L 2 U 274/06

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 98 U 408/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 2 U 274/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 21. August 2006 geändert. Die Klage gegen den Vorschuss-Rückforderungsbescheid vom 4. März 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 4. Juli 2003 wird in vollem Umfang abgewiesen. Die Anschlussberufung des Klägers wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat dem Kläger ein Drittel seiner außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig sind die Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls vom 30. April 1998 sowie die Rechtmäßigkeit eines Rückforderungsbescheides.

Der 1966 geborene Kläger betrieb ein Transportunternehmen und war bei der Beklagten freiwillig versichert, als er am 30. April 1998 einen Arbeitsunfall erlitt, bei dem er beim Aussteigen aus seinem Auto ausrutschte und auf die rechte Schulter stürzte. Dem Durchgangsarzt-Bericht des Chirurgen Dr. K vom 1. Mai 1998 zufolge bestanden keine äußeren Verletzungszeichen, keine Fraktur und keine Hautläsion. Er stellte die Diagnose einer Schultereckgelenkssprengung Typ Tossy II rechts, die am 5. Mai 1998 durch PD Dr. L operativ versorgt wurde. Dabei wurde die Diagnose in Tossy III wegen einer deutlichen Stufe, erheblicher Schwellung und Klaviertaste geändert. Nach einer Entfernung des Kürschner-Drahts am 16. Juni 1998 war der Kläger ab 27. Juli 1998 arbeitsfähig. Am 20. Oktober 1998 stellte der Kläger sich erneut bei Dres. L und E vor und berichtete über stärkere Schmerzen in der rechten Schulter seit cirka 3 Wochen, die diese als Beschwerden im Bereich der Rotatorenmanschette bewerteten. Die Röntgenuntersuchung ergab einen regelrechten Abstand zwischen Schlüsselbein und Rabenschnabelfortsatz. Der Gelenkspalt selbst klaffe etwas, es lägen aber eine gute Einstellung des Schlüsselbein-Endes zum Acromion, keine posttraumatischen Verschleißerscheinungen und keine Verkalkungsfiguren im Bereich der Supraspinatussehne vor. Der Kläger wurde auf eigenen Wunsch als arbeitsfähig angesehen.

Am 26. März 2001 stellte der Kläger sich bei dem Durchgangsarzt D vor, der eine besondere Heilbehandlung veranlasste. In einem Zwischenbericht vom 21. Mai 2001 teilte der Durchgangsarzt mit, ein MRT vom 17. Mai 2001 habe eine Reizung im Bereich des Ansatzes der Supraspinatussehne, aber keine Schultergelenksarthrose ergeben. Aufgrund des Verletzungsmusters halte er die Beschwerden für unfallbedingt. Es sei eine Arbeitsunfähigkeit zunächst bis zum 28. Mai 2001 ausgestellt worden.

Nachdem auch der die Beklagte beratende Chirurg Dr. E die Auffassung vertreten hatte, die Wiedererkrankung sei "am ehesten auf den alten Unfall zurückzuführen", gewährte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 6. Juni 2001 einen Vorschuss in Höhe von 1300 DM auf die voraussichtlich zu gewährende Unfallentschädigung. Diese und weitere Vorschusszahlungen würden unter dem Vorbehalt späterer Rückforderung erfolgen, falls sich herausstellen sollte, dass eine Leistungspflicht nicht oder nur in geringerer Höhe gegeben sei (§ 42 Abs. 2 Sozialgesetzbuch –SGB-I).

Der Durchgangsarzt D teilte in einem Zwischenbericht vom 29. Juni 2001 mit, dass die bislang durchgeführte physiotherapeutische Behandlung keine durchgreifende Änderung des Befundes herbeigeführt habe. Er rege deshalb eine Zusammenhangsbegutachtung an. Auch sei die Frage zu klären, welche weiteren Behandlungsmaßnahmen unfallbedingt durchzuführen seien. Die von ihm durchgehend bescheinigte Arbeitsunfähigkeit endete am 13. Juli 2001. Daraufhin suchte der Kläger den Durchgangsarzt und Chirurgen Dr. R auf, der zunächst in einem Zwischenbericht vom 2. August 2001 die von ihm beschriebene Schultersteife rechts als Folge der Operation und des Unfalls vom 30. April 1998 ansah und eine fortbestehende Arbeitsunfähigkeit aus Unfallgründen angab. Zur Klärung der weiteren Vorgehensweise veranlasste er in der Folgezeit eine Vorstellung des Klägers bei Prof. Dr. Br.

