Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 6 R 114/07
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 14 R 525/11 WA
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt eine höhere Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Die am 00.00.1962 geborene Klägerin war zuletzt als Diplom-Sozialarbeiterin beschäftigt. Unter dem 00.00.2006 stellte sie einen Antrag auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Nach Durchführung medizinischer Ermittlungen bewilligte die Beklagte ihr mit Bescheid vom 00.00.2006 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 00.00.2006 auf Dauer. Die der Rente zu Grunde liegende Summe aller Entgeltpunkte betrug 33,7090. Die Beklagte ging in diesem Bescheid von einem Rentenzugangsfaktor von 0,892 aus, weil sich der Zugangsfaktor für jeden Kalendermonat nach Ablauf des Monats Februar 2022, dem Ende des Monats vor Vollendung des 60. Lebensjahres der Klägerin, bis zur Vollendung des 63. Lebensjahres um 0,003 (insgesamt 36 x 0,003 = 0,108) vermindere. Die auf dieser Grundlage von der Beklagten berechneten persönlichen Entgeltpunkte der Klägerin betrugen 30,0684 (33,7090 x 0,892). Im Versicherungsverlauf des Bescheides vom 00.00.2006 waren 196 Monate Zurechnungszeit (beginnend mit dem 00.00.2005 bis 00.00.2022) gespeichert. Die Klägerin legte am 00.00.2007 unter Hinweis auf die Entscheidung des 4. Senats des Bundessozialgerichts vom 16.05.2006 (Az.: 4 RA 22/05 R) Widerspruch ein und begehrte eine höhere Rente unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von 1,0. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 00.00.2007 zurück.
Hiergegen richtet sich die am 00.00.2007 erhobene Klage.
Die Klägerin ist der Auffassung, die Minderung des Rentenzugangsfaktors sei mit Wortlaut, Gesetzessystematik und Entstehungsgeschichte des § 77 SGB VI nicht in Einklang zu bringen. Überdies spreche die Intention des Gesetzgebers, mit der Einführung eines Zugangsfaktors bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ein Ausweichen von einer vorgezogenen Altersrente in eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu verhindern, dafür, dass Bezieher einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit erst ab Vollendung des 60. Lebensjahres eine Minderung des Zugangsfaktors hinzunehmen hätten. Denn erst ab diesem Zeitpunkt sei die vorgezogene Inanspruchnahme einer Altersrente möglich und damit Ausweichreaktionen denkbar. Schliesslich bestünde anderenfalls eine mit Art. 3 Grundgesetz nicht zu vereinbarende Gleichbehandlung von Erwerbsminderungs- und Altersrenten.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 00.00.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 00.00.2007 zu ver- urteilen, ihr ungekürzte Rente unter Zugrundelegung eines Zugangs- faktors von 1,0 ab dem 00.00.2006 nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie beruft sich ihrerseits auf Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Systematik des § 77 SGB VI.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer konnte durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten hiermit übereinstimmend einverstanden erklärt haben, § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist zulässig, jedoch nicht begründet. Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Sie hat keinen Anspruch auf Auszahlung ungekürzter Rente wegen voller Erwerbsminderung unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von 1,0.
Nach Auffassung der Kammer haben – entgegen der Entscheidung des 4. Senats des Bundessozialgerichts vom 16.05.2006, B 4 RA 22/05 R – Bezieher einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, die das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, eine Minderung des Zugangsfaktors um 0,108 hinzunehmen (siehe bereits SG Aachen, Urteil vom 09.02.2007, S 8 96/06, NZS 2007, 322 ff.; ebenso nunmehr SG Aachen, Urteile vom 20. März und 15. Mai 2007, S 13 R 76/06 und S 13 (4) R 55/07, Sozialgericht für das Saarland, Urteil vom 8. Mai 2007, S 14 R 82/07, SG Augsburg, Urteil vom 23. April 2007, S 3 R 26/07; SG Köln, Urteil vom 12. April 2007, S 29 (25) R 337/06, SG Altenburg, Urteil vom 22. März 2007, S 14 KN 64/07, alle abrufbar unter juris). Dies folgt aus der Vorschrift des § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr.3 SGB VI, nach der sich der Zugangsfaktor von 1,0 für jeden Kalendermonat, für den eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 63. Lebensjahres in Anspruch genommen wird, um 0,003 vermindert. Allerdings wird der Zugangsfaktor nach § 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI höchstens um die Kalendermonate bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres vermindert, so dass sich maximal eine Minderung von 0,108 (36 Monate multipliziert mit 0,003) ergibt. Aus diesem Grund beträgt die Minderung des Zugangsfaktors für Bezieher einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, die das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, stets 0,108 (ebenso Stahl, in: Hauck/Noftz, SGB VI, Stand: § 77 Rdnr. 45; Polster, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 53. Ergänzungslieferung 2007, § 77 Rdnr. 21).
Entgegen der Auffassung der Klägerin sprechen für diese Interpretation der maßgeblichen Vorschrift des § 77 SGB VI aus Sicht der Kammer neben grammatikalischen auch entstehungsgeschichtliche Überlegungen.
