S 16 R 4109/05

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Regensburg (FSB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 16 R 4109/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Der Bescheid der Beklagten vom 16.05.2003 wird aufgehoben. II. Die Beklagte trägt die Kosten.

Tatbestand:

Streitgegenstand ist die Erhebung von Säumniszuschlägen in Höhe von 1886,00 Euro durch die Beklagte wegen (behaupteter) verspäteter Nachversicherung der D. durch den Kläger.

Frau D., geb. 26.02.1949, befand sich von 1969 bis 2002 als Fachlehrerin im Bayerischen Schuldienst. Mit Ablauf des 31. August 2002 schied sie auf eigenen Wunsch aus dieser nach § 5 des VI. Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) versicherungsfreien Beschäftigung aus. Die Regierung von Niederbayern bat Frau D. bereits gut einen Monat vor ihrem Ausscheiden aus dem versicherungsfreien Beschäftigungsverhältnis mit Schreiben vom 29.07.2002, einen Erhebungsbogen zur weiteren Beschäftigung ausgefüllt an sie zurückzusenden. In dem Schreiben heißt es: "Sehr geehrte Frau D., nach Ihrem Ausscheiden aus dem Beamtenverhältnis ist der Freistaat Bayern verpflichtet, Sie in der Angestelltenversicherung für die Zeit Ihres Beamtenverhältnisses nachzuversichern. Vor Durchführung der Nachversicherung ist jedoch zu prüfen, ob Aufschubsgründe vorliegen. So ist die Nachversicherung auch dann aufzuschieben, wenn Sie zwar nicht unmittelbsr, aber spätestens zwei Jahre nach Ihrem Ausscheiden in eine andere in der Rentenversicherung freie Beschäftigung übertreten (§ 184 Abs.2 SGB VI). Im Falle der Nachversicherung gehen die Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteile zu Lasten des Freistaates Bayern. Wir bitten Sie, den ausgefüllten Erhebungsbogen innerhalb von vier Wochen zurückzusenden". Frau D. reagierte nicht auf dieses Schreiben. Daraufhin schickte ihr die Regierung von Niederbayern mit Schreiben vom 14. November 2002 den Erhebungsbogen erneut unter Hinweis auf eventuelle Aufschubsgründe sowie der Bitte, den ausgefüllten Bogen bis spätestens 10.12.2002 zurückzusenden. Am 16.12.2002 ging der von Frau D. ausgefüllte Erhebungsbogen bei der Regierung von Niederbayern ein. Frau D. gab darin an, nun als Hausfrau, verbunden mit einer geringfügigen Beschäftigung, tätig zu sein und kreuzte an, dass eine Wiedereinstellung in das Beamtenverhältnis binnen der nächsten zwei Jahre nicht in Aussicht stehe. Die Regierung von Niederbayern erteilte daraufhin mit Schreiben vom 03.01.2003 einen Nachversicherungsauftrag, welcher beim Kläger am 07.01.2003 einging. Nach Beiziehung der Personalakte der Versicherten erteilte der Kläger am 15.01.2003 die Bescheinigung nach § 185 Abs.3 SGB VI. Am 17.01.2003 wurde die Auszahlung der Nachversicherungsbeiträge veranlasst, welche am 22.01.2003 bei der Beklagten eingingen.

Aufgrund dieses Sachverhaltes erließ die Beklagte den angefochtenen Bescheid vom 16.05.2003, mit welchem diese vom Kläger Säumniszuschläge in Höhe von 1886,00 Euro wegen einer behaupteten Säumnis von zwei Monaten verlangt. Sie ist der Auffassung, dass eine Entscheidung über die Nachversicherung bzw. das Vorliegen eines Aufschubstatbestandes innerhalb von drei Monaten nach dem Ausscheiden aus dem Dienstverhältnis getroffen werden sollte. Der Kläger wendete demgegenüber zunächst ein, dass keine Rechtsgrundlage für die Erhebung von Säumniszuschlägen ersichtlich sei. § 24 des IV. Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV), sei nur bei Säumnis während laufender Beitragszahlung einschlägig, nicht jedoch für Nachversicherungsbeiträge, da diese keine laufenden Beiträge darstellen würden. Diese Argumentation gab der Kläger allerdings später aufgrund der zwischenzeitlich ergangenen Entscheidung des Bundessozialgerichts im Urteil vom 12.02.2004 - Az. B 13 RJ 28/03 R - auf. Unter Berufung auf dieses Urteil des Bundessozialgerichts macht der Kläger nun unverschuldete Säumnis in entsprechender Anwendung des § 24 Abs.2 SGB IV geltend.