Die Beklagte bewilligte dem Kläger - jeweils mit gleich lautendem Hinweis auf den Vorbehalt späterer Rückforderung - weitere Vorschüsse in Höhe von insgesamt 13.800 DM. Sie zog ein Vorerkrankungsverzeichnis der privaten Krankenversicherung des Klägers bei und veranlasste eine chirurgische Stellungnahme von Dr. H vom 1. November 2001 zur Zusammenhangsfrage. Dieser führte unter Bezugnahme auf Rechnungen, die der Kläger zu Behandlungen im März 1999, April 1999 und August 2000 vorlegte, aus, dass das vorliegende Krankheitsbild wegen eines fehlenden kontinuierlichen Übergangs nicht im Zusammenhang mit dem Unfall zu sehen sei. Eine sekundäre unfallbedingte Schultersteife entwickle sich nach Wochen und nicht erst nach Jahren. Typisch für eine unfallfremde Erkrankung sei auch, dass nach einem beschwerdefreien Zeitraum wieder Beschwerden eingetreten seien. Wenn diese Auswertung nicht ausreiche, sollten Befundberichte der Ärzte eingeholt werden, die den Kläger in der Zwischenzeit behandelt hätten, und ein Zusammenhangsgutachten veranlasst werden. Diese Stellungnahme ging am 27. November 2001 bei der Beklagten ein.

Auf Veranlassung von Dr. R wurde ab 3. Januar 2002 im Ukrankenhaus B eine intensive Physio- und Schmerztherapie unter stationären Bedingungen als besondere Heilbehandlung durchgeführt. Die Beklagte hielt sich aufgrund des Heilverfahrens für verpflichtet, weiter vorläufig Verletztengeld zu zahlen, und gewährte dem Kläger mit Schreiben vom 17. Januar 2002 vorläufige Leistungen in Höhe von 25.000 EUR unter Hinweis darauf, dass er diese Leistungen ausdrücklich beantragt habe und mit einer Rückzahlung der vorläufigen Leistungen rechnen müsse, wenn sich herausstellen sollte, dass ein Leistungsanspruch nicht oder in geringerer Höhe bestehe. Diesbezüglich werde nochmals mitgeteilt, dass nach der Stellungnahme von Dr. H ein Zusammenhang zwischen dem Unfall und dem Schulterleiden nicht gegeben sei und das Ergebnis der Untersuchung durch Dr. E noch nicht vorliege.

Nach einem Zwischenbericht des Ulkrankenhauses vom 22. Januar 2002 befand sich der Kläger dort bis zu diesem Tag zur stationären Behandlung zwecks Abklärung des weiteren Heilverlaufes. Die aktive Beweglichkeit der rechten Schulter sei im Gegensatz zur passiven Beweglichkeit weitgehend eingeschränkt. Auf zwei Aufnahmen des rechten Schultergelenkes fänden sich keine Hinweise auf entzündliche oder nennenswerte degenerative Veränderungen am rechten Schultergelenk, insbesondere kein Hinweis auf einen Folgezustand nach Tossy-III-Verletzung im Sinne von Verkalkungen oder ähnlichen Weichteilbefunden. Die vom Kläger demonstrativ vorgetragenen Beschwerden hätten nicht objektiviert werden können. Die seiten-gleich gut ausgebildete Muskelbemantelung spreche ebenfalls gegen eine schmerzbedingte Gebrauchsunfähigkeit der rechten Schulter für sechs Monate. Die Ursache für die nun vorge-tragenen Beschwerden bleibe offen, das Schmerzsyndrom der rechten Schulter sei jedoch un-abhängig von dem Unfall am 30. April 1998 zu sehen. Der Kläger werde ab 23. Januar 2002 arbeitsfähig entlassen.

Die Beklagte benachrichtigte nach Eingang dieses Berichtes am 21. Februar 2002 die behandelnden Ärzte über den Abbruch der Heilbehandlung zu Lasten der Berufsgenossenschaft.