Bereits der Wortlaut des § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr.1 SGB VI deutet darauf hin, dass auch für Bezieher einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, die das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, eine Minderung des Zugangsfaktors eintritt. Denn § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr.3 SGB VI enthält zunächst die allgemeine Regelung, dass der Zugangsfaktor für Entgeltpunkte, die noch nicht Grundlage von persönlichen Entgeltpunkten einer Rente waren, "bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ...für jeden Kalendermonat, für den eine Rente vor Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 63. Lebensjahres in Anspruch genommen wird, um 0,003 niedriger als 1,0" ist. Da Bezieher von Erwerbsminderungsrenten, die das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, die Rente vor Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 63. Lebensjahres in Anspruch nehmen, findet diese allgemeine Regelung auf sie Anwendung. Die allgemeine Aussage des § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr.3 SGB VI aber wird durch § 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI nicht dahingehend eingeschränkt, dass der Beginn der "Vorzeitigkeit" des Rentenbezugs frühestens auf die Vollendung des 60. Lebensjahres festgelegt wird (a.A. BSG, Urteil vom 16.05.2006, B 4 RA 22/05 R). Hätte der Gesetzgeber der Vorschrift des § 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI diesen Bedeutungsgehalt zumessen wollen, so hätte es nahe gelegen, hierfür eine entsprechende Formulierung in der allgemeinen Vorschrift des § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr.3 SGB VI vorzusehen. Demgegenüber hat er sich der ungleich umständlicheren Formulierung bedient, dass – wenn eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des 60. Lebensjahres beginnt – "die Vollendung des 60. Lebensjahres für die Bestimmung des Zugangsfaktors maßgeblich" ist. Bereits dieser Umstand spricht dafür, dass ein verminderter Zugangsfaktor auch für Erwerbsminderungsrenten gilt, die vor Vollendung des 60. Lebensjahres bezogen werden, jedoch eine Beschränkung der Reduzierung eintritt, die sich bei Vollendung des 60. Lebensjahres ergibt. Auch § 77 Abs. 2 Satz 3 SGB VI steht dieser Auslegung nicht entgegen, sondern bestätigt sie. Wollte man § 77 Abs. 2 Satz 3 SGB VI entnehmen, dass die "Zeit einer vorzeitige Inanspruchnahme" bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nur ein Rentenbezug ab dem 60. Lebensjahr ist (so der 4. Senat des BSG, a.a.O.), würde sich diese Vorschrift darin erschöpfen, den Bedeutungsgehalt des § 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI (in der vom 4. Senat des BSG zu Grunde gelegten Interpretation) zu wiederholen. Da nicht davon auszugehen ist, dass der Gesetzgeber wiederholende und damit überflüssige Regelungen schafft, erscheint es sinnvoller, § 77 Abs. 2 Satz 3 SGB VI als Konkretisierung von § 77 Abs. 3 Satz 1 SGB VI anzusehen. In dieser Auslegung führt § 77 Abs. 2 Satz 3 SGB VI dazu, dass der verminderte Zugangsfaktor für spätere Renten lediglich dann zu Grunde zu legen ist, wenn die Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit über das 60. Lebensjahr hinaus bezogen wird (Polster, a.a.O.; Stahl, a.a.O., Rdnr. 47). Der Wortlaut der Vorschrift bestätigt diese Auslegung. Denn § 77 Abs. 2 Satz 3 SGB VI ist – im Gegensatz zu § 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI – nicht auf Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit oder Erziehungsrenten beschränkt, sondern spricht lediglich von der "Zeit des Bezugs einer Rente". Bereits dies verdeutlicht seine inhaltliche Anknüpfung an § 77 Abs. 3 Satz 1 SGB VI, der ebenfalls (allgemein) von "einer früheren Rente" (nicht: Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit) spricht. Auch auch die vom Gesetzgeber gewählte gesetzliche Fiktion in § 77 Abs. 2 Satz 3 SGB VI streitet hierfür. Denn wenn die Zeit des Bezugs einer Rente vor Vollendung des 60. Lebensjahres des Versicherten nicht als Zeit einer vorzeitigen Inanspruchnahme "gilt", deutet vieles darauf hin, dass sie tatsächlich eine Zeit vorzeitiger Inanspruchnahme ist, jedoch wegen § 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI zu keiner über 0,108 hinausreichenden Minderung des Zugangsfaktors führt.
Der Wortlaut der Anlage 23 zur Übergangsvorschrift des § 264c SGB VI steht der hier vertretenen Auffassung nicht entgegen. Insbesondere lässt der Umstand, dass nach dieser Anlage als "maßgebendes Lebensalter" lediglich die Zeit vom 60. bis zum 63. Lebensjahr aufgeführt wird, nicht allein den Schluss zu, Bezieher einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, die das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, hätten keine Minderung des Zugangsfaktors hinzunehmen (a.A. BSG, a.a.O.). Mit diesem Wortlaut ist ebenso die Auslegung vereinbar, dass auch Bezieher einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des 60. Lebensjahres eine Minderung des Zugangsfaktors hinzunehmen haben, die jedoch stets auf die Minderung begrenzt ist, die sich bei Vollendung des 60. Lebensjahres ergibt.
