S 20 SO 48/07

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
20
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 20 SO 48/07
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Aufhebung der Entscheidung vom 04.04.2005 über die Bewilligung von Hilfe zur Pflege (ungedeckte Heimkosten) mit Wirkung ab 01.03.2007.

Die am 00.00.1935 geborene Klägerin ist verheiratet. Nach einem ärztlichen Behandlungsfehler im Rahmen einer am 07.12.1998 durchgeführten Operation ist sie schwerstpflegebedürftig. Sie als Schwerbehinderte anerkannt nach einem Grad der Behinderung von 100 mit den Nachteilsausgleichmerkmalen "G", "aG", "H" und "RF". Sie bezieht von ihrer Pflegekasse Leistungen nach Pflegestufe III und von der DRV Rheinland Altersrente. Sie lebt seit März 1999 in einem Alten- und Pflegeheim.

Erstmals durch Bescheid vom 20.09.2002 bewilligte der Beklagte Hilfe zur Pflege ab 01.07.2002 unter Anrechnung des Einkommens der Klägerin und ihres Ehemannes. Die Leistungsbewillligung erfolgte vorbehaltlich der weiteren Prüfung und Anrechnung von Einkommen und Vermögen, insbesondere aus einem Bausparguthaben, aus Wertpapierbesitz und aus einer Schadensersatzforderung der Klägerin gegen die Stadt L. wegen einer ärztlichen Fehlbehandlung.

Durch Bescheid vom 04.04.2005 berechnete und bewilligte der Beklagte die Hilfe zur Pflege neu ab 01.01.2005.

Im Oktober 2000 hatte die Klägerin beim Landgericht L. wegen der Folgen der Behandlung im Dezember 1998 Schadensersatzklage gegen die Stadt L. als Betreiberin des Krankenhauses und 2 Ärzte, die sie seinerzeit operiert hatten, erhoben. Nach Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens, einer ergänzenden Stellungnahme und nach persönlicher Befragung des Sachverständigen schlossen die Beteiligten des Zivilrechtsstreits auf Vorschlag der 25. Zivilkammer des Landgerichts L. folgenden Vergleich: Zum Ausgleich aller gegenwärtigen und zukünftigen materiellen und immateriellen Ansprüche, die der Klägerin aufgrund der streitigen Heilbehandlung zustehen mögen, seien diese Ansprüche bekannt oder unbekannt, voraussehbar oder nicht, auch mit Wirkung für an der streitigen Heilbehandlung beteiligte Dritte, zahlen die Beklagten als Gesamtschuldner an die Klägerin einen Betrag in Höhe von150.000 EUR (Schmerzensgeld 120.00 EUR; materieller Mehraufwand 30.000 EUR). Das Zustandekommen des Vergleichs stellte das Landgericht durch Beschluss vom 14.11.2006 fest. Am 04.12.2006 erhielt die Klägerin von der Stadt L. 150.000,00 EUR. Der Kontenstand der Klägerin und ihres Mannes bei der Kreissparkasse I. betrug danach (Stand: 09.01.2007) 152.174,29 EUR einschließlich des Werts von Aktien (804,10 EUR) und von Aktienfondsanlagen (2.867,17 EUR).

Nach Anhörung der Klägerin hob der Beklagte durch Bescheid vom 26.02.2007 die Entscheidung vom 04.04.2005 über die Bewilligung von Hilfe zur Pflege mit Wirkung ab 01.03.2007, gestützt auf § 48 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) auf. Er verwies auf das Bankguthaben bei der Kreissparkasse Heinsberg, wobei er allerdings die Fondsanlage im Wert von 2.867,17 EUR zusätzlich in Ansatz brachte und deshalb ein Guthaben von 155.041,46 EUR errechnete. Der Beklagte führte aus, nach Abzug eines Schmerzensgeldbetrages von 120.000,00 EUR verbleibe ein Vermögen von 35.041,46 EUR. Soweit dieses den gesetzlich geschützten Betrag (für Ehegatten) von 3.214,00 EUR übersteige, sei es vorrangig zur Deckung der Heimkosten einzusetzen.

