L 9 U 5983/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 10 U 3496/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 5983/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 20. Oktober 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die beim Kläger vorliegenden Schwellungen der Hände, Arme und Beine sowie eine reaktive Depression als Berufskrankheiten (BK) anzuerkennen sind und er deswegen Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung hat.

Der 957 geborene Kläger kam 1972 aus der Türkei in die Bundesrepublik Deutschland und war zunächst als Bauarbeiter und Arbeiter in einer Stofffabrik beschäftigt tätig. Von Oktober 1979 bis zu seiner Arbeitsunfähigkeit ab 4. September 1996 war er als Maschinenführer (Einpinseln von Türleisten aus Metall und Kunststoff mit Spiritus) beschäftigt. Nach dem Bezug von Krankengeld meldete sich der Kläger ab 5.12.1998 beim Arbeitsamt bzw. bei der Arbeitsagentur arbeitslos. Vom Rentenversicherungsträger erhält der Kläger vom 1.12.2004 bis 30.11.2007 auf Grund eines Leistungsfalls vom 15.5.2004 eine volle Erwerbsminderungsrente (Bescheid vom 30.3.2005).

Am 8.10.1993 teilte die AOK R. der Beklagten mit, beim Kläger bestehe der Verdacht auf eine BK. Seit 29.9.1993 sei er wegen eines degenerativen Handekzems, z. B. Kontaktekzem an beiden Händen, vor allen an Hand- und Fingerrücken, arbeitsunfähig. Die Beklagte holte Auskünfte beim behandelnden Hautarzt Dr. W. vom 12.1.1994 ein und teilte dem Kläger mit Schreiben vom 17.5.1994 mit, nach den durchgeführten Ermittlungen habe ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der bestehenden Erkrankung und der beruflichen Tätigkeit nicht nachgewiesen werden können. Darüber hinaus seien die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen einer schweren oder wiederholt rückfälligen Hauterkrankung nicht erfüllt.

Am 15.11.2002 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er seit ca. sechs Jahren an einer Krankheit leide, deren Ursache die Ärzte bis heute nicht festgestellt hätten. Seine Arme seien ständig angeschwollen; zunächst sei nur der linke Arm stark angeschwollen gewesen, seit kurzem schwelle auch der rechte Arm an. Während seiner beruflichen Tätigkeit sei er mehrere Jahre mit Chemikalien in Berührung gekommen, die die Krankheit hervorgerufen haben könnten, weswegen er die Anerkennung als BK und die Gewährung von Rente begehre. Der Kläger überreichte folgende ärztliche Unterlagen: • Befundbericht des Radiologen Dr. K. vom 2.4.2002 über ein Computertomogramm (CT) des Hirnschädels (altersnormaler Befund) • Sozialmedizinisches Gutachten des MDK (Dr. K.) vom 23.11.2001 (Diagnosen: Chronisches Handrückenödem rechts unklarer Genese und chronische Schwellneigung des rechten Unterarmes- seit 1996 -) • Befundbericht des Radiologen Dr. G. vom 8.11.2001 (Ausschluss Pneumonie, kein Anhalt für frische oder alte Tuberkulose und oder einen intrathorakalen Tumor) • Arztbrief von Prof. Dr. Sch., Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Tübingen, vom 18.5.2001 über einen stationären Aufenthalt des Klägers vom 10.4. bis 23.4.2001 (Diagnosen: Unklare Schwellung der rechten Hand und des rechten Unterarmes, sehr dringender Verdacht auf Artefakt, Verdacht auf psychogen mitbedingte Verursachung der obengenannten Beschwerden) • Arztbriefe der Medizinischen Universitätsklinik T. vom 18.1. und 11.5.2000 sowie 5.3.2001 • Arztbrief des Orthopäden Dr. M. vom 14.12.2000. Die Beklagte zog Kopien aus der Akte wegen Feststellung einer BK nach Nr. 5101 aus dem Jahr 1993 sowie den Arztbrief der Universitäts-Hautklinik Tübingen vom 12.5.1998 über einen stationären Aufenthalt des Klägers vom 14.4. bis 30.4.1998 (Diagnosen: Unklare Schwellung der rechten Hand und des rechten Unterarmes, sehr dringender Verdacht auf Artefakte, Verdacht auf psychogen mitbedingte Verursachung der obengenannten Beschwerden, Tinea pedum) bei, befragte den Kläger sowie dessen Arbeitgeber und holte eine beratungsärztliche Stellungnahme ein.

