L 3 U 188/07

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 69 U 150/06
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 U 188/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. April 2007 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der 1939 geborene und in Serbien lebende Kläger, der nach seinen Angaben dort eine Invalidenrente der ersten Kategorie und auch eine deutsche Altersrente bezieht, beantragte am 25. November 2004 "die Auszahlung der geldlichen Erstattung für die Körperbeschädigung am Arbeitsplatz ohne sein Verschulden". Der Kläger führte aus, am 22. Juli 1970 einen Arbeitsunfall erlitten zu haben, als er für die Firma W & M auf einer Baustelle beim S Flughafen gearbeitet habe. An diesem Tag habe er unter dem Fenster mit anderen Arbeitnehmern gemauert, als sich ein Drahtseil, das an den Enden von zwei Holzbalken befestigt gewesen sei, gelöst und ein Gabelstaplerfahrer ihn aufgefordert habe, das Seil wieder zu befestigen. Als er dies getan habe, sei sein Kopf zwischen den Betonblock und dem Holzbalken eingequetscht worden. Wenn seine Kollegen, zwei Türken, ihm nicht geholfen hätten, hätte der Balken seinen Kopf zerquetscht. Da sich unmittelbar danach sowohl sein rechtes als auch sein linkes Auge verschlechtert habe, habe er am nächsten Tag einen Arzt aufgesucht, der ihn krankgeschrieben habe. Kurz danach sei er nach Jugoslawien zurückgekehrt und habe danach nie wieder in Deutschland gearbeitet. Seit diesem Augenblick sei er nicht mehr arbeitsfähig gewesen, wegen der starken Schmerzen am rechten Auge und im ganzen Kopf. Er könne auf dem rechten Auge nicht mehr sehen. Dem Antrag beigefügt war eine Bescheinigung der Augenärztin K vom Medizinischen Zentrum A R/Dienst für den Schutz des Sehorgans vom 06. August 2004, wonach der Kläger auf dem rechten Auge völlig erblindet sei und auf dem linken Auge einen Visus von 0,6 bis 0,7 habe. Diagnostiziert wurde am rechten Auge ein nach einer Verletzung der Augenlinse entstandener Star und am linken Auge ein Sehnervenschwund sowie eine altersbedingte Degeneration des gelben Flecks. Ermittlungen der Beklagten bei der Landesversicherungsanstalt Niederbayern-Oberpfalz (jetzt: Deutsche Rentenversicherung Bayern Süd), der AOK Stuttgart und der IKK Stuttgart sowie bei der Firma W & M blieben erfolglos. Unterlagen über den angegebenen Arbeitsunfall konnten nicht ermittelt werden. Allerdings konnte in einer Aufstellung über Unfälle der Firma W & M der Name des Klägers mit Geburtsdatum und einem Unfalltag am 22. Juli 1970 sowie als
Verletzungsart 01 (Kopf) festgestellt werden. In einer beratungsärztlichen Stellungnahme vom 19. April 2005 führte der Augenarzt Dr. J aus, es habe offenbar keine behandlungsbedürftige offene Wunde oder ein Knochenbruch vorgelegen. Der Kläger sei auch nicht bewusstlos gewesen. Er sei am nächsten Tag auf Rat seines Vorgesetzten zum Arzt gegangen, der ihn arbeitsunfähig geschrieben, nicht jedoch zu einem Augenarzt, Neurologen oder Radiologen überwiesen habe. Da keine direkte Verletzung des rechten Auges vorgelegen habe, könne der jetzt festgestellte Cataract nicht Folge dieser Verletzung sein. Mangels Schädel-Hirn-Verletzung sei eine Sehnervenschädigung durch diesen Unfall extrem unwahrscheinlich. Die altersbedingte Maculadegeneration und Sehnervenatrophie des linken Auges sei keine Folge des Unfalles. Die leichte konzentrische Gesichtsfeldeinengung sei außerdem nicht typisch für eine Sehnervenatrophie oder andere mögliche Verletzungsfolgen. Ein Zusammenhang zwischen dem Unfall vom 22. Juli 1970 und den vorliegenden Befunden sei deshalb nicht feststellbar. Auf Anraten des Beratungsarztes ermittelte die Beklagte jedoch weiter. Sie zog einen Bericht der Neuropsychiatrischen Spezialklinik Dr. S. B vom 20. Juni 2005 sowie Entlassungsscheine der Neuropsychiatrischen Klinik V vom 22. November 1979, 12. November 1980, 17. Dezember 1978, 08. Juli 1977, 18. April 1978 und 09. Juni 1977 sowie augenärztliche Berichte vom 31. Oktober 1976, 05. Juli 1994 und 06. August 2004 bei. Dann lehnte sei Beklagte mit Bescheid vom 06. September 2005 die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung aus Anlass des Unfalls vom 22. Juli 1970 ab. Es sei zwar dem vorliegenden Verzeichnis zu entnehmen, dass der Unfall vom 22. Juli 1970 gemeldet worden sei und die Verschlüsslung der Verletzungsart weise auf Körperschäden am Kopf hin. Weitere Unterlagen lägen jedoch nicht vor. Den übersandten Unterlagen sei zu entnehmen, dass der Kläger bereits im Jahr 1976 wegen Beschwerden am rechten Auge ärztlich behandelt worden sei. Eine unfallbedingte Verursachung dieser Beschwerden sei allerdings erstmals in dem Bericht vom 06. August 2004, also 34 Jahre nach dem vom Kläger angegebenen Unfall und 28 Jahre nach den ersten augenärztlichen Erwähnung der Augenbeschwerden rechts diskutiert worden. Da keine weiteren Unterlagen vorlägen, könnten Zweifel am Vorliegenden einer versicherten Tätigkeit bzw. einer im Rahmen dieser versicherten Tätigkeit erlittenen schwereren Kopf- oder Augenverletzung nicht ausgeräumt werden. Die Eintragung im Verzeichnis der Beklagten über den gemeldeten Unfall am 22. Juli 1970 und die Verletzungsart "Kopf" besage nichts über die genaue Art und die Schwere der Verletzung. Bei dieser Sachlage liege ein Fall der Beweislosigkeit vor, der nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast zu Lasten des Klägers gehe. Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein, den die Beklagte mit Wi-derspruchsbescheid vom 16. Dezember 2005 zurückwies.

