L 18 R 225/06

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 9 (4) RJ 77/04
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 18 R 225/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 22.11.2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung von Erwerbsminderungsrente.

Die 1953 geborene türkische Klägerin kam 1968 in die Bundesrepublik und arbeitete hier seit Mai 1971 in der Verpackungsindustrie. Nach der im Berufungsverfahren eingeholten Auskunft des Arbeitgebers, der Firma C & L in M vom 12.12.2007, umfassten ihre Arbeitsgebiete das Abnehmen, Kontrollieren und Verpacken von Beuteln. Hierfür sei sie ca. sechs Monate angelernt und nach Tarifgruppe IV/2 des Lohnrahmentarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer in der Papier-, Pappe- und Kunststoffindustrie entlohnt worden. Es habe sich bei der ausgeübten Tätigkeit um überwiegend körperlich leichte Arbeiten gehandelt. Die Klägerin sei an langsam laufenden Produktionsanlagen in geschlossenen temperierten Hallen eingesetzt gewesen und habe wahlweise im Sitzen oder Stehen arbeiten können. Sie sei den gestellten Anforderungen gewachsen gewesen, jedoch hätten hohe Fehlzeiten zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses geführt.

Auf den nach einer in der Zeit von März bis April 2003 durchgeführten medizinischen Heilmaßnahme gestellten Rentenantrag der Klägerin vom 03.Dezember 2003, veranlasste die Beklagte eine Begutachtung durch den Neurologen und Psychiater Dr. L2. Der Gutachter kam unter Berücksichtigung der von der Beklagten eingeholten Befundberichte der Diplomsoziologin G und des behandelnden Arztes N sowie des Rehabilitationsentlassungsberichts der Klinik Bad E / Psychosomatik vom 30.04.2003 zu der Feststellung, dass die Klägerin trotz einer depressiven Entwicklung mit reaktiven Anteilen, eines Bluthochdrucks, Übergewicht, eines rechts betonten beiderseitigen Knieverschleißes, einer Eisenmangelanämie, einer Hyperthyreose und eines Wirbelsäulensyndroms ohne Reiz- oder Ausfallsymptomatik aus nervenärztlicher Sicht in der Lage sei, leichte bis mittelschwere körperliche Arbeiten sechs Stunden und mehr zu verrichten. Die Arbeiten sollten nicht mit Nachtschicht, starkem Zeitdruck und überhöhten Anforderungen an die geistig-psychischen Belastbarkeit verbunden sein. Ferner sollten keine Tätigkeiten in knie- und wirbelsäulenbelastender Form sowie solche, die Anforderungen an die Fähigkeit des Lesens und des Schreibens stellten, ausgeführt werden. Eine Verschlechterung gegenüber dem Zustand gemäß dem Rehabilitationsentlassungsbericht sei nicht erkennbar. Im Rahmen der sich darstellenden Leiden sei die zuletzt ausgeübte Tätigkeit in der von der Versicherten geschilderten Form mit auch Heben und Tragen von Lasten von zehn Kilogramm nicht mehr vollschichtig zumutbar. Hier dürfte nur ein Leistungsvermögen für drei bis unter sechs Stunden bestehen.

Durch Bescheid vom 04.05.2004 und Widerspruchsbescheid vom 09.09.2004 lehnte die Beklagte Rentenleistungen ab, nachdem der die Klägerin behandelnde Neurologe und Psychiater Dr. X zu dem Gutachten von Dr. L2 in einem Bericht vom 06.06.2004 die Auffassung vertreten hatte, dass die Klägerin sehr einfach strukturiert und Analphabetin sei. Der Verlust des Arbeitsplatzes und die damit verbundene Kränkung habe ihr Leben völlig verändert. Bereits die Einschätzung der Reha-Klinik sei nicht nachvollziehbar, zumal die Klägerin aufgrund ihrer sehr begrenzten Sprachkenntnisse, insbesondere des begrenzten inhaltlichen Sprachverständnisses, letztendlich vom psychotherapeutischen Angebot wenig profitiert habe. Dass bei der Klägerin eine schwere narzisstische Persönlichkeitsstörung vorliege, werde weder aus dem Entlassungsbericht der Reha-Klinik noch aus dem Gutachten von Dr. L2 deutlich. Die Klägerin sei aus seiner Sicht nicht mehr in der Lage, irgendeiner beruflichen Tätigkeit in nennenswertem Umfang nachzugehen.