Der Arzt für Arbeitsmedizin Dr. M. führte unter dem 28.1.2003 aus, es gebe keine Hinweise auf eine BK; eine Diagnose liege nicht vor. Auch fehle es an einem zeitlichen Zusammenhang. Das Beschwerdebild sei offensichtlich immer noch progredient, obwohl der Kläger seit 1996 nicht mehr arbeite. Professor Dr. K., Arzt für Hautkrankheiten, verneinte in der Stellungnahme vom 19.2.2003 ebenfalls Hinweise auf eine BK.

Mit Bescheid vom 11.6.2003 teilte die Beklagte dem Kläger mit, seine Beschwerden (geschwollene Hände, Arme und Beine, reaktive Depression) seien keine Erkrankung nach der Liste der Berufskrankheiten, insbesondere keine BK nach den Nrn. 5101 und 1317 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV). Sie seien auch nicht wie eine BK zu entschädigen. Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte nach Einholung einer Stellungnahme bei Professor Dr. K. vom 9.9.2003 durch Widerspruchsbescheid vom 17.11.2003 zurück.

Hiergegen erhob der Kläger am 24.11.2003 Klage zum Sozialgericht (SG) Reutlingen, mit der er die Anerkennung von Schwellungen der Hände, Arme und Beine sowie einer reaktiven Depression als BK und die Gewährung von Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung weiter verfolgte.

Das SG hörte die behandelnden Ärzte des Klägers: Prof. Dr. K., Medizinische Universitätsklinik Tübingen, Dr. S., Arzt für Orthopädie und Rheumatologie, H.M.H. Sch., Arzt für Innere Medizin, sowie den Arzt für Allgemeinmedizin Dr. N.l schriftlich als sachverständige Zeugen (Auskünfte vom 7.4., 29.5. und 2.11.2004 sowie 9.3.2005) und zog ein von Prof. Dr. D., Chirurgische Universitätsklinik T., im Parallelverfahren S 10 RJ 3115/01 eingeholtes Gutachten zur Beurteilung der Erwerbsfähigkeit vom 21.12.2004 sowie die Schwerbehindertenakten des Klägers bei.

Anschließend beauftragte das SG Prof. Dr. L., Arzt für Innere Medizin und Arbeitsmedizin, mit der Begutachtung des Klägers. Dieser stellte beim Kläger im Gutachten vom 8.7.2005 folgende Diagnosen: 1. Ätiologisch unklares Ödem der rechten Hand mit dadurch bedingter weitgehender Gebrauchsunfähigkeit 2. Geringgradige situationsbedingte Depressionen 3. Adipositas 4. Geringgradige Hyperlipidämie 5. Grenzwerthypertonie. Er führte aus, ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den Gesundheitsstörungen des Klägers und der seit Oktober 1979 ausgeübten Tätigkeit lasse sich nicht wahrscheinlich machen. Eine BK nach der Anlage zur BKV, insbesondere eine BK Nr. 5101 oder Nr. 1317 liege nicht vor. Beim Kläger liege auch keine Krankheit im Sinne von § 9 Abs. 2 Sozialgesetzbuch (SGB) VII vor.

Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beauftragte das SG den Chirurgen Prof. Dr. D. mit der Begutachtung des Klägers. Dieser führte im Gutachten vom 3.4.2006 aus, die toxische Dermatitis, das allergische Ekzem der rechten Hand, des rechten Unterarmes und im geringen Ausmaß des linken Unterarmes und der linken Hand sowie beider Unterschenkel seien ursächlich auf die von Oktober 1979 bis 1996 ausgeübte Tätigkeit zurückzuführen. Während jener Zeit habe der Kläger ohne Handschuhe gearbeitet und mit dem rechten Arm und der rechten Hand Kontakt zu folgenden Substanzen gehabt: BfB-Spiritus 94%, Zika-Kleber Hk, Zika-Verdünner, Tallopol dünnflüssig KT, Petroleum sowie Fischöl. Dies habe zu einem allergischen Kontaktekzem und einer toxischen Dermatitis geführt. Dies habe auf Grund der langen Zeit eine Entzündungsreaktion im Gewebe verursacht, die in den Gewebeproben als Immun-Perivaskulitis geschildert worden sei, mit der Folge, dass die Lymphbahnen beschädigt worden seien und es zu einer chronischen Lymphstauung im Sinne eines chronischen Lymphödems gekommen sei. Seines Erachtens liege eine BK nach Nr. 5101 vor.

Die Beklagte legte hierzu eine beratungsärztliche Stellungnahme von Prof. Dr. K. vom 19.5.2006 vor, der dazu ausführte, die von Prof. Dr. D. genannten Diagnosen seien so nicht zutreffend. Dem Lymphödem seien Schübe eines irritativen Kontaktekzems der Hände und möglicherweise der Unterarme vorausgegangen. Ein allergisches Kontaktekzem könne zeitweise vorhanden gewesen seien, belegt sei dies nicht. Ein Ekzem der Unterschenkel habe nicht vorgelegen. Die Ekzeme könnten nicht zu einem Lymphbahnstau führen. Das beim Kläger vorliegende Krankheitsbild des chronischen Lymphödems sei hinsichtlich der Verursachung nicht geklärt. Die ermittelten Arbeitsstoffe hätten wahrscheinlich das irritative Kontaktekzem verursacht; zeitweise habe wahrscheinlich ein allergisches Kontaktekzem der Hände vorgelegen, verursacht durch den Konservierungsstoff Chormethylsothiazolon in den benutzten Handcremen. Ein Lymphödem könne daraus nicht resultieren; auch nicht über eine Vaskulitis. Das Lymphödem falle nicht unter die BK 5101.

Mit Urteil vom 20.10.2006 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, die Beklagte habe zu Recht die Anerkennung einer BK, insbesondere nach den Nrn. 5101 und 1317 der Anlage zur BKV, sowie nach § 9 Abs. 2 SGB VII abgelehnt. Das SG schließe sich der Beurteilung von Prof. Dr. L. und Prof. Dr. K. an. Der abweichenden Beurteilung von Prof. D. folge das SG nicht. Zum einen handele es sich bei diesem um einen Chirurgen und keinen Dermatologen, zum anderen seien die einzigen Befunde, die er hinsichtlich der Haut erhoben habe eine leicht livide Verfärbung der rechten Hand, eine Aufhebung der Hautfältelung und -schuppung am rechten Handrücken, vermehrt gegenüber links. Angesichts dieser Befunde sei nicht nachvollziehbar, weshalb Prof. Dr. D. zur Annahme einer toxische Dermatitis und eines allergischen Ekzems gelange. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.

