L 8 Kn 228/92 U

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 6 Kn 630/87
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 Kn 228/92 U
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Die Progressive Systemische Sklerodermie ist keine anerkannte Berufskrankheit nach der Anlage 1 zur BeKV. Sie unterfällt auch nicht der nach Nr. 4101 der Anlage 1 zur BeKV entschädigungsfähigen Quarzstaublungenerkrankung (Silikose).
2. Mangels neuer medizinisch und epidemiologisch gesicherter Erkenntnisse über das Entstehen der Progressiven Systemischen Sklerodermie seit Erlaß der letzten BeKV bzw. ihrer Fortschreibung kann diese Krankheit auch nicht wie eine Berufskrankheit entschädigt werden, jedenfalls nicht ohne manifeste Lungenbeteiligung in Form einer Silikose.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 7. Januar 1992 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Entschädigung für die Erkrankung des Ehemanns der Klägerin an Sklerodermie als Berufskrankheit nach § 551 Reichsversicherungsordnung (RVO), die diese als dessen Sonderrechtsnachfolgerin geltend macht.

Der 1927 geborene und 1987 verstorbene Ehemann der Klägerin war von 1948 bis 1954 im Steinkohlebergbau und zwar bis 1949 als Lehrhauer im Bruchbau und anschließend als Hauer und Lehrsteiger im Streb/Streckenvortrieb tätig. 1955 und 1956 arbeitete er monatsweise während seines Studiums bei der Bergwerksgesellschaft H. AG, der Bergbau-AG E. K. L. und 1958 sowie 1961 bei der R ... Ab 1963 war er als Fahrsteiger im Streb und später bis 1970 als Diplom-Bergingenieur im Wirtschaftsbüro tätig. Im Rahmen dieser letzten Tätigkeit arbeitete er zeitweise zur Durchführung seiner Aufsichtstätigkeit unter Tage. Ab 1970 erhielt er Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.

Am 29. Januar 1986 beantragte der Ehemann der Klägerin bei der Beklagten Entschädigung wegen einer Sklerodermie. Die ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit des Dr. E. (praktischer Arzt, Marburg) vom 26. März 1986 enthält den Hinweis, daß bei dem Ehemann der Klägerin seit 1963 eine systemische Sklerodermie bekannt und die damit verbundene Silikose bzw. Silikotuberkulose auf das Einatmen von Steinstaub zurückzuführen sei. Die Beklagte zog die Akte der Bundesknappschaft (Versicherungsnummer 80 050327 B 000) bei, die unter anderem ärztliche Unterlagen sowie Unterlagen über den beruflichen Werdegang des Ehemanns der Klägerin enthält. Die Staatliche Gewerbeärztin für den Aufsichtsbezirk Westfalen, die Gewerbemedizinalrätin B. führte in einer gewerbeärztlichen Stellungnahme vom 26. Juli 1986 aus, daß die beim Ehemann der Klägerin vorliegende Sklerodermie keine Berufskrankheit im Sinne der zur Zeit gültigen Berufskrankheitenverordnung (BeKV) darstelle, auch keine solche, die nach neueren Erkenntnissen im Sinne des § 551 Abs. 2 RVO zu entschädigen sei. Mit Bescheid vom 11. September 1986 lehnte die Beklagte die Entschädigung ab. Den Widerspruch des Ehemanns der Klägerin vom 13. Oktober 1986 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27. März 1987 zurück.

