S 12 KA 236/07

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 236/07
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 40/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Eine Ausgleichregelung in einem Honorarverteilungsvertrag, wonach zur Vermeidung von praxisbezogenen Honorarverwerfungen nach Einführung des EBM 2005 ein Vergleich des für das aktuelle Abrechnungsquartal berechneten fallbezogenen Honoraranspruches der einzelnen Praxis mit der fallbezogenen Honorarzahlung im entsprechenden Abrechnungsquartal des Jahres 2004 erfolgt und in dem Fall, dass der Fallwertvergleich eine Fallwertminderung oder Fallwerterhöhung von jeweils mehr als 5% (bezogen auf den Ausgangswert des Jahres 2004) zeigt, zu einer Begrenzung oder Stützung auf den maximalen Veränderungsrahmen von 5% führt, ist jedenfalls als Anfangs- und Erprobungsregelung im Quartal II/05 nicht zu beanstanden.
2. Der Regelungszweck einer solchen Ausgleichregelung, die auf die Fallzahl des Vorjahresquartals beschränkt ist, wird jedoch für sog. junge Praxen in der Aufbauphase nicht erreicht. Abweichend hiervon ist der Stützungsbetrag für sog. junge Praxen aus dem Fallwert des Quartals I/05 und der Fallzahl des aktuellen Abrechnungsquartals zu berechnen, maximal jedoch bis zum Durchschnittshonorar der Fachgruppe (Fortführung von SG Marburg, Urt. 16.01.2008 - S 12 KA 188/07 – ).
1. Unter Aufhebung des Bescheides vom 06.09.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.04.2007 wird die Beklagte verurteilt, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts über seinen Antrag auf Sonderregelung bzgl. der Ausgleichsregelung nach Ziffer 7.5 HVV für die Quartale II/05 und III/05 neu zu bescheiden.

2. Die Beklagte hat die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um eine Sonderregelung bezüglich der Ausgleichsregelung nach Ziffer 7.5 HVV für die Quartale ab II/05.

Der Kläger ist als Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten seit dem 01.10.2004 mit Praxissitz in A-Stadt zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Er hat die Praxis von Frau C übernommen. Die Beklagte hat die fallzahlabhängige Quotierung nach Ziffer 5.2 HVV für die zwölf Quartale 4/0V bis einschließlich III/07 ausgesetzt. Für die Quartale II/05 bis II/06 setzte die Beklagte das Honorar jeweils mit Honorarbescheid fest. Im Einzelnen wird auf folgende Übersicht verwiesen:

Quartal II/05 III/05 IV/05 I/06 II/06
Honorarbescheid v. 28.06.2006 12.08.2006 28.11.2006 20.01.2007 04.02.2007
Bruttohonorar PK + EK in Euro 31.765,33 31.157,93 39.922,69 45.770,19 42.535,81
Fallzahl PK + EK 1.626 1.649 1.354 1.497 1.878
Ausgleichsregelung in Euro (Anteil in % vom Bruttohonorar) 6.511,52 13.308,82 - 6.086,23

Ziff. 6.3 HVV (RLV)
Abgerechnetes Honorarvolumen in Punkten 1.649.841,5 1.683.637,5 1.385.039,5 1.637.855,0 1.523.180,0
Überschreitung in Punkten (in Relation zum RLV/zur Abrechnung) 770.481,5 798.294,5 658.033,9 835.634,1 504.840,8

Ziff. 7.5 HVV (Ausgleichsregelung)
Bereinigtes Honorar Referenzquartal in Euro 39.587,04 44.314,38 28.817,05
relevante Fallzahl 1.247 1.365 1.626
Fallwert Referenzquartal in Euro 31,7458 32,4647 17,7227
Bereinigter Honoraranspruch aktuell in Euro 28.817,05 28.933,67 28.424,41 27.193,51 43.527,60
Fallzahl aktuell 1.626 1.632 1.354 1.497 1.878
Fallwert aktuell in Euro 17,7227 17,7290 20,9929 18,1653 23,1776 Auffüllbetrag/Kürzung pro Fall in Euro 5,2217 9,7501 - 3,2408 Grenzbetrag 26,2146 (82,6 %) 27,9154 (86,0 %) 19,9368 (112,5 %) Fallwert 95 % in Euro 30,1585 30.8415 18,6088
Differenz Fallwert 95 %/105 % zu aktuellem Fallwert in Euro 9,1656 12,6762 - 4,5688
Ausgleich in Euro 11.429,50 17.302,97 - 7.428,81

