S 19 SO 31/07

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
19
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 19 SO 31/07
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 SO 6/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 26.09.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.03.2007 verurteilt, die Kosten für die Wohnung "B. L. 0" in I. für die Monate Oktober und November 2006 in Höhe von 835,72 EUR zu zahlen.

Der Beklagte hat die Kosten der Klägerin zu erstatten.

Tatbestand:

Die 0000 geborene schwerbehinderte (GdB 90 und Nachteilsausgleich "G") Klägerin bewohnte im Jahre 2006 die Wohnung "B. L. 0" in I ... Vom 26.06.2006 bis zum 17.07.2006 befand sie sich im Krankenhaus in X. Dem schloss sich eine geriatrische Rehabilitationsmaßnahme im Haus D. in B. an, die bis zum 06.08.2006 andauerte. Danach befand sich die Klägerin vom 07.08.2006 bis zum 03.09.2006 in stationärer Kurzzeitpflege im Senioren- und Sozialzentrum I. (Haus S.). Im Anschluss an die Kurzzeitpflege wurde die Klägerin im Haus S. auf Dauer aufgenommen. Unter dem 23.08.2006 kündigte die Klägerin das Mietverhältnis der alten Wohnung. Mit Bescheid vom 26.09.2006 bewilligte der Beklagte Leistungen zum notwendigen Lebensunterhalt in Einrichtungen nach § 35 SGB XII, da das Einkommen und Vermögen der Klägerin nicht zur Deckung der entstehenden Kosten ausreichte. Mit Schreiben vom 13.09.2006 beantragte die Klägerin beim Beklagten die Übernahme der Unterkunftskosten für die Monate September bis Oktober 2006 für die Wohnung "B. L. 0".

Mit Bescheid vom 26.09.2006 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Zur Begründung verwies er darauf, dass die Übernahme der Unterkunftskosten zur Sicherstellung der Unterkunft nicht erforderlich sei, da die Unterbringung im Pflegeheim gewährleistet sei.

Zur Begründung ihres am 10.10.2006 erhobenen Widerspruchs trug die Klägerin vor, dass sich während der Rehabilitationsmaßnahme gezeigt habe, dass sie nicht mehr alleine leben könne und zukünftig auf die Hilfe Dritter angewiesen sei. Sie legte eine Bescheinigung ihrer Vermieterin vor, aus der hervorging, dass es trotz intensiver Bemühungen nicht möglich gewesen sei, vor Ablauf der Kündigungsfrist am 30.11.2006 einen Nachmieter für die Wohnung zu finden.

Mit Bescheid vom 13.03.2007 half der Beklagte dem Widerspruch teilweise ab und übernahm die Unterkunftskosten für den Monat September 2006. Im Übrigen wies er den Widerspruch zurück. Zur Begründung verwies er darauf, dass ein Anspruch auf Sozialhilfe nur auf die Beseitigung eines gegenwärtigen Notstandes gerichtet sein könne. Auf Leistungen für die Vergangenheit bestehe kein Anspruch. Es sei nicht Aufgabe der Sozialhilfe, Zahlungsverpflichtungen des Hilfesuchenden zu übernehmen, die gerade nicht zur Behebung einer gegenwärtigen Notlage geeignet seien oder auch Schulden zu tilgen, die der Hilfesuchende eingegangen sei. Kosten für eine Wohnung, die vom Hilfeempfänger dauerhaft nicht mehr bewohnt werde, gehörten nicht zum sozialhilferechtlichen Bedarf.

Hiergegen richtet sich die am 30.03.2007 erhobene Klage. Die Klägerin hat von ihrer Vermieterin während des Klageverfahrens für die Monate Oktober bis November 2006 eine Nachzahlung in Höhe von 6,56 EUR erhalten.

Die Klägerin trägt vor, der Beklagte müsse die Mietkosten tragen, da vertragliche Verpflichtungen, die der Mieter einer Wohnung eingegangen sei, erfüllt werden müssten. Auch nach bisheriger Rechtsprechung seien Kosten für eine nicht mehr bewohnte Unterkunft zu berücksichtigen, wenn es dem Hilfebedürftigen trotz intensiver Bemühungen nicht gelinge, aus dem Mietverhältnis vorzeitig entlassen zu werden oder einen Nachmieter zu stellen. Die Klägerin hat eine Bescheinigung ihrer Vermieterin vom 26.03.2007 vorgelegt, wonach es trotz intensiver Bemühungen nicht möglich gewesen sei, vor Ablauf der Kündigungsfrist am 30.11.2006 einen Nachmieter für die Wohnung zu finden.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 26.09.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.03.2007 zu verurteilen, die Kosten für die Unterkunft der Wohnung "B. L. 0" in I. für die Monate Oktober und November 2006 in Höhe von 835,72 EUR zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er wiederholt sein bisheriges Vorbringen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen, die der Kammer vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet.

Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig. Der Beklagte ist zur Übernahme der Kosten der Unterkunft für die ehemalige Wohnung der Klägerin "B. L. 0" in I. auch für die Monate Oktober und November 2006 verpflichtet.

Nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) ist Hilfe zum Lebensunterhalt Personen zu gewähren, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Mitteln und Kräften, insbesondere aus Einkommen und Vermögen, beschaffen können. Der notwendige Lebensunterhalt umfasst nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB XII auch die Kosten für Unterkunft und Heizung. Nach § 29 Abs. 1 Satz 1 SGB XII werden Leistungen für die Unterkunft in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht. Sie sind nur zu übernehmen, solange sie angemessen sind (§ 29 Abs. 1 Satz 2 SGB XII). Die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft der Wohnung "B. L. 0" für die Monate Oktober und November 2006 ist zwischen den Beteiligten unstreitig.