In seinem fachchirurgischen Gutachten vom 13. März 2002 verneinte Dr. E einen Zusammenhang zwischen dem Unfall im Jahr 1998 und den Beschwerden im Jahr 2001. Auffällig im Verlauf sei, dass sich der Kläger sich zwar in den Jahren 1999, 2000 und 2001 in internistischer und orthopädischer Behandlung befunden habe, dort aber entgegen seinen jetzigen Angaben wegen Beschwerden außerhalb des rechten Schultergelenkes, insbesondere im Bereich der Halswirbelsäule, der Brustwirbelsäule, der Lendenwirbelsäule sowie wegen eines Schulter-Arm-Syndroms behandelt worden sei. Auch sei bereits im Januar 1998 eine Behandlung wegen Wirbelsäulenbeschwerden erfolgt. Im Bereich der rechten Schulter ergebe das MRT keine wesentlichen Veränderungen. Angesichts des beschwerdefreien Intervalls zwischen Oktober 1998 und Juli 2001 sei ein Zusammenhang ausgeschlossen, es handele sich um ein eigenständiges Beschwerdebild. Die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage ab Eintritt der Arbeitsfähigkeit am 24. Juli 1998 weniger als 10 v.H.

Durch Bescheid vom 16. April 2002 lehnte die Beklagte Leistungen wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 30. April 1998 über den 20. Oktober 1998 hinaus ab. Dr. E sei in der zusammenfassenden Beurteilung seines Gutachtens zu dem Ergebnis gekommen, dass nur die Behandlungsbedürftigkeit im Jahr 1998 Folge des anerkannten Arbeitsunfalls sei.

Mit seinem Widerspruch hiergegen verwies der Kläger auf eine Stellungnahme des Facharztes für Orthopädie Dr. S vom 9. September 2002, der bei dem am 8. August 2002 durchgeführten MRT ein Engpasssyndrom im Bereich des rechten Schultergelenks festgestellt hatte und die Auffassung vertrat, die Einengung des subacromialen Raumes resultiere aus der damaligen Verletzung des Schultereckgelenks, da sich eine derartige Problematik nicht immer sofort entwickele, sondern langsam entstehe.

Nach Anhörung des Klägers forderte die Beklagte durch Bescheid vom 4. März 2003 die von ihr geleisteten Vorschüsse in Höhe von 32.720,51 EUR zurück. Durch den Bescheid vom 16. April 2002 sei nunmehr festgestellt, dass die Behandlung der Unfallfolgen am 20. Oktober 1998 abgeschlossen gewesen sei. In den Anschreiben zu den Vorschusszahlungen sei der Kläger jeweils ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass es sich um vorläufige Leistungen handele. Dass sich im Nachhinein herausgestellt habe, dass schon dem Grunde nach kein Anspruch auf eine Leistung bestanden habe, ändere hieran nichts. Durch eine Vorschussleistung entstehe keine Bindungswirkung im Hinblick auf die später festzulegende Leistung. Es genüge, wenn nach dem aktuellen Stand der Ermittlungen die Überzeugung bestanden habe, dass ein Leistungsanspruch vorbehaltlich der Höhe bestehe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 4. Juli 2003 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Auf der Grundlage des Gutachtens von Dr. E könne der rechtlich wesentliche Ursachenzusammenhang zwischen dem angeschuldigten Unfallereignis und den geklagten Beschwerden nicht hergeleitet werden. Die objektivierbaren Befunde stünden jedenfalls nicht im Einklang mit den vorgetragenen Beschwerden. Obwohl dem Kläger im Rahmen der Anhörung Gelegenheit gegeben worden sei, sich zum Sachverhalt zu äußern, habe er keine Anhaltspunkte dafür aufgezeigt, dass mit der Rückforderung der zu Unrecht erbrachten Leistungen eine unbillige Härte verbunden sei, die im Zuge der Ausübung pflichtgemäßen Ermessens hätte berücksichtigt werden müssen.