Mit Einlegung des Widerspruchs für das Quartal III/05 unter Datum vom 02.02.2006, bei der Beklagten am 03.02. eingegangen, wies der Kläger darauf hin, die Reduzierung seines Honorars ergebe sich insbesondere daraus, dass die Regelung bezüglich der Begrenzung eines Verlustes auf maximal 5% für ihn nicht angewendet werde. Er beantrage daher eine Härtefallentscheidung.

Die Beklagte wies mit Bescheid vom 06.09.2006 den Härtefallantrag ab. Zur Begründung führte sie aus, die Ausgangsdaten für die +/- 5%-Ausgleichsregelung könnten bei Veränderungen der Praxiskonstellationen nur insoweit angepasst werden, als entsprechende Daten aus den Quartalen des Jahres 2004 der eigenen Praxis oder einer Vorgängerpraxis vorhanden seien. Da vom Kläger eigene Daten aus den Quartalen II/04 und III/04 nicht vorhanden seien, entfalle für ihn die Teilnahme an der Ausgleichsregelung nach Ziffer 7.5 HVV. Die Daten der Vorgängerpraxis von Frau C seien für die neue Praxis nicht zugrunde gelegt worden, da diese aufgrund fehlender Vergleichbarkeit nicht repräsentativ seien. Für den Kläger sei bereits begünstigend auf die Einstellung unrepräsentativer Vorgängerdaten verzichtet worden. Im Ergebnis sei damit eine Einstellung gewählt worden, die die Gleichstellung mit anderen jungen Praxen gewährleiste. Eine darüber hinausgehende Ausnahmeregelung – insbesondere durch Zugrundelegung eines anderen Ausgangsquartals wie I/05 – sei unter Beachtung der eindeutigen Vorgaben des Honorarverteilungsvertrages nicht möglich. Der Problematik, dass eine Teilnahme an der Ausgleichsregelung mangels eigener Daten im Ausgangsquartal entfalle, könne schließlich auch nicht durch Einstellung von Fachgruppenwerten begegnet werden.

Hiergegen legte der Kläger am 09.10.2006 Widerspruch ein, den er nicht weiter begründete.

Mit Widerspruchsbescheid vom 18.04.2007, dem Kläger am 26.04. zugestellt, wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, gemäß Ziffer 7.5 HVV könne zur Vermeidung von praxisbezogenen Honorarverwerfungen nach Einführung des EBM 2005 eine Ausgleichsregelung zur Anwendung kommen. Insoweit werde nach Vorlage des Abrechnungsergebnisses im aktuellen Quartal eine fallbezogene Überprüfung, soweit es sich um Leistungen aus dem budgetierten Teil der Gesamtvergütung handele, im Vergleich zum entsprechenden Vorjahresquartal vorgenommen. Weiche der Fallwert dabei mehr als 5 Prozent nach oben oder nach unten ab, könne ein Ausgleich im Sinne der Auffüllung bei Abweichungen von mehr als 5 Prozent nach unten (bis zur Differenz von 5%) bzw. alternativ eine Kappung des Fallwertzuwachses bei einem Wachstum von mehr als 5 Prozent nach oben erfolgen. In diesem Zusammenhang sei weiterhin anzumerken, dass die Ausgangsdaten für die sog. +/- 5%-Ausgleichsregelung gemäß Ziffer 7.5 HVV nur insoweit angepasst werden könnten, als entsprechende Daten aus den Quartalen des Jahres 2004 der eigenen Praxis oder einer Vorgängerpraxis vorhanden seien. Fachgruppenwerte könnten insoweit nicht zugrunde gelegt werden. Aufgrund der erstmaligen Niederlassung des Klägers am 01.10.2004 seien keine Daten aus den Quartalen II und III/04 vorhanden. Die Daten der Praxisvorgängerin seien nicht repräsentativ.

