L 9 U 4714/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 2 U 1317/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 4714/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 6. September 2007 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht Mannheim zurückverwiesen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung einer Verletztenrente wegen eines Arbeitsunfalles.

Der 1961 geborene Kläger, der bereits vom 17. bis 26. Januar 2002 wegen einer depressiven Episode arbeitsunfähig war, erlitt am 22. Oktober 2002 einen - von der Beklagten als solchen anerkannten - Arbeitsunfall, als er im Rahmen einer Event- und Informationsveranstaltung seiner Arbeitgeberin in einem Hochseilgarten (Veranstalter: F.-T.-T.-E. GmbH (FTTE)) auf einer Drahtseilrutsche gegen eine verschiebbare Holzplattform prallte. Hierbei erlitt er gemäß dem Durchgangsarztbericht des Dr. R., Chefarzt der Chirurgischen Klinik der Klinik O., vom 22. Oktober 2002 und dessen Abschlussbericht vom 28. Oktober 2002 über die stationäre Behandlung bis 28. Oktober 2002 eine Fraktur der 5. bis 8. Rippen rechts und einen Spitzenpneumothorax rechts. Außerdem erachtete Dr. Rössel "wegen des erheblichen psychischen Traumas" eine weitere psycho-somatische Behandlung dringend für erforderlich. Der Kläger begab sich dann ab 5. November 2002 in die weitere Behandlung des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. B ... Nach Abklingen der körperlichen Unfallfolgen nahm der Kläger am 9. Dezember 2002 seine Arbeit bei fortdauernder psychiatrischer Behandlung bei Prof. Dr. B. wieder auf.

Nach Vorlage eines im Schadensersatzprozess des Klägers gegen die FTTE erstatten psychiatrischen Gutachtens des Prof. Dr. Sch. vom 21. Mai 2004 und einer beratungsärztlichen Stellungnahme des Arztes für Psychiatrie Dr. Frommberger vom 23. August 2004 holte die Beklagte ein Gutachten des Prof. Dr. Sch. vom 5. Januar 2005 mit ergänzender Stellungnahme vom 7. Februar 2005 ein. Dieser verwies bezüglich des Befundes auf das im Zivilrechtsstreit erstattete Gutachten (posttraumatische Belastungsstörung [PTBS] im Gefolge des Unfalls vom 22. Oktober 2002 mit erheblichem psychischem Trauma und dem Erfordernis einer weiteren psychotherapeutisch-psychiatrischen Behandlung; fortdauernde Ein- und Durchschlafstörungen, Niedergeschlagenheit, Angstzustände im Sinne von Nachhallerinnerungen mit Wiedererleben der Unfallszene) und bewertete die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) mit 25 v. H. Hierauf bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 6. April 2005 eine Rente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE um 25 v. H., wobei bei der Bewertung der MdE als Unfallfolgen eine Minderung der geistigen und seelischen Belastbarkeit im Sinne einer PTBS und ein Zustand nach Bruch der 5. bis 8. Rippe rechts nach erlittenem Anpralltrauma an einem Holzbock berücksichtigt seien.

Nach Einholung eines Gutachtens der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. E: vom 27. Juni 2005 (der Kläger leide weiterhin unter einer PTBS; ein ursächlicher Zusammenhang aktuell bestehender rechtsseitiger Tinnitusbeschwerden mit dem Unfall könne, insbesondere unter Berücksichtigung eines Hörsturzes rechts im Juli 2004, nicht bestätigt werden; die MdE schätze sie auf 25 v. H.) gewährte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 27. Juli 2005 anstelle der bisherigen vorläufigen Entschädigung eine Rente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE um weiterhin 25 v. H ... Unfallfolgen seien "Minderung der geistigen und seelischen Belastbarkeit im Sinne einer posttraumatischen Belastungsstörung. Zustand nach Bruch der 5. bis 8. Rippe rechts, nach erlittenem Anpralltrauma an einem Holzbock.", nicht Unfallfolgen seien Ohrgeräusche (Tinnitus).