Die Entstehungsgeschichte des § 77 SGB VI untermauert die von der Kammer zu Grunde gelegte Interpretation dieser Vorschrift. So wird in der Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit in der 14. Wahlperiode ausgeführt: "Die Höhe der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit wird an die der vorzeitig in Anspruch genommenen Altersrenten angeglichen. Der Zugangsfaktor wird für jeden Monat des Rentenbeginns vor dem 63. Lebensjahr um 0,3%, höchstens um 10,8% gemindert" (vgl. BT-Drs. 14/4230, S. 26). Dem entsprechend geht die Begründung zu § 63 SGB VI von einer Minderung des Zugangsfaktors aus, "wenn eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor dem vollendeten 63. Lebensjahr in Anspruch genommen wird (§ 77)", BT-Drs. 14/4230, S. 26. Auch diese Formulierungen deuten darauf hin, dass bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit eine Minderung des Zugangsfaktors auch bei Rentenbezug vor Vollendung des 60. Lebensjahres erfolgt, denn die allgemeine Aussage "vor Vollendung des 63. Lebensjahres" erfährt auch in der Gesetzesbegründung keine Einschränkung auf die Zeit von der Vollendung des 60. bis zur Vollendung des 63. Lebensjahres.
Schliesslich steht auch die ratio legis des § 77 SGB VI der hier vertretenen Auffassung nicht entgegen. Bereits der (allgemeine) Sinn und Zweck eines Zugangsfaktors – der darin besteht, die Vorteile eines längeren Rentenbezugs auszugleichen (vgl. nur die Begründung zu § 77 im Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, BT-Drs. 14/4230, S. 26) – läßt eine Privilegierung Versicherter mit einer längeren Rentenbezugszeit zweifelhaft erscheinen (vgl. Kreikebohm, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching (Hrsg.), Beck scher Online-Kommentar Sozialrecht, Stand Juni 2007, § 77 SGB VI Rdnr. 3.1). Auch die in der Gesetzesbegründung mehrfach zum Ausdruck gebrachte Intention des Gesetzgebers, mit der Neufassung des § 77 SGB VI die Höhe der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit an die vorzeitig in Anspruch genommenen Altersrenten anzugleichen, um "Ausweichreaktionen" entgegenzuwirken (siehe nur Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, BT-Drs. 14/4230, S. 23 f. und 26 sowie bereits Entwurf eines Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung, BT-Drs. 13/8011, S. 50) zwingt nach Auffassung der Kammer nicht zu der Annahme, Erwerbsminderungsrentner, die bei Rentenbeginn das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, hätten einen verminderten Zugangsfaktor lediglich dann hinzunehmen, wenn sie Rente über das 60. Lebensjahr hinaus beziehen. Zwar ist die vorzeitige Inanspruchnahme einer Altersrente frühestens mit Vollendung des 60. Lebensjahres möglich. Indessen wird auch die hier vertretene Interpretation dem Sinn und Zweck der Vorschrift des § 77 SGB VI gerecht. Denn der maximale Abschlag von 10,8%, den der Bezug einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor dem 60. Lebensjahr mit sich bringt, wird durch die gleichzeitig vorgesehene volle Anrechnung der Zeit zwischen dem 55. und 60. Lebensjahr als Zurechnungszeit (vgl. auch BT-Drs. 14/4230, S. 24) auf ca. 3% abgemildert. Je mehr sich der Bezieher einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit aber der Vollendung des 60. Lebensjahres nähert, um so höher wird (mit geringerer Zurechnungszeit) die reale Belastung, bis sie (mit Vollendung des 60. Lebensjahres, ab dem eine Zurechnungszeit nicht mehr berücksichtigt wird) den Höchstwert von 10,8% erreicht (vgl. Mey, RVaktuell 2007, 44, 48).