Hiergegen hat der Kläger am Dienstag nach Pfingsten, dem 29.05.2007, die Klage erhoben. Er trägt vor, durch die Nichtanwendung der Ausgleichsregelung werde er massiv und rechtswidrig in seinen Rechten verletzt. Bereits aus den Auffüllbeträgen für die Quartale IV/05 und I/06 ergebe sich die Notwendigkeit der entsprechenden Anwendung der Ausgleichsregelung in den streitbefangenen beiden Quartalen. Die anerkannten Honorare hätten noch nicht einmal die laufenden Praxiskosten abgedeckt, geschweige denn einen Überschuss zugelassen. Die Belastung im Quartal II/06 beruhe auf der reduzierten Zahlung im Quartal II/05. Im Quartal III/05 habe er 1.632 Behandlungsfälle abgerechnet, die Vergleichsgruppe 1.828 Behandlungsfälle. Er habe einen rechnerischen Fallwert von 54,90 EUR erbracht, so dass sich hieraus eine Honoraranforderung von 89.596,80 EUR errechnen würde. Die Vergleichsgruppe hätte unter Zugrundelegung eines Fallwertes von 33,89 EUR einen Honoraranspruch in Höhe von 61.950,92 EUR erarbeitet. Er habe jedoch nur einen Fallwert von 17,72 EUR bezahlt bekommen. Das sei noch nicht einmal ein Drittel des von ihm abgerechneten Fallwertes. Die tatsächliche Berechnung des Fallwertes erschließe sich aus dem Honorarbescheid nicht. Die geringen Fallwerte würden in den Folgequartalen fortgeschrieben werden. Vorstellbar sei z. B., dass ihm zumindest das Durchschnittshonorar der Vergleichsgruppe zuerkannt werden müsse. Nach den ihm vorliegenden Informationen liege dieses bei ca. 41.000,00 EUR im Quartal.

Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 06.09.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.04.2007 die Beklagte zu verurteilen, den Kläger hinsichtlich des Antrags auf eine Sonderregelung zur Ausgleichsregelung nach Ziff. 7.5 HVV für die Quartale II und III/05 unter der Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie trägt ergänzend zu ihren Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid vor, der HVV selbst sehe keine Ausnahmetatbestände vor, die es ermöglichten, auf ein anderes Quartal als das entsprechende Bezugsquartal abzustellen. Es könnten auch nicht Fachgruppenwerte eingestellt werden. Sein Niederlassungszeitpunkt zum 01.10.2004 rechtfertige keine Besserstellung im Hinblick auf Quartale ohne eigene Ausgangsdaten gegenüber solchen Praxen, die zum 01.01.2005 ihre Tätigkeit aufgenommen hätten und damit ebenso aus dem Anwendungsbereich der Ausgleichsregelung herausfielen. Bei der Ziffer 7.5 HVV gehe es um das Abmildern von Honorarverwerfungen durch Einführung des EMB. Dahinter stehe der Gedanke des Bestandsschutzes. Einen solchen könne nur eine Praxis genießen die unter gleichen Bedingungen bereits vor Einführung des EBM 2005 geführt worden sei. Die Werte der Vorgängerpraxis von Frau Dr. C könnten nicht herangezogen werden. Diese sei nur eingeschränkt tätig gewesen. Der Praxisumfang sei durch den Kläger erst wieder auf Normalniveau gesteigert worden. Die Heranziehung der Werte von Frau Dr. C hätte zu Kürzungen in den Quartalen II und III/05 führen können. Der Forderung des Klägers, ihm müsse zumindest das Durchschnittshonorar einer Vergleichsgruppe zuerkannt werden, könne nicht gefolgt werden. Der Rechtssprechung trage sie bereits dadurch Rechnung, dass sie dem Kläger als junge Praxis durch Aussetzung der fallzahlabhängigen Quotierung bis einschließlich III/07 das Anwachsen bis auf die durchschnittliche Fallzahl der Fachgruppe ermögliche. Diese Fallzahl werde im Rahmen der Maßnahme des Regelleistungsvolumens entsprechend anerkannt. Dem Kläger werde damit die Möglichkeit des Wachsens eingeräumt. Die BSG-Rechtssprechung knüpfe an Honorarverteilungsregelungen an. Um eine solche handele es sich bei der Ausgleichsregelung gerade nicht. Insgesamt bleibe festzuhalten, dass es zwangsläufig zu Lasten der Ärzte der jeweiligen Honorar(unter)gruppe ginge, würde man den Ärzten, die in einer dem Kläger vergleichbaren Situation seien, eine Auffüllung zugestehen, da das Geld innerhalb der Honorargruppe generiert werden müsse.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer hat in der Besetzung mit je zwei Vertretern der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Die Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid vom 06.09.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.04.2007 ist rechtswidrig und war daher aufzuheben. Der Kläger hat einen Anspruch auf Neubescheidung bzgl. der Anwendung der Ausgleichsregelung für die Quartale II und III/05. Die Beklagte wird abweichend vom Honorarverteilungsvertrag eine Stützung auf der Grundlage der aktuellen Fallzahl und des Fallwerts im Quartal I/05 bis zum Durchschnittshonorar der Fachgruppe vorzunehmen haben.

