L 9 U 616/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 1 U 460/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 616/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 8. Januar 2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt im Wege eines Rücknahmeverfahrens die Gewährung von Rente wegen der bei ihm als Berufskrankheit (BK) anerkannten Lärmschwerhörigkeit.

Der 1932 geborene Kläger war von April 1948 bis 7. Oktober 1992 als Schlosser, Maschinenarbeiter, Schweißer und Stahlbauer, zuletzt seit September 1955 bei den E.-W. in E., lärmgefährdet beschäftigt. Seit November 1992 bezieht er Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung.

Der HNO-Arzt Dr. H. zeigte der Beklagten am 9.12.1992 den Verdacht auf das Vorliegen einer BK (Lärmschwerhörigkeit) an. Als Vorerkrankung liege eine private Schweißperlenverletzung am rechten Ohr mit im Jahr 1990 durchgeführter Myringoplastik rechts vor. Nach weiterer Sachaufklärung holte die Beklagte ein HNO-ärztliches Gutachten ein. Professor Dr. S. führte im Gutachten vom 12.8.1993 aus, beim Kläger liege eine geringfügige Innenohrschwerhörigkeit vor, rechts etwas schlechter als links. Die Hörstörung sei lärmbedingt. Der Hörverlust betrage rechts 10%, links 0%. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) belaufe sich auf 0%.

Mit Bescheid vom 27.10.1993 stellte die Beklagte fest, dass beim Kläger eine BK nach Nr. 2301 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung bestehe. Als Folge der BK anerkannte sie: "Beginnende Schwerhörigkeit bds.". Als Folgen der BK wurden nicht anerkannt: "Trommelfellperforation rechts nach privater Schweißperlenverletzung". Sie führte aus, ein Anspruch auf Rente wegen der BK bestehe nicht. Den Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 8.3.1994 zurück. Die zum Sozialgericht (SG) Karlsruhe (S 4 U 789/94) erhobene Klage nahm der Kläger am 13.1.1995 zurück.

Am 27.2.1995 beantragte der Kläger unter Vorlage eigener Berechnungen des Hörverlustes und der MdE eine Neubescheidung. Hierzu legte er ein Attest des HNO-Arztes Dr. K. vom 5.4.1995 vor. Mit Bescheid vom 2.6.1995 in Gestalt des Widerspruchsbescheid vom 23.8.1995 teilte die Beklagte dem Kläger mit, eine wesentliche Verschlimmerung sei nicht eingetreten. Soweit er sich gegen die Bewertung der MdE im Gutachten von Prof. Dr. S. wende, lehne sie eine Überprüfung ab und berufe sich auf die Bindungswirkung des Bescheides vom 27.10.1993.

Am 19.6.1996 stellte der Kläger einen Verschlimmerungsantrag. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 19.7.1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9.10.1996 ab. Die hiergegen zum SG Karlsruhe erhobene Klage (S 4 U 3734/96) nahm der Kläger mit Schreiben vom 2.6.1997 wieder zurück.

Am 12.2.2001 stellte der Kläger erneut einen Verschlimmerungsantrag und begehrte sinngemäß die Kostenübernahme für ein neues Hörgerät. Mit Bescheid vom 18.5.2001 lehnte die Beklagte nach Einholung einer beratungsärztlichen Stellungnahme eine Neufeststellung und die Übernahme von Kosten einer Hörgeräteversorgung, die über die Festbetragsregelung hinausgehe, ab. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16.1.2002 zurück.

Hiergegen erhob der Kläger am 28.1.2002 Klage zum SG Karlsruhe (S 15 U 294/02). Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) holte das SG bei der HNO-Ärztin Dr. I. ein Gutachten nach Aktenlage ein. In dem Gutachten vom 28.10.2002 führte diese aus, die geringfügige Hörverlustzunahme zwischen der Begutachtung im Jahr 1993 und der Hörschwellenaufzeichnung am 21.6.2002 könne nicht durch die berufliche Lärmexposition verursacht sein, da diese bereits im Oktober 1992 beendet worden sei. Eine Lärmschwerhörigkeit nehme nach Beendigung der Lärmexposition nicht mehr zu. Das geringfügige Fortschreiten der Hörminderung nur im Tieftonbereich bis 1 kHz sei für eine Lärmschwerhörigkeit untypisch. Auch nach den neueren Befunden sei die MdE auf unter 10 vH (höchstens 10 vH) zu schätzen.