Im anschließenden Klageverfahren hat das Sozialgericht Berlin u.a. einen Befundbericht der den Kläger auch vor dem Unfall behandelnden Orthopädin Dr. T-S vom 1. Dezember 2003 eingeholt, die für die Zeit vor dem 30. April 1998 u.a. die Behandlung eines Supraspinatussehnensyndroms links angegeben hat. Sodann ist der Facharzt für Orthopädie Dr. W-Rmit der Erstattung eines Gutachtens vom 22. November 2004 beauftragt worden. Der Sachverständige hat darauf hingewiesen, dass sämtliche seit 2001 durchgeführten Diagnostiken zwar eine gewisse Instabilität des Schultereckgelenks erbracht hätten, aber keinen Hinweis für hochgradige Sekundärveränderungen oder klinisch erfassbare Reizerscheinungen. Eine räumliche Auswirkung des AC-Gelenkes auf den Subacromialraum habe sich weder kernspintomografisch noch radiologisch ergeben. Die klinische Untersuchung habe eine Diskrepanz zwischen aktiven und passiven Bewegungsumfängen ergeben. Nicht in Einklang mit der seit Jahren bestehenden Funktionslimitierung des rechten Armes zu bringen sei die normale bis kräftige Ausprägung der Gesamtmuskulatur im Oberarmbereich auf der rechten Seite. Die unfallbedingte MdE betrage weniger als 10 v.H.

Hierzu hat der Kläger eine Stellungnahme des Facharztes für Chirurgie Dr. Hvom 7. Juni 2005 eingereicht, der am 5. Mai 2005 eine Arthroskopie des rechten Schultergelenkes des Klägers durchgeführt und eine Teilruptur der Rotatorenmanschette und ein Engpasssyndrom festgestellt hatte. Der intraoperative Befund habe deutlich für eine ältere Verletzung gesprochen. Bei Nichtvorhandensein anderer Traumen bzw. Verletzungen und aufgrund des Alters des Klägers sei von dem Sturz vor 7 Jahren als Ursache auszugehen.

Dr. W- hat in einer Stellungnahme vom 19. Oktober 2005 darauf verwiesen, dass eine Läsion der Rotatorenmanschette zeitnah nachgewiesen werden müsse, um sie auf das Unfallgeschehen zurückführen zu können. Sekundärveränderungen seien nur dann auf den Unfall zurückzuführen, wenn sich die AC-Gelenkveränderungen räumlich einengend auf den Subacromialraum auswirkten. Dies sei hier nicht der Fall.

In einer weiteren Stellungnahme vom 2. Dezember 2005 ist Dr. H bei seiner Auffassung geblieben. Es sei zu berücksichtigen, dass der Oberarm bei Schmerzen reflexartig nach proximal hochgezogen werde, was zu einer chronischen Fehlhaltung führe, die größeren Einfluss auf ein Engpasssyndrom habe.

Durch Urteil vom 21. August 2006 hat das Sozialgericht Berlin den noch streitigen Rückforderungsbescheid vom 4. März 2003 hinsichtlich der Erstattung von Vorschussleistungen auf das Verletztengeld aufgehoben, soweit mehr als 3885,82 EURzurückgefordert würden, und im übrigen die Klage abgewiesen. Zur Überzeugung der Kammer bestehe keine Kausalität zwischen dem Unfall im Jahr 1998 und den neuerlichen Beschwerden des Klägers. Dies habe Dr. W in seinem Gutachten vom 22. November 2004 überzeugend und nachvollziehbar dargestellt. Insbesondere die fehlenden Brückensymptome für den Zeitraum von 1999 bis 2001 ließen die Annahme eines ursächlichen Zusammenhanges nicht zu. Zwar habe der Kläger nunmehr den Nachweis erbracht, dass er sich während dieser Zeit in ärztlicher Behandlung befunden habe. Aus den vorgelegten Unterlagen ergebe sich jedoch, dass er wegen anderer Beschwerden - insbesondere der Wirbelsäule - behandelt worden sei. Den Klagen über Schmerzen und den Bewegungseinschränkungen stünden keine adäquaten objektiven Befunde gegenüber.

