L 15 U 28/07

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 16 U 63/04
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 15 U 28/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 3/08 R
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
neues Az. L 15 U 193/09 ZVW
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Düsseldorf vom 02. Februar 2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung einer höheren Verletztenrente wegen Zugrundelegung eines höheren Jahresarbeitsverdienstes (JAV, nämlich dem eines abhängig Beschäftigten), einer höheren medizinischen Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) und Berücksichtigung eines besonderen beruflichen Betroffenseins.

Der am 00.00.1965 geborene Kläger hat sich als selbständiger landwirtschaftlicher Unternehmer (Art 754: Berufsrennreiter) für die Zeit ab März 1993 freiwillig bei der Beklagten versichert. Am 16.08.2000 erlitt er bei einem Pferderennen einen Arbeitsunfall und zog sich eine Halswirbelkörper 4/5-Luxationsfraktur mit inkomplettem rechtsbetonten cervikalen Querschnittssyndrom zu. Die Beklagte holte Gutachten ein von dem Neurologen und Psychiater Dr. C aus E vom 01.05.2001 sowie 17.07.2003 und von Chefarzt Privatdozent Dr. L, Ärztlichem Direktor der Berufsgenossenschaftlichen Unfallkliniken E1-C1, vom 04.05.2001 sowie 23.07.2003. Nach ambulanten Untersuchungen am 01.05.2001 und 17.03.2003 diagnostizierte Dr. C eine Teilquerschnittslähmung in Höhe der Halswirbelsäule mit schwerpunktmäßiger Lähmung des rechten Armes; der Arm sei in seiner Gebrauchsfähigkeit hochgradig beeinträchtigt, das linke Bein erheblich behindert, vom Ausmaß her allerdings weniger als der rechte Arm; des weiteren beständen Sensibilitätsstörungen und ein imperativer Harndrang. Die unfallbedingte MdE schätzte Dr. C mit 70 v.H. ein. Chirurgischerseits beschrieb Dr. L nach ambulanten Untersuchungen am 04.05.2001 und 17.07.2003 eine Verblockung des 4. und 5. Halswirbelkörpers, reizfreie Narbenbildung an der linken Halsvorderseite und eine Bewegungseinschränkung der Halswirbelsäule, bewertete die dadurch bedingte MdE mit 20 v.H. und schätzte die unfallbedingte Gesamt-MdE mit 70 v.H. ein.

Außerdem zog die Beklagte Auskünfte von dem Rechtsanwalt S aus G vom 06.12.2001 und 02.01.2002 bei, der als ständiger Berater des deutschen Trainer- und Jockey-Verbandes erklärte, dass ihm trotz intimer Kenntnisse der Gepflogenheiten innerhalb des Rennsports derzeit nahezu kein Jockey bekannt sei, der in einem Angestelltenverhältnis zu einem Trainer oder Besitzer stehe; auch der Kläger habe sich selbst korrekt als Selbständiger eingeschätzt und frei über seine Ritte, seine Zeit sowie Ort und Dauer seiner Tätigkeit entscheiden können; selbstverständlich habe auch kein schriftlicher Arbeitsvertrag mit ihm bestanden.

Nach Zahlung von Verletztengeld bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 19.02.2002 ab 01.10.2001 vorläufige Rente und mit Bescheid vom 04.08.2003 und Widerspruchsbescheid vom 02.03.2004 endgültige Rente nach einer MdE um 70 v.H.; die Erhöhung wegen besonderen beruflichen Betroffenseins lehnte sie ab, und der JAV wurde auf der Basis einer selbstständigen Tätigkeit als landwirtschaftlicher Unternehmer berechnet; als Unfallfolgen wurden anerkannt: Endgradige Bewegungseinschränkung der Halswirbelsäule, Narbe an der linken Halsvorderseite, muskuläre Tonuserhöhung der rechten Hand und des rechten Armes mit motorischen Einbußen und Kraftminderung, Tonuserhöhung des rechten Beines mit eingeschränkter Kraftentfaltung der Fußhebung und -senkung nach Halswirbelkörper 4/5-Verrenkungsbruch bei noch liegendem Metall; hochgradig eingeschränkte Gebrauchsfähigkeit des rechten Armes und der rechten Hand, Empfindungsstörungen des linken unteren Körperviertels, bei Teilquerschnittslähmung in Höhe der Halswirbelsäule mit schwerpunktmäßiger Lähmung des rechten Armes sowie starkem unwiderstehlichen Harndrang.

Die am 24.03.2004 erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) nach Beiziehung einer ergänzenden Stellungnahme von Dr. C vom 03.10.2005 mit Erläuterung der angenommenen MdE-Grade mit Gerichtsbescheid vom 02.02.2006 abgewiesen; auf dessen Gründe wird verwiesen.

Gegen den ihm am 20.02.2006 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger fristgerecht Berufung eingelegt; auf seine Berufungsbegründung vom 27.02.2006 wird gemäß § 136 Abs. 2 Satz 1 SGG verwiesen.