Die Vereinbarung zwischen der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen und den Verbänden der Krankenkassen zur Honorarverteilung für die Quartale 2/2005 bis 4/2005, bekannt gemacht als Anlage 2 zum Landesrundschreiben/Bekanntmachung vom 10.11.2005 (HVV) sieht in Ziffer 7.5 eine Regelung zur Vermeidung von Honorarverwerfungen nach Einführung des EBM 2005 vor:

Im Einzelnen bestimmt Ziffer 7.5 HVV:

7.5.1 Zur Vermeidung von praxisbezogenen Honorarverwerfungen nach Einführung des EBM 2000plus erfolgt nach Feststellung der Punktwerte und Quoten gemäß Ziffer 7.2 ein Vergleich des für das aktuelle Abrechnungsquartal berechneten fallbezogenen Honoraranspruches (Fallwert in EUR) der einzelnen Praxis mit der fallbezogenen Honorarzahlung in EUR im entsprechenden Abrechnungsquartal des Jahres 2004 ausschließlich beschränkt auf Leistungen, die dem budgetierten Teil der Gesamtvergütung unterliegen und mit Ausnahme der zeitbezogenen genehmigungspflichtigen psychotherapeutischen Leistungen. Bei der Ermittlung des Fallwertes bleiben Fälle, die gemäß Anlage 1 bzw. 2 zu Ziffer 7.1 zur Honorierung kommen, unberücksichtigt.

Zeigt der Fallwertvergleich eine Fallwertminderung oder Fallwerterhöhung von jeweils mehr als 5% (bezogen auf den Ausgangswert des Jahres 2004), so erfolgt eine Begrenzung auf den maximalen Veränderungsrahmen von 5%. Die für eine Stützung bei Fallwertminderungen – Einzelheiten siehe Ziffer 7.5.2 – notwendigen Honoraranteile gehen zu Lasten der jeweiligen Honorar(unter)gruppe, der die Praxis im aktuellen Quartal zugeordnet ist, und sind gegebenenfalls durch weitergehende Quotierung der Bewertungen bzw. Punktwerte zu generieren, falls die aus der Begrenzung der Fallwerte auf einen Zuwachs von 5% resultierende Honoraranteile hierfür nicht ausreichend sein sollten. Sollte durch eine solche Quotierung die Fallwertminderung (wieder) auf einen Wert oberhalb von 5% steigen, führt dies zu keinem weitergehenden Ausgleich.

7.5.2 Ein Ausgleich von Fallwertminderungen bis zur Grenze von 5% erfolgt grundsätzlich auf der Basis vergleichbarer Praxisstrukturen und maximal bis zu der Fallzahl, die im entsprechenden Quartal des Jahres 2004 zur Abrechnung gekommen ist. Ein Ausgleich ist in diesem Sinne u. a. dann ausgeschlossen, wenn im aktuellen Quartal im Vergleich zum Vorjahresquartal erkennbar (ausgewählte) Leistungsbereiche nicht mehr erbracht wurden oder sich das Leistungsspektrum der Praxis, u. a. als Folge einer geänderten personellen Zusammensetzung der Praxis, verändert hat. Er ist des weiteren ausgeschlossen, wenn sich die Kooperationsform der Praxis entsprechend Ziffer 5.2 Buchstabe g) im Vergleich zum entsprechenden Vorjahresquartal geändert hat. Beträgt die Fallwertminderung mehr als 15%, ist eine auf die einzelne Praxis bezogene Prüfung im Hinblick auf vorstehend aufgeführte Kriterien durchzuführen, bevor eine Ausgleichszahlung erfolgt. Ausgleichsfähige Fallwertminderungen oberhalb von 15% müssen vollständig ihre Ursache in der Einführung des EBM 2000plus haben.