Die Klage gegen den Bescheid vom 4. März 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 4. Juli 2003, durch welchen die Beklagte die als Vorschuss auf das Verletztengeld geleisteten Beträge zurückgefordert hatte, habe Erfolg, soweit die Beklagte Leistungen zurückfordere, die nach Kenntnis der fachchirurgischen Stellungnahme von Dr. H erfolgt seien. Dieser sei zu dem Ergebnis gekommen, dass die neuerlichen Beschwerden nicht auf den Unfall im Jahr 1998 zurückzuführen seien. Jedenfalls habe ab diesem Zeitpunkt deutlich mehr gegen eine Leistungspflicht als dafür gesprochen, worauf die Beklagte dann auch in ihrem Schreiben vom 17. Januar 2001 hingewiesen habe. Bei dieser Sachlage hätte die Beklagte weitere Vorschüsse versagen und den Kläger auf das Ergebnis des weiteren Gutachtens verweisen müssen. Bei derart weit fortgeschrittener Sachaufklärung dürfe sich die Beklagte nicht darauf zurückziehen, weiterhin vorläufige Regelungen zu treffen und eine endgültige weiter hinauszuschieben. Denn dies gehe einseitig zu Lasten des Versicherten, dem der Schutz der Regelungen der §§ 45, 48 SGB X vorenthalten werde. Dies lasse sich auch nicht durch den Verweis auf das Interesse des Versicherten an Zahlungen rechtfertigen, da dieser sich in einer Zwangslage befinde. Deshalb sei die Zahlung der Vorschüsse bzw. die Vorwegzahlungen vom 11. Dezember 2001 in Höhe von 7.500,- DM (= 3.834,69 EUR) und diejenige vom 17. Januar 2002 in Höhe von 25.000 EUR rechtswidrig, so dass die Rückforderung dieser Beträge – im Gegensatz zu den vor Eingang des Gutachtens geleisteten Beträge - nicht auf § 42 Abs. 2 Satz 2 SGB I gestützt werden könne. Anderenfalls stünde es dem Leistungsträger frei, die Rechtsfolgen seines Handelns selbst zu bestimmen, wenn er unbegrenzt vorläufige Regelungen treffen könnte. Im Übrigen knüpfe § 42 Abs. 2 Satz 2 SGB I auch an den Vorbehalt der Vorläufigkeit an, so dass die Überprüfung der Rechtmäßigkeit, eine vorläufige Regelung zu treffen, wesentliches Merkmal der Rechtmäßigkeit der Rückforderung selbst sei.

Mit ihrer Berufung gegen dieses Urteil macht die Beklagte geltend, sie habe auch nach Kenntnisnahme der Stellungnahme von Dr. H Leistungen als Vorwegzahlungen erbringen dürfen und sei nicht gehindert, diese zurückzufordern. Die Gewährung einer Vorwegzahlung sei nach höchstrichterlicher Rechtsprechung im Gegensatz zur Vorschusszahlung schon dann möglich, wenn eine abschließende Entscheidung nach dem Stand der Ermittlungen dem Grunde nach noch nicht möglich sei. Dies sei der Fall gewesen, da sie zwecks weiterer Klärung ein Zusammenhangsgutachten in Auftrag gegeben habe. Die Rückabwicklung erfolge entsprechend den für den Vorschuss gültigen Regeln, d.h. entsprechend § 42 Abs. 2 S. 2 SGB I.

Mit seiner Anschlussberufung macht der Kläger geltend, Dr. Wl-R habe nicht beachtet, dass die von ihm geforderten Brückensymptome durch die Behandlungen in den Jahren 1998 und 2001 bei Dr. T erfüllt seien. Zu Recht habe das Sozialgericht den Rückforderungsbescheid aufgehoben, da die Beklagte seit dem Vorliegen der Stellungnahme von Dr. H nicht mehr zu einer vorläufigen Leistung berechtigt gewesen sei.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 21. August 2006 aufzuheben, die Klage abzuweisen und die Anschlussberufung zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 21. August 2006 zu ändern, den Bescheid der Beklagten vom 16. April 2002 sowie den Bescheid vom 4. März 2003 (betreffend Vorschussleistungen) in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 4. Juli 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 2. April 2001 eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von wenigstens 20 v.H. zu gewähren.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie den der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist begründet, soweit sie sich gegen die teilweise Aufhebung des Rückforderungsbescheides hinsichtlich der Vorschusszahlung wendet, im übrigen ist sie unbegründet.