Der Kläger beantragt, den Gerichtsbescheid des SG Düsseldorf vom 02.02.2006 zu ändern und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 19.02.2002 und des Bescheides vom 04.08.2003 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 02.03.2004 zu verurteilen, ihm eine höhere Verletztenrente zu gewähren unter Berücksichtigung der Tatsachen, a) dass er nicht selbstständig tätig war, b) dass ein besonderes berufliches Betroffensein zu berücksichtigen ist und c) die medizinische MdE höher als 70 v.H. ist.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter und ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Die Verwaltungsakten der Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. Auf den Inhalt dieser Akten und den der Streitakten wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Über die Berufung konnte im Einverständnis mit beiden Beteiligten durch den Berichterstatter (§ 155 Absätze 3 und 4 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) und ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 SGG) entschieden werden.

Die Berufung des Klägers ist zulässig, aber nicht begründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das SG die Klage abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind nicht rechtswidrig. Der Kläger hat aus keinem der geltend gemachten Gründe Anspruch auf Gewährung einer höheren Rente.

1. Die medizinische MdE hat die Beklagte mit 70 v.H. zutreffend eingeschätzt. Diese Einschätzung beruht auf den sorgfältigen und nach jeweils zwei ambulanten Untersuchungen erstatteten Gutachten der auch forensisch erfahrenen Sachverständigen Dr. C und Dr. L, die insbesondere mit den in der gesetzlichen Unfallversicherung zugrunde zu legenden Maßstäben besonders vertraut sind. Begründete Einwendungen gegen die Vollständigkeit der unfallbedingten Diagnosen und der MdE-Einschätzungen anhand der gängigen Tabellen, etwa durch Vorlage von ärztlichen Stellungnahmen, hat der Kläger nicht erhoben. Auf einen Antrag nach § 109 SGG auf Anhörung anderer Ärzte hat er nach schriftlichem Hinweis des SG ausdrücklich verzichtet (Schriftsatz vom 23.05.2005). I.ü. wird insoweit gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die Ausführungen im angefochtenen Gerichtsbescheid verwiesen.

2. Eine Erhöhung dieses MdE-Grades wegen besonderen beruflichen Betroffenseins ist nicht möglich. Wie die Beklagte zutreffend darlegt, sind bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen von § 56 Abs. 2 Satz 3 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII) vorliegen, in der gesetzlichen Unfallversicherung - anders als etwa im Recht der Sozialen Entschädigung - strenge Maßstäbe anzulegen, um eine Aufweichung der die Versicherten überwiegend begünstigenden abstrakten Schadensberechnung zu vermeiden. Selbst der Umstand, dass der Versicherte seinen erlernten Beruf nicht mehr ausüben kann, stellt noch keinen hinreichenden Grund für eine Erhöhung der Rente dar (s. noch jüngst Urteil des Bundessozialgerichts -BSG- vom 05.09.2006, B 2 U 25/05 R). Die erforderlichen Nachteile liegen allein dann vor, wenn sich die Folgen des Versicherungsfalls so auswirken, dass eine gezielte Fähigkeit, die zum Lebensberuf geworden ist, nicht mehr ausgeübt werden kann und das Nichtberücksichtigen von Ausbildung und Beruf des Versicherten bei der Bewertung der MdE zu einer unbilligen Härte führt (s. etwa Bereiter-Hahn/Mertens, Gesetzliche Unfallversicherung, Handkomm., § 56 Rn. 12-12.3 mit weit. Nachw. aus der Rspr. des BSG). Kriterien für die MdE-Erhöhung nach § 56 Abs. 2 Satz 3 SGB VII sind danach etwa ein hohes Lebensalter der versicherten Person, die Dauer der Ausbildung, die Eigenart des Berufes und die durch diesen erworbene Spezialkenntnisse, die Dauer der Ausübung der speziellen beruflichen Tätigkeit und eine damit bedingte Entfremdung gegenüber anderen an sich zumutbaren Erwerbstätigkeiten bei erheblichen beruflichen Umstellungsschwierigkeiten für sonstige Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.

Insoweit spricht weder das Alter des Klägers im Unfallzeitpunkt (35 Jahre) noch im Zeitpunkt der angefochtenen Verwaltungsentscheidung (38 Jahre) für eine unbillige Härte. Für die Dauer der spezifischen Ausbildung zum Berufsrennreiter ist zu Recht von der Beklagten auf den Ausgangsberuf des Pferdewirtes mit dreijähriger regulärer Ausbildungszeit in der Bundesrepublik Deutschland abgestellt worden. Die zusätzliche Zeitspanne zum Erzielen einer Mindestanzahl von Pflichtsiegen - 50 im Bundesgebiet bzw. ca. 70 in Großbritannien -, bevor aus einem Amateurreiter ein Berufsjockey nach den im Rennsport üblichen Maßstäben wird, stellt keine im Sinne eines beruflichen Betroffenseins außergewöhnlich langwierige und aufwendige berufsspezifische Qualifikationsphase dar.