7.5.3 Die vorstehende Ausgleichsvorschrift steht im Übrigen unter dem Vorbehalt, dass von Seiten der Verbände der Krankenkassen mindestens eine gegenüber dem Ausgangsquartal vergleichbare budgetierte Gesamtvergütungszahlung geleistet wird und die aufgrund der Beschlussfassung des Bewertungsausschusses vom 29.10.2004 vorzunehmenden Honorarverschiebungen nach Abschluss des Abrechnungsquartals – siehe Ziffer 2.5 der Anlage 1 bzw. 2 zu Ziffer 7.2 – noch ein ausreichendes Honorarvolumen für diese Maßnahme in der einzelnen Honorar(unter)gruppe belassen.

Die Beklagte hat diese Vorgaben sowie das übrige Regelwerk zutreffend angewandt. Nach Ziff. 7.5.2 Satz 1 HVV erfolgt ein Ausgleich von Fallwertminderungen bis zur Grenze von 5% maximal bis zu der Fallzahl, die im entsprechenden Quartal des Jahres 2004 zur Abrechnung gekommen ist. Fallzahlsteigerungen sind demnach nicht zu berücksichtigen. Soweit die Fallwertminderung auf Veränderungen des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs (EBM) beruht, ist es nicht Gegenstand dieses Verfahrens, ob der EBM 2005 insoweit rechtswidrig ist, was der Kläger im Übrigen auch nicht behauptet.

Diese Regelung nach Ziff. 7.5 HVV ist jedenfalls für die Quartale II und III/05 nicht zu beanstanden. Durch die Regelung sollen Verwerfungen in der Honorarverteilung aufgrund des zum Quartal II/05 eingeführten neuen EBM 2005, von der Beklagten als EBM 2000plus bezeichnet, verhindert werden. Im Ergebnis wird etwa das um 5 % verminderte Honorar des Vorjahresquartals garantiert. Dem Normgeber steht bei der Neuregelung komplexer Materien unter dem Gesichtspunkt der Anfangs- und Erprobungsregelungen ein besonders weiter Gestaltungsspielraum zu, weil sich häufig bei Erlass der maßgeblichen Vorschriften deren Auswirkungen nicht in allen Einzelheiten übersehen lassen und deshalb auch gröbere Typisierungen und geringere Differenzierungen zunächst hingenommen werden müssen (vgl. BSG, Urt. v. 08.03.2000 - B 6 KA 8/99 R - USK 2000-110, juris Rdnr. 23; BSG, Urt. v. 29.01.1997 - 6 RKa 18/96 - SozR 3-2500 § 87 Nr. 16, juris Rdnr. 14; Freudenberg in: jurisPK-SGB V, online-Ausgabe, Stand: 01.08.2007, § 85, Rdnr. 129; Engelhard in: Hauck-Haines, SGB V, § 85, Rdnr. 165).

Der Regelungszweck der Ziff. 7.5 HVV wird jedoch im Falle des Klägers nicht erreicht. Das Anknüpfen auf das entsprechende Vorjahresquartal verhindert, dass jahreszeitlich bedingte Schwankungen zwischen den Quartalen eines Jahres ohne Bedeutung sind. Schwankungen vom Referenzquartal zum aktuellen Quartal treten bei etablierten Praxen im Regelfall in keinem größeren Umfang ein. Von daher ist es für etablierte Praxen durchaus sinnvoll, die Ausgleichsregelung am Maßstab des Vorjahresquartal und nicht des unmittel davor liegenden Quartals anzusetzen, wenn auch in erster Linie die möglichen Honorarverwerfungen vom Quartal I/05 zum Quartal II/05 ausgeglichen werden sollen.