Dagegen legte die Klägerin am 05.03.2007 Widerspruch ein: Die Zahlung von 30.000,00 EUR sei zum Ausgleich materieller Mehraufwendungen bestimmt; diese Aufwendungen seien in der Vergangenheit - vor Eintrittspflicht des Beklagten - getätigt worden; die Berücksichtigung des Betrages von 30.000,00 EUR als einzusetzendes Vermögen sei daher unzulässig.

Der Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 16.05.2007, zugestellt am 22.05.2007, zurück. Er wies daraufhin, dass zwar eine Berücksichtigung der 30.000,00 als Einkommen für den streitigen Zeitraum ab März 2007 ausscheide, da sie bereits im Dezember 2006 zugeflossen seien; sie seien aber als Vermögen zu berücksichtigen, da ihr Einsatz insofern keine Härte darstelle.

Dagegen hat die Klägerin am 22.06.2007 Klage erhoben. Sie ist der Auffassung, auch der Betrag von 30.000,00 EUR sei nicht zu berücksichtigen, weil es sich um Schadensersatz für ärztliche Fehlbehandlung handele und zur Altersvorsorge und Investitionen in das Hausgrundstück diene. Sie sei geistig voll orientiert und nehme noch am familiären Leben teil. Der Schadensersatzbetrag für materielle Mehraufwendungen solle verletzungsbedingte Defizite gegenüber dem bisherigen Lebenszuschnitt, zusätzliche wirtschaftliche Nachteile und einmalige erhöhte Bedarfe in der Zukunft ausgleichen, z.B. Aufwendungen für eine Begleitperson. Es könne nicht sein, dass der für materielle Aufwendungen zweckbestimmte Schadensersatzbetrag vom Beklagten für die normale Unterbringung angerechnet werde. Derzeit würden aus dem Schadensersatzbetrag von 30.000,00 EUR, soweit er noch vorhanden sei, die monatlichen Heimkosten getragen; andere (geplante) Verwendungszwecke seien bislang noch nicht umgesetzt worden; es sei beabsichtigt, den Betrag auch für gemeinsame Aktivitäten wie Urlaub einzusetzen.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 26.02.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.05.2007 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie weist daraufhin, dass aus der zivilgerichtlich erstrittenen Schadensersatzsumme 30.000,00 EUR als "Ausgleich für materiellen Mehraufwand" gedacht seien. Sie ist der Auffassung, der gegenwärtige und zukünftige materielle Mehraufwand liege gerade auch in den Kosten für die stationäre Unterbringung im Pflegeheim; der Betrag von 30.0000,00 EUR stelle einen Ausgleich für materielle Bedürfnisse dar, die in den Kosten der Unterbringung im Heim lägen. Daher stelle auch die Berücksichtigung dieser 30.0000,00 EUR als Vermögen keine Härte im Sinne von § 90 Abs. 3 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) dar.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte, der Akte des Landgerichts L. und der die Klägerin betreffenden Verwaltungsakten des Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Der Beklagte hat im Ergebnis zurecht den Bescheid über die Bewilligung von Hilfe zur Pflege vom 04.04.2005 aufgehoben. Denn gegenüber den Verhältnissen bei Erlass dieses Bescheides haben sich die Verhältnisse wesentlich geändert; die Klägerin verfügt seit Dezember 2006 über sozialhilferechtlich einzusetzendes Vermögen mit der Folge, dass sie jedenfalls seit 01.03.2007 nicht mehr hilfebedürftig ist.

