L 9 U 3969/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 7 U 333/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 3969/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 6. Juli 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Rücknahme eines bestandskräftigen Bescheides und die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2102 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV).

Der 1949 geborene Kläger hat von 1964 bis 1967 Fliesenleger gelernt und nach Abschluss der Lehre bis 1969 als Fliesenleger gearbeitet. Von 1969 bis Mai 1999 war er als Fliesen- und Treppenleger im Akkord beschäftigt, zuletzt seit April 1986 in einem Bau-Center.

Nachdem die Beklagte im Rahmen einer Anzeige über den Verdacht einer anderen BK aus dem Arztbrief des Orthopäden Dr. C. vom 29.1.2001 erfahren hatte, dass beim Kläger eine einsetzende retropatellare Gonarthrose beiderseits vorliegt, zog sie ärztliche Unterlagen sowie Leistungsauszüge der AOK Main-Tauber-Kreis bei, holte Auskünfte bei dem Orthopäden Dr. C. vom 23.2.2001 und dem Arzt für Allgemeinmedizin Dr. Helmschrott vom 17.5.2001 ein und ließ den Kläger durch ihren Technischen Aufsichtsbeamten (Bericht vom 21.5.2001) befragen. Diese Unterlagen leitete sie ihrer Präventionsabteilung zur Auswertung zu. Dr. Ch. führte dazu unter dem 1.8.2001 aus, nach Erfahrungen an Vergleichsarbeitsplätzen sei davon auszugehen, dass der zeitliche Anteil einer kniebelastenden Tätigkeit im Sinne einer BK 2102 gemessen an der Gesamtarbeitszeit mehr als ein Drittel ausmache. Während der Beitragzeit in ihrem Mitgliedsunternehmen (seit April 1986) hätten die arbeitstechnischen Voraussetzungen zum Entstehen einer BK nach Ziffer 2102 der Anlage zur BKV vorgelegen.

Die Beklagte ließ den Kläger daraufhin von Dr. C. gutachterlich untersuchen. Dieser diagnostizierte beim Kläger im Gutachten vom 17.12.2001 eine beginnende retropatellare Gonarthrose beider Kniegelenke, links mehr als rechts. Nicht zu bestätigen sei mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit allerdings ein medialer oder lateraler Meniskusschaden, sodass eine BK 2102 nicht zur Anerkennung vorgeschlagen werden könne.

Mit Bescheid vom 23.4.2002 teilte die Beklagte dem Kläger mit, seine Erkrankung des Kniegelenks sei keine BK nach Nr. 2102 der Anlage zur BKV. Ansprüche auf Leistungen bestünden daher nicht.

Hiergegen legte der Kläger am 22.5.2002 Widerspruch ein. Dr. C. führte unter den 17.7.2002 aus, das Krankheitsbild des Klägers sei im Verlaufe der Jahre klar und eindeutig als retropatellarer Knorpelschaden, besonders rechts, dokumentiert worden. Das klinische und röntgenologische Erscheinungsbild sei durch eine Knieschmerzhaftigkeit mit eindeutiger Symptomatik gekennzeichnet, nicht im Sinne einer medialen Meniskopathie. So sei auch im gesamten Behandlungsverlauf nicht die Notwendigkeit einer arthroskopischen oder kernspintomographischen Abklärung gesehen worden. Dem Kläger sei mitgeteilt worden, dass eine Kernspintomografie von Seiten des Kniegelenks durchaus einen stummen Meniskusschaden ergeben könne.

Der Kläger ließ am 16.7.2002 eine MRT-Untersuchung des rechten Kniegelenks bei dem Radiologen Dr. K. durchführen. Der Orthopäde Dr. W. diagnostizierte im Arztbrief vom 29.7.2002 in Auswertung dieser Fremdbefunde eine Gonarthrose mit deutlicher Retropatellararthrose beidseits sowie eine Außenmeniskusdegeneration des rechten Knies; eine Rissbildung am Innen-/Außenmeniskus schloss er aus und führte die Beschwerden hauptsächlich auf die Retropatellararthrose zurück. Einen Zusammenhang mit einer BK verneinte er. Mit Widerspruchsbescheid vom 28.10.2002 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Hiergegen erhob der Kläger am 29.11.2003 Klage zum Sozialgericht (SG) Würzburg, das den Rechtsstreit mit Beschluss vom 20.12.2002 an das SG Heilbronn (S 2 U 57/03) verwies.

Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beauftragte das SG Prof. Dr. S. mit der Erstellung eines Gutachtens. In dem Gutachten vom 2.5.2003 diagnostizierte er Kniescheiben-Oberschenkel-Gelenksarthrosen beidseits sowie eine beginnende Meniskusdegeneration II° ohne Rissbildung. Bei fehlendem klinischem Bild, das heißt im Untersuchungsgang unauffälligem Meniskus, könne nicht von einer Meniskopathie, d. h. einem Krankheitsbild, gesprochen werden. Radiologische Veränderungen allein - bei fehlender Klinik - erlaubten nicht die Diagnose einer Meniskuskrankheit. Daraufhin nahm der Kläger am 2.3.2004 die Klage zurück.

Am 9.6.2005 beantragte der Kläger gemäß § 44 Sozialgesetzbuch (SGB) X unter Vorlage des Befundberichts des Radiologen Dr. K. vom 24.7.2002 zum MRT vom 16.7.2002 die Anerkennung einer Kniegelenkserkrankung als BK nach Ziffer 2102. Er trug vor, nach dem MRT-Befund wiesen sowohl der Innenmeniskus als auch der Außenmeniskus deutliche degenerative Signalveränderungen auf. Dabei sei auch zum IM-Hinterhornansatz ein Einriss zu sehen. Auf Grund des MRT-Befundes sei von einem primären, beruflich bedingten Meniskusschaden auszugehen, der sekundär Knorpelschäden verursacht habe.

Mit Bescheid vom 11.7.2005 lehnte die Beklagte die Rücknahme des Bescheides vom 23.4.2002 ab. Aus dem bereits bekannten MRT-Befund ergäben sich keine neuen Gesichtspunkte. Es gebe auch keine Hinweise darauf, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes vom 23.4.2002 von einem falschen Sachverhalt ausgegangen oder das Recht falsch angewandt worden sei. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 9.1.2006 zurück.

Hiergegen erhob der Kläger am 26.1.2006 Klage zum SG Heilbronn (S 7 U 333/06), mit der er die Feststellung der Kniegelenkserkrankung als BK Ziffer 2102 der Anlage zur BKV weiter verfolgte.

Mit Gerichtsbescheid vom 6.7.2006 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, zwar sei nach Auffassung des SG auch dann von einem unrichtigen Sachverhalt auszugehen, wenn der dem Bescheid vom 23.4.2002 zu Grunde liegende Sachverhalt nicht abschließend bekannt gewesen sei. Dies sei vorliegend der Fall gewesen, da der Beklagten bislang nur der Arztbericht der Drs. G./W. vom 29.7.2002 vorgelegen habe, der das Ergebnis der MRT durch Dr. K. lediglich als Fremdbefund verkürzt wiedergebe. Aber auch unter Berücksichtigung des Arztberichts von Dr. K. vom 24.7.2002, in dem er auf die von ihm selbst erstellte MRT des rechten Knies vom 16.7.2002 Bezug nehme, seien Sozialleistungen nicht zu Unrecht nicht erbracht worden. Denn nach den schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen von Prof. Dr. S. im Gutachten vom 2.5.2003 könne nicht von einer Meniskopathie und damit auch nicht von einem primär beruflich bedingten Meniskusschaden, der sekundär Knorpelschäden verursacht habe, gesprochen werden, wenn sich im Untersuchungsgang ein unauffälliger Meniskus feststellen lasse. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.