Für die Kammer bestand auch keine Verpflichtung zur Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Denn die Vorschrift des § 77 SGB VI verstößt in der hier zu Grunde gelegten Interpretation nicht gegen Verfassungsrecht. Insbesondere ist eine Verletzung des Eigentumsgrundrechts, Art. 14 GG, nicht ersichtlich. Allerdings führt die Minderung des Zugangsfaktors, die sich in der Minderung der Entgeltpunkte fortsetzt, letztendlich zu einer Verringerung des Zahlbetrags der Rente und bedeutet damit einen Eingriff in eine durch Art. 14 GG geschützte Rechtsposition (zum Eigentumsschutz von Versichertenrenten jüngst BVerfG, Beschluss vom 27.02.2007, 1 BvL 10/00, SGb 2007, 422 ff. m.w.N.; auch bereits BVerfG, Urteil vom 01.07.1981, 1 BvR 874/77 u.a., BVerfGE 58, 81 ff. sowie Urteil vom 08.04.1987, 1 BvR 574/84 u.a., BVerfGE 75, 78 ff.). Die Anforderungen, die an die verfassungsrechtliche Rechtfertigung dieses Grundrechtseingriffs zu stellen sind, bemessen sich nach der Intensität des Eingriffs: Je intensiver in eine grundrechtlich geschützte Rechtsposition eingegriffen wird, desto höher sind die Anforderungen an die verfassungsrechtliche Rechtfertigung (st. Rspr. des Bundesverfassungsgerichts, vgl. nur Beschluss vom 05.05.1987, 1 BvR 981/81, BVerfGE 75, 284 ff. m.w.N.). Dabei umfasst die in Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG enthaltene Befugnis zur Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums auch die gesetzgeberische Möglichkeit, eigentumsgeschützte sozialversicherungsrechtliche Ansprüche zu kürzen und umzugestalten, solange dies einem Gemeinwohlzweck dient und nicht unverhältnismäßig ist (BVerfG, Urteil vom 28.04.1999, 1 BvL 32/95 u.a., BVerfGE 100, 1, 37). Die vom Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit getroffenen Regelungen halten sich im Rahmen dieser verfassungsrechtlichen Vorgaben. Der in der Regelung des § 77 Abs. 2 Satz 1 SGB VI liegende Eingriff in Art. 14 GG ist durch Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt und genügt den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Die mit dem Gesetz verfolgte Zielsetzung, Ausweichreaktionen von den Altersrenten, die nur bei Inkaufnahme von Abschlägen vorzeitig in Anspruch genommen werden können, in die Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit entgegenzuwirken, dient letztendlich dazu, die Funktions- und Leistungsfähigkeit des Systems der gesetzlichen Rentenver-sicherung aufrechtzuerhalten. Derart gewichtige Gemeinwohlbelange vermögen Eingriffe in bestehende Leistungsansprüche zu rechtfertigen, wobei dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum verbleibt (vgl. BVerfG, Urteil vom 08.07.1971, 1 BvR 766/66, BVerfGE 31, 275, 290). Auch wird in die grundrechtlich geschützten Positionen der Versicherten nicht in unverhältnismäßiger Weise eingegriffen. Denn die Auswirkungen der Minderung des Zugangsfaktors werden durch die volle Anrechnung der Zeit zwischen dem 55. und dem 60. Lebensjahr als Zurechnungszeit – die auch der Klägerin zu Gute kommt – abgemildert (so ausdrücklich die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 14/4230, S. 24). Überdies begrenzen auch die Vorschriften des § 77 Abs. 2 Satz 3 und Abs. 3 Satz 1 SGB VI das Ausmaß der Belastung der Versicherten.
Auch eine Verletzung des (allgemeinen) Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG vermag das Gericht in der hier zu Grunde gelegten Interpretation von § 77 SGB VI nicht zu erkennen. Zwar verbietet Art. 3 Abs. 1 GG die Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem (st. Rspr. des Bundesverfassungsgerichts, siehe nur Beschluss vom 15.07.1998, 1 BvR 1554/89 u.a., BverfGE 98, 365, 385; Jarass, in: ders./Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 9. Auflage 2007, Art. 3 Rdnr. 5 m.w.N.). Dem Gesetzgeber kommt hier jedoch ein noch weiterer Gestaltungsspielraum zu, als in Fällen der Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem. Art 3 Abs. 1 GG ist hier erst dann verletzt, wenn für die Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem ein vernünftiger, einleuchtender Grund fehlt (siehe nur BVerfG, Beschluss vom 23.03.1994, 1 BvL 8/85, BverfGE 90, 226, 239 m.w.N.; Jarass, a.a.O., Rdnr. 28). Unter Berücksichtigung dieser Maßgaben ist die Vorschrift des § 77 SGB VI mit dem allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar. Zunächst liegt eine (völlige) Gleichbehandlung von Beziehern einer Erwerbsminderungsrente und Beziehern einer Altersrente nicht vor. Denn die Minderung des Zugangsfaktors bei Erwerbsminderungsrenten ist – in der hier zu Grunde gelegten Auslegung des § 77 Abs. 2 Satz 3 SGB VI – auf maximal 0,108 begrenzt. Demgegenüber kann die Minderung bei vorzeitig in Anspruch genommenen Altersrenten maximal 0,18 betragen, § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr.2 lit a) SGB VI (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 28.04.2005, L 1 RA 255/04 – juris). Überdies liegt mit der durch die gesetzliche Regelung intendierten Vermeidung von Ausweichreaktionen von Altersrenten in Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ein vernünftiger Grund für die Gleichbehandlung beider Rentenarten vor (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, a.a.O.).