Gegen das am 31.10.2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 30.11.2006 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt und vorgetragen, er teile die Auffassung nicht, dass ein Chirurg nicht in der Lage sei, seine Gesundheitsstörungen festzustellen. Bei seiner früheren Arbeitgeber-Firma sei er mit Stoffen in Berührung gekommen, die geeignet gewesen seien, die Gesundheit eines jeden Menschen zu schädigen. Auch Prof. Dr. L. halte einen Kausalzusammenhang zwischen der Berufsausübung und der Erkrankung für wahrscheinlich, wenn er auch schließlich die Ansicht vertrete, ein wissenschaftlicher Beweis hierfür könne nicht geführt werden. Lediglich Prof. Dr. K. verneine eindeutig einen Kausalzusammenhang. Die Tatsache, dass die Beklagte nicht in der Lage oder nicht willens sei, die Ursache der Erkrankung festzustellen, könne nicht zu seinen Lasten gehen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 20. Oktober 2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 11. Juni 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. November 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Schwellungen der Hände, Arme und Beine sowie eine reaktive Depression als Berufskrankheit anzuerkennen und die Beklagte zu verurteilen, ihm Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erwidert, im Klageverfahren habe der Kläger die Anerkennung einer BK nur in Bezug auf die Schwellungen und nicht in Bezug auf das Hautekzem geltend gemacht. Unabhängig davon rechtfertige die Berufungsbegründung auch nicht die Anerkennung einer BK nach Nr. 5101 der Anlage zur BKV in Bezug auf die früheren Ekzeme der Hände. Professor Dr. L. verneine ausreichend gesicherte medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse nicht nur in Bezug auf die Schwellungen nach § 9 Abs. 2 SGB VII, sondern auch einen Kausalzusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit im Einzelfall. Der Verlauf der Schwellungen nach Wegfall der beruflichen Arbeitsstoffexposition spreche gegen einen Kausalzusammenhang.

Der Senat hat die Schwerbehinderten- und Rentenakten des Klägers sowie die Akten des SG im Rentenrechtsstreit S 10 R 3115/01 beigezogen.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats und die beigezogenen Akten Bezug genommen

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.

Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, da der Kläger keinen Anspruch auf Feststellung einer BK und auf Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung hat.

Vorliegend kann dahingestellt bleiben, ob sich der vom Kläger verfolgte Anspruch noch nach den bis zum 31. Dezember 1996 geltenden Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) richtet, was der Fall wäre, wenn man von einem Versicherungsfall im September 1996 (langfristige Krankschreibung des Klägers) ausgehen würde, oder den am 1. Januar 1997 in Kraft getretenen Vorschriften des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII), wenn man von einem Versicherungsfall nach dem 1.1.1997 ausgehen würde (§§ 212, 214 Abs. 1 Satz 1, 1. Hs. SGB VII).

Sowohl nach altem als auch neuem Recht sind Berufskrankheiten Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die die Versicherten bei einer bzw. infolge einer unter Versicherungsschutz stehenden Tätigkeit erleiden (§ 551 Abs. 1 Satz 2 RVO, § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII).

Eine solche Bezeichnung nimmt die am 1.12.1997 in Kraft getretene BKV (BGBl I 2623) mit den so genannten Listenkrankheiten vor. Zuvor waren die Krankheiten in der Anlage 1 zur geltenden Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO) aufgeführt. Dabei erfasst die am ehesten in Betracht kommende Nr. 5101 schwere oder wiederholt rückfällige Hauterkrankungen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.

Nach ständiger Rechtsprechung müssen die anspruchsbegründenden Tatsachen, zu denen neben der versicherten Tätigkeit die Dauer und Intensität der schädigenden Einwirkungen sowie die in der BKV bezeichnete Krankheit gehören, nachgewiesen sein, d.h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können. Hingegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und den schädigenden Einwirkungen (haftungsbegründende Kausalität) sowie der schädigenden Einwirkungen und der Erkrankung (haftungsausfüllende Kausalität) eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSGE 19, 52; 32, 203, 207 bis 209; 45, 285, 287). Wahrscheinlich ist diejenige Möglichkeit, der nach sachgerechter Abwägung aller - wesentlichen - Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSGE 45, 286); eine Möglichkeit verdichtet sich dann zur Wahrscheinlichkeit, wenn nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen Zusammenhang spricht (vgl. Mehrtens/Brandenburg, Berufskrankheitenverordnung, Kommentar, Stand November 2006, E § 9 SGB VII Rdnr. 26). Kommen mehrere Ursachen in Betracht, so sind nur solche Ursachen als rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (vgl. BSG SozR 2200 § 548 Nr. 91). Lässt sich eine Tatsache nicht nachweisen, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast (Feststellungslast) zu Lasten dessen, der einen Anspruch aus der nicht erwiesenen Tatsache für sich herleitet (BSGE 19, 52, 53; 30; 121, 123; 43, 110, 112). Das gleiche gilt, wenn der für die haftungsbegründende und haftungsausfüllende Kausalität erforderliche wahrscheinliche Zusammenhang nicht nachweisbar ist.