Die Beklagte wendete demgegenüber ein, dass die Vorschrift ihrem Wortlaut nach eine vorherige, bescheidmäßige Beitragsforderung zur Voraussetzung habe. Auch sei die Unkenntnis des Klägers von der Zahlungspflicht nicht unverschuldet. Der Versicherten sei in dem Schreiben vom 29.07.2002 eine Äußerungsfrist von vier Wochen gesetzt worden. Nachdem sich Frau D. nicht meldete, sei sie erst mit Schreiben vom 14.11.2002 gemahnt worden, den Erhebungsbogen zu beantworten.

Die Klägerseite macht desweiteren geltend, die Beklagte habe die Erhebung von Säumniszuschlägen verwirkt, da sie nach der Rechtsänderung zum 01.01.1995, welche ihr die Möglichkeit der Erhebung von Säumniszuschlägen eröffnete, jahrelang dieselben nicht erhob. Erst im Zusammenhang mit einem Schreiben der Beklagten vom 28. März 2003, welches sie an alle Nachversicherungsstellen richtete, sei mitgeteilt worden, dass die Beklagte künftig in allen Fällen der verspäteten Zahlung von Nachversicherungsbeiträgen Säumniszuschläge erheben wird. Die Nachversicherungsstellen hätten aufgrund des bis dahin geübten Verhaltens der Beklagten nicht mit einer rückwirkenden Erhebung von Säumniszuschlägen rechnen können, so dass eine schützenswerte Vertrauensposition entstanden sei.

Desweiteren sei es in Nachversicherungsfällen in der Praxis vielfach nicht möglich, binnen drei Monaten abschließend festzustellen, ob Nachversicherungsbeiträge fällig werden oder ein Aufschubstatbestand vorliegt. In vielen Fällen - wie auch hier im Fall D. - treffe die Beschäftigungsbehörde (personalverwaltende Stelle) je nach Zuständigkeitsregelung die Entscheidung, ob ein Aufschubstatbestand vorliege bzw. eine Nachversicherung zu veranlassen sei.

Für die Bejahung eines Aufschubsgrundes nach § 84 Abs.2 Satz 1 Nr.2 SGB VI komme es darauf an, ob im Zeitpunkt des Ausscheidens aus der versicherungsfreien Beschäftigung eine hinreichend sichere, auf objektiven Merkmalen beruhende Erwartung bestehe, dass der Beschäftigte innerhalb der Frist von zwei Jahren eine erneute, entsprechende Beschäftigung aufnimmt. Wenn, wie im streitgegenständlichen Fall, die Beschäftigte für eine nicht allzulange Zeit nicht mitwirke und deshalb die Nachversicherung nicht unangemessen lang verzögert wird, müsse dies in gewissem Maße hingenommen werden, denn: Mit welcher hinreichenden Wahrscheinlichkeit und mit welchen objektiven Merkmalen und darauf beruhenden Erwartungen solle denn der Dienstherr die Nachversicherungsentscheidung treffen, wenn vom Beschäftigten gar keine Antwort vorliegt und dies noch nicht unangemessen lang verzögert ist.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 16.05.2003 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhaltes auf die vorgelegte Akte der Beklagten sowie die gerichtliche Streitakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig. Ein dem gerichtlichen Verfahren vorgeschaltetes Vorverfahren war gem. § 78 Abs.1 Satz 2 Nr.3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entbehrlich, da ein Land, nämlich der Freistaat Bayern, Klagepartei ist.

Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid vom 16.05.2003 ist rechtswidrig und war aufzuheben. Der Kläger kann sich in entsprechender Anwendung von § 24 Abs.2 SGB IV auf unverschuldete Unkenntnis von der Pflicht zur Nachentrichtung der Beiträge für Christa D. berufen. Der entsprechenden Anwendung des

§ 24 Abs.2 Satz 1 SGB IV steht nach den Ausführungen des BSG im bereits genannten Urteil vom 12.02.2004 nicht entgegen, dass abweichend vom Wortlaut der Vorschrift die Beitragsforderung für die Vergangenheit nicht "durch Bescheid festgestellt" wird, sondern vom Beitragsschuldner selbst ermittelt und durch die Zahlung dokumentiert wird (s. genanntes Urteil, Zitat nach JURIS Rd.Nr.33).