Im Klageverfahren hat die Klägerin ihr Rentenbegehren weiterverfolgt und unter Bezugnahme auf die Stellungnahme von Dr. X vom 06.06.2004 die Auffassung vertreten, dass sie überhaupt nicht mehr in der Lage sei, einen Beruf auszuüben, was in erster Linie in ihrer psychischen Struktur begründet sei.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 04.05.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09.09.2004 zu verurteilen, ihr ab 01.01.2004 eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Sozialgericht (SG) hat Befundberichte der behandelnden Ärzte eingeholt und sodann Begutachtungen veranlasst durch den Neurologen und Psychiater Dr. P, den Internisten Dr. M1 sowie den Orthopäden Dr. F. Dr. P ist in seinem Gutachten vom 15.03.2006 auf Grund einer Untersuchung am 09.02.2006 zu dem Ergebnis gelangt, dass bei der Klägerin eine Dysthymie, eine narzisstische Störung sowie eine somatoforme Schmerzstörung vorliege. Die reaktiv-depressive Symptomatik sei im Rahmen einer neurotischen Konfliktsituation zu sehen, bei der auslösend der Arbeitsplatzverlust gewesen sei, der wiederum durch eine Somatisierungsneigung und die damit zusammenhängende häufige Arbeitsunfähigkeit bewirkt worden sei. Hierdurch sei eine Kränkung des Selbstwertgefühls im Sinne einer narzisstischen Störung begünstigt worden und hierdurch wiederum die depressive Selbstabwertung mit einem wiederholten Gefühl, ungerecht behandelt zu werden. Erschwerend müsse die problematische Persönlichkeitsentwicklung mit der geringen fehlenden Schulbildung gesehen werden, die frühe Übernahme von Verantwortung als Mutterersatz in der Erziehung der jüngeren Geschwister und das angespannte Verhältnis zur Mutter, zumal sowohl Mutter als auch Vater scheinbar aufgrund von Schmerzsymptomen frühzeitig berentet worden seien und daher eine gewisse Vorbildfunktion in der Entwicklung von Problemlösestrategien gegeben hätten. Mittlerweile habe sich neben dem depressiven Rückzug eine gleichzeitig enttäuschte und kämpferische Haltung entwickelt, die wiederum aufgrund der Nichterfüllung der Anerkennung ihres vermeintlichen Rechts zu einer Verstärkung des Kränkungsgefühls und einer gewissen inneren Verweigerungstendenz geführt habe. Eindeutig organische Befunde, die die beschriebenen Schmerzen und Beschwerden erklären würden, hätten sich nicht gefunden, insbesondere sei der neurologische Befund völlig unauffällig gewesen. Es bestehe weitgehende Übereinstimmung mit der Leistungsbeurteilung des Dr. L2. Die wiederholten Ausführungen von Dr. X seien in ihrer Beschreibung zwar nachvollziehbar und aus Sicht des behandelnden Nervenarztes zu verstehen; eine zusätzliche, appellative Komponente dürfe jedoch genauso wenig übersehen werden wie die von der Untersuchten mehrfach geäußerte Vorstellung, dass sie zu keiner Tätigkeit mehr in der Lage sei, ohne dass ersichtlich würde, worin diese Aufhebung der Leistungsfähigkeit begründet sei. Die Klägerin könne bei den vorliegenden Gesundheitsstörungen aus neurologischer und psychiatrischer Sicht einer Erwerbstätigkeit weiterhin nachgehen, ohne dass dies auf Kosten der Gesundheit oder nur unter großen glaubhaften Schmerzen möglich wäre. Sie könne weiterhin leichte bis vereinzelt mittelschwere Tätigkeiten im Stehen oder Umhergehen, im Sitzen, in geschlossenen Räumen, im Freien unter Witterungsschutz verrichten. Arbeiten unter Zeitdruck wie z.B. Akkord, Fließbandarbeit und in Nachtschicht sollten nicht durchgeführt werden. Zwangshaltung sei aufgrund der körperlichen Beschwerden als ungünstig anzusehen. Häufiges Heben und Tragen von Lasten wie auch häufiges Bücken und Knien dürften sich als schwierig erweisen. Die Klägerin könne an laufenden Maschinen arbeiten. Einschränkungen des geistigen Leistungsvermögens seien nicht feststellbar, wobei berücksichtigt werden müsse, dass sie der deutschen Sprache nur eingeschränkt mächtig sei und scheinbar ein Analphabetismus vorliege. Diesbezüglich lägen jedoch etwas widersprüchliche Angaben zum Schulbesuch vor. In der konzentrativen Belastbarkeit sei sie sicherlich eingeschränkt, da die Ausrichtung ihres Denkens und Handels auf die Selbstwertproblematik gerichtet sei. Eine Aufhebung dieser Funktionen sei jedoch nicht feststellbar.