Auf die Klage der Klägerin vor dem Sozialgericht Gießen vom 23. April 1987 hat dieses das Gutachten zur endgültigen pathologisch-anatomischen Obduktionsdiagnose des Klinikums der Phillips-Universität Marburg vom 16. Februar 1987 beigezogen. Aus diesem Gutachten des Prof. T. ergibt sich, daß der Ehemann der Klägerin unter einer progressiven Sklerodermie litt, mit deutlichen Veränderungen der Haut im Bereich des Torax, einem Maskengesicht und mäßig stark ausgeprägter Sklerodaktili. Eine Organbeteiligung sei nicht nachweisbar gewesen. Daneben habe eine dilatative Kardiomyopathie bestanden. Als letale Komplikation sei eine Lungenembolie hinzugekommen. Todesursache sei ein globales protrahiertes Herzversagen gewesen. Daneben habe sich eine deutliche Ankarthrose der Lunge, eine leichte allgemeine Arteriosklerose und ein Ösophagusulkus gefunden. Auf den Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das Sozialgericht Gießen alsdann ein Sachverständigengutachten bei Prof. Dr. L. (München, Allergologe) vom 26. Juli 1988 eingeholt. Er führt aus, daß die progressive systemische Sklerodermie (PSS) zu den Kollagenkrankheiten gehöre. Die Endopathogenese der PSS sei ungeklärt. Neue Erkenntnisse deuteten darauf hin, daß die immungenetische Veranlagung für die Empfänglichkeit dieser Krankheit von Bedeutung sei. Ebenso könnten eine Reihe von chemischen Substanzen die Sklerodermie oder eine sklerodermieartige Erkrankung auslösen. In den letzten Jahren hätten sich Berichte aus Sklerodermie-Zentren gemehrt, daß Silikatstaubbelastung eine wichtige Voraussetzung für Sklerodermieerkrankungen von Männern sein könne. Dies sei sowohl bei Bergleuten, Glasarbeitern, Steinmetzen und in neuerer Zeit bei Beschäftigten der Computerindustrie beobachtet worden. Während es über die Koinzidenz zwischen Sklerodermie und Silikatstaubbelastung in der Bundesrepublik Deutschland nur außerordentlich wenige Literaturangaben gäbe, hätten arbeitsmedizinische Studien in der DDR exemplarisch auf diesen Zusammenhang hingewiesen. In der DDR sei seit vielen Jahren die Sklerodermie bei Bergleuten als Berufskrankheit entschädigungspflichtig. Die Koinzidenz der Sklerodermie bei gleichzeitig bestehender Silikose, wie beim Ehemann der Klägerin, sei um den Faktor 110 größer als bei einer normalen Mannpopulation. Die Prävalenz der PSS sei signifikant häufiger bei Männern mit Silikatstaubbelastung im Vergleich zu solchen, die keinem Silikatstaub ausgesetzt gewesen seien. Silikatstaub sei folglich als prädisponierender Faktor für die Pathogenese der Sklerodermie anzusehen. Das Auftreten einer Sklerodermie bei Bergleuten sei allerdings nicht notwendigerweise mit einer Silikose gekoppelt. Der Ehemann der Klägerin habe als Bergmann unter Tage gearbeitet und sei der üblichen Staubbelastung ausgesetzt gewesen. Als erstes Zeichen habe sich eine Ankarthrose der Lunge, aber auch eine Verfestigung des Lungengerüsts manifestiert. Infolge der Staubeinlagerung sei bereits zu einem frühen Zeitpunkt eine Silikose erwogen worden. Es könne sich bereits nach relativ kurzer Silikatstaubbelastungszeit eine Sklerodermie manifestieren. Angesichts dessen sei auch beim Ehemann der Klägerin von dem Vorliegen einer PSS als Berufskrankheit auszugehen. In einer von der Beklagten eingereichten Stellungnahme des Prof. Dr. R. (Arbeitsmedizinisches Zentrum Bochum) vom 20. Oktober 1988 führt dieser aus, daß über Ursache und Entstehungsmechanismus der PSS so gut wie nichts bekannt sei. Man wisse lediglich, daß es sich um eine Krankheit gesteigerter und fehlgeleiteter Immunreaktionen im Sinne sogenannter Autoimmunkrankheiten handele. Schon die Tatsache, daß die bei weitem überwiegende Zahl der Sklerodermieerkrankungen bei Personen auftrete, die nie beruflich Kontakt mit quarzhaltigen Grubenstäuben gehabt hätten, belege, daß es sich dabei um eine Erkrankungsform handele, die ihre wesentliche Teilursache nicht in der beruflichen Quarzfein- oder Grubenstaubexposition haben könne. Es werde nicht bestritten, daß der in das Gewebe eingelagerte quarzhaltige Grubenstaub die Wirkung einer Adjuvans im immunologischen Sinne haben könnte. Entscheidend für die Entstehung der PSS sei jedoch die individuelle immunologische Situation, die im wesentlichen genetisch bedingt sei. Des weiteren hat die Beklagte diverse Unterlagen zu anderen Verfahren hinsichtlich der Anerkennung einer PSS als Berufskrankheit, Aufsätze und eine Stellungnahme des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung vom 22. September 1988 übersandt. In dieser wird ausgeführt, daß die Entschädigungspflicht für eine PSS als Berufskrankheit vor Erlaß der Änderungsverordnung zur BeKV im März 1988 nicht diskutiert worden sei. Hierzu habe aufgrund klinischer Beobachtung und der Fachliteratur kein Anlaß bestanden. Darüber hinaus hat die Beklagte eine Niederschrift eines Kurzreferates des Dr. Z. zur PSS als Folge beruflicher Quarzstaubeinwirkungen aus dem Jahre 1989 eingereicht. Das Sozialgericht Gießen hat alsdann ein weiteres medizinisches Sachverständigengutachten bei Prof. Dr. H. (Universitäts-Hautklinik Frankfurt am Main) vom 5. September 1989 eingeholt. Dieser führt unter anderem aus, daß der Zusammenhang zwischen Sklerodermie und Silikose bereits Anfang und Mitte des Jahrhunderts von verschiedenen Autoren gesehen worden sei. Allein aufgrund des seltenen Auftretens der Sklerodermie seien bislang statistisch eindeutige prospektive Studien unmöglich gewesen. Die Kausalität sei allerdings im Einzelfall begründbar. Auf dem Boden einer genetischen