Nach alledem hat die Beklagte im Bescheid vom 00.00.2006 zu Recht einen geminderten Zugangsfaktor zu Grunde gelegt. Denn die Klägerin hat die ihr gewährte Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (§ 33 Abs. 3 Nr.2 SGB VI) vor Vollendung ihres 60. Lebensjahres in Anspruch genommen. Die Ermittlung des konkreten Zugangsfaktors bestimmt sich nach § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr.3, Satz 2 und 3 SGB VI. Danach ist die Beklagte zu Recht davon ausgegangen, dass die maximale Minderung von 0,108 zu Grunde zu legen war, die sich bei Vollendung des 60. Lebensjahres ergibt (36 Monate multipliziert mit 0,003) und sie hat dementsprechend die Rente der Klägerin zutreffend um 10,8% gemindert.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt eine höhere Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Die am 00.00.1962 geborene Klägerin war zuletzt als Diplom-Sozialarbeiterin beschäftigt. Unter dem 00.00.2006 stellte sie einen Antrag auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Nach Durchführung medizinischer Ermittlungen bewilligte die Beklagte ihr mit Bescheid vom 00.00.2006 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 00.00.2006 auf Dauer. Die der Rente zu Grunde liegende Summe aller Entgeltpunkte betrug 33,7090. Die Beklagte ging in diesem Bescheid von einem Rentenzugangsfaktor von 0,892 aus, weil sich der Zugangsfaktor für jeden Kalendermonat nach Ablauf des Monats Februar 2022, dem Ende des Monats vor Vollendung des 60. Lebensjahres der Klägerin, bis zur Vollendung des 63. Lebensjahres um 0,003 (insgesamt 36 x 0,003 = 0,108) vermindere. Die auf dieser Grundlage von der Beklagten berechneten persönlichen Entgeltpunkte der Klägerin betrugen 30,0684 (33,7090 x 0,892). Im Versicherungsverlauf des Bescheides vom 00.00.2006 waren 196 Monate Zurechnungszeit (beginnend mit dem 00.00.2005 bis 00.00.2022) gespeichert. Die Klägerin legte am 00.00.2007 unter Hinweis auf die Entscheidung des 4. Senats des Bundessozialgerichts vom 16.05.2006 (Az.: 4 RA 22/05 R) Widerspruch ein und begehrte eine höhere Rente unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von 1,0. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 00.00.2007 zurück.
Hiergegen richtet sich die am 00.00.2007 erhobene Klage.
Die Klägerin ist der Auffassung, die Minderung des Rentenzugangsfaktors sei mit Wortlaut, Gesetzessystematik und Entstehungsgeschichte des § 77 SGB VI nicht in Einklang zu bringen. Überdies spreche die Intention des Gesetzgebers, mit der Einführung eines Zugangsfaktors bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ein Ausweichen von einer vorgezogenen Altersrente in eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu verhindern, dafür, dass Bezieher einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit erst ab Vollendung des 60. Lebensjahres eine Minderung des Zugangsfaktors hinzunehmen hätten. Denn erst ab diesem Zeitpunkt sei die vorgezogene Inanspruchnahme einer Altersrente möglich und damit Ausweichreaktionen denkbar. Schliesslich bestünde anderenfalls eine mit Art. 3 Grundgesetz nicht zu vereinbarende Gleichbehandlung von Erwerbsminderungs- und Altersrenten.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 00.00.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 00.00.2007 zu ver- urteilen, ihr ungekürzte Rente unter Zugrundelegung eines Zugangs- faktors von 1,0 ab dem 00.00.2006 nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie beruft sich ihrerseits auf Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Systematik des § 77 SGB VI.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer konnte durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten hiermit übereinstimmend einverstanden erklärt haben, § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist zulässig, jedoch nicht begründet. Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Sie hat keinen Anspruch auf Auszahlung ungekürzter Rente wegen voller Erwerbsminderung unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von 1,0.
Nach Auffassung der Kammer haben – entgegen der Entscheidung des 4. Senats des Bundessozialgerichts vom 16.05.2006, B 4 RA 22/05 R – Bezieher einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, die das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, eine Minderung des Zugangsfaktors um 0,108 hinzunehmen (siehe bereits SG Aachen, Urteil vom 09.02.2007, S 8 96/06, NZS 2007, 322 ff.; ebenso nunmehr SG Aachen, Urteile vom 20. März und 15. Mai 2007, S 13 R 76/06 und S 13 (4) R 55/07, Sozialgericht für das Saarland, Urteil vom 8. Mai 2007, S 14 R 82/07, SG Augsburg, Urteil vom 23. April 2007, S 3 R 26/07; SG Köln, Urteil vom 12. April 2007, S 29 (25) R 337/06, SG Altenburg, Urteil vom 22. März 2007, S 14 KN 64/07, alle abrufbar unter juris). Dies folgt aus der Vorschrift des § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr.3 SGB VI, nach der sich der Zugangsfaktor von 1,0 für jeden Kalendermonat, für den eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 63. Lebensjahres in Anspruch genommen wird, um 0,003 vermindert. Allerdings wird der Zugangsfaktor nach § 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI höchstens um die Kalendermonate bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres vermindert, so dass sich maximal eine Minderung von 0,108 (36 Monate multipliziert mit 0,003) ergibt. Aus diesem Grund beträgt die Minderung des Zugangsfaktors für Bezieher einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, die das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, stets 0,108 (ebenso Stahl, in: Hauck/Noftz, SGB VI, Stand: § 77 Rdnr. 45; Polster, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 53. Ergänzungslieferung 2007, § 77 Rdnr. 21).
Entgegen der Auffassung der Klägerin sprechen für diese Interpretation der maßgeblichen Vorschrift des § 77 SGB VI aus Sicht der Kammer neben grammatikalischen auch entstehungsgeschichtliche Überlegungen.