Dr. M1 hat in seinem Gutachten vom 11.08.2006 nach Untersuchung der Klägerin am 16.05.2006 und unter Berücksichtigung des orthopädischen Zusatzgutachtens von Dr. F sowie des Gutachtens von Dr. P ausgeführt, dass die Klägerin aus internistischer, nervenärztlicher und orthopädischer Sicht in der Lage sei, in gewisser Regelmäßigkeit körperlich leichte Arbeiten in wechselnder Körperhaltung sechs Stunden und mehr zu verrichten. Sie leide an Übergewicht, einem Hypertonus, einer rechtsbetonten Struma und belastungsabhängigen Gonartralgien beidseits sowie degenerativen Hals- und Lendenwirbelsäulenveränderungen, Lumbalgien und an einer Femoropatellararthrose. Für Arbeiten im Akkord sei sie nicht mehr geeignet.

Die Klägerin hat zu den Gutachten eine Stellungnahme des Dr. X vom 11.09.2006 zu den Akten gereicht. Bei der Schwere des Krankheitsbildes, dem vorhandenen Analphabetismus, den schweren somatoformen Störungen sei die Klägerin nicht in der Lage, sich auf irgendeine Tätigkeit zu konzentrieren. Das Durchhaltevermögen sei so gering, dass ihr eine Tätigkeit von bis zu drei Stunden am Tag mit Sicherheit nicht möglich sei. Er - Dr. X - schlage eine psychiatrische Begutachtung nach § 109 SGG durch Prof. N1 von der Medizinischen Hochschule I vor.

Das SG hat die Klage durch Urteil vom 22.11.2006 abgewiesen. Nach den Feststellungen der gerichtlichen Sachverständigen sei davon auszugehen, dass die Klägerin eine leichte Tätigkeit unter betriebsüblichen Bedingungen verrichten könne. Die unvollständigen Deutschkenntnisse hinderten sie nicht an der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit. Aufgrund der Angaben der Klägerin bei der Untersuchung durch Dr. L2 sei von einem zweijährigen Schulbesuch auszugehen. Schreiben könne sie nur ihren eigenen Namen, Druckgeschriebenes allerdings lesen. Diese stark eingeschränkte Lesefähigkeit habe die Klägerin in ihrem bisherigen Berufsleben an der Ausübung einer ungelernten Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht gehindert. Es sei davon auszugehen, dass sie dies auch weiterhin bei der Ausübung einfacher ungelernter Tätigkeiten nicht hindere.