In der weiteren Folge berichtete Prof. Dr. B. über den Verlauf der psychiatrischen und psychotherapeutischen Behandlung des Klägers (Berichte vom 11. Februar, 2. Juni, 28. Juli und 11. Oktober 2005 sowie 19. Januar und 12. April 2006 ( 25 am 3. September 2004 bewilligte Behandlungen, die im wöchentlichen Abstand durchgeführt werden sollten, waren im April 2006 noch nicht komplett erbracht, wegen der Einzelheiten wird auf die Berichte verwiesen)).

Nach Einholung einer beratungsärztlichen Stellungnahme des Dipl.-Psych. und Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. M. (eingegangen am 12. Juni 2006), der sich der Diagnose einer PTBS nicht anschloss und eine Begutachtung durch Prof. Dr. S., Tübingen, anregte, schlug die Beklagte dem Kläger zur Auswahl für ein weiteres Gutachten Prof. Dr. S., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Tübingen, Prof. Dr. M., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Tübingen und Prof. Dr. Sch:, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Karlsruhe vor. Der Kläger erklärte zunächst, er wünsche eine erneute Begutachtung durch Prof. Dr. Sch. und dann - nachdem die Beklagte dies ablehnte - durch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie/Psychotherapie Karl C. M ... Hierauf teilte die Beklagte dem Kläger mit, sie habe ihm drei Gutachter zur Wahl vorgeschlagen und werde nun Prof. Dr. S. beauftragen, falls der Kläger nicht einen der beiden weiteren Vorgeschlagenen noch auswählen sollte. Sodann holte sie ein Gutachten des Prof. Dr. S. vom 18. Oktober 2006 (mit psychologischem Zusatzgutachten der Dipl.-Psych. Mehren vom 13. Oktober 2006) ein. Dieser kam im Wesentlichen zum Ergebnis, es lägen keine Unfallfolgen auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet mehr vor. Eine PTBS bestehe nicht mehr. Es liege noch eine vermehrte Angstbereitschaft vor, diese erreiche aber nicht das Ausmaß einer klinisch relevanten Angststörung. Eine messbare MdE auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet bestehe nicht mehr.

Mit Anhörungsschreiben vom 14. November 2006 teilte die Beklagte dem Kläger mit, sie beabsichtige, die Rente zu entziehen, weil eine messbare MdE nicht mehr bestehe, nachdem eine Besserung eingetreten sei. Der Kläger könne sich innerhalb von 17 Tagen nach Zugang dieser Mitteilung äußern. Am 30. November 2006 übersandte sie dem Bevollmächtigten des Klägers wunschgemäß die Akten zur Einsichtnahme und entzog - nach Eingang eines weiteren Berichtes des Prof. Dr. B. vom 28. November 2006 - mit Bescheid vom 7. Dezember 2006 die Rente mit Ablauf des Monats Dezember 2006.

Dagegen erhob der Kläger fristgerecht Widerspruch und äußerte sich kritisch zu den Ausführungen von Dr. M. und Prof. Dr. S. sowie zum Verfahrensablauf. Außerdem ging eine Stellungnahme des Prof. Dr. B. vom 11. Dezember 2006 ein, der die Feststellung von Prof. Dr. S., es liege keine PTBS mehr vor, als "glatte diagnostische Fehleinschätzung" bezeichnete. Die Beklagte holte eine ergänzende Stellungnahme des Prof. Dr. S. vom 17. Januar 2007 ein, der an seiner Einschätzung festhielt. Mit Widerspruchsbescheid vom 14. März 2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Wegen der Einzelheiten wird auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid Bezug genommen.

Deswegen hat der Kläger am 12. April 2007 Klage beim Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben. Die Beklagte hat am 10. Mai 2007 dem SG die Verwaltungsakten vorgelegt.

