L 9 R 1020/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 8 R 2739/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 1020/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 30. Januar 2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Umstritten ist die Gewährung höherer Witwenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung.

Die 1940 geborene Klägerin war mit dem am 15. Juli 1939 geborenen und am 02. Juni 2004 verstorbenen M. C. (Versicherter) verheiratet. Die Holz-Berufsgenossenschaft (BG) hatte bei ihm eine Berufskrankheit (BK) nach Nr. 4105 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) - durch Asbest verursachtes Mesotheliom des Rippenfells, des Bauchfells oder des Perikards - sowie als deren Folge "eine bösartige Rippenfellgeschwulst rechts, operative Versorgung des rechten Lungenflügels einschließlich des Brustfells an der Lei¬beshöhlenwand rechts, Herzbeutel- und Zwerchfellentfernung und eine Teilentfernung dreier Rippen rechts" anerkannt und ihm deswegen Verletztenrente in Höhe der Vollrente gewährt. Die Verletztenrente wurde nach einem Jahresarbeitsverdienst von 39.153,41 EUR berechnet.

Da der Versicherte nach den Feststellungen der BG an den Folgen der BK verstorben war, bewilligte sie der Klägerin eine Hinterbliebenenrente ab 02. Juni 2004 in Höhe von 2.175,19 EUR sowie ab 01. Oktober 2004 in Höhe von 1.305,11 EUR. Wegen der Einzelheiten wird auf den Bescheid vom 25. Juni 2004 verwiesen.

Die Beklagte bewilligte der Klägerin auf deren Antrag mit Bescheid vom 07. Juli 2004 ab 01. Juli 2004 eine große Witwenrente. Sie errechnete, ausgehend von vom Versicherten erreichten 55,5587 persönlichen Entgeltpunkten (EP) vom 1. Juli 2004 bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach dem Sterbemonat des Versicherten einen Rentenbetrag von 1.451,75 EUR (Rentenartfaktor 1,0) und danach ab 1. Oktober 2004 einen Rentenbetrag von 871,05 EUR (Rentenartfaktor 0,6). Den Zahlbetrag setzte sie monatlich ab 01. Juli 2004 unter Anrechnung der Witwenrente von der BG in Höhe von 2.175,19 EUR und nach Abzug des Kranken- und Pflegeversicherungsbetrags auf 98,81 EUR und ab 01. Oktober 2004 unter Anrechnung der Witwenrente von der BG in Höhe von 1.305,11 EUR auf 59,29 EUR fest. Wegen der Einzelheiten und der Berechnung wird auf den Rentenbescheid vom 07. Juli 2004 verwiesen.

Dagegen erhob die Klägerin am 15. Juli 2004 Widerspruch und machte u. a. geltend, die vorgenommene Anrechnung der Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung sei nach § 93 Abs. 2 Nr. 2 a und b Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) unstatthaft, da die Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung an sie gezahlt würden, weil der Versicherte an den Folgen einer Silikose verstorben sei. Hierzu legte sie einen Bericht von Prof. Dr. M.-H. vom 21. Mai 2003 über die Untersuchungsergebnisse bezüglich des bei dem Versicherten operativ entfernten Gewebes vor. Die BG bestätigte, beim Versicherten sei eine BK nach Nr. 4105 der Anlage zur BKV anerkannt gewesen, verursacht durch eine frühere berufliche Asbeststaubbelastung. Der Versicherte sei an den Folgen der Pleuramesotheliom-Erkrankung und damit an den Folgen der BK verstorben. Die bei der anatomischen Begutachtung vom 15. Mai 2003 festgestellte kleinherdige Anthrakosilikose der Lunge sei lediglich nebenbefundlich gestellt worden und habe ärztlicherseits niemals zur Diskussion gestanden. Der Versicherte sei auch nicht an Lungenkrebs, der durch eine Silikose entstehen könne, verstorben, sondern an einem Pleuratumor. Deswegen erhalte die Klägerin Witwenrente.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 09. August 2005 zurück, da die Leistungen der BG anzurechnen seien. Die Rente der BG werde nicht auf Grund einer entschädigungspflichtigen BK nach Nrn. 4101 (Quarzstaublungenerkrankung [Silikose]), 4102 (Quarzstaublungenerkrankung in Verbindung mit aktiver Lungentuberkulose [Siliko-Tuberkulose]) oder 4111 (chronische obstruktive Brochitis oder Emphysem von Bergleuten unter Tage im Steinkohlebergbau) der Anlage zur BKV geleistet. Dem entsprechend sei bei der Ruhensberechnung die volle Leistung der gesetzlichen Unfallversicherung nach § 93 Abs. 1 SGB VI zu berücksichtigen.