Bei Erlass des Bescheides vom 04.04.2005 waren die wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin dergestalt, dass sie die Kosten der Unterbringung im Alten- und Pflegeheim nicht ausschließlich aus ihrem Einkommen und Vermögen und dem ihres Ehemannes, soweit es berücksichtigungsfähig war, bestreiten konnte. Deshalb hatte sie gegen den Beklagten Anspruch auf (ergänzende) Hilfe zur Pflege nach § 19 Abs. 3 i.V.m. §§ 61 ff. SGB XII. Aufgrund der Auszahlung der im Zivilrechtsstreit vor dem Landgericht L. erstrittenen Schadensersatzsumme von 150.000,00 EUR im Dezember 2006 hatten sich die wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin jedoch wesentlich geändert. Sie verfügte nunmehr über Vermögen, das zum Wegfall des Anspruchs führte (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X). Ausweislich der Kontenstandsmitteilung der Kreissparkasse Heinsberg betrug am 09.01.2007 das Vermögen der Klägerin und ihres Ehemannes 152.174,29 EUR. Soweit der Beklagte in den angefochtenen Bescheiden von einem Vermögensstand von 155.041,46 EUR ausgegangen ist, beruht dies auf einem Irrtum, da er die Aktienfondsanlage von 2.867,17 EUR zu den 152.174,29 EUR hinzu addiert hat, obwohl dieser Betrag bereits in dem von der Kreissparkasse Heinsberg mitgeteilten Kontenstand enthalten war.

In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass der sozialhilferechtliche Einsatz von Schmerzensgeld weder als Einkommen noch als Vermögen zuzumuten ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.05.1995 - 5 C 22/93 = BVerwGE 98, 256 = DÖV 1995, 869 = NJW 1995, 3001 = FEVS 46, 57). Denn Schmerzensgeld ist der Ausgleich für einen immateriellen Schaden; sein Einsatz für die materielle Hilfe zur Pflege (Heimkosten) würde eine Zweckentfremdung dieses Schadensersatzes beinhalten. Der Rechtsgedanke der Nichtanrechenbarkeit von Schmerzensgeld als Einkommen findet sich ausdrücklich geregelt in § 83 Abs. 2 SGB XII und gilt entsprechend für den Einsatz als Vermögen.

Die weiteren 30.0000,00 EUR der Gesamtschadenssumme von 150.000,00 EUR sind jedoch zum Ausgleich schadensbedingter materieller Mehraufwendungen bestimmt. Dies ergibt sich ausdrücklich aus dem im November 2006 in dem Zivilrechtsstreit geschlossenen Vergleich. Solche materiellen schadensbedingten Mehraufwendungen sind auch die Heimkosten, da die Klägerin ohne die Folgen des ärztlichen Behandlungsfehlers nicht schwerbehindert und schwerstpflegebedürftig wäre. Der Vergleich bestimmt nicht, welche Mehraufwendungen konkret und vorrangig durch die 30.0000,00 EUR ausgeglichen werden sollen. Solange sie jedoch nicht verbraucht sind, kann der Beklagte ihren Einsatz auch für die Heimpflegekosten verlangen. Eine Härte im Sinne von § 90 Abs. 3 SGB XII ist dadurch nicht gegeben. Insbesondere ist nicht dargelegt und auch nicht ersichtlich, dass durch den Einsatz der über den Schmerzensgeldbetrag hinausgehende Schadensersatzsumme eine angemessene Lebensführung oder die Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung wesentlich erschwert würde (vgl. § 90 Abs. 3 Satz 2 SGB XII).

Das nach § 90 SGB XII einzusetzende Vermögen der Klägerin stellte sich somit im Januar 2007 wie folgt dar: Geldvermögen laut Kontenstand 152.174,29 EUR abzgl. Schmerzensgeld - 120.000,00 EUR abzgl. Schonvermögensbetrag nach § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 1.b) Nr. 2. der hierzu ergangenen Verordnung - 3.214,00 EUR einzusetzendes Vermögen 28.960,29 EUR Nach Mitteilung der Klägerin (vgl. Schriftsatz vom 14.11.2007) hat sie aus diesem Vermögen bis dato die monatlichen Heimkosten des Alten- und Pflegeheims bezahlt. Sobald dieses einzusetzende Vermögen verbraucht ist, das Vermögen der Klägerin und ihres Ehemannes also unter die Schongrenze von 123.214,00 EUR (Schmerzensgeld und Barvermögensfreibetrag) gesunken ist, kann wieder ein Anspruch auf Hilfe zur Pflege bestehen. Dies mag durchaus schon in der nächsten Zeit der Fall sein. Der Klägerin ist vom Beklagten nahegelegt worden, sich dann wieder an ihn zu wenden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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