Disposition entwickle sich durch verschiedene Umweltnoxen eine Krankheitskaskade, die durch vaskuläre, kollagene, immunologischentzündliche Komponente stufencharakterisiert werden könne. Quarzstaub sei in der Lage, durch Aufnahme in das makrophagozytäre System eine deletäre Immunkaskade anzustoßen. Dies verneine letztendlich Prof. Dr. R. auch nicht, wenn auch das Verhältnis von Ursache und Wirkung anders beurteilt werde, da es zwar für die PSS eine genetische Disposition gebe, nicht aber für eine Silikose. Aufgrund neuer pathogenetischer Erkenntnisse sowie zahlreicher Literaturangaben erachte er einen Zusammenhang zwischen dem Auftreten einer PSS und Silikatstaubbelastung bei Bergleuten als wissenschaftlich mit großer Wahrscheinlichkeit gesichert. Der Zeitraum müsse biologisch so lange bestehen, bis sich eine sich verselbständigende immunologische Situation ergeben habe, die eine Sklerodermieentstehung ermögliche. Dieses könne bei gegebener Disposition bereits nach relativ kurzer Silikatstaubbelastung möglich sein. Der Ehemann der Klägerin sei acht Jahre intensiv silikatexponiert gewesen und es hätten sich bei der Autopsie massive Staubanteile gefunden, so daß davon auszugehen sei, daß diese Exposition und Belastung zur Entstehung der PSS geführt habe. In der von der Beklagten übersandten Stellungnahme des Prof. Dr. R. vom 21. Dezember 1989 führt dieser aus, daß sich der von Prof. Dr. H., angenommene Ursachen Zusammenhang seiner Ansicht nach auch unter Berücksichtigung der neueren Literatur nicht begründen ließe. Es lägen insbesondere keine prospektiven Studien vor und der Vergleich der einzelnen Studien untereinander sei durch die nicht einheitliche Charakterisierung der Sklerodermie erschwert. Darüber hinaus seien die Fallzahlen zum Teil sehr gering, so daß sich keine eindeutigen statistischen Aussagen hieraus ableiten ließen. In einer vom Sozialgericht Gießen eingeholten Stellungnahme des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung vom 20. Februar 1990 bestätigt dieser nochmals, daß sich der Verordnungsgeber vor Erlaß der Änderungsverordnung von März 1988 nicht mit der Frage befaßt habe, ob systemische Sklerodermie nach Quarzstaubbelastungen überhäufig auftreten. Das Sozialgericht Gießen hat daraufhin ein weiteres arbeitsmedizinisches internistisches Fachgutachten bei Prof. Dr. L. (Institut für Arbeits- und Sozialmedizin der Universität Erlangen – Nürnberg) vom 7. Juli 1990 in Auftrag gegeben. Dieser führt aus, daß die Hypothese eines ursächlichen Zusammenhanges zwischen einer beruflichen Quarzstaubexposition und Erkrankungen an PSS aufgrund eigener Untersuchungen nicht erhärtet aber auch nicht endgültig habe widerlegt werden können. Es könne nicht als bewiesen angesehen werden, daß die Gruppe der Bergleute bzw. der quarzstaubexponierten Arbeitnehmer insgesamt einem wesentlich höheren Erkrankungsrisiko an PSS ausgesetzt sei, als die übrige Bevölkerung. In der ebenfalls vom Sozialgericht eingeholten gutachterlichen Stellungnahme des Prof. Dr. F. (Leiter der Pneumologischen Medizinischen Klinik I, Klinikum Großhadern der Universität München) vom 25. September 1990 vertritt dieser die Auffassung, daß sich anhand der bekannten Fallsammlungen kein Rückschluß auf die tatsächliche Koinzidenz von Quarzstaubexposition und Sklerodermie ziehen lasse. Der ursächliche Zusammenhang werde unter Berücksichtigung der vorliegenden Untersuchungen allerdings für durchaus möglich gehalten, zumal sich unter pathophysiologischen Gesichtspunkten ein kausaler Zusammenhang zwischen Quarzstaubexpositionen und gesteigerter Bindegewebssynthese herstellen ließe. Die Klägerin hat daraufhin ein wissenschaftliches Gutachten des Prof. Z. (Leiter der Abteilung Arbeitsdermatologie/Allergologie der Universitätshautklinik Leipzig) vom 4. Oktober 1990 übersandt. Er berichtet von nationalen Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen Quarzstaubexpositionen und dem Auftreten einer Silikose bzw. einer PSS. Unter Berücksichtigung dessen, sowie der Quarzstaubexpositionen, der der Ehemann der Klägerin ausgesetzt gewesen ist, gelangt er zu dem Ergebnis, daß diese Auslöser für die PSS gewesen sein könnten. In einem ebenfalls von der Klägerin eingereichten Aufsatz des Dr. M. (Arbeitshygienisches Zentrum Niederdorf) aus dem Jahre 1983 führt dieser aus, daß fünf Fälle mit gesicherter PSS bei stattgehabter erheblicher Quarzstaubexposition, jedoch ohne Vorliegen einer Silikose, der Obergutachtenkommission der ehemaligen DDR für Berufskrankheiten vorgestellt worden seien und von dieser im Sonderentscheidverfahren die Anerkennung der Sklerodermie als Berufskrankheit empfohlen worden sei. Prof. Dr. R. gibt hierzu in einer von der Beklagten eingereichten Stellungnahme vom 29. November 1990 zu bedenken, daß er nach Einsichtnahme in die epidemiologischen Untersuchungsunterlagen der DDR, insbesondere aus dem Arbeitshygienezentrum in Niederdorf ersehen habe, daß sich die auffallend hohe Zahl von Sklerodermieerkrankten in Verbindung bringen lasse mit Arbeiten in den Uranbergwerken des Erzgebirges vor 1970. Entscheidende Beobachtungen in den inzwischen stillgelegten Steinkohlebergwerken der DDR gebe es nicht. Wegen der anderen Bedingungen im Uranerzbergbau könnten die dortigen Befunde nicht auf die übrigen quarzstaubbelasteten Industriezweige übertragen werden. Dies gelte selbst dann, wenn man im vorliegenden Fall davon ausginge, daß der Erkrankte in den Jahren zwischen 1949 und 1954 im Streckenvortrieb des Steinkohlebergbaus beschäftigt gewesen ist.