Deswegen hat die Klägerin am 26. August 2005 Klage zum Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben und im wesentlichen geltend gemacht, sie erhalte Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung, weil der Versicherte an den Folgen einer Silikose, nämlich einer als BK anerkannten bösartigen Rippenfellerkrankung verstorben sei. Eine Anrechnung sei auch im Hinblick auf § 97 Abs. 1 Satz 1 SGB VI nicht zulässig, weil der Rentenartfaktor mehr als 1,0 betrage und die Hinterbliebenenrente aus der Unfallversicherung dem Einkommensbegriff der §§ 18 a ff. Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) entspreche.

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 30. Januar 2007 abgewiesen. Die Hinterbliebenenrente der BG sei anzurechnen und die entsprechende Berechnung der Beklagten nicht zu beanstanden. Soweit die Klägerin geltend mache, eine Anrechnung sei unzulässig, weil die Verletztenrente aufgrund einer Silikose gezahlt werde, greife dieser Einwand nicht durch, da die Regelung des § 93 Abs. 2 Nr. 2 a und b SGB VI sich nur auf eine Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung beziehe, nicht aber auf eine Hinterbliebenenrente. Im übrigen werde die Hinterbliebenenrente von der BG nach deren ausdrücklicher Bestätigung wegen einer BK nach Nr. 4105 und nicht nach den Nrn. 4101, 4102 oder 4111 der Anlage zur BKV, insbesondere nicht auf Grund einer Silikose geleistet. Soweit geltend gemacht werde, die Anrechnung sei unzulässig, weil der Rentenartfaktor mehr als 1,0 betrage, sei festzustellen, dass dieser ab 01. Juli 2004 1,0 und anschließend 0,6 betrage, wie im Bescheid ausgewiesen. Im übrigen sei maßgebliche Vorschrift für die Anrechnung der Hinterbliebenenrente der gesetzlichen Unfallversicherung nicht § 97 SGB VI, sondern § 93 SGB VI.

Gegen den am 05. Februar 2007 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 27. Februar 2007 Berufung eingelegt. Sie macht nun geltend, bei dem Pleuramesotheliom, an dem der Versicherte gelitten habe und das zum Tod geführt habe, handele es sich um ein der Silikose vergleichbares Krankheitsbild, weswegen eine Regelungslücke vorliege und die Vorschrift des § 93 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe b SGB VI auch analog auf die anerkannte BK anzuwenden sei. Bei der an sie gezahlten Rente handle es sich auch um eine Verletztenrente und nicht um eine Hinterbliebenenrente, weil ihre Zahlung ausschließlich auf Grund der beruflichen Erkrankung des Versicherten erfolge.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 30. Januar 2007 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 07. Juli 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09. August 2005 zu verurteilen, ihr Witwenrente ohne Anrechnung der ihr von der Holz-Berufsgenossenschaft gewährten Rente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung ist unbegründet. Der angefochtene Rentenbescheid ist nicht zu beanstanden, denn die Beklagte hat zu Recht und zutreffend die der Klägerin von der BG gewährte Rente bei der Berechnung des Auszahlungsbetrags der Witwenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung berücksichtigt.

Es haben das SG im angefochtenen Gerichtsbescheid und die Beklagte im angefochtenen Renten- und Widerspruchsbescheid zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die Berechnung des Auszahlungsbetrags der Rente dargelegt und ebenso zutreffend ausgeführt, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Zahlung einer höheren Witwenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung hat, weil auf sie die nicht auf eigenen Beitragsleistungen des Versicherten beruhende Rente der BG anzurechnen ist und dies bei der Berechnung des Auszahlungsbetrags durch die Beklagte auch zutreffend und in nicht zu beanstandender Weise berücksichtigt wurde. Der Senat weist deshalb die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück und sieht gemäß den §§ 153 Abs. 2 SGG bzw. 136 Abs. 3 SGG weitgehend von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.