Der Bescheid vom 4. März 2003, mit dem die Beklagte vom Kläger die von ihr geleisteten Vorschüsse in Höhe von 32.720,51 EUR zurückgefordert hat, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Rechtsgrundlage für den Rückforderungsanspruch der Beklagten ist § 42 Abs. 2 S. 2 SGB I. Danach sind die gezahlten Vorschüsse auf Geldleistungen vom Empfänger zu erstatten, soweit sie die zustehende Leistung übersteigen. Die Beklagte hatte die Leistungen als Vorschüsse erbracht. Nach § 42 Abs. 1 S. 1 SGB I kann der zuständige Leistungsträger Vorschüsse zahlen, deren Höhe er nach pflichtgemäßem Ermessen bestimmt, wenn ein Anspruch auf Geldleistungen dem Grunde nach besteht und zur Feststellung ihrer Höhe voraussichtlich längere Zeit erforderlich ist. Dabei muss der Leistungsträger hinreichend deutlich machen, dass er wegen eines seiner Ansicht nach dem Grunde nach bestehenden Anspruchs Zahlungen bewilligt, dass aber noch kein dauerhafter Rechtsgrund für das Behaltendürfen des Gezahlten besteht und die Leistungen wirtschaftlich mit dem Risiko einer möglichen Rückzahlungspflicht behaftet sind. Diese Voraussetzungen sind nach der Rechtsprechung des BSG –wie das Sozialgericht bereits dargelegt hat- auch dann erfüllt, wenn die endgültige Leistungspflicht auch dem Grunde nach nicht feststeht, aber der gesetzliche Zweck der Leistung eine zeitnahe Bewilligung erfordert. Voraussetzung für eine derartige vorläufige Bewilligung ist, dass der Anspruch auf Geldleistung zur Überzeugung des Sozialleistungsträgers nach dem aktuellen Stand der Ermittlungen gegeben ist (vgl. BSG, Urteil vom 26. Juni 2007, B 2 U 5/06 R mit weiteren Nachweisen).

Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts waren die Voraussetzungen für die Gewährung einer Vorwegzahlung auch nach Eingang der gutachtlichen Stellungnahme von Dr. H gegeben. Denn die Beklagte veranlasste nicht nur eine Überprüfung durch ein auch von Dr. H im Zweifelsfall angeregtes Zusammenhangsgutachten, sondern nahm mit ihrem Schreiben vom 17. Januar 2002 eine weitere Zahlung zu einem Zeitpunkt vor, als der Kläger sich in einer von einem Durchgangsarzt veranlassten besonderen Heilbehandlung befand, also ein Arzt, der über umfassende unfallmedizinische Erfahrungen verfügt, einen Kausalzusammenhang für möglich hielt. Der Hinweis der Beklagten in dem Schreiben vom 17. Januar 2002 darauf, dass nach der Stellungnahme von Dr. H ein Zusammenhang zwischen dem Unfall und dem Schulterleiden nicht gegeben sei, ändert an der Tatsache, dass sie ihre Leistungspflicht als gegeben ansah, nichts. Denn sie hatte diese Einschätzung nicht zum Anlass genommen, die berufsgenossenschaftliche Heilbehandlung abzubrechen, sondern hielt gerade ein Zusammenhangsgutachten für erforderlich. Der Zusatz im Schreiben vom 17. Januar 2002 ist danach als Verstärkung der Warnfunktion zu werten, dass eine Rückforderung jedenfalls möglich sei.

Für die Rückabwicklung zuviel gezahlter Vorschüsse kommt es auch nicht darauf an, ob sich nach Gewährung des Vorschusses im Verlauf des fortgeführten Verwaltungsverfahrens herausstellt, dass ein Anspruch auf Geldleistungen schon dem Grunde nach nicht besteht (Vgl. BSG, Urteil vom 26. Juni 2007, B 2 U 5/06 R). Der Rückforderung steht es nicht im Wege, dass sich die bei der Bewilligung des Vorschusses zugrunde gelegte Auffassung des Versicherungsträgers über die Sach- und Rechtslage ganz oder teilweise als unrichtig herausstellt.

Die Anschlussberufung des Klägers ist unbegründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente. Dies hat das Sozialgericht zutreffend ausgeführt. Der Senat folgt insoweit der Begründung des angefochtenen Urteils und nimmt hierauf zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Bezug. Die Einwände des Klägers sind nicht geeignet, zu einem anderen Ergebnis zu führen, da Dr. W-R die einzelnen Diagnosen, die Grundlage der Behandlungen im Zeitraum 1999 bis 2001 waren, ausführlich auf S. 4 seines Gutachtens aufgeführt und in seiner Bewertung berücksichtigt hat.

Die nach § 193 Abs. 1 S.1 SGG zu treffende Kostenentscheidung berücksichtigt, dass die Berufung nur teilweise Erfolg hat.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.
Rechtskraft
Aus
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