Mit Urteil vom 7. Januar 1992 hat das Sozialgericht Gießen unter Berücksichtigung sämtlicher eingeholter medizinischer Sachverständigengutachten sowie eingereichter medizinischer gutachterlicher Stellungnahmen die Klage abgewiesen.

Gegen dieses der Klägerin am 30. Januar 1992 zugestellte Urteil hat sie am 24. Februar 1992 Berufung beim Sozialgericht Gießen eingelegt.

Zur Stützung ihrer Berufung hat die Klägerin unter anderem einen Aufsatz der Profes. Z. und H. (Universität Leipzig) über die PSS als quarzinduzierte Berufskrankheit aus dem Jahre 1992 (Dermatologische Monatsschrift, 178 (1992) 34–43) eingereicht. Sie gelangen dort aufgrund einer Vielzahl von nationalen und internationalen Untersuchungen zu dem Ergebnis, daß Quarz eine PSS induzieren könne.

Der Senat hat alsdann ein wissenschaftliches Gutachten bei Prof. Dr. W. (Leiter des Instituts und der Poliklinik für Arbeits- und Sozialmedizin der Justus-Liebig-Universität Gießen) vom 6. Mai 1993 in Auftrag gegeben. Er führt aus, daß aufgrund der insgesamt mehr als sechsjährigen Tätigkeit des Ehemanns der Klägerin unter Tage im Kohlebergbau die Voraussetzungen für die Entstehung einer Quarzstaub-Inhalationsfolge vorlägen. Die pathologisch anatomische Obduktion habe als Grunderkrankung eine PSS ergeben. Nach der Untersuchung des Lungengewebes habe sich eine leichte Septenfibrose feststellen lassen. Weiter führt er aus, daß sich aufgrund der kasuistisch-epidemiologischen, immunologischen und Zellkulturuntersuchungen Hinweise dafür finden ließen, daß Quarzfeinstaub unter bestimmten Expositionsbedingungen generell geeignet sei, eine Sklerodermie hervorzurufen. In Übereinstimmung mit den anderen Sachverständigengutachten gehe auch er davon aus, daß der Ehemann der Klägerin als Bergmann, der mindestens sechs Jahre unter Tage einer höheren Quarzstaubeinwirkung ausgesetzt gewesen sei, einer Personengruppe angehöre, die in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung "besonderen Auswirkungen” ausgesetzt gewesen sei. Wenn auch keine Erkenntnisse aus Kohorten-Studien oder kontrollierten Fall-Kontroll-Studien vorlägen, so sei jedoch aus der Stärke der Assoziation in den kasuistisch-empirischen Untersuchungen zu schließen, daß ein Zusammenhang zwischen der Quarzeinwirkung und der PSS angenommen werden könne. Als Vorsitzender des den Bundesminister für Arbeit- und Sozialordnung beratenden ärztlichen Sachverständigenausschusses für Berufskrankheiten sei ihm bekannt, daß vor der letzten Änderung der Berufskrankheitenverordnung im Jahre 1992 nicht abschließend geprüft worden sei, ob eine Aufnahme der Sklerodermie als Listenkrankheit erfolgen solle. Aufgrund der aktenkundigen Angaben sei die Intensität der Quarzstaubeinwirkung bei dem Ehemann der Klägerin vergleichbar einzuschätzen, wie bei Bergleuten im Erzbergbau unter Tage, Kohlenbergbau oder Goldminenbergbau. Die Zeitdauer der Einwirkung unter Tage von ca. sechs Jahren liege im unteren Bereich der kasuistischen Erfahrungen bei Patienten mit Quarzstaubassozierter progressiver systemischer Sklerodermie. Aufgrund der pathologisch-anatomischen Obduktionsdiagnose sei eine progressive systemische Sklerodermie der Haut ohne Nachweis einer Beteiligung innerer Organe festzustellen, insbesondere sei eine Beteiligung der Lunge nicht erkennbar geworden. Eine Silikose als wichtiges Brückensymptom läge beim Ehemann der Klägerin ebenfalls nicht vor. Wegen der letzten beiden Gesichtspunkte könne keine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhanges zwischen der sechsjährigen Einwirkung von Quarzfeinstaub bei der Tätigkeit als Bergmann und der Entstehung der PSS im konkreten Fall angenommen werden. Auf Nachfrage des Senats hat Prof. Dr. T. (Geschäftsführender Direktor des Medizinischen Zentrums für Pathologie der Philipps-Universität Marburg) am 9. Juli 1993 ein pathologisches-anatomisches Zusatzgutachten zur Ursache der beim Ehemann der Klägerin bei der Obduktion nachgewiesenen leichten Septenfibrose des Lungengewebes übersandt. Er führt aus, daß sich die bei der pathologischen Untersuchung festgestellte teils disseminierte und teils herdförmige, insgesamt geringe Lungenfibrose ursächlich auf zwei Faktoren zurückführen lasse. Die disseminierte Fibrose sei Folge einer Quarzstaubexpostition, die mit einer Kohlenstaubexposition gekoppelt sei. Die herdförmige Lungenfibrose sei Ausdruck einer Lungenbeteiligung bei der PSS. Schätze man den Anteil beider Fibroseformen an der Gesamtfibrose der Lunge ab, so komme den im Rahmen der Sklerodermie entstandenen Fibroseherden eine wesentlich größere Bedeutung zu als den ankathro-silikotisch bedingten Veränderungen. Insgesamt sei die Lungenfibrose jedoch so wenig ausgeprägt, daß sie keine entscheidende Bedeutung für das zum Tode führende Geschehen gehabt habe. Auf Nachfrage des Senates hat die Klägerin des weiteren eine Aufstellung der den Ehemann behandelnden Ärzte seit 1963, sowie eine Krankengeschichte und diverse Arztbriefe übersandt. Zahlreiche den Ehemann der Klägerin behandelnden ärztlichen Krankeneinrichtungen existieren nicht mehr, so daß der Senat von dort keine medizinischen Auskünfte einholen konnte. Auskünfte aufgrund von Befundberichten konnten eingeholt werden bei Dr. E. (praktischer Arzt, Marburg) vom 10. August 1993 und Dr. P. (Internist, Marburg) vom 11. August 1993. Des weiteren sind die Unterlagen des Evangelischen Krankenhauses Wanne-Eickel betreffend den Krankenhausaufenthalt des Ehemanns der Klägerin im Januar 1964 beigezogen worden. In einer ergänzenden Stellungnahme des Prof. Dr. W. auf Anforderung des Senats, unter Berücksichtigung sowohl des pathologisch-anatomischen Zusatzgutachtens des Prof. Dr. T., als auch der zwischenzeitlich zu den Akten gelangten medizinischen Unterlagen über den Krankheitsverlauf des Ehemanns der Klägerin vom 9. Februar 1994 führt dieser aus, daß bei relevanter Einwirkung von Quarzfeinstaub postmortal bei histologischer Untersuchung eine quarzstaubinduzierte Lungenparenchymveränderung hätte gefunden werden müssen. Histologisch hätten sich auch nur minimale, röntgenologisch nicht feststellbare mischstaubsilikotische Veränderungen beim Ehemann der Klägerin gezeigt. Zugleich werde in dem pathologisch-anatomischen Zusatzgutachten den im Rahmen der Sklerodermie entstandenen Fibroseherden eine größere Bedeutung zugeordnet als den ankathro-silikotischen Veränderungen. Eine Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges komme angesichts dessen nicht in Betracht. In einer weiteren ergänzenden Stellungnahme vom 21. April 1994 auf Nachfrage des Senates, insbesondere unter Berücksichtigung der weiteren medizinischen Erkenntnisse zum Krankheitsverlauf des Ehemanns der Klägerin führt Prof. Dr. W. aus, daß seiner Ansicht nach entscheidend der histologische Befund sei. Danach sei zwar eine PSS mit deutlichen Veränderungen der Haut bestätigt, aber ausdrücklich eine Beteiligung der inneren Organe verneint worden. Somit habe es bei seiner bisherigen gutachterlichen Aussage zu verbleiben.