Nach kritischen Anmerkungen zu Prof. Dr. S. und zum Verfahren der Beklagten bei der Gutachterwahl sowie Einholung einer Auskunft des Internisten Dr. M. zur Arbeitsunfähigkeit vom 17. bis 26. Januar 2002 hat das SG der Beklagten unter dem 22. August 2007 mitgeteilt, wenn sich aus deren Handhabung des § 200 Abs. 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) allmählich ein System ergebe, dürfte dies zur Annahme eines Verfahrensfehlers führen. Die Begründung der Nichtbeauftragung von Prof. Dr. Sch. möge plausibel gemacht werden. Weiter hat das SG ausgeführt:

"Um es auf den Punkt zu bringen: Die Beklagte mag bis 15.09.2007 erklären, ob sie parallel zum Gerichtsverfahren angesichts der hier vom Unterzeichner hinreichend deutlich gemachten Bedenken gegen Prof. Dr. S. ein Gutachten von Prof. Dr. Sch. einholt, ggf. warum nicht. Verweigert die Beklagte ein derartiges Vorgehen, wird das Gericht im Hinblick auf § 131 Abs. 5 SGG die angefochtenen Bescheide durch Gerichtsbescheid ersatzlos aufheben. Auch dazu kann innerhalb der Frist Stellung genommen werden."

Diese Verfügung ist auch an den Kläger mit der Gelegenheit zur Stellungnahme gegangen.

Die Beklagte hat hierzu am 4. September 2007 Stellung genommen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 31. August 2007 verwiesen.

Mit Gerichtsbescheid vom 6. September 2007 hat das SG den Bescheid vom 27. Dezember 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. März 2007 ohne in der Sache zu entscheiden aufgehoben. Wegen der Einzelheiten wird auf die Ausführungen im Gerichtsbescheid Bezug genommen.

Gegen den am 17. September 2007 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 28. September 2007 Berufung eingelegt. Sie trägt im Wesentlichen vor, die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 131 Abs. 5 SGG für eine Aufhebung ihres Bescheids lägen nicht vor. Mit Prof. Dr. S. habe sie einen zur Auswahl gestellten Gutachter beauftragt, ein Gutachter, der durch zahlreiche Veröffentlichungen gerade auch auf dem Gebiet der PTBS als kompetenter Wissenschaftler und Facharzt bekannt sei. § 131 Abs. 5 SGG sollte jedenfalls nicht ermöglichen, dass ein Sozialgericht einer Verwaltungsbehörde diktieren dürfe, wie diese im Einzelnen ihre Ermittlungen durchzuführen habe, insbesondere nicht einen ihm nicht genehmen Sachverständigen im Ergebnis aus dem Verwaltungsverfahren nehmen. Auch sei es unzulässig, der Verwaltungsbehörde vorzuschreiben, bei welchem Sachverständigen ein weiteres Gutachten einzuholen sei. Wenn im Gerichtsbescheid dann noch überraschend auf Seite 7 am Ende davon die Rede sei, dass ein einziger bestimmter Befundbericht trotz mehrfacher Anforderung durch die Beklagte immer noch nicht vorliege und deshalb auch nach § 131 Abs. 5 SGG entschieden werde, handle es sich um keine erhebliche weitere Ermittlung und zudem um einen neuen, vom SG erkennbar nachgeschobenen Aspekt. Es handle sich um eine missbräuchliche, weil von sachfremden und nicht streitgegenständlichen Überlegungen geleitete Anwendung des § 131 Abs. 5 SGG, die einen Eingriff in die ureigenen, exekutiven Kernaufgaben der Behörde darstelle.

Die Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 6. September 2007 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht Mannheim zurückzuverweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise Gutachten nach § 109 Sozialgerichtsgesetz bei Prof. Dr. Sch. oder Prof. Dr. P. einzuholen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 SGG zulässige Berufung, über die der Senat aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist begründet. Die Aufhebung der angefochtenen Bescheide zwecks weiterer Aufklärung des Sachverhalts durch die Beklagte ist rechtswidrig, denn die Voraussetzungen für eine Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsaktes wegen unzureichender Ermittlungen liegen nicht vor.