Bereits der Wortlaut des § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr.1 SGB VI deutet darauf hin, dass auch für Bezieher einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, die das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, eine Minderung des Zugangsfaktors eintritt. Denn § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr.3 SGB VI enthält zunächst die allgemeine Regelung, dass der Zugangsfaktor für Entgeltpunkte, die noch nicht Grundlage von persönlichen Entgeltpunkten einer Rente waren, "bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ...für jeden Kalendermonat, für den eine Rente vor Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 63. Lebensjahres in Anspruch genommen wird, um 0,003 niedriger als 1,0" ist. Da Bezieher von Erwerbsminderungsrenten, die das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, die Rente vor Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 63. Lebensjahres in Anspruch nehmen, findet diese allgemeine Regelung auf sie Anwendung. Die allgemeine Aussage des § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr.3 SGB VI aber wird durch § 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI nicht dahingehend eingeschränkt, dass der Beginn der "Vorzeitigkeit" des Rentenbezugs frühestens auf die Vollendung des 60. Lebensjahres festgelegt wird (a.A. BSG, Urteil vom 16.05.2006, B 4 RA 22/05 R). Hätte der Gesetzgeber der Vorschrift des § 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI diesen Bedeutungsgehalt zumessen wollen, so hätte es nahe gelegen, hierfür eine entsprechende Formulierung in der allgemeinen Vorschrift des § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr.3 SGB VI vorzusehen. Demgegenüber hat er sich der ungleich umständlicheren Formulierung bedient, dass – wenn eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des 60. Lebensjahres beginnt – "die Vollendung des 60. Lebensjahres für die Bestimmung des Zugangsfaktors maßgeblich" ist. Bereits dieser Umstand spricht dafür, dass ein verminderter Zugangsfaktor auch für Erwerbsminderungsrenten gilt, die vor Vollendung des 60. Lebensjahres bezogen werden, jedoch eine Beschränkung der Reduzierung eintritt, die sich bei Vollendung des 60. Lebensjahres ergibt. Auch § 77 Abs. 2 Satz 3 SGB VI steht dieser Auslegung nicht entgegen, sondern bestätigt sie. Wollte man § 77 Abs. 2 Satz 3 SGB VI entnehmen, dass die "Zeit einer vorzeitige Inanspruchnahme" bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nur ein Rentenbezug ab dem 60. Lebensjahr ist (so der 4. Senat des BSG, a.a.O.), würde sich diese Vorschrift darin erschöpfen, den Bedeutungsgehalt des § 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI (in der vom 4. Senat des BSG zu Grunde gelegten Interpretation) zu wiederholen. Da nicht davon auszugehen ist, dass der Gesetzgeber wiederholende und damit überflüssige Regelungen schafft, erscheint es sinnvoller, § 77 Abs. 2 Satz 3 SGB VI als Konkretisierung von § 77 Abs. 3 Satz 1 SGB VI anzusehen. In dieser Auslegung führt § 77 Abs. 2 Satz 3 SGB VI dazu, dass der verminderte Zugangsfaktor für spätere Renten lediglich dann zu Grunde zu legen ist, wenn die Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit über das 60. Lebensjahr hinaus bezogen wird (Polster, a.a.O.; Stahl, a.a.O., Rdnr. 47). Der Wortlaut der Vorschrift bestätigt diese Auslegung. Denn § 77 Abs. 2 Satz 3 SGB VI ist – im Gegensatz zu § 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI – nicht auf Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit oder Erziehungsrenten beschränkt, sondern spricht lediglich von der "Zeit des Bezugs einer Rente". Bereits dies verdeutlicht seine inhaltliche Anknüpfung an § 77 Abs. 3 Satz 1 SGB VI, der ebenfalls (allgemein) von "einer früheren Rente" (nicht: Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit) spricht. Auch auch die vom Gesetzgeber gewählte gesetzliche Fiktion in § 77 Abs. 2 Satz 3 SGB VI streitet hierfür. Denn wenn die Zeit des Bezugs einer Rente vor Vollendung des 60. Lebensjahres des Versicherten nicht als Zeit einer vorzeitigen Inanspruchnahme "gilt", deutet vieles darauf hin, dass sie tatsächlich eine Zeit vorzeitiger Inanspruchnahme ist, jedoch wegen § 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI zu keiner über 0,108 hinausreichenden Minderung des Zugangsfaktors führt.
Der Wortlaut der Anlage 23 zur Übergangsvorschrift des § 264c SGB VI steht der hier vertretenen Auffassung nicht entgegen. Insbesondere lässt der Umstand, dass nach dieser Anlage als "maßgebendes Lebensalter" lediglich die Zeit vom 60. bis zum 63. Lebensjahr aufgeführt wird, nicht allein den Schluss zu, Bezieher einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, die das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, hätten keine Minderung des Zugangsfaktors hinzunehmen (a.A. BSG, a.a.O.). Mit diesem Wortlaut ist ebenso die Auslegung vereinbar, dass auch Bezieher einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des 60. Lebensjahres eine Minderung des Zugangsfaktors hinzunehmen haben, die jedoch stets auf die Minderung begrenzt ist, die sich bei Vollendung des 60. Lebensjahres ergibt.