Soweit aber Fallwerte im Vorjahresquartal wegen Neuniederlassung zu einem späteren Zeitpunkt fehlen, handelt es sich um einen atypischen Fall und verfehlt die Nichtanwendung der Regelung nach Ziff. 7.5 HVV ihren Regelungszweck. Soweit die Vertretung der Beklagten in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen hat, die Regelung nach Ziff. 7.5 HVV diene ausschließlich dem Bestandsschutz, weshalb sie nicht anzuwenden sei, wenn im Referenzquartal Abrechnungswerte nicht vorhanden seien, so verkennt die Beklagte, dass der Bestandsschutz gerade dann seinen Zweck insofern verfehlt, als bereits vor Änderung der Vergütungsregelungen bestehende Praxen von der Sicherung des Bestandsschutzes ausgeschlossen werden. Gerade der Gesichtspunkt des Bestandsschutzes gebietet es, auch junge Praxen, die im Referenzquartal noch nicht tätig waren, in die Regelung nach Ziff. 7.5 HVV einzubeziehen.

Der Fallwert des Klägers betrug im Quartal I/05 noch 32,4647 Euro, im Quartal II/05 nur noch 17,7227 Euro, im Quartal III/05 nur noch 17,7290 Euro. Damit sank der Fallwert auf annähernd die Hälfte (54,6 %). Hieraus folgt zwingend eine gravierende Honorareinbuße, soweit nicht eine entsprechende Fallzahlsteigerung einhergeht. Soweit etablierte Praxen bei gleicher Leistung aufgrund ihrer Abrechnungswerte im Vorjahresquartal u. U. einen entsprechenden Ausgleich erhalten, muss ohne Anwendung der Ausgleichsregelung eine junge Praxis erhebliche Honorarausfälle hinnehmen. Nur etwa bei Verdoppelung seiner Fallzahl und des Leistungsvolumens innerhalb eines Jahres hätte der Kläger ein dem Honorar aus dem Vorjahresquartal vergleichbares Honorar erzielen können. Demgegenüber hätte ein Arzt bei gleichbleibender Fallzahl und gleichbleibendem Leistungsvolumen ein annähernd gleiches Honorar erzielt. Die Kammer hat bereits für eine sich im Wachstum aufgrund einer allmählichen Fallzahlsteigerung befindlichen sog. junge Praxis entschieden, für die die Beklagte die Ausgleichsregelung nur bis zur Fallzahl des Vorjahresquartals angewandt hatte, dass es gegen den Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit verstößt, wenn bei gleicher Leistung im aktuellen Abrechnungsquartal die Ausgleichsregelung nach Ziff. 7.5 HVV zu einer Benachteiligung junger Praxen führt, die ihre Wachstumsphase im Referenzquartal nicht abgeschlossen hatten (vgl. SG Marburg, Urt. 16.01.2008 - S 12 KA 188/07 – www.sozialgerichtsbarkeit.de = juris (Berufung anhängig bei dem LSG Hessen - L 4 KA 14/08 -). Hieran anschließend sieht die Kammer einen Verstoß gegen den Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit ferner dann als gegeben an, wenn trotz gravierender Fallwertverluste im Vergleich zum Quartal I/05 die Beklagte wegen Fehlens von Abrechnungswerten im Jahr 2004 von der Anwendung nach der Ausgleichsregelung nach Ziff. 7.5 HVV absieht.