Zwar kann der Kläger angesichts der Eigenarten des Berufsrennsportes erkennbar nicht mehr als gewerbsmäßiger Jockey tätig werden. Allerdings ist, wie seine eigenen Neuorientierungsbemühungen gerade in Schweden seit Frühjahr 2001 zeigen, deshalb noch nicht auch der allgemeine Arbeitsmarkt für ihn verschlossen. Tätigkeiten wie die eines Büroangestellten beim schwedischen Jockeyverband oder anderweitige - mit überwiegend sitzender Körperhaltung zu verrichtende - Büro- und Verwaltungstätigkeiten können auch mit den als Unfallfolgen anerkannten Gesundheitsschäden erkennbar weiterhin erbracht werden; ein unzumutbarer sozialer Abstieg ist darin schließlich auch nicht zu ersehen, insbesondere nicht angesichts der Tatsache, dass der Beruf eines Profirennreiters, also eines Hochleistungssportes, ohnehin nicht über viele weitere Jahre hätte ausgeübt werden können. Bei der gebotenen Gesamtwürdigung im Einzelfall ist auch in dieser spezifischen Konstellation keine unbillige Härte zu ersehen und die Anerkennung besonderer beruflicher Betroffenheit zu Recht verneint worden.

3. Zu Recht hat die Beklagte auch für die festgesetzte Unfallrente den JAV nach den besonderen Berechnungsregeln des § 93 SGB VII bestimmt (insoweit rechnerisch vom Kläger nicht angegriffen). Diese Vorschrift bestimmt als Sonderregelung für Versicherte der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften einen gesetzlich fixierten JAV mit Anpassungsklauseln entsprechend den Steigerungen in der gesetzlichen Rentenversicherung, § 93 Abs. 1 Satz 2 iVm § 95 Abs. 1 SGB VII. Diese Festbetragsregelung bewirkt in Äquivalenz mit dem relativ geringen Beitrag eine Grundsicherung und trägt den Besonderheiten selbstständiger landwirtschaftlicher Unternehmer Rechnung.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Berechnung des JAV nach dem Gesamtbetrag seiner Arbeitsentgelte im Sinne von § 82 SGB VII, denn er hat sich zu Recht als selbstständiger landwirtschaftlicher Unternehmer bei der Beklagten angemeldet und ist entsprechend der damit korrespondierenden Beitragsleistung veranlagt worden. Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 10.03.1994, 2 RU 20/93, SozR 3-2200 § 539 Nr 28) sind nämlich Jockeys bereits im Amateurbereich durchweg nicht als Arbeitnehmer oder arbeitnehmerähnlich einzustufen. Mit dieser Rechtsprechung korrespondiert die Auskunft des Rechtsanwaltes S im Verwaltungsverfahren, wonach der Kläger wie nahezu alle Berufsjockeys in Deutschland selbständig war. Insbesondere hat der Kläger auch selbst am 27.09.2000 gegenüber dem Berufsberater der Beklagten erklärt, dass er sich als Selbständiger ansieht.

Soweit er - durch seine Bevollmächtigten - seit August 2001 vorträgt, zum Zeitpunkt des Unfalles abhängig oder arbeitnehmerähnlich beschäftigt gewesen zu sein, so vermögen seine Argumente nicht zu überzeugen. Im Sozialrecht sind die tatsächlichen Verhältnisse entscheidend. Dabei kommt es insbesondere auf eine persönliche Abhängigkeit von einem Arbeitgeber ab, dessen Direktionsrecht der Beschäftigte unterliegen muß. Entscheidend ist nach den Gesamtumständen namentlich eine wirtschaftliche und durch Weisungsgebundenheit geprägte persönliche Abhängigkeit des Versicherten von einem Arbeitgeber.

Der Kläger ist schon nicht für einen Auftraggeber, sondern für eine erhebliche Zahl von Trainern und Rennstallinhabern auch im Kalenderjahr 2000 tätig gewesen, dabei nur zu gut einem Drittel im ersten und zweiten "Ruf". Er erhielt eine feste Vergütung mit für Selbstständige typischer Umsatzsteuerpflicht und während seines Urlaubs kein Geld. Er war verpflichtet, sich selbst zu versichern, was er als Unternehmer bei der Beklagten getan hat. Dem stehen nicht ev. Absprachen entgegen, wie er u.U. ein Pferd dann zu reiten hatte, wenn sein Auftraggeber in einem Rennen ein weiteres Pferd am Start hatte; denn eine solche Handhabung ist üblich im Rennsport. Insgesamt war der Kläger auch im Zeitpunkt des Unfalles eindeutig unternehmerisch tätig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG. Anlass, die Revision zuzulassen, bestand nicht. Insbesondere liegen nicht die Voraussetzungen von § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG vor.
Rechtskraft
Aus
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