Im Berufungsverfahren hält die Klägerin an ihrem Rentenbegehren fest und führt weiter aus, dass sie aufgrund schwerer somatoformer Störungen nicht in der Lage sei, sich auf irgendeine Tätigkeit zu konzentrieren. Das Durchhaltevermögen sei so gering, dass eine Tätigkeit von bis zu drei Stunden am Tag mit Sicherheit nicht möglich sei. Sie hat hilfsweise beantragt, den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. N1 nach § 109 Sozialgerichtsgesetz - SGG - gutachtlich anzuhören. Außerdem hätten ihre psychischen Probleme, die aus der erlittenen Fehlgeburt herrührten, keine Berücksichtigung gefunden. Insoweit hat sie im Termin zur mündlichen Verhandlung weitere Unterlagen zu den Akten gereicht, auf die Bezug genommen wird.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des SG Münster vom 22.11.2006 zu ändern und nach dem Klageantrag zu entscheiden, hilfsweise, den Sachverständigen Dr. P ergänzend zu den Umständen um die Geburt des Kindes im Jahre 1994 zu hören.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Der Senat hat von Prof. Dr. N1 das von der Klägerin nach § 109 SGG beantragte Gutachten vom 30.07.2007 eingeholt. Aufgrund einer ambulanten Untersuchung am 09.07.2007, eines Untersuchungsgesprächs mit Hilfe einer Dolmetscherin, die türkisch-deutsch bzw. deutsch-türkisch übersetzt hat, gelangte Prof. Dr. N1 zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin eine anhaltende mittelschwere somatisierte Depression sowie eine Somatisierungsstörung vorliege. Die von der Klägerin geklagten Schmerzen seien als Kränkungsschmerzen anzusehen. Auf der Hamilton-Skala habe sie einen Punktwert von 19 erhalten; das entspreche einer mittelschweren Depression. Die erhobenen Auffälligkeiten (deutlich gedrückte Stimmung, Affektlabilität, Interesselosigkeit, Antriebsmangel und Schlafstörung) seien Zeichen einer deutlichen depressiven Symptomatik. Es hätten sich insgesamt bei den geklagten Beschwerden bzw. in ihren Berichten und Vorgeschichten keine Widersprüche gefunden. Die depressive Symptomatik bestünde seit der Kündigung im Mai 2001. Aktuell habe die Symptomatik seit zweieinhalb Jahren zugenommen. Dr. P nenne in seinem nervenärztlichen Gutachten die Diagnose einer Dysthymie im Sinne einer reaktiv depressiven Symptomatik bei narzisstischer Störung und somatoformer Schmerzstörung. Im Vergleich zu den Vorgutachten sei keine sichere Änderung eingetreten. Es erfolge lediglich eine abweichende Beurteilung. Vor dem transkulturellen Hintergrund der Klägerin sei eine abweichende Beurteilung angezeigt. Es sei deutlich geworden, dass für die Klägerin die Mutter die Identifikationsfigur darstelle. Diese sei immer Vorbild gewesen. Nachdem sie - die Klägerin - "mit Schimpf und Schande" aus dem Betrieb, in dem die Mutter zuvor bis zu ihrem 56. Lebensjahr gearbeitet habe, entlassen worden sei, habe sie sowohl ihre Mutter als auch sich selbst in ihrem Mutterideal enttäuscht. Das sei eine besonders schwere Kränkung. In diesem Zusammenhang seien die von der Klägerin beklagten Schmerzen als Kränkungschmerzen anzusehen. Die Klägerin sei mittelschweren schweren und leichten Arbeiten als Dauerbelastung nicht gewachsen. Die Schwere des Krankheitsbildes sowie der vorhandene Analphabetismus stellten eine deutliche Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit dar. Die Klägerin sei nicht in der Lage, sich auf irgendeine Tätigkeit zu konzentrieren. Auch nach dem nervenärztlichen Gutachten von Dr. P sei sie sicherlich in der konzentrativen Belastbarkeit eingeschränkt, da die Ausrichtung ihres Denkens und Handels auf die Selbstwertproblematik gerichtet sei. Eine Aufhebung dieser Funktion sei jedoch nicht feststellbar. Das Durchhaltevermögen sei aus fachpsychiatrischer Sicht so gering, dass eine Tätigkeit von bis zu drei Stunden am Tag ihr mit Sicherheit nicht möglich sei. Zudem scheine die Einschätzung der Klägerin, dass sie ihre alte Arbeit nicht zurückbekommen könne und dass man sie woanders nicht nehmen würde, da sie zu alt geworden sei und nicht lesen und schreiben könne, durchaus realistisch zu sein. In diesem Zusammenhang teile er die Auffassung von Dr. X, dass sich die Klägerin überhaupt nicht auf neue Inhalte einstellen könne und dass sie überhaupt nicht in der Lage wäre, eine Arbeitsstelle anzutreten, sollte ihr eine solche angeboten werden.