Die Entstehungsgeschichte des § 77 SGB VI untermauert die von der Kammer zu Grunde gelegte Interpretation dieser Vorschrift. So wird in der Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit in der 14. Wahlperiode ausgeführt: "Die Höhe der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit wird an die der vorzeitig in Anspruch genommenen Altersrenten angeglichen. Der Zugangsfaktor wird für jeden Monat des Rentenbeginns vor dem 63. Lebensjahr um 0,3%, höchstens um 10,8% gemindert" (vgl. BT-Drs. 14/4230, S. 26). Dem entsprechend geht die Begründung zu § 63 SGB VI von einer Minderung des Zugangsfaktors aus, "wenn eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor dem vollendeten 63. Lebensjahr in Anspruch genommen wird (§ 77)", BT-Drs. 14/4230, S. 26. Auch diese Formulierungen deuten darauf hin, dass bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit eine Minderung des Zugangsfaktors auch bei Rentenbezug vor Vollendung des 60. Lebensjahres erfolgt, denn die allgemeine Aussage "vor Vollendung des 63. Lebensjahres" erfährt auch in der Gesetzesbegründung keine Einschränkung auf die Zeit von der Vollendung des 60. bis zur Vollendung des 63. Lebensjahres.
Schliesslich steht auch die ratio legis des § 77 SGB VI der hier vertretenen Auffassung nicht entgegen. Bereits der (allgemeine) Sinn und Zweck eines Zugangsfaktors – der darin besteht, die Vorteile eines längeren Rentenbezugs auszugleichen (vgl. nur die Begründung zu § 77 im Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, BT-Drs. 14/4230, S. 26) – läßt eine Privilegierung Versicherter mit einer längeren Rentenbezugszeit zweifelhaft erscheinen (vgl. Kreikebohm, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching (Hrsg.), Beck scher Online-Kommentar Sozialrecht, Stand Juni 2007, § 77 SGB VI Rdnr. 3.1). Auch die in der Gesetzesbegründung mehrfach zum Ausdruck gebrachte Intention des Gesetzgebers, mit der Neufassung des § 77 SGB VI die Höhe der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit an die vorzeitig in Anspruch genommenen Altersrenten anzugleichen, um "Ausweichreaktionen" entgegenzuwirken (siehe nur Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, BT-Drs. 14/4230, S. 23 f. und 26 sowie bereits Entwurf eines Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung, BT-Drs. 13/8011, S. 50) zwingt nach Auffassung der Kammer nicht zu der Annahme, Erwerbsminderungsrentner, die bei Rentenbeginn das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, hätten einen verminderten Zugangsfaktor lediglich dann hinzunehmen, wenn sie Rente über das 60. Lebensjahr hinaus beziehen. Zwar ist die vorzeitige Inanspruchnahme einer Altersrente frühestens mit Vollendung des 60. Lebensjahres möglich. Indessen wird auch die hier vertretene Interpretation dem Sinn und Zweck der Vorschrift des § 77 SGB VI gerecht. Denn der maximale Abschlag von 10,8%, den der Bezug einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor dem 60. Lebensjahr mit sich bringt, wird durch die gleichzeitig vorgesehene volle Anrechnung der Zeit zwischen dem 55. und 60. Lebensjahr als Zurechnungszeit (vgl. auch BT-Drs. 14/4230, S. 24) auf ca. 3% abgemildert. Je mehr sich der Bezieher einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit aber der Vollendung des 60. Lebensjahres nähert, um so höher wird (mit geringerer Zurechnungszeit) die reale Belastung, bis sie (mit Vollendung des 60. Lebensjahres, ab dem eine Zurechnungszeit nicht mehr berücksichtigt wird) den Höchstwert von 10,8% erreicht (vgl. Mey, RVaktuell 2007, 44, 48).