Der Beklagte bzw. die zuständigerweise handelnde Personalstelle (hier die Regierung von Niederbayern) hatte bereits etliche Wochen vor Beendigung des versicherungsfreien Beschäftigungsverhältnisses die Versicherte angeschrieben mit der Bitte, den Erhebungsbogen auszufüllen. Die leichte Verzögerung der Auszahlung der Nachversicherungsbeiträge um 1 1/2 Monate über den für unkomplizierte Fälle allgemein anerkannten Toleranzspielraum von drei Monaten ist durch die zögerliche Beantwortung des Erhebungsbogens seitens der Frau D. verursacht worden. Zwar hätte die Anmahnung durch die Personalstelle, die Regierung von Niederbayern, wohl schon einige Wochen früher erfolgen können, jedoch kann dieser Umstand noch keine verschuldete Unkenntnis des Klägers vom Erfordernis der Nachversicherung begründen. Unzweifelhaft stand erst mit dem Eingang des ausgefüllten Nachversicherungsbogens bei der Personalstelle der Regierung von Niederbayern am 16.12.2002 fest, dass Aufschubsgründe im Fall der Frau D. nicht vorlagen. Die Klägerseite handelte nach Eingang dieses Schreibens sehr zügig. Trotz Haupturlaubszeit erteilte die Regierung von Niederbayern bereits am 03.01.2003 den Nachversicherungsauftrag, der nach unmittelbar anschließender Beiziehung der Personalakten schon am 17.01.2003 zur Veranlassung der Beitragsauszahlung führte.

Der vorliegende Fall ist insofern auch anders gelagert, als der kürzlich vom Sozialgericht München mit Urteil vom 28.06.2007 entschiedene (Az. S 17 R 5469/04, veröffentlicht bei JURIS, derzeit in Sprungrevision beim BSG anhängig unter dem Az. B 12 R 7/07 R). Im dortigen Fall handelte es sich um eine "ungewöhnlich zügige Entlassung mitten im Kalendermonat" (s. soeben genanntes Urteil des Sozialgerichts München, JURIS - Rd.Nr.27) aus einem langjährigen Beamtenverhältnis als Justizvollzugsbeamter im mittleren Dienst. Aufschubsgründe kamen dort eindeutig nicht in Frage (s. ebenda, JURIS - Rd.Nr.21).

Im hier streitgegenständlichen Fall des Ausscheidens einer Fachlehrerin zum Schuljahresende steht das Eingreifen von Aufschubsgründen durchaus im Raum, so dass die Beantwortung des Erhebungsbogens geeignet und notwendig war, um den Eintritt der Nachversicherungspflicht feststellen zu können. Auch das Bundessozialgericht hat in seinem richtungsweisenden Urteil vom 12.02.2004 - Az. B 13 RJ 28/03 R (vorgehend: LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 13.05.2003 - L 9 RJ 2117/02 sowie SG Stuttgart, Urteil vom 29.04.2002 - S 3 RJ 4835/00, sämtlich veröffentlicht bei JURIS) festgestellt, dass eine entsprechende Anwendung von § 24 Abs.2 Satz 1 SGB IV zum Zuge kommt, wenn zweifelhaft war, ob Versicherungspflicht besteht bzw. nicht besteht oder wenn die Unkenntnis durch unzutreffende Informationen oder Angaben Dritter verursacht ist. Eine solche Situation kann laut BSG auch bei der Nachversicherung gem. §§ 181 ff. SGB VI entstehen, weil zwar objektiv der Nachversicherungsfall und die Fälligkeit der Beiträge bereits mit dem unversorgten Ausscheiden eintreten, der Versorgungsträger aber subjektiv unter Umständen noch nicht feststellen kann, ob etwaige Aufschubsgründe gem.§ 184 Abs.2 SGB VI vorliegen. So liegt der Fall hier.

Auf die Frage der Verwirkung bzw. Rechtsmissbräuchlichkeit der Geltendmachung von Säumniszuschlägen in Nachversicherungsfällen aufgrund der von der Beklagtenseite langjährig geübten Praxis sowie im Hinblick auf das Schreiben an alle Nachversicherungsstellen vom 28.03.2003 kommt es im vorliegenden Rechtsstreit nicht an (Anm.: Zu dieser Frage sei allerdings auf das Musterverfahren vor dem Sozialgericht Dresden verwiesen, welches mit - soweit ersichtlich, bislang noch nicht veröffentlichtem - Urteil vom 31.01.2007 - S 14 RA 1177/03 in erster Instanz beendet wurde und derzeit im Berufungsverfahren beim Sächsischen Landessozialgericht unter dem Az. L 7 R 259/07 anhängig ist).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Rechtskraft
Aus
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