Die beratende Ärztin der Beklagten Dr. C1 - Fachärztin für Anästhesie - ist der Auffassung entgegengetreten. Der Sachverständige widerspreche mit der unter drei-stündigen Leistungsbeurteilung allen bisherigen gutachterlichen Leistungsbeurteilungen. Es fehlten biographische Informationen und Beschwerdebeschreibungen, wie beispielsweise konkrete Angaben zum täglichen Ablauf, zu den Einschränkungen im Haushalt, zu den sozialen Aktivitäten, zu Interessen und Hobbys. Die sozialmedizinische Nachvollziehbarkeit der Leistungsbeurteilung von Prof. N1 sei dadurch erschwert.

Der Senat hat Dr. P um ergänzende gutachtliche Stellungnahme unter Berücksichtigung des Gutachtens von Prof. Dr. N1 gebeten. Unter dem 15.10.2007 hat er u.a. hervorgehoben, dass dessen Gutachten auf einer Exploration durch einen nicht der türkischen Sprache mächtigen Gutachter erfolgt sei, der psycho-pathologische Befunde und die Einschätzung des Gesundheitszustandes sowie die Leistungsbeurteilung mit Hilfe einer Dolmetscherin erstellt bzw. vorgenommen habe. Es sei allerdings allgemein bekannt und gerade im Rahmen der vergleichenden transkulturellen Psychiatrie als ein erschwerender Faktor anerkannt, dass psycho-pathologische Phänomene der mittelbaren Exploration missverstanden, falsch gedeutet, teils über- teils unterbewertet werden könnten, dadurch Einschätzungen entstünden, die durch eine Exploration ohne Sprachbarriere hätten vermieden werden können. Erschwerend komme hinzu, dass sich die Symptomrepräsentanz unterscheide, wenn die betreffende Person in einem anderen Kulturkreis aufgewachsen sei; Ausdrucksweisen, wie eine klagsame Grundhaltung, Beschreibungen von intensiven Körperphänomenen, die auf einem eigenen, kulturell gefärbten Krankheitsverständnis basierten, aber auch "katastrophierende" Schilderungen entsprächen in ihrer Bedeutung nicht immer dem tatsächlichen Leidensdruck, der mit dem Grad der vorliegenden Gesundheitstörung korreliere. Noch problematischer scheine die Zuhilfenahme der Hamilton-Scala zur Einschätzung der Schwere der Depression, die kaum ohne kritische Korrektur auf Menschen von einem anderen Kulturkreis übertragen werden könnte und daher für die Gesamtbeurteilung nicht oder nicht genügend verwertbar sei, zumal es sich um eine Fremdbeurteilungsskala handele, die auf der durch den Dolmetscher gestützten Beurteilung des psychischen Befundes basiere. Es handele sich eindeutig nicht um einen sogenannten kulturfreien Test, der nur in wenigen testpsychologischen Verfahren - wie z.B. dem Rabentest - zur Darstellung komme. Ohnehin stelle Prof. Dr. N1 die in seinem Gutachten vom 15.03. vorgenommene diagnostische Einschätzung nicht in Frage. Der psycho-pathologische Befund unterscheide sich nicht wesentlich. Auch von ihm -Dr. P - sei die Klägerin leidensbetont, enttäuscht, gekränkt, latent gereizt usw. beschrieben und darauf hingewiesen worden, dass sie mehrfach weinte; es sei jedoch auch gesehen worden, dass die affektive Modulation ausreichte, wenn auch stark auf die körperlichen Beschwerden fixiert. Insgesamt bestehe in der diagnostischen Einschätzung und den anzunehmenden Entstehungsbedingungen keine wesentliche Abweichung. Lediglich der Schweregrad würde durch Prof. Dr. N1 gravierender eingeschätzt, wobei nicht ersichtlich sei, worauf die Schwere basiere - außer der erwähnten Hamilton-Scala. Es hätten sich während seiner Untersuchung weder Hinweise auf eine organisch begründbare Minderung der Auffassungsgabe noch Anhaltspunkte für eine sog. Pseudodemenz gefunden. Die Konzentrationsfähigkeit sei motivationsabhängig teils gut, teils reduziert gewesen, was nicht einer durchgehenden, willentlich unabhängigen Minderung der konzentrativen Belastbarkeit entspreche. Das Unvermögen ausreichend zu lesen oder zu schreiben, sei zwar sicherlich bei der Prognose der Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess als Hindernis zu sehen, jedoch keine Störung des Gesundheitszustandes und daher nicht Thema der hier zu beantwortenden Fragestellung. Insbesondere stelle dies keine Abweichung zu dem Zustand dar, der vorgeherrscht habe, als die Klägerin noch im Erwerbsleben gestanden habe. Im Rahmen seiner Begutachtung sei eine innere Verweigerungshaltung deutlich geworden, die durch das Kränkungserleben verstärkt worden, jedoch nicht unüberwindbar sei. Von daher könne diese Einschränkung nicht nur als krankheitsbedingt gesehen werden. Auch nach intensiver Durchsicht des Gutachtens von Prof. Dr. N1 und der zwischenzeitlich dokumentierten Befunde sei nicht erkennbar, weshalb die Klägerin nicht noch leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten können solle. Es hätten sich keine Hinweise für eine durchgehende schwere Depression oder eine anderweitige Gesundheitsstörung gefunden.

Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Streit -und Beklagtenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid in der Fassung des Widerspruchsbescheides ist nicht rechtswidrig im Sinne des § 54 Abs.2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -. Die Beklagte hat zutreffend einen Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Erwerbsminderungsrente abgelehnt, weil sie nicht einmal teilweise erwerbsgemindert im Sinne des § 43 Abs.1 des Sechsten Buchs des Sozialgesetzbuchs - SGB VI - ist. Das steht zur Überzeugung des Senats nach dem Gesamtergebnis der Beweisaufnahme, insbesondere nach den von Amts wegen eingeholten Gutachten fest.

Versicherte haben nach § 43 Abs.1 Satz 1 SGB VI bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie 1.teilweise erwerbsgemindert sind, 2.in den letzten fünf Jahren vor der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Tätigkeit haben und 3.vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Teilweise erwerbsgemindert sind gemäß Abs. 1 Satz 2 Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (Abs.2 Satz 2). Erwerbsgemindert ist nach Abs.3 nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Die Klägerin ist nicht teilweise und damit erst Recht nicht voll erwerbsgemindert im Sinne der genannten Vorschriften, weil sie trotz der auf Grund der Beweiserhebung im ersten Rechtszug festgestellten, im Tatbestand näher aufgeführten Krankheiten und Behinderungen in der Lage ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts werktäglich mindestens sechs Stunden leichte körperliche Arbeiten zu verrichten. Auf das vom SG zutreffend gewürdigte Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme und auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen, erstinstanzlichen Urteils wird, um Wiederholungen zu vermeiden, Bezug genommen und insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen (§ 153 Abs.2 SGG).