Mit der dagegen bei dem Sozialgericht Berlin erhobenen Klage, hat der Kläger sein Ziel, die Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen des am 22. Juli 1970 erlittenen Arbeitsunfalls zu erhalten, weiterverfolgt. Er hat zur Begründung sein bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft. Im Weiteren hat er sich auf einen Bericht von Dr. Z vom Neuropsychiatrischen Krankenhaus Dr. S B vom 22. Dezember 2006 und auf einen psychologischen Befund vom 18. Dezember 2006 bezogen.

Durch Urteil vom 27. April 2007 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Anerkennung von Gesundheitsschäden aufgrund des Arbeitsunfalls am 22. Juli 1970 scheitere bereits daran, dass unbekannt sei, welche konkreten Verletzungen sich der Kläger zugezogen habe. Nach der allein noch vorhandenen Verschlüsselung liege eine
Kopfverletzung nahe. Zu Recht führe die Beklagte aber aus, dass es sich hierbei nicht um eine gravierende Gesundheitsstörung gehandelt haben könne, da der Kläger nun erstmals 30 Jahre nach dem Unfall Ansprüche hieraus ableiten wolle. Darüber hinaus könnten Gesundheitsfolgeschäden, die auf einen unfallbedingten Gesundheitserstschadens zurückgeführt werden sollten, nur dann anerkannt werden, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststehe, dass der Gesundheitserstschaden wesentliche Teilursache der vorliegenden weiteren Gesundheitsstörung sei. Auch dies könne vorliegend naturgemäß nicht festgestellt werden, da nicht bekannt sei, welcher konkrete Gesundheitsschaden bei dem behaupteten Ereignis vom 22. Juli 1970 eingetreten sei. Sei dies aber unbekannt, könne auch keine tragfähigen Feststellung zu einem Ursachenzusammenhang mit den nun bestehenden Gesundheitsstörungen getroffen werden. Auch wenn insoweit nicht der Vollbeweis erforderlich sei, sondern eine hinreichende Wahrscheinlichkeit ausreiche, helfe auch diese Beweiserleichterung im vorliegenden Fall nicht, da ohne genaue Kenntnis des Gesundheitserstschadens Folgeschäden auch mit hinreichender Wahr-scheinlichkeit nicht festgestellt werden könnten.

Gegen das am 11. Mai 2007 zur Post gegebene Urteil richtet sich die am 24. Juli 2007 eingelegte Berufung des Klägers. Der Kläger, der die bereits bekannten Unterlagen erneut vorlegt und sich im Weiteren auf ein Schreiben der LVA Niederbayern-Oberpfalz vom 18. August 2004 bezieht, macht geltend, er befinde sich auch zurzeit im Neuropsychiatrischen Krankenhaus, wo er wegen der Folgen des Arbeitsunfalls behandelt werde. Seit dem 08. November 1978 bis jetzt sei er insgesamt 39mal in Behandlung gewesen. Außerdem legt der Kläger ein Schreiben vom 19. September 1989 vor, in dem Amtsinspektor S einer unbenannten Behörde gegenüber dem Kläger klarstellte, dass dieser keine Ersatzansprüche nach § 1542 Reichsversicherungsordnung (RVO) habe. Da es sich um einen Arbeitsunfall oder grobe Fahrlässigkeit gehandelt habe, werde das Regressverfahren eingestellt.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. April 2007 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 06. September 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Dezember 2005 zu verurteilen, das Ereignis vom 22. Juli 1970 als Arbeitsunfall zu entschädigen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.