Ein Anerkenntnis der Beklagten auf Übernahme der Kosten für eine Versorgung mit voll digitalisierten mehrkanaligen Hörgeräten nahm der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 18.3.2003 an und begehrte im übrigen die Gewährung einer Rente nach einer MdE um 20 vH, hilfsweise nach 10 vH unter Berücksichtigung einer Stützrente für eine BK nach Nr. 2102.

Mit Urteil vom 18.3.2003 wies das SG die Klage ab, da die durch die Lärmschwerhörigkeit verursachte MdE weder allein noch zusammen mit der MdE aus einem weiteren Versicherungsfall ein rentenberechtigendes Ausmaß erreiche.

Im anschließenden Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht (L 10 U 1912/03) erstattete Professor Dr. J. ein Gutachten nach Aktenlage. In dem Gutachten vom 28.3.2004 führte er aus, zum Zeitpunkt des Bescheides der Beklagten vom 27.10.1993 habe das Königsteiner Merkblatt in seiner 3. Aufl. gegolten. Danach sei die Berechnung des prozentualen Hörverlustes nur nach dem Sprachaudiogramm erfolgt. Die MdE habe danach 0 vH betragen. Auch nach der Methode des gewichteten Gesamtwortverstehens nach Feldmann sowie aus dem Tonaudiogramm nach Roeser (1980) errechne sich eine MdE um 0 vH. Die Einbeziehung eines Pfeifgeräusches auf dem rechten Ohr führe zu einer MdE von weniger als 10 vH. Mit Beschluss vom 27.9.2004 wies das LSG die Berufung zurück.

Am 26.10.2004 beantragte der Kläger die Höherbewertung der Lärmschwerhörigkeit im Rahmen eines Rücknahmeverfahrens, da die dem Bescheid vom 27.10.1993 zu Grunde liegenden Audiogrammauswertungen unrichtig seien.

Mit Bescheid vom 13.9.2005 lehnte die Beklagte die Rücknahme des Bescheides vom 27.10.1993 ab. Es seien keine neuen Gesichtspunkte vorgebracht, die die getroffene Entscheidung in Frage stellen würden. Den Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 18.1.2006 zurück.

Hiergegen erhob der Kläger am 31.1.2006 Klage zum SG Karlsruhe (S 1 U 460/06), mit der er die Rücknahme des Bescheides vom 27.10.1993 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8.3.1994 sowie die Gewährung einer Rente wegen der anerkannten BK weiter verfolgte.

Mit Gerichtsbescheid vom 8.1.2007 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, die angefochtenen Bescheide der Beklagten seien nicht zu beanstanden. Für die Unrichtigkeit des Bescheides vom 27.10.1993 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8.3.1994 ergebe sich kein Anhalt. Auf die Entscheidungsgründe im übrigen wird Bezug genommen.

Gegen den am 12.1.2007 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 25.1.2007 beim SG Berufung eingelegt und vorgetragen, die Gutachten von Prof. Dr. S. vom 12.8.1993 und Professor Dr. J. vom 28.3.2004 beruhten auf falschen Tatsachen. Die Gutachter hätten nur das Sprachaudiogramm ausgewertet. Nach dem Königsteiner Merkblatt, 3. Ausgabe, 1991 sei der Befund des Tonaudiogramms bei der Festsetzung der MdE zu berücksichtigen, wenn der Sprachaudiogramm noch keinen zu bewertenden Hörverlust zeige. Er verlange, den Verlust im Hochtonbereich beidseits festzusetzen. Der bei ihm vorliegende Hörverlust betrage 90 % rechts und 80 % links.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 8. Januar 2007 sowie den Bescheid der Beklagten vom 13. September 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheid vom 18. Januar 2006 aufzuheben und die Beklagte unter Rücknahme des Bescheides vom 27. Oktober 1993 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. März 1994 zu verurteilen, ihm wegen der anerkannten Berufskrankheit ab 1. Januar 2000 Rente nach einer MdE um wenigstens 65 vH zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erwidert, der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts sei nicht zu beanstanden. Das Vorbringen des Klägers erschöpfe sich in einer wiederholten Darstellung seines früheren Vorbringens in zahlreichen vorangegangenen Verfahren.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.

Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, da der Kläger keinen Anspruch auf Rücknahme des Bescheides vom 27.10.1993 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8.3.1994 und auf Gewährung einer Rente wegen der bei ihm anerkannten BK Nr. 2301 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung hat. Das SG hat den Sachverhalt und die Rechtsvorschriften zutreffend dargelegt. Der Senat hat den Sachverhalt nochmals überprüft und ist dabei zum Ergebnis gelangt, dass der angefochtene Gerichtsbescheid des SG nicht zu beanstanden ist. Deshalb nimmt der Senat insoweit auf die Gründe des Gerichtsbescheids, die sich als zutreffend erweisen, in vollem Umfang Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend ist auszuführen, dass auch der Senat nicht festzustellen vermag, dass der Bescheid der Beklagten vom 27.10.1993 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8.3.1994 rechtswidrig ist. Beim Kläger lag im Juli 1993, nachdem er schon im Oktober 1992 aus dem Berufsleben ausgeschieden war, eine geringfügige lärmbedingte Innenohrschwerhörigkeit, rechts etwas stärker als links, vor. Diese bedingt - auch unter Berücksichtigung eines Pfeiftons in Ruhe - keine MdE um mindestens 10 vH. Zu dieser Überzeugung gelangt der Senat auf Grund der insoweit übereinstimmenden Beurteilungen von Prof. Dr. S. im Gutachten vom 12.8.1993, von Dr. E. in der gewerbeärztlichen Stellungnahme vom 23.9.1993, Dr. Irion im Gutachten vom 28.10.2002 und Professor Dr. Johannsen im Gutachten vom 28.3.2004. Letzterer hat nachvollziehbar dargelegt, dass sich für die Lärmschwerhörigkeit des Klägers sowohl nach der Methode des Gesamtwortverstehens aus dem Sprachaudiogramm nach Boenninghaus und Roeser (1973) als auch nach der Methode des gewichteten Gesamtwortverstehens nach Feldmann und auch nach dem Tonaudiogramm nach Roeser (1980) eine MdE um 0 vH ergibt. Dies ist für den Senat auch unter Berücksichtigung der einschlägigen Tabellen in der unfallmedizinischen Literatur nachvollziehbar.

Auch wenn man, der Auffassung des Klägers folgend, vorwiegend auf das Tonaudiogramm abstellt, ergibt sich hieraus nichts zu seinen Gunsten. Wie der 10. Senat auf Seite 7 des Beschlusses vom 27.9.2004 schon im Einzelnen dargelegt hat, ist mit Hilfe der Drei-Frequenz-Tabelle von Röser (1980) zunächst der prozentuale Hörverlust für jedes Ohr aus dem Tonaudiogramm dergestalt zu errechnen, dass zunächst auf der oberen waagrechten Koordinate der Tonhörverlust bei 1 kHz und auf der senkrechten Koordinate die Summe der Hörverluste bei 2 und 3 kHz festzustellen sind. Sodann ist bei der waagrechten Koordinate der festgestellte Tonhörverlust bei 1 kHz nach unten und bei der senkrechten Koordinate die Summe der Hörverluste bei 2 und 3 kHz nach rechts bis zum Schnittpunkt der beiden Koordinaten zu verfolgen. In dem Schnittpunkt ist sodann der Hörverlust in Prozent verzeichnet. Zur Feststellung der MdE ist der prozentuale Hörverlust für das linke Ohr und das rechte Ohr in die Feldmanntabelle einzustellen, woraus sich sodann die MdE ablesen lässt.

Im Falle des Klägers hat Prof. Dr. S. für das rechte Ohr bei Tonhörverlusten bei 1 kHz von 20 dB und bei 2 und 3 kHz von zusammen 95 kHz mit Hilfe der Drei-Frequenztabelle einen prozentualen Hörverlust von 15 % festgestellt. Für das linke Ohr ergab sich bei Tonhörverlusten bei 1 kHz von 10 dB und bei 2 und 3 kHz von zusammen 90 dB ein prozentualer Hörverlust von 5%. Nach der Tabelle von Feldmann ergeben Hörverluste von unter 20 % auf beiden Ohren eine MdE von 0 vH. Dasselbe gilt, wenn man die vom Kläger auf Seite 2 seines Schriftsatzes an das LSG vom 24.1.2007 angegebenen Hörverluste zugrunde legt, da diese nur geringfügig von den von Prof. Dr. S. genannten Werten abweichen.

Nach alledem war der angefochtene Gerichtsbescheid nicht zu beanstanden. Die Berufung des Klägers musste deswegen zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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