Der Senat lässt es dahingestellt, ob das SG durch Gerichtsbescheid entscheiden konnte oder ob die Prüfung, ob Belange der Beteiligten einer Aufhebung entgegenstehen, nur auf Grund einer mündlichen Verhandlung erfolgen kann (grundsätzlich die Zulässigkeit eines Gerichtbescheides im Hinblick auf erforderliche "Spruchreife" bejahend: LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 4. Januar 2006, L 6 SB 197/05 in Juris, a. A. u. a. Jansen, SGG, 2. Auflage, 2005, § 131 Rdnr. 12 und zu § 84 VwGO für das verwaltungsgerichtliche Verfahren Sodan/Ziekow, Kommentar zur VwGO, 2. Auflage, § 113 Rdnr. 376), denn unabhängig davon konnte die Entscheidung des SG in der Sache keinen Bestand haben.

Gemäß § 131 Abs. 5 Satz 1 SGG kann das Gericht, wenn es eine weitere Sachaufklärung für erforderlich hält, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.

Die Bestimmung des § 131 Abs. 5 Satz 1 SGG, die durch Artikel 8 Nr. 1 des Ersten Gesetzes zur Modernisierung der Justiz (1. Justizmodernisierungsgesetz) vom 24. August 2004 (Bundesgesetzblatt I 2198) in das SGG eingeführt worden ist, hat den selben Wortlaut wie § 113 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Gesetzesbegründung (Bundestagsdrucksache 15/1508) zu § 131 Abs. 5 Satz 1 SGG verweist insofern auf die bereits früher in Kraft getretene inhaltsgleiche Vorschrift des § 113 Abs. 3 Satz 1 VwGO, sodass die zu dieser Bestimmung ergangene verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung und die Gesetzesbegründung zur Einführung des § 113 Abs. 3 Satz 1 VwGO bei der Auslegung des § 131 Abs. 5 Satz 1 SGG mit herangezogen werden kann. § 131 Abs. 5 Satz 1 SGG ist unter Berücksichtigung seiner Entstehungsgeschichte als Nachbildung von § 113 Abs. 3 Satz 1 VwGO bzw. letztlich § 124 Abs. 3 Entwurf einer Verwaltungsprozessordnung (EVwPO) eine Ausnahmevorschrift, die nur in besonders gelagerten Fällen Anwendung finden soll. Nach der Gesetzesbegründung zur Einführung des § 113 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist auch zu beachten, "dass es den Interessen den Rechtsuchenden, aber auch dem Rechtsfrieden oft mehr dient, wenn das Gericht eine abschließende Streitentscheidung trifft" (Bundestagsdrucksache 11/7030, S. 30). Deshalb sind die Tatbestandsvoraussetzungen, wie das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) ausdrücklich entschieden hat (BVerwGE 117, 200, 207), eng auszulegen. Nur dann, wenn die Behörde nach ihrer personellen und sachlichen Ausstattung eine Sachverhaltsermittlung besser durchführen kann als das Gericht und es auch unter übergeordneten Gesichtspunkten vernünftiger und sachgerechter ist, die Behörde tätig werden zu lassen, soll die Vorschrift nach den Vorstellungen des Gesetzgebers heranzuziehen sein (Bundestagsdrucksache 11/7030, Seite 30). Maßgeblich ist, ob die noch erforderlichen Ermittlungen nach Art oder Umfang erheblich sind und ob die Aufhebung der Verwaltungsakte sachdienlich ist (vgl. BVerwG a.a.O. und - ihm folgend - BSG, Urteil vom 17. April 2007, B 5 RJ 30/05 R, in Juris). Dies ist jedenfalls dann nicht der Fall, wenn die Beklagte - anders als z. B. bei arbeitstechnischen Ermittlungen durch den Technischen Aufsichtsdienst bzw. den Präventionsdienst - über keine anderen Aufklärungsmittel verfügt als das Gericht. Allein die Tatsache, dass noch die Befragung des behandelnden Arztes als sachverständiger Zeuge und /oder die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens zur Aufklärung des Sachverhalts für erforderlich angesehen wird, rechtfertigt nicht die Anwendung des § 131 Abs. 5 Satz 1 SGG.