Gegen den am 10.7.2006 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 7.8.2006 Berufung eingelegt und vorgetragen, die Feststellung der Beklagten im Bescheid vom 23.4.2002, dass zwar eine Erkrankung der Knie bestehe, jedoch eine Meniskuserkrankung ärztlicherseits nicht nachgewiesen sei, sei unrichtig. Nach der Beurteilung von Dr. K. bestünden die degenerativen Meniskusveränderungen im Vordergrund und seien für das Lebensalter zu weit fortgeschritten. Neben den radiologischen Veränderungen werde die Diagnose einer Meniskuserkrankung durch das klinische Bild bestätigt. Klinische Zeichen einer Meniskopathie seien Schmerzen am Gelenksspalt. Solche habe Prof. Dr. S. in seinem Gutachten festgestellt.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 6. Juli 2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 13. Juli 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Januar 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid vom 23. April 2002 zurückzunehmen und die bei ihm festgestellte Kniegelenkserkrankung als Berufskrankheit nach Ziffer 2102 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf die angefochtenen Bescheide sowie den Gerichtsbescheid und die Unterlagen in ihren Akten.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG (S 2 U 57/03 und S 7 U 333/06 sowie S 6 SB 3200/02) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, da der Kläger keinen Anspruch auf Rücknahme des Bescheides vom 23.4.2002 und auf Anerkennung der bei ihm festgestellten Kniegelenkserkrankung als BK nach Ziffer 2102 der Anlage zur BKV hat.

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zur Unrecht erhoben worden sind. Im übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden (Abs. 2).

Zu den Berufskrankheiten gehören nach Nr. 2102 der Anlage zur BKV Meniskusschäden nach mehrjährigen andauernden oder häufig wiederkehrenden, die Kniegelenke überdurchschnittlich belastenden Tätigkeiten.

Entgegen der Ansicht des SG ist die Beklagte bei Erlass des Bescheides vom 23.4.2002 nicht von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen. Denn nach wie vor ist ein Meniskusschaden beim Kläger nicht nachgewiesen. Zwar weist die MRT-Untersuchung des rechten Kniegelenks vom 16.7.2002 beim Kläger ausweislich des Befundberichts des Radiologen Dr. K. vom 24.7.2002 deutliche degenerative Signalveränderungen am Innen- und Außenmeniskus sowie einen Einriss zum IM-Hinterhorn auf. Dieser radiologische Befund, der als Stadium II bzw. IIb beschrieben wird, erlaubt nicht die Diagnose einer Meniskopathie, d. h. eines Krankheitsbildes. Denn es fehlt an einem klinischen Befund, vor allem an den sogenannten "Meniskuszeichen". Sowohl bei der Untersuchung durch Dr. C. (Gutachten vom 17.12.2001) als auch durch Prof. Dr. S. (Gutachten vom 2.5.2003) konnte keine auffällige bzw. krankhafte Meniskussymptomatik festgestellt werden. Vielmehr ergab die Überprüfung der klassischen Meniskuszeichen keinen Druckschmerz an dem Gelenksspalt; der Steinmann I-Test sowie der Steinmann II-Test (kein wandernder Druckschmerz bei Kniebeugung nach dorsal) und auch das Apley`sche Zeichen rechts und links waren negativ.

Der am 9.6.2005 vorgelegte radiologische Befund vom 16.7.2002, der im wesentlichen (mit Ausnahme des Einrisses zum IM-Hinterhornansatzes) bekannt war, erlaubt ohne klinische Symptomatik nicht die Diagnose einer Meniskuskrankheit, wie Prof. Dr. S. im Gutachten vom 2.5.2003 ausgeführt hat. Auch aus dem Gutachten von Dr. W. vom 15.4.2003, das im Verfahren auf Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (SG Heilbronn S 6 SB 3200/02) erstellt worden ist, ergibt sich kein Hinweis auf eine akute Innen- oder Außenmeniskussymptomatik, sodass auch Dr. W. keinen Meniskusschaden, sondern lediglich eine Retropatellarthrose beider Kniegelenke mit beginnender medialer Gonarthrose diagnostiziert hat.

Da ein Meniskusschaden beim Kläger nicht nachgewiesen ist, kommt eine Anerkennung als BK nach Nr. 2102 der Anlage zur BKV nicht in Betracht.

(Über die Anerkennung der Kniegelenkserkrankung des Klägers als BK Nr. 2112 der Anlage zur BKV - Gonarthrose durch eine Tätigkeit im Knien oder vergleichbarer Kniebelastung mit einer kumulativen Einwirkungsdauer während des Arbeitslebens von mindestens 13 000 Stunden und einer Einwirkung von insgesamt 1 Stunde pro Schicht - wird die Beklagte nach Vorliegen weiterer Erkenntnisse/Informationen noch entscheiden).

Nach alledem war der angefochtene Gerichtsbescheid des SG im Ergebnis nicht zu beanstanden. Die Berufung des Klägers musste deswegen zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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