger nicht mit den Fallwerten seiner Fachgruppe verglichen werden. Maßstab hierfür ist nicht ein Anspruch des Klägers auf Wachstum, sondern der Grundsatz der Gleichbehandlung. Die Beklagte wird dies bei ihrer Ermessensausübung im Rahmen der Neubescheidung zu berücksichtigen und eine entsprechende Gewichtung vorzunehmen haben. Ihr steht es auch frei, auf andere Referenzquartale des Klägers zurückzugreifen.

Im Übrigen war die Klage aber abzuweisen.

Für das Quartal I/05 hat die Klägerin auf die praxisindividuellen Werte aus dem Quartal I/04 zurückgegriffen. Damit wird der Schwerpunkt des Klägers hinreichend berücksichtigt, da signifikante Veränderungen zwischen beiden Quartalen nicht ersichtlich sind.

Im Ergebnis war der Klage daher im tenorierten Umfang stattzugeben und war sie im Übrigen abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 155 Abs. 1 VwGO. Es war zu berücksichtigen, dass der Kläger für ein Quartal die Klage zurückgenommen hat und bzgl. eines weiteren Quartals unterlegen ist. Entsprechend war zu quoteln.
Rechtskraft
Aus
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