Da der Kläger mit seiner Klage allein die Aufhebung des Bescheids vom 7. Dezember 2006 und des Widerspruchsbescheids vom 14. März 2007 begehrt, handelt es sich vorliegend um eine reine Anfechtungsklage, bei der die Vorschrift des § 131 Abs. 5 SGG grundsätzlich anwendbar ist (vgl auch Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 17. April 2007, B 5 RJ 30/05 R, in Juris). Das SG hat auch innerhalb der von § 131 Abs. 5 Satz 4 SGG gesetzten Frist von sechs Monaten nach Eingang der Verwaltungsakten entschieden.

Die weiteren Voraussetzungen des § 131 Abs 5 Satz 1 SGG - noch erforderliche Ermittlungen, Erheblichkeit der Ermittlungen nach Art und Umfang und Sachdienlichkeit der Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten -, deren Vorliegen uneingeschränkt vom Rechtsmittelgericht überprüfbar ist (so auch Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 8. Aufl. 2005, § 131 Rdnr. 19 f m.w.N. und LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 14. Juni 2006, L 4 SB 24/06, in Juris), sind indes nicht erfüllt.

Vorliegend erachtet das SG neben der Befragung des behandelnden Arztes die Einholung eines weiteren Gutachtens für erforderlich. Zwar mag die vom Gericht noch für erforderlich gehaltene Sachaufklärung in der Regel dann nach Art und Umfang erheblich sein, wenn ein Befundbericht und ein medizinisches Sachverständigengutachten eingeholt werden müssen. Hierbei handelt es sich jedoch um keine Aufklärungsmittel, über die die Beklagte besser verfügen würde als das SG. Dieses kann, wie sich aus seiner Amtsermittlungspflicht gemäß § 103 SGG i.V.m. § 106 Abs. 3 Nrn. 2, 3, 4 und 5 SGG ergibt, insbesondere Krankenpapiere, Aufzeichnungen, Krankengeschichten, Sektions- und Untersuchungsbefunde sowie Röntgenbilder beiziehen, Auskünfte jeder Art einholen, Zeugen und Sachverständige in geeigneten Fällen vernehmen und die Einnahme eines Augenscheins sowie die Begutachtung durch Sachverständige anordnen. Nachdem der Beklagten bereits Behandlungsberichte von Prof. Dr. B. vorlagen und sie ein Gutachten des Prof. Dr. S. eingeholt hat, verfügt das SG für die von ihm erforderlich gehaltene weitere Sachaufklärung über die selben Mittel wie die Beklagte und hat diese daher auch selbst durchzuführen.

Die Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsentscheidung führt außerdem zu einer (weiteren) Verfahrensverzögerung, die den Interessen der Verfahrensbeteiligten an einer baldigen gerichtlichen Klärung aus objektiver Sicht entgegensteht. Dies zeigt sich insbesondere, wenn - wie hier - die Beklagte Rechtsmittel einlegt und es so zu einer zusätzlichen Verzögerung des Verfahrens kommt. Das öffentliche Interesse, Ermittlungen nicht von der Verwaltung ins gerichtliche Verfahren zu verlagern, tritt hier gegenüber dem Interesse der Beteiligten an einer alsbaldigen Klärung des Sachverhalts durch das Gericht zurück.