Das zweitinstanzliche Vorbringen der Klägerin und die hier durchgeführten medizinischen Ermittlungen rechtfertigen keine andere Entscheidung. Das Gutachten von Prof. Dr. N1 überzeugt nicht. Für den Senat überzeugend und nachvollziehbar führt der Sachverständige Dr. P unter Würdigung dieses Gutachtens aus, dass psycho-pathologische Phänomene, um die es hier u.a. geht, bei einer mittelbaren Exploration wie sie durch Prof. Dr. N1 erfolgt ist, missverstanden, falsch gedeutet und teils über-, aber auch unterbewertet werden können und dadurch Einschätzungen entstehen, die durch eine Exploration ohne Sprachbarriere hätten vermieden werden können. Das leuchtet ein vor dem Hintergrund, dass die Klägerin zunächst in einem anderen Kulturkreis aufgewachsen ist (sie kam erst im Alter von fünfzehn Jahren aus der Türkei in die Bundesrepublik) und anlässlich der Untersuchungen durch die Gutachter Erscheinungsbilder in Form einer klagsamen Grundhaltung und "intensiver" Körperphänomene beschrieben wurden, die auf einem eigenen "kulturell gefärbten Krankheitsverständnis" basieren, wie Dr. P feststellt, so dass auch "katastrophierende" Schilderungen in ihrer Bedeutung nicht immer dem tatsächlichen Leidensdruck entsprechen. Die hier aufgezeigten Phänomene sind auch im Gutachten von Prof. Dr. N1 nicht zu verkennen. So offenbart sich ein Widerspruch, auf den Prof. Dr. N1 nicht eingeht, wenn die Klägerin dem Sachverständigen Prof. Dr. N1 schildert, "sie verbringe seit zweieinhalb Jahren den ganzen Tag im Sessel", während sie kurz zuvor ausgeführt hat, sie kümmere sich um die fünfzehnjährige Enkeltochter und den zwölfjährigen Enkelsohn, die seit einem Jahr mit in ihrer Mietwohnung lebten. Auch wird kritiklos von Prof. Dr. N1 übernommen, wenn sie - die Klägerin - einerseits schildert, ca. ein- bis zweimal im Jahr zu Besuch in die Türkei zu fahren, andererseits aber bedauert, "nichts vom Leben gesehen" zu haben, tagsüber nur gearbeitet und nachts geschlafen zu haben. Daher ist die Sichtweise von Dr. P und dessen Einschätzung an Hand von Detailschilderungen der Klägerin belegbar und deshalb überzeugend und seine Kritik, die im Übrigen auch die ärztliche Beraterin der Beklagten teilt, indem sie die sozialmedizinische Nachvollziehbarkeit der Leistungsberuteilung von Prof. Dr. N1 in Frage stellt, berechtigt. Im Übrigen bleiben die Ausführungen von Prof. Dr. N1 vage. Weder konnte er in der abschließenden Beurteilung im Vergleich zu den Vorgutachten eine "sichere Änderung" (Verschlimmerung) feststellen, noch hat er sich mit der Leistungsbeurteilung von Dr. P - auf die es letztlich ankommt - auseinandergesetzt, obwohl er diesen an mehreren Stellen zitiert, sich letztlich aber mit der Feststellung begnügt, dass Dr. P in seinem Gutachten die Diagnose einer "Dysthymie im Sinne einer reaktiv-depressiven Symptomatik bei narzisstischer Störung und somatoformer Schmerzstörung" erhoben habe. Die Beantwortung der Frage, weshalb er - Prof. Dr. N1 - von der Beurteilung Dr. P` s abweicht, bleibt er schuldig, wenn er lediglich ausführt "vor dem transkulturellen Hintergrund der Patientin sei eine abweichende Beurteilung angezeigt", obwohl - wie dargelegt - gerade Dr. P dies besser beurteilen kann. Denn als Begründung hierfür hebt er lediglich auf das Mutter-Tochter-Verhältnis ab und die in diesem Zusammenhang - aus seiner Sicht - erlebte Kränkung, auf die er den diagnostizierten "Kränkungsschmerz" stützt. Ob dieser Kränkungsschmerz dann seiner Diagnose "mittelschwere somatisierte Depression" oder der "Somatisierungsstörung" zuzuordnen ist, bleibt ungewiss. Auch insoweit bleibt der Sachverständige bei der oberflächlichen Feststellung, dass "in diesem Zusammenhang die von der Patientin beklagten Schmerzen als Kränkungsschmerzen anzusehen" seien. Was das Restleistungsvermögen anbelangt fällt auf, dass sich Prof. Dr. N1 insoweit lediglich auf die Feststellungen von Dr. X zurück zieht, wenn er aus dessen Bericht vom 11.09.2006 zitiert, "dass die Klägerin auf Grund der Schwere des Krankheitsbildes, dem vorhandenen Alphabetismus sowie der schweren somatoformen Störungen nicht in der Lage sei, sich auf irgendeine Tätigkeit zu konzentrieren. Das Durchhaltevermögen sei so gering, dass der Klägerin eine Tätigkeit von bis zu drei Stunden am Tag mit Sicherheit nicht möglich sei".