Die Klägerin hat alsdann mehrere Lohnabrechnungen des Ehemannes aus den Jahren 1955, 1956, 1958 und 1961 zum Beweis dafür, daß er auch in diesen Jahren im Bergbau tätig gewesen ist, übersandt. Des weiteren hat sie ein Gutachten des Prof. L. (Hautarzt, Allergologe, München) vom 1. Februar 1995 eingereicht. Dieser weist nochmals auf die Untersuchungen zum Ursachenzusammenhang zwischen Quarzstaub und Auslösung einer PSS hin. Des weiteren vertritt er die Auffassung, daß im Gegensatz zum pathologisch-anatomischen Zusatzgutachten des Prof. Dr. T. der Nachweis einer Organbeteiligung im Rahmen der PSS sich aus den vorhandenen medizinischen Unterlagen zum Krankheitsverlauf des Ehemanns der Klägerin ergebe. Des weiteren weist er darauf hin, daß die Expositionszeit nach den Erfahrungen in der Literatur sogar nur einige Monate betragen könne. Er bezieht sich dabei insbesondere auf eine Untersuchung zur Erkrankungshäufigkeit an PSS bei den in der SDAG Wismut beschäftigt gewesenen Bergmännern. Unter Berücksichtigung insbesondere dieses letzten Gutachtens hält die Klägerin die Wahrscheinlichkeit der Ursachenzusammenhänge für gegeben.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 7. Januar 1992 sowie den Bescheid der Beklagten vom 11. September 1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. März 1987 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr die ihrem am 12. Januar 1987 verstorbenen Ehemann E. B. zugestandene Verletztenrente wegen einer progressiven systemischen Sklerodermie in gesetzlichem Umfang auszuzahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält auch unter Berücksichtigung der weiteren Sachermittlungen die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten sowie zum Vorbringen der Beteiligten im übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, sowie den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, denn sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt sowie an sich statthaft (§§ 143, 151 SGG).

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 7. Januar 1992 ist nicht zu beanstanden. Der Bescheid der Beklagten vom 11. September 1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. März 1987 ist rechtmäßig. Die Klägerin wird dadurch nicht in ihren Rechten verletzt. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, der Klägerin unter Anerkennung einer Sklerodermie als Berufskrankheit Entschädigung nach § 551 Abs. 2 RVO zu gewähren.

Gemäß § 547 RVO gewährt der Träger der Unfallversicherung Leistungen nach Eintritt des Arbeitsunfalles. Als Arbeitsunfall gilt gemäß § 551 Abs. 1 RVO eine Berufskrankheit. Berufskrankheiten sind die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 genannten Tätigkeiten erleidet. Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, daß die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch die Arbeiten bestimmter Unternehmen verursacht worden sind. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall bereits deswegen nicht erfüllt, weil die Krankheit, unter der der Ehemann der Klägerin litt, nämlich die PSS, nicht in der eingangs erwähnten Rechtsverordnung als Listenkrankheit verzeichnet ist.

Allerdings besteht nach § 551 Abs. 2 RVO die Möglichkeit, auch in einem solchen Fall, im Einzelfall, eine Krankheit wie eine Berufskrankheit zu entschädigen, sofern nach neuen Erkenntnissen die übrigen Voraussetzungen des Abs. 1 erfüllt sind. Auch diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht gegeben.

Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang insbesondere, daß der § 551 Abs. 2 RVO keine Härteklausel darstellt (vgl. Entscheidung des BSG vom 23. Juni 1977 – Az.: 2 RU 53/76, BSGE 44, 90, 93). Entscheidend ist vielmehr, daß über den § 551 Abs. 2 RVO solche durch die Arbeit verursachten Krankheiten wie eine Berufskrankheit entschädigt werden, die nur deshalb nicht in die Liste der Berufskrankheiten aufgenommen worden sind, weil die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft über die besondere Gefährdung bestimmter Personengruppen in ihrer Arbeit in der letzten Fassung der Anlage 1 zur BeKV noch nicht vorhanden oder dem Verordnungsgeber noch nicht bekannt waren oder trotz Nachprüfung noch nicht ausreichten (vgl. Entscheidungen des BSG, vom 23. Juni 1977 a.a.O., S. 92; vom 22. November 1979 – Az.: 8 a RU 66/79, SozR 5670, Anlage 1 Nr. 4302 Nr. 1; vom 4. August 1981 – Az.: 5 a/5 RKnU 1/80, SozR 2200 § 551 Nr. 18; vom 19. Januar 1995 – Az.: 2 RU 14/94; Entscheidung des BVerfG vom 22. Oktober 1981 – Az.: 1 BvR 1369/79, SozR 2200 § 511 Nr. 19). Ebenso wie im Rahmen des § 551 Abs. 1 RVO ist es bei einer Prüfung nach § 551 Abs. 2 RVO, dies ergibt sich eindeutig aus dem Wortlaut des Abs. 2, erforderlich, daß die zu beurteilende Erkrankung nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht wurde, denen der Erkrankte durch seine Arbeit in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung ausgesetzt ist. Demzufolge ist zu prüfen, ob der Erkrankte einer Personengruppe angehört, die durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung "besonderen Einwirkungen” ausgesetzt ist und ob die besonderen Einwirkungen nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft generell geeignet sind, eine bestimmte Erkrankung zu verursachen, wobei die Eignung wahrscheinlich sein muß. Des weiteren muß die zuvor genannte Gruppentypik sowohl im Nachweis der Gefährdung durch besondere Einwirkungen, als auch in einem gesteigerten Risiko der betroffenen Gruppen bestehen. Die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft müssen neu sein, das heißt seit Inkrafttreten der letzten Ergänzung der BK-Liste bekannt geworden sein. Sie sind als neu anzusehen, wenn sie bei Erlaß der BeKV noch nicht vorhanden waren oder zwar vorhanden, dem Verordnungsgeber aber noch nicht bekannt waren oder bekannt waren, aber nicht erkennbar geprüft worden sind oder bekannt waren und trotz Nachprüfung noch nicht ausreichten, aber sich bei weiteren nachträglich gewonnenen Erkenntnissen, zur Berufskrankheit verdichtet haben. Darüber hinaus muß der ursächliche Zusammenhang der Krankheit mit der gefährdeten Tätigkeit im konkreten Fall mit hinreichender Wahrscheinlichkeit bestehen und es muß ein rechtlich wesentlicher Zusammenhang zwischen der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung vorhanden sein.

Unter Berücksichtigung der Ausführungen des Prof. Dr. W. in seinem Sachverständigengutachten vom 6. Mai 1993 sowie der ergänzenden Stellungnahmen hierzu ist davon auszugehen, daß Bergleute in einem erheblich höheren Grade als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen durch Quarzstäube ausgesetzt sind. Dies wird letztendlich auch von Prof. Dr. L. in seinem Sachverständigengutachten vom 17. Juli 1990 ebenfalls nicht bestritten. Er vertritt nur die Auffassung, daß es nicht bewiesen sei, daß die Gruppe der Bergleute bzw. der quarzstaubexponierten Arbeitnehmer insgesamt einem wesentlich höheren Erkrankungsrisiko an PSS ausgesetzt sei als die übrige Bevölkerung. Dies betrifft die Frage, ob die besonderen Einwirkungen – sprich hier Quarzstäube – nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft generell geeignet sind, eine bestimmte Erkrankung – hier die PSS – zu verursachen. Insoweit weist er allerdings darauf hin, daß die Hypothese des ursächlichen Zusammenhangs zwischen beruflicher Quarzstaubexposition und Erkrankung an PSS nach den eigenen Untersuchungen nicht erhärtet, aber auch nicht endgültig habe widerlegt werden könne. Zu diesem Ergebnis gelangt auch Prof. Dr. F in seinem Sachverständigengutachten vom 25. September 1990. Er führt aus, daß der Anteil an Männern mit Silikose oder Quarzstaubexposition mit 4 bzw. 16 % der männlichen Sklerodermiepatienten relativ hoch sei. Bedenken bestehen bei Ihm allerdings insoweit, als die Fallzahl insgesamt sehr gering ist, so daß seiner Ansicht nach, nicht daraus abgeleitet werden könne, daß eine überzufällige, statistisch signifikante Koinzidenz zwischen Quarzstaubexposition und Sklerodermie bestehe. Deswegen könne ein Zusammenhang zwischen einer Quarzstaubexposition und einer PSS zwar nicht nachgewiesen aber auch nicht generell ausgeschlossen werden. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Quarzstaubexposition und der Erkrankung an PSS wird von ihm allerdings für möglich gehalten, zumal, so heißt es weiter in seinem Gutachten, sich unter pathophysiologischen Gesichtspunkten ein kausaler Zusammenhang zwischen Quarzstaubexposition und gesteigerter Bindegewebssynthese herstellen lasse. Auch Prof. Dr. W. räumt in seinem Sachverständigengutachten ein, daß alle bisherigen Untersuchungen zur Assoziation zwischen Quarzstaubeinwirkung mit und ohne Silikosen und PSS in der internationalen Literatur der letzten Jahrzehnte auf Kasuistiken und Fallkontrollstudien beruhten, bei denen eine retrospektive Assoziation nachgewiesen worden sei, das heißt PSS-Erkrankte wiesen in ihrer Vorgeschichte häufiger eine Quarzstaubexposition auf als Kontrollpersonen ohne PSS. Keine dieser Studien erfülle, so Prof. W. vermutlich die Voraussetzungen für eine kontrollierte epidemiologische Untersuchung. Allerdings seien trotz aller methodischer Mängel, die insbesondere aus der ehemaligen DDR berichteten, erheblichen Überhäufigkeiten von Quarzstaubeinwirkung bei männlichen Sklerodermieerkrankungen, vor allem bei Bergleuten im Erzbergbau unter Tage sehr auffällig. Nach Ansicht der auf diesem Gebiet führenden Wissenschaftler der ehemaligen DDR bestehe kein Zweifel an der Geeignetheit von Quarz, eine PSS zu verursachen. Dies kommt auch in den Sachverständigengutachten der Profes. Z. und L., die im sozialgerichtlichen Verfahren eingeholt wurden, aber auch in dem Sachverständigengutachten des Prof. Dr. L., das als Privatgutachten von der Klägerin am 6. Februar 1995 eingereicht wurde, zum Ausdruck. Des weiteren weist Prof. Dr. W. darauf hin, daß in der ehemaligen DDR eine Sklerodermie als Komplikation einer Silikose als Listenberufskrankheit anerkannt war. Die Sklerodermie an sich, als Berufskrankheit, konnte nur mittels Sonderentscheid nach Einzelfallprüfung zur Anerkennung gelangen. Generell gibt es, selbst wenn man davon ausgeht, daß im Uranerzbergbau der SDAG Wismut der Quarzgehalt im Schwebstaub höher war, als etwa im Ruhrkohlebergbau, durchaus plausible Hypothesen für einen ursächlichen Zusammenhang von Quarz und Sklerodermieentstehung. So schließt Prof. W. aus den kasuistisch-epidemiologischen, immunologischen und Zellkulturuntersuchungen, daß Quarzfeinstaub unter bestimmten Expositionsbedingungen generell geeignet ist, eine Sklerodermie hervorzurufen. Hieraus wäre dann aber auch zu schlußfolgern, daß Bergleute, die in einem höheren Maße als andere Bevölkerungsgruppen der Belastung durch Quarzfeinstäube ausgesetzt sind, in höherem Maße der Gefährdung unterliegen, an einer PSS zu erkranken. Selbst wenn man jedoch dieser Auffassung folgt, also insoweit auch den Auffassungen der Profes. L. und Z. sich über die Bedenken des Prof. R. in seinen Stellungnahmen vom 29. November 1990, 31. Januar 1990, 23. November 1989 und insbesondere 20. Oktober 1988 zur Methodik der Feststellung dieser Erkenntnisse hinwegsetzt, und aufgrund der Auskunft des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung vom 20. Februar 1990 davon ausgeht, daß es sich insoweit um neue wissenschaftliche Erkenntnisse handelt, so scheitert die Anerkennung der PSS im vorliegenden Fall jedoch an der mangelnden Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs der PSS mit der gefährdenden Tätigkeit.