Gegen eine Sachdienlichkeit der Verfahrensweise des SG spricht auch, dass es offenbar die Einholung eines (weiteren) Gutachtens bei Prof. Dr. Sch. für notwendig erachtet. Dies ergibt sich aus der Ankündigung, die angefochtenen Bescheide ersatzlos aufzuheben, wenn sich die Beklagte nicht binnen der gesetzten Frist zur Einholung eines Gutachtens bei Prof. Dr. Sch. bereit erklärt. Die Aufhebung nach § 131 Abs. 5 Satz 1 SGG ist indes kein zulässiges Mittel, die Beklagte zur Einholung eines Gutachtens bei einem bestimmten Gutachter zu zwingen. Insofern steht es dem SG frei, selbst ein Sachverständigengutachten bei dem Gutachter - hier Prof. Dr. Sch. - einholen, wenn es das von der Beklagten eingeholte Gutachten nicht für überzeugend erachtet.

Soweit das SG in den Gründen des Gerichtsbescheids noch darauf abgestellt hat, dass weitere Nachfragen beim behandelnden Nervenarzt Prof. Dr. B. zum Behandlungsverlauf nicht erfolgten, führt dies - zumal die Beklagte bei der Anhörung durch das Gericht auf diesen Gesichtspunkt nicht hingewiesen wurde - zu keinem anderen Ergebnis. Auch insofern ist die Aufhebung nicht sachdienlich, denn das SG hat selbst die Möglichkeit, entsprechende Befundberichte des Prof. Dr. B. anzufordern oder ihn als sachverständigen Zeugen zu vernehmen.

Wegen der zu berücksichtigenden Belange der Beteiligten ist das Gericht damit in den Fällen, in denen die Verwaltung - wie vorliegend - sachgerechte Ermittlungen angestellt hat, gehalten, die von ihm darüber hinaus für erforderlich gehaltenen Ermittlungen selbst durchzuführen, da die Tatsachengerichte gemäß § 103 SGG ebenso verpflichtet sind, umfassend von Amts wegen zu ermitteln, wie die Behörde.

Der Senat entscheidet nach der Aufhebung des angefochtenen Gerichtsbescheids nicht in der Sache über die angefochtenen Bescheide der Beklagten. Vielmehr hält er in entsprechender Anwendung des § 159 Abs.1 Nr. 1 SGG eine Zurückverweisung an das SG für zweckmäßig.

Gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG kann das Landessozialgericht durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn dieses die Klage abgewiesen hat, ohne in der Sache selbst zu entscheiden. Zwar hat das SG im vorliegenden Fall die Klage nicht abgewiesen, sondern in Anwendung des § 131 Abs. 5 Satz 1 SGG der Klage stattgegeben. Es hat aber den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufgehoben, ohne in der Sache selbst zu entscheiden. Damit hat es, einem Prozessurteil vergleichbar, eine Entscheidung über das verwaltungsverfahrensfehlerhafte Zustandekommen der angegriffenen Bescheide getroffen. Da es der Zweck von § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG ist, ein Übergehen der ersten Tatsacheninstanz ohne Sachentscheidung zu vermeiden, muss diese Vorschrift entsprechend auf die Fälle des § 131 Abs. 5 SGG angewandt werden, in denen eine Entscheidung ausdrücklich nicht in der Sache selbst ergeht (so auch Sächsisches LSG Urteil vom 26. Oktober 2005 - L 6 SB 34/05 -; vgl auch Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, § 159 Rdnr. 2b unter Hinweis auf BVerwG MDR 59, 236).

Über den Hilfsantrag des Klägers auf Anhörung eines Arztes nach § 109 SGG war infolge der Zurückverweisung an das SG nicht zu entscheiden. Über weitere Sachermittlungen, somit auch nach § 109 SGG, wird das SG zu entscheiden haben.

Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung des SG vorbehalten, weil der Rechtsstreit ohne Entscheidung in der Sache an das SG zurückverwiesen wird, welches daher insge- samt über die Erstattung der außergerichtlichen Kosten zu entscheiden hat (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, § 193 Rdnr. 2a).

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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