Vor diesem Hintergrund folgt der Senat der - nachvollziehbaren und überzeugenden - Einschätzung der von Amts wegen gehörten Sachverständigen, die zu dem Ergebnis gelangt sind, dass die Klägerin regelmäßig noch einer leichten Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich nachgehen kann. Daran hindert sie auch nicht ihre eigene Vorstellung, einer regelmäßigen sechsstündigen Tätigkeit nicht mehr nachgehen zu können. Dr. P sieht zwar auf Grund der gedanklichen Fixierung auf Kränkungserlebnisse (Arbeitsplatzverlust) und körperliche Beschwerden eine gewisse Einschränkung, stellt allerdings heraus, dass die zusätzliche "appellative" Komponente und auch die geäußerte Vorstellung, zu keiner Tätigkeit mehr in der Lage zu sein, nicht übersehen werden dürfe, obwohl nicht ersichtlich sei, durch welchen Umstand diese Einschätzung begründet sei. Soweit der immer wieder betonte Arbeitsplatzverlust als schmerzlich empfunden worden sei, so wäre doch zu erwarten, dass sie der Perspektive der Wiederaufnahme einer Tätigkeit positiv gegenüberstehe. Das wird gestützt durch den Bericht der Reha-Klinik vom 30.04.2003, nach dem die Klägerin aus psychologischer Sicht arbeitsfähig entlassen wurde, die Klägerin hiermit allerdings nicht einverstanden war. Sie stand der Entlassung als arbeitsfähig ambivalent gegenüber. Der Senat teilt insofern die Einschätzung von Dr. P, dass ein vollschichtiges Leistungsvermögen gegeben ist und eine begleitende psychologische Unterstützung ausreicht, vorübergehende Einschränkungen zu beheben bzw. auszugleichen. Es liegen bei alledem auch keine Leistungseinschränkungen vor, die Anlass zur Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit geben könnten, denn die im letzten Beschäftigungsverhältnis von der Klägerin verrichtete Tätigkeit des Abnehmens, Kontrollierens und Verpackens von Beuteln ist ihr mit dem festgestellten Leistungsvermögen zumutbar. Der Arbeitgeber hat diese Tätigkeit als leicht eingestuft. Die Klägerin war an langsam laufenden Produktionsanlagen eingesetzt und konnte wahlweise sitzen oder stehen. Die Arbeit fand in geschlossenen, temperierten Produktionshallen statt. Derlei Tätigkeiten gibt es nicht nur in Produktionsstätten der Papierindustrie, sondern auch der Elektroindustrie. Es ist insofern nicht ersichtlich, dass der - fragliche - Analphabetismus der Klägerin Auswirkungen haben könnte, was die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung auch eingeräumt hat, weil die Klägerin mit ihren Kenntnissen und Fähigkeiten schon der bisher verrichteten Tätigkeiten im ungelernten Bereich ohne Einschränkung hat nachgehen können.

Der Senat sah sich nicht veranlasst, dem Hilfsantrag nachzugehen, wobei der Senat diesen dahin ausgelegt hat, dass es der Klägerin darum geht, überprüfen zu lassen, inwieweit sich die "problematischen Umstände der Geburt" auf ihre Leistungsfähigkeit bzw. ihre seelische Verfassung auswirken bzw. ausgewirkt haben. Soweit sich die Klägerin darauf stützt, dass Dr. P diesen Sachverhalt nicht in seine Begutachtung mit einbezogen hat, trifft dies nicht zu, da dem Sachverständigen die Akten vorgelegen haben und er u.a. auf den Entlassungsbericht der Klinik S vom 30.04.2003 Bezug genommen hat, in dem diese Umstände Erwähnung finden. Weiter bleibt festzuhalten, dass es im vorliegenden Rentenstreitverfahren allein darum geht festzustellen, inwieweit durch bestehende Gesundheitsstörungen das Leistungsvermögen beeinträchtigt ist. Die Sachverständigen haben die feststellbaren Gesundheitsstörungen aufgezählt und deren Auswirkungen auf das Leistungsvermögen beurteilt. Allein der Umstand, dass sich die Klägerin nunmehr auf ein Ereignis stützt, das aus ihrer subjektiven Sicht möglicherweise eine Einschränkung hervorruft, gibt bei Würdigung sämtlicher Gutachten keine Veranlassung, dem weiter nachzugehen, solange nicht annähernd die Annahme begründet ist, dass dieses - von Dr. P zur Kenntnis genommene, aber nicht erwähnte - Ereignis zu nachhaltigen Störungen geführt hat. Dafür hat der Senat keinerlei Anhaltspunkte, zumal die Klägerin trotz dieses Ereignisses Anfang der 90er Jahre - wie sie es zeitlich eingeordnet hat - bis zum Jahre 2001 weiter ihrer Tätigkeit nachgegangen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Anlass, die Revision zuzulassen, bestand nicht, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs.2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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