Für die Kammer bestand auch keine Verpflichtung zur Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Denn die Vorschrift des § 77 SGB VI verstößt in der hier zu Grunde gelegten Interpretation nicht gegen Verfassungsrecht. Insbesondere ist eine Verletzung des Eigentumsgrundrechts, Art. 14 GG, nicht ersichtlich. Allerdings führt die Minderung des Zugangsfaktors, die sich in der Minderung der Entgeltpunkte fortsetzt, letztendlich zu einer Verringerung des Zahlbetrags der Rente und bedeutet damit einen Eingriff in eine durch Art. 14 GG geschützte Rechtsposition (zum Eigentumsschutz von Versichertenrenten jüngst BVerfG, Beschluss vom 27.02.2007, 1 BvL 10/00, SGb 2007, 422 ff. m.w.N.; auch bereits BVerfG, Urteil vom 01.07.1981, 1 BvR 874/77 u.a., BVerfGE 58, 81 ff. sowie Urteil vom 08.04.1987, 1 BvR 574/84 u.a., BVerfGE 75, 78 ff.). Die Anforderungen, die an die verfassungsrechtliche Rechtfertigung dieses Grundrechtseingriffs zu stellen sind, bemessen sich nach der Intensität des Eingriffs: Je intensiver in eine grundrechtlich geschützte Rechtsposition eingegriffen wird, desto höher sind die Anforderungen an die verfassungsrechtliche Rechtfertigung (st. Rspr. des Bundesverfassungsgerichts, vgl. nur Beschluss vom 05.05.1987, 1 BvR 981/81, BVerfGE 75, 284 ff. m.w.N.). Dabei umfasst die in Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG enthaltene Befugnis zur Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums auch die gesetzgeberische Möglichkeit, eigentumsgeschützte sozialversicherungsrechtliche Ansprüche zu kürzen und umzugestalten, solange dies einem Gemeinwohlzweck dient und nicht unverhältnismäßig ist (BVerfG, Urteil vom 28.04.1999, 1 BvL 32/95 u.a., BVerfGE 100, 1, 37). Die vom Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit getroffenen Regelungen halten sich im Rahmen dieser verfassungsrechtlichen Vorgaben. Der in der Regelung des § 77 Abs. 2 Satz 1 SGB VI liegende Eingriff in Art. 14 GG ist durch Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt und genügt den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Die mit dem Gesetz verfolgte Zielsetzung, Ausweichreaktionen von den Altersrenten, die nur bei Inkaufnahme von Abschlägen vorzeitig in Anspruch genommen werden können, in die Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit entgegenzuwirken, dient letztendlich dazu, die Funktions- und Leistungsfähigkeit des Systems der gesetzlichen Rentenver-sicherung aufrechtzuerhalten. Derart gewichtige Gemeinwohlbelange vermögen Eingriffe in bestehende Leistungsansprüche zu rechtfertigen, wobei dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum verbleibt (vgl. BVerfG, Urteil vom 08.07.1971, 1 BvR 766/66, BVerfGE 31, 275, 290). Auch wird in die grundrechtlich geschützten Positionen der Versicherten nicht in unverhältnismäßiger Weise eingegriffen. Denn die Auswirkungen der Minderung des Zugangsfaktors werden durch die volle Anrechnung der Zeit zwischen dem 55. und dem 60. Lebensjahr als Zurechnungszeit – die auch der Klägerin zu Gute kommt – abgemildert (so ausdrücklich die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 14/4230, S. 24). Überdies begrenzen auch die Vorschriften des § 77 Abs. 2 Satz 3 und Abs. 3 Satz 1 SGB VI das Ausmaß der Belastung der Versicherten.
Auch eine Verletzung des (allgemeinen) Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG vermag das Gericht in der hier zu Grunde gelegten Interpretation von § 77 SGB VI nicht zu erkennen. Zwar verbietet Art. 3 Abs. 1 GG die Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem (st. Rspr. des Bundesverfassungsgerichts, siehe nur Beschluss vom 15.07.1998, 1 BvR 1554/89 u.a., BverfGE 98, 365, 385; Jarass, in: ders./Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 9. Auflage 2007, Art. 3 Rdnr. 5 m.w.N.). Dem Gesetzgeber kommt hier jedoch ein noch weiterer Gestaltungsspielraum zu, als in Fällen der Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem. Art 3 Abs. 1 GG ist hier erst dann verletzt, wenn für die Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem ein vernünftiger, einleuchtender Grund fehlt (siehe nur BVerfG, Beschluss vom 23.03.1994, 1 BvL 8/85, BverfGE 90, 226, 239 m.w.N.; Jarass, a.a.O., Rdnr. 28). Unter Berücksichtigung dieser Maßgaben ist die Vorschrift des § 77 SGB VI mit dem allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar. Zunächst liegt eine (völlige) Gleichbehandlung von Beziehern einer Erwerbsminderungsrente und Beziehern einer Altersrente nicht vor. Denn die Minderung des Zugangsfaktors bei Erwerbsminderungsrenten ist – in der hier zu Grunde gelegten Auslegung des § 77 Abs. 2 Satz 3 SGB VI – auf maximal 0,108 begrenzt. Demgegenüber kann die Minderung bei vorzeitig in Anspruch genommenen Altersrenten maximal 0,18 betragen, § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr.2 lit a) SGB VI (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 28.04.2005, L 1 RA 255/04 – juris). Überdies liegt mit der durch die gesetzliche Regelung intendierten Vermeidung von Ausweichreaktionen von Altersrenten in Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ein vernünftiger Grund für die Gleichbehandlung beider Rentenarten vor (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, a.a.O.).
Nach alledem hat die Beklagte im Bescheid vom 00.00.2006 zu Recht einen geminderten Zugangsfaktor zu Grunde gelegt. Denn die Klägerin hat die ihr gewährte Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (§ 33 Abs. 3 Nr.2 SGB VI) vor Vollendung ihres 60. Lebensjahres in Anspruch genommen. Die Ermittlung des konkreten Zugangsfaktors bestimmt sich nach § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr.3, Satz 2 und 3 SGB VI. Danach ist die Beklagte zu Recht davon ausgegangen, dass die maximale Minderung von 0,108 zu Grunde zu legen war, die sich bei Vollendung des 60. Lebensjahres ergibt (36 Monate multipliziert mit 0,003) und sie hat dementsprechend die Rente der Klägerin zutreffend um 10,8% gemindert.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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