Für die Anerkennung einer Erkrankung als BK nach Nr. 5101 der Anlage zur BKV bzw. BKVO müssen folgende Tatbestandsmerkmale gegeben sein: • beim Kläger muss eine Hauterkrankung vorliegen • diese muss schwer oder wiederholt rückfällig sein • sie muss durch Einwirkungen entstanden seien, denen der Kläger infolge seiner versicherten Tätigkeit ausgesetzt war • sie muss zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können. Zunächst ist schon fraglich, ob es sich bei den Schwellungen der Hände, Arme und Beine überhaupt um eine Hauterkrankung handelt. Denn Ödeme, d. h. eine Flüssigkeitsansammlung im Gewebe, sind keine Krankheit, sondern ein Symptom einer Krankheit, z. B. einer Herz-, Nieren- oder Leberkrankheit. Ferner ist auch nicht feststellbar, dass die Schwellungen der Hände, Arme und Beine mit Wahrscheinlichkeit auf die berufliche Tätigkeit des Klägers zurückzuführen sind. Zu diesem Ergebnis gelangt der Senat auf Grund der Arztbriefe der Universitäts-Hautklinik T. sowie der Medizinischen Universitätsklinik T. und insbesondere auf Grund des Gutachtens von Professor Dr. L. und den beratungsärztlichen Stellungnahmen von Professor Dr. K ...

Die Frage, welche Voraussetzungen zur Annahme eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung an einer BK vorliegen müssen, ist unter Zuhilfenahme medizinischer, naturwissenschaftlicher und technischer Sachkunde nach dem im Entscheidungszeitpunkt aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu beantworten. Als solcher sind durch Forschung und praktische Erfahrung gewonnene Erkenntnisse anzunehmen, die von der großen Mehrheit der auf dem betreffenden Gebiet tätigen Fachwissenschaftler anerkannt werden, über die also von vereinzelten, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen, Konsens besteht (BSG, Urt. vom 27.6.2006 - B 2 U 5/05 R - SozR 4-5671 § 6 Nr. 2).

Für die Entstehung eines Ödems kommen zahlreiche Ursachen in Betracht, z. B. Verletzungen, Operationen, Allergenkontakt, Herz-, Nieren, Lebererkrankungen, Insektenstiche, Medikamente.

Vorliegend steht zwar fest, dass der Kläger während seiner beruflichen Tätigkeit mit Spiritus 94%, Zika-Kleber, Zika-Verdünner, dünnflüssigem Tallopol und Petroleum in Kontakt gekommen ist. Es fehlt jedoch schon an medizinischen Erkenntnissen, dass diese Arbeitsstoffe Ödeme verursachen. Eine Ursache für die Ödeme konnte beim Kläger trotz zahlreicher Untersuchungen nicht festgestellt werden. Ferner spricht auch der Verlauf der Schwellungen gegen eine Verursachung durch die berufliche Tätigkeit. Zu Recht weist Professor Dr. L. darauf hin, dass trotz Aufgabe der beruflichen Tätigkeit ab 4.9.1996 beim Kläger weiterhin und in zunehmenden Maße Ödeme vorhanden sind.