Zweifelsohne war der Ehemann der Klägerin während seiner mindestens sechsjährigen Tätigkeit unter Tage einer Quarzstaubbelastung ausgesetzt. Inwieweit er darüber hinaus auch während seiner Tätigkeit als Diplom-Bergingenieur im Wirtschaftsbüro während der Ausübung von Aufsichtstätigkeiten unter Tage und auch während seines Studiums einer derartigen Quarzbelastung unterlag, kann ebenso dahingestellt bleiben wie die Beantwortung der Frage, ob die nachgewiesene Zeit mit Quarzstaubbelastung von sechs Jahren unter arbeitstechnischen Gesichtspunkten ausreichend ist, um die Quarzstaubbelastung im konkreten Fall als Auslöser der PSS ansehen zu können. Zutreffend führt Prof. W. nämlich aus, daß nur dann die PSS als Berufskrankheit im Sinne des § 551 Abs. 2 RVO, verursacht durch Quarzstaubeinwirkung anerkannt werden kann, wenn sie mit der nachweislichen Beteiligung der inneren Organe, insbesondere der Lunge, einhergegangen ist. Wenn man nämlich den Hypothesen für eine ursächliche Bedeutung von Quarz bei der Entstehung einer PSS folgt, ist zu erwarten, daß ein Befall des Lungenparenchyms auftritt. Die Tatsache, daß die Intensität der Quarzeinwirkung eine wichtige Rolle spielt, läßt erwarten, daß immunologische Veränderungen im Bereich des Lungengewebes im Rahmen einer Sklerodermie sichtbar werden. So haben auch die kasuistisch-empirischen Erfahrungen gezeigt, daß eine Lungenbeteiligung bei fast allen Erkrankungsfällen an Sklerodermie bestand, bei denen eine Assoziation mit Quarzfeinstaub vermutet wurde. Etwas anderes gilt nach den Ausführungen von Prof. L. nur für die Beobachtungen im Uranbergbau der SDAG Wismut. Zu Recht weist Prof. Dr. W. allerdings in seinen ergänzenden Stellungnahmen darauf hin, daß die Arbeits- und Umweltbedingungen in diesem Bergbaubereich nicht mit denen im Westdeutschen Steinkohlebergbau vergleichbar gewesen sind. Im übrigen ist insoweit noch ungeklärt, ob nicht neben Quarzstäuben gerade im Uranerzbergbau der SDAG Wismut andere freigesetzte Stoffe in relevantem Umfang als Auslöser der PSS fungiert haben. Gerade bei Klärung der Frage aber, ob eine Organmanifestation im Rahmen der Sklerodermie, sofern Quarzstäube als Auslöser diskutiert werden, zu erwarten ist, oder ob Quarzstäube, aufgenommen über die Haut, ebenfalls eine PSS auszulösen vermögen, verweist Prof. L. auf die Studien, die im Zusammenhang mit an Sklerodermie erkrankten Bergleuten der SDAG Wismut erstellt wurden. Inwieweit dies auf anderen Bergbau übertragbar ist und ob eine andere Form der Aufnahme von Quarzstaub in den Körper geeignet ist, eine PSS auszulösen, ist in der wissenschaftlichen Literatur noch so umstritten, daß – wie im Falle des Ehemanns der Klägerin – bei dem kein nennenswerter Lungenbefund erhoben werden konnte, nicht als wahrscheinlich anzusehen.