Ergänzend ist lediglich anzumerken, dass auch das Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren nicht zu einer anderen Entscheidung führen kann. Auf welche BKen die Bestimmung des § 93 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b SGB VI Anwendung findet, ergibt sich ausschließlich aus dieser Vorschrift. Gründe, die Bestimmung auch auf eine BK nach Nr. 4105 der Anlage zur BKV, wie sie beim Versicherten vorlag, anzuwenden, bestehen nicht. Der Nichtberücksichtigung von bestimmten Beträgen bei der Ermittlung der zusammentreffenden Rentenbeträge nach Maßgabe des § 93 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI bezieht sich auch nur auf das Zusammentreffen von Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung mit einer Verletztenrente und nicht - wie hier - mit einer Hinterbliebenenrente der Unfallversicherung (vgl. auch Gürtner in Kasseler Kommentar, § 93 SGB VI Rdnr. 18). Der Grund für die unterschiedliche Behandlung der Verletztenrente einerseits und der Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung andererseits liegt darin, dass die Verletztenrente neben der Einkommensersatzfunktion "immaterielle Schäden" des Versicherten wie z.B. den Verlust der körperlichen Integrität ausgleichen soll. Dies gilt für die Hinterbliebenenrente nicht. Im Übrigen entbehrt die Behauptung der Klägerin, bei der ihr von der BG gewährten Rente handle es sich um eine Verletztenrente und nicht um eine Hinterbliebenenrente, jeglicher Grundlage.

Soweit die Klägerin geltend macht, eine Anrechnung sei nach § 97 Abs. 1 SGB VI nicht zulässig, steht dem entgegen, dass es sich bei der anzurechnenden Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung nicht um Einkommen handelt, das nach § 97 Abs. 1 Satz 1 SGB VI grundsätzlich anzurechnen, von der Anrechnung aber nach § 97 Abs. 1 Satz 2 SGB VI ausgenommen ist, solange der Rentenartfaktor der Witwenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung - wie hier bis 30. September 2004 1,0 - beträgt. Die Anrechnung ergibt sich vorliegend aus § 93 SGB VI und nicht aus § 97 SGB VI. Bei der Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung handelt es sich nicht um nach § 97 Abs. 1 Satz 1 SGB VI anzurechnendes Einkommen i. S. der §§ 18a bis 18e SGB IV, das in § 18a SGB IV definiert ist. Sie stellt weder Erwerbs- noch Erwerbsersatzeinkommen, dessen Definition sich in § 18a Abs. 3 SGB IV findet, dar (vgl. Seewald in Kasseler Kommentar, § 18a SGB IV Rdnr. 21).

Der Senat verkennt nicht, dass die Anrechnungsvorschrift des § 93 SGB VI verfassungsrechtliche Fragen aufwirft. Dies gilt vorrangig für die Anrechnung von Verletztenrente auf eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung, da letztere infolge der eigenen Beitragsleistung des Versicherten den Schutz des Art. 14 Grundgesetz (GG) genießt. Zwar lässt § 93 SGB VI das Recht des Versicherten auf die gesetzliche Rente unberührt, da die Vorschrift auf die wertbestimmenden Faktoren wie die Zahl der EP, den Rentenartfaktor und den aktuellen Rentenwert keinen Einfluss hat. Durch die Regelung des § 93 SGB VI wird aber das Recht des Versicherten geschmälert, die Auszahlung des monatlichen Betrages zu verlangen, mit dem der Wert der Rente festgestellt wurde. Somit enthält § 93 SGB VI eine Schrankenbestimmung des Eigentumsrechts, indem der Versicherte in der besonderen Situation des Zusammentreffens von Unfallrente und Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung vom Rentenversicherungsträger nicht monatlich die Zahlung des Betrages in Höhe des Wertes seines Rechts auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung verlangen kann. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (SozR 3-2600 § 93 Nr. 7 mwN) ist aber die Anrechnung einer Verletztenrente aus der Unfallversicherung auf eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung verfassungsmäßig, da dadurch die Sicherungsziele beider Renten erfüllt und das jeweils höhere Sicherungsniveau garantiert wird. Dies gilt auch im Falle der Klägerin, deren Anspruch auf Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung ab 1. Oktober 2004 871,05 EUR betragen würde, während sie aus der gesetzlichen Unfallversicherung eine Hinterbliebenenrente in Höhe von 1.305,11 EUR bezieht, zuzüglich 59,29 EUR aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Bestehen somit schon keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Anrechnung der Verletztenrente auf eine dem Versicherten zustehende Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung, so gilt dies erst recht für die Anrechnung einer Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung auf eine Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung, denn nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Februar 1998 (BVerfGE 97, 271-297) unterliegen schon die Ansprüche von Versicherten in der gesetzlichen Rentenversicherung auf Versorgung ihrer Hinterbliebenen nicht dem Eigentumsschutz des Art. 14 GG und damit erst recht nicht die Rechte der Hinterbliebenen selbst.

Da das SG somit zu Recht die Klage abgewiesen hat, ist die Berufung zurückzuweisen. Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision sind nicht erfüllt.
Rechtskraft
Aus
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