Der hiervon abweichenden Beurteilung von Dr. D. vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Denn für seine Behauptung, dass sich zu dem toxischen Dermatitissyndrom ein allergisches Hautkontaktekzem entwickelt habe und dies dann zu einer Entzündungsreaktion im Gewebe geführt habe, die die Lymphbahnen geschädigt habe und so einen chronischen Lymphstau im Sinne eines chronischen Lymphödems geführt habe, gibt es keine medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse. Vielmehr legt Professor Dr. K., der Arzt für Hautkrankheiten ist, in seiner Stellungnahme vom 19.5.2006 für den Senat nachvollziehbar dar, dass der von Professor Dr. D. angenommene ursächliche Zusammenhang durch die dermatologische Lehrmeinung nicht gestützt wird und es sich hierbei lediglich um eine Vermutung des Unfallchirurgen Professor Dr. D. handelt. Bei der im November 1996 aufgetretenen Erkrankung hat es sich nach der Beurteilung des Hautarztes Professor Dr. K., die mit der des Allgemeinarztes Dr. N. übereinstimmt - anders als in den Jahren 1986, 1987, 1993 und Mai 1996, wo ein Handekzem vorlag - um eine Urticaria gehandelt. Zu Recht weist Professor Dr. K. darauf hin, dass Professor D. nicht zwischen beiden Erkrankungen unterscheidet und sie als Vorerkrankung zu dem später aufgetretenen Lymphödem ansieht. Ein solches kann nach der Lehrmeinung und hautärztlichen Erfahrung jedoch nicht als Ekzemfolge angesehen werden.

Gegen die Argumentation von Professor Dr. D. spricht auch der Verlauf der vom damaligen Hausarzt des Klägers Dr. N. am 27.11.1996 diagnostizierten akuten Urticaria. Hierbei handelte es sich um eine flächenhaft erhabene juckende rötliche Hautschwellung, die vorwiegend an den Armen sowie am Stamm des Körpers des Klägers aufgetreten war. Bei der ambulaten Untersuchung in der Universitätshautklinik in Tübingen am 9.1.1997 zeigten sich unter Betonung von Rücken und unterer Extremität eine feine weißliche Schuppung und Austrocknungserscheinungen (Arztbrief vom 14.1.1997). Am 23.1.1997 hatte sich der Befund gebessert, am 27.1. und 30.1.1997 klagte der Kläger bei Dr. N. über andere Beschwerden (Muskelschmerzen, Blockade im LWS-Bereich; akuter Infekt der oberen Luftwege mit Bronchitis und Sinusitis); am 5.2.1997 konnten keine wesentlichen Befunde erhoben werden, weswegen Dr. N. den Kläger als wieder arbeitsfähig ansah, der sich daraufhin nicht mehr von Dr. N. behandeln ließ. Während der von dem nun behandelnden Arzt Dr. Schabana veranlassten stationären Behandlung des Klägers in der Universitäts-Hautklinik Tübingen vom 17.4. bis 28.4.1997 (Arztbrief vom 12.5.1997) fanden sich im Bereich des distalen Stammes mit Betonung der Hüfte netzartig angeordnete gerötete Hornschichteinrisse im Sinne eines Ekzems, während sich im Bereich der Extremitäten eine trockene feinlamelläre weißliche Schuppung auf reizlosem Grund zeigte. Unter zweimal täglicher Anwendung von wollwachshaltiger Pflegesalbe kam es zu einer raschen Rückbildung der Hautveränderungen. Am 20.5.1997 berichtete der Orthopäde Dr. L., der den Kläger erstmals am 5.5.1997 sah, der Beschwerdekomplex habe sich zwischenzeitlich gewandelt. Der Kläger klage nun über Beschwerden, die von der Halswirbelsäule ausgingen und in beide Arme/Fingerschwellungen beidseits ausstrahlten. Eine neurologische Untersuchung durch Dr. Kukiolka ergab ein Schulter-Arm-Syndrom links ohne neurologische Ausfälle (Arztbrief vom 6.6.1997).

Erstmals wurde am 18.6.1997 in der Medizinischen Universitätsklinik Tübingen (Arztbrief vom 14.7.1997) eine Schwellung der rechten Hand festgestellt, die nach Angaben des Klägers in der Hautklinik (Arztbriefe vom 30.1.1998 und vom 12.5.1998) nach der Entlassung aus der stationären Behandlung erstmals im Mai 1997