Bisher war lediglich bei honorarbegrenzenden Maßnahmen in der Rechtsprechung zu entscheiden, dass kleinen Praxen zumindest ein Wachstum bis zum Umsatz einer für ihre Fachgruppe typischen Praxis gestattet werden muss. Anfängerpraxen muss danach zumindest für einen begrenzten Zeitraum ein unbeschränktes Wachstum zugestanden werden (vgl. Freudenberg, aaO., Rdnr. 142). Umsatzmäßig unterdurchschnittlich abrechnende Praxen - dabei insbesondere, aber nicht nur, neu gegründete Praxen – müssen die Möglichkeit haben, durch Erhöhung der Zahl der von ihnen behandelten Patienten den durchschnittlichen Umsatz der Arztgruppe zu erreichen. Jedem Vertragsarzt muss grundsätzlich die Chance bleiben, durch Qualität und Attraktivität seiner Behandlung oder auch durch eine bessere Organisation seiner Praxis neue Patienten für sich zu gewinnen und so legitimerweise seine Position im Wettbewerb mit den Berufskollegen zu verbessern. Das gilt für die damit verbundenen Umsatzsteigerungen allerdings nur bis zum Durchschnittsumsatz der Fachgruppe. Dabei muss der HVM es dem einzelnen Vertragsarzt in effektiver Weise ermöglichen, den durchschnittlichen Umsatz der Arztgruppe zu erreichen. Das bedeutet nicht, dass alle Praxen mit unterdurchschnittlichem Umsatz von jeder Begrenzung des Honorarwachstums verschont werden müssten, wie dies den neu gegründeten Praxen einzuräumen ist, solange diese sich noch in der Aufbauphase befinden, die auf drei bis fünf Jahre bemessen werden kann (vgl. BSG v. 10.03.2004 - B 6 KA 3/03 R - SozR 4-2500 § 85 Nr. 9 = BSGE 92, 233 = GesR 2004, 393 = MedR 2004, 639, juris Rdnr. 25).

Hieraus kann im Umkehrschluss gefolgert werden, dass eine Verpflichtung zur Stützung bis zum Durchschnittshonorar der Fachgruppe nach Ziff. 7.5 HVV für sog. junge Praxen auch dann bestehen muss, soweit ein Fallwert wegen fehlender Niederlassung im Referenzquartal nicht vorhanden ist. Soweit der Kläger in den streitbefangenen Quartalen noch unterdurchschnittlich abrechnet, liegt dies weniger an seiner unterdurchschnittlichen Fallzahl, sondern insbesondere an dem wesentlich geringeren Fallwert aufgrund der Neubewertung der Leistungen. Zum Schutz einer sog. jungen Praxis reicht es daher nicht aus, dass die Beklagte von Begrenzungsmaßnahmen gegenüber dem Kläger abgesehen hat. Der Regelungsmechanismus nach der Ziff. 7.5 HVV führt zu einer Ungleichbehandlung des Klägers, die mit Begrenzungsmaßnahmen vergleichbar ist. Von daher wird die Beklagte bei einer Neubescheidung bei Anwendung der Regelung nach Ziff. 7.5 HVV von dem aktuellen Fallwert im Quartal I/05 auszugehen haben, soweit keine Fallwerte im Referenzquartal wegen der fehlenden Niederlassung vorhanden sind. Sie kann dabei in eine Prüfung eintreten, ob und ggf. in welchem Umfang die Fallwertminderung aufgrund eines verminderten Leistungsgeschehens und nicht lediglich einer verminderten Bewertung eingetreten ist und ggf. den Fallwert des Quartals I/05 entsprechend korrigieren. Auf der Grundlage dieses Fallwerts ist die Ausgleichsregelung nach Ziff. 7.5 HVV durchzuführen. Dabei ist auf die Fallzahl im aktuellen Quartal abzustellen. Der auf diese Weise errechnete Ausgleichsbetrag und das hieraus errechnete fiktive Honorar ist dem Durchschnittshonorar der Fachgruppe gegenüber zu stellen. Das Honorar ist ggf. auf das Durchschnittshonorar zu begrenzen, soweit das fiktive Honorar das Durchschnittshonorar überschreitet. Liegt das fiktive Honorar darunter, so ist in dieser Höhe das Honorar festzusetzen.

Einer Änderung des Honorarverteilungsvertrages bedarf es hierzu nicht. Insofern handelt es sich nicht um einen strukturellen Fehler des Honorarverteilungsvertrages, sondern fehlt lediglich eine Sonderregelung für atypische Fälle. Diese kann der Vorstand der Beklagten hier selbst treffen (vgl. LSG Hessen, Urt. v. 09.08.2006 – L 4 KA 7/05 – www.sozialgerichtsbarkeit.de).

Im Ergebnis war der Klage daher stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
Rechtskraft
Aus
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