Dem Anspruch der Klägerin steht auch nicht entgegen, dass sie die Wohnung in den Monaten Oktober und November 2006 nicht mehr bewohnt hat, weil sie in dieser Zeit bereits zur vollstationären Pflege im Seniorenheim "Haus S." untergebracht war.

Zwar können Unterkunftskosten grundsätzlich auch dann nur für eine einzige Unterkunft anerkannt werden, wenn der Leistungsberechtigte mehrere Unterkünfte angemietet hat und diese auch rechtlich nutzen kann (vgl. LPK-SGB XII, Berlit, § 29, Rn. 14, Stand 2005). Dies ergibt sich bereits daraus, dass ein Anspruch auf Sozialhilfe nur dann in Betracht kommt, wenn der geltend gemachte Bedarf nicht anderweitig gedeckt ist. Sozialhilfe erhält nicht, wer die erforderliche Leistung von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält (§ 2 Abs. 1 SGB XII). Ausnahmsweise können doppelte Mietaufwendungen als Kosten der Unterkunft allerdings dann als sozialhilferechtlicher Bedarf anerkannt werden, wenn der Auszug aus der bisherigen Wohnung nach sozialhilferechtlichen Grundsätzen notwendig war und wenn bei einem in diesem Sinne notwendigen Wohnungswechsel die Mietzeiträume wegen der Kündigungsfristen nicht nahtlos aufeinander abgestimmt werden konnten. Die Kosten der Unterkunft für eine bisherige Wohnung sind neben den Kosten der Unterkunft für eine neu bezogene Wohnung als angemesser Unterkunftsbedarf zu berücksichtigen, wenn es notwendig gewesen ist, dass der Hilfeempfänger gerade diese neue Wohnung zu diesem Zeitpunkt gemietet und bezogen hat. Überdies ist es erforderlich, dass der Hilfebedürftige alles ihm mögliche und zumutbare getan hat, die Aufwendungen für die frühere Wohnung so gering wie möglich zu halten. (OVG NRW Beschl. v. 23.12.1996, Az.: 24 E 931/96, Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 25.10.2001, Az.: 4 MA 2958/01; VG Düsseldorf, Urt. v. 21.02.2003, Az.: 20 K 7946/01; Berlit a. a. O.).

Eine solche Ausnahmesituation lag bei der Klägerin vor. Diese war ab September 2006 aus gesundheitlichen Gründen endgültig nicht mehr in der Lage, weiter in ihrer bisherigen Wohnung zu verbleiben. Zunächst musste sie sich auf Grund einer Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes ab Ende Juni 2006 einer mehrwöchigen stationären Krankenhausbehandlung und sodann einer mehrwöchigen geriatrischen Rehabilitationsmaßnahme unterziehen. Aus dieser gelangte sie Anfang August 2006 in die stationäre Kurzzeitpflege im Seniorenheim "Haus S.". Anfang September 2006 war die Klägerin dann gezwungen, ihren geänderten Unterkunftsbedarf durch die Inanspruchnahme dauerhafter stationärer Pflege in diesem Pflegeheim zu decken. Eine auch nur vorübergehende Rückkehr in ihre Wohnung war ab diesem Zeitpunkt ausgeschlossen. Die Klägerin konnte ihren Unterkunftsbedarf für die Monate September bis November 2006 auch nicht auf kostengünstigere Art und Weise decken. Vielmehr hat sie alles mögliche und zumutbare getan, um die Kosten so gering wie möglich zu halten. Sie kündigte die Wohnung bereits während der Kurzzeitpflege im August 2006. Entgegen der Auffassung des Beklagten war es ihr auch nicht zuzumuten, bereits während des stationären Krankenhausaufenthaltes bzw. der stationären Rehabilitation ihre Wohnung zu kündigen. Vielmehr durfte die Klägerin trotz ihres fortgeschrittenen Alters zumindest noch bis zum Abschluss der stationären Rehabilitation darauf hoffen, nach erfolgreicher Behandlung wieder in ihre alte Wohnung zurückzukehren, da weder zu Beginn der Krankenhausbehandlung, noch zu Beginn der Rehabilitation abzusehen war, dass eine dauerhafte vollstationäre Pflege erforderlich werden würde. Die Klägerin hat auch im Übrigen alles ihr Zumutbare und Mögliche getan, die Kosten der doppelten Unterkunft so gering wie möglich zu halten. Eine vorherige Vermietung der Wohnung war ihr auch unter Einschaltung der Vermieterin nicht möglich, wie auch aus der vorgelegten Vermieterbescheinigung hervorgeht.

Dem Anspruch der Klägerin auf Übernahme der Unterkunftskosten der alten Wohnung steht entgegen der Ansicht des Beklagten nicht der Grundsatz "Keine Sozialhilfe für die Vergangenheit" entgegen. Die Klägerin hat ihren Antrag auf Übernahme der Unterkunftskosten noch im September 2006 eingereicht, also in dem Mietzeitraum, in welchem sie noch zur Zahlung ihrer Unterkunftskosten verpflichtet war. Eine Antragstellung für eine Gewährung für Leistungen in der Vergangenheit liegt somit nicht vor, da die Klägerin einen tatsächlichen, aktuellen Bedarf angemeldet hat.

Der Beklagte ist deswegen verpflichtet, die mietvertraglich geschuldeten Kosten der Unterkunft für die Monate Oktober und November 2006 in Höhe von jeweils 421,14 EUR zu übernehmen. Von diesem Betrag ist die von der Vermieterin geleistete Erstattung in Höhe von 6,56 EUR in Abzug zu bringen, so dass sich ein zu zahlender Betrag in Höhe von 835,72 EUR ergibt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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