Der Senat hat die Beteiligten mit gerichtlichen Schreiben vom 06. November 2007, 07. Januar und 11. Februar 2008 zu der beabsichtigen Entscheidung durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) angehört.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten sowie auf die Regressakte der Deut-sche Rentenversicherung Bayern Süd verwiesen.

II.

Der Senat konnte nach Anhörung der Beteiligten die Berufung durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 SGG zurückweisen, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig aber unbegründet. Ihm stehen keine Entschädigungsleistungen wegen der Fol-gen des von ihm als Arbeitsunfall geltend gemachten Ereignisses vom 22. Juli 1970 zu.

Nach § 56 Absatz 1 Satz 1 SGB VII haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Dabei richtet sich die MdE nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 S. 1 SGB VII).

Gemäß § 7 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) sind Versicherungsfälle Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder begründenden Tätigkeit (§ 8 Absatz 1 Satz 1 SGB VII). Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls ist damit in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeiten zuzurechnen ist, dass die Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt und Letzteres einen Gesundheits-erst-schaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität). Das Entstehen von länger an-dauernden Unfallfolgen auf Grund des Gesundheits-erst-schadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist dagegen nicht Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls (so BSG, Ur-teil vom 12. April 2005, Aktenzeichen B 2 U 27/04 R). Die versicherte Tätigkeit, der Unfall und die Gesundheitsschädigung müssen im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung für die Entschädigungspflicht, der nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen ist, grundsätzlich die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit - nicht allerdings die bloße Möglichkeit - ausreicht (BSG SozR 3-2200 § 551 RVO Nr. 16 m. w. N.). Ein Zusammenhang ist wahrscheinlich, wenn bei Abwägung der für den Zusammenhang sprechenden Faktoren diese so stark überwiegen, dass darauf die Überzeugung des Gerichts gegründet werden kann.

Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben ist bereits die von dem Kläger geltend gemachte Kopfverletzung nicht nachgewiesen. Zwar liegt ein Verzeichnis vor, in dem ein Unfall des Klägers am 22. Juli 1970 mit einer Kopfverletzung angegeben ist. Dies allein ist aber nicht ausreichend für die Gewährung von Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallver-sicherung. Entscheidend ist vielmehr, dass es überhaupt keine Unterlagen über die unmittelbar durch das Ereignis vom 22. Juli 1970 verursachten Gesundheitserstschäden gibt und sei es nur in Form einer Prellmarke, eines Hämatoms oder einer Hautabschürfung. Sämtliche Ermittlungen der Beklagten bei der Deutschen Rentenversicherung Bayern Süd, der AOK Stuttgart, der IKK Stuttgart und dem ehemaligen Arbeitgeber, der Firma W& M, sind erfolglos geblieben. Der Kläger konnte weder die Namen der Arbeitskollegen benennen noch den Arzt, bei dem er sich am Tag nach dem Unfall in Behandlung begeben haben will. Auch aus der beigezogenen Regressakte ergeben sich keine Anhaltspunkte für weitere Ermittlungen. Wie sich aus dem Schreiben des Klägers vom 25. März 1981 an den deutschen Rentenversicherungsträger ergibt, konnte er bereits damals keine detaillierten Angaben zum Unfallhergang und zu den Namen der Arbeitskollegen und des behandelnden Arztes machen. Durch die Ärzte, bei denen er sich in Serbien in Behandlung begeben und deren Unterlagen er vorgelegt hat, ist außerdem eine Schädel-Hirn-Verletzung nicht diagnostiziert worden. Eine solche wäre aber erforderlich, da der Beratungsarzt Dr. J in seiner Stellungnahme vom 19. April 2005 nachvollziehbar ausge-führt hat, dass ohne Schädel-Hirn-Verletzung eine unfallbedingte Sehnervenschädigung durch den Unfall extrem unwahrscheinlich ist. Es bedarf keiner weiteren Ausführungen, dass die von den behandelnden Ärzten genannte altersbedingte Maculadegeneration am linken Auge keine Unfallfolge, sondern eine degenerative Erkrankung ist. Da also weder der Unfallhergang nach-gewiesen ist noch Anhaltspunkte für Art und Weise der Gesundheitserstschäden vorhanden sind, kann nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass die Augener-krankung bei dem Kläger auf den Unfall vom 22. Juli 1970 zurückzuführen ist.

Die Berufung war deshalb zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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