So heißt es in dem Bericht zur endgültigen pathologisch-anatomischen Obduktionsdiagnose des Prof. T. vom 16. Februar 1987, daß der Ehemann der Klägerin unter einer progressiven Sklerodermie, mit deutlichen Veränderungen der Haut im Bereich des Torax, einem sogenannten Maskengesicht und mäßig stark ausgeprägter Sklerodaktili gelitten habe. Die pathologisch-anatomische Untersuchung hat keinen Nachweis für eine Organbeteiligung der PSS erbracht. Daneben hat er eine dilatative Kardiomyopathie festgestellt und als letale Komplikation eine Lungenembolie angegeben. Todesursache des Ehemanns der Klägerin war ein globales protrahiertes Herzversagen. Anders als Profes. L. und Z. in ihren Sachverständigengutachten annehmen, ergibt sich aus dieser pathologisch-anatomischen Obduktionsdiagnose eindeutig, daß keine Organbeteiligung beim Ehemann der Klägerin im Rahmen der PSS nachweisbar gewesen ist. Inwieweit sich die in den zahlreichen von der Klägerin eingereichten medizinischen Befundunterlagen und der vom Senat beigezogenen Arztbriefe wiedergegebenen Organkomplikationen insbesondere des Herz-Kreislaufsystems und der Lunge, mit zahlreichen Pneumonien, nach ärztlicher Auffassung auf die Sklerodermie zurückführen ließen, ist nach Auffassung des Senates durch die pathologische Untersuchung geklärt. Prof. T. hat hierzu ausgeführt, daß keine Organbeteiligung nachweisbar gewesen sei. Auch soweit er auf ausdrückliche Nachfrage des Senats im Rahmen des pathologisch-anatomischen Zusatzgutachtens vom 9. Juli 1993 eine geringe Lungenfibrose, verursacht durch Quarzstaubexpositionen, gekoppelt mit Kohlenstaubexpositionen und eine herdförmige Lungenfibrose als Ausdruck der PSS diagnostiziert, wobei letzterer seiner Ansicht nach die größere Bedeutung zukommt, bezeichnet er sie insgesamt als sehr gering ausgeprägt. Unter Berücksichtigung dessen folgt der Senat den Ausführungen von Prof. W. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 9. Februar 1994, wenn er ausführt, daß sich bei diesem geringen Befund nicht feststellen lasse, daß es zu einer relevanten Einwirkung von Quarzfeinstaub beim Ehemann der Klägerin als Auslöser für die PSS gekommen sei. Damit besteht unter Berücksichtigung der vorangegangenen Ausführungen, insbesondere zu den medizinischen Studien zu den an Sklerodermie erkrankten Bergarbeitern bei der SDAG Wismut zwar die Möglichkeit, daß auch im vorliegenden Fall diese geringe nachweisbare Quarzstaubeinlagerung in der Lunge Auslöser der PSS gewesen ist. Das Ausmaß der auf eine Quarzstaub- bzw. Kohlenstaubexposition zurückzuführende Lungenfibrose reicht jedoch nach Auffassung des Senates nicht aus, um von einer Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges zwischen Quarzstaubeinwirkung bei der Arbeit als Bergmann unter Tage mit der Entstehung der PSS ausgehen zu können. Zu Recht weist Prof. W. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 21. April 1994 darauf hin, daß entscheidende Bedeutung der histologische Befund habe. Dem ist zuzustimmen, insbesondere unter Berücksichtigung dessen, daß sich nach der Obduktion weniger als die Hälfte der klinisch diagnostizierten Befunde bestätigten. Insoweit widerspricht die Aussage des Prof. W. auch nicht den in den diversen Arztbriefen und medizinischen Unterlagen benannten Befunden. Nach dem histologischen Befund muß davon ausgegangen werden, daß die eingangs benannten Erkrankungen insbesondere am Herz-Kreislaufsystem, aber auch an der Lunge weitgehend unabhängig von der Grunderkrankung der PSS abgelaufen sind.

Die Anerkennung einer Quarzstaublungenerkrankung – Silikose – nach § 551 Abs. 1 RVO i.V.m. der Anlage 1 Nr. 4101 der BeKV scheidet unter Berücksichtigung der beiden pathologisch-anatomischen Gutachten aus. Dies gilt ebenso für eine Quarzstaublungenerkrankung in Verbindung mit aktiver Lungentuberkulose nach Nr. 4102 der BeKV. Die durch Quarzstaub- bzw. Kohlenstaubeinwirkung hervorgerufene Lungenfibrose hat nach den Angaben von Prof. T. nur ein sehr geringfügiges Ausmaß. Selbst wenn man also insoweit die haftungsbegründende Kausalität bejaht, wie dies auch Prof. Dr. W. in seinem Sachverständigengutachten macht, so kommt doch die Gewährung von Entschädigungsleistungen insoweit nicht in Betracht, denn es ist nicht ersichtlich, daß eine dieser beiden Listenerkrankungen zu einem rentenberechtigenden Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit im vorliegenden Fall geführt haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht gegeben sind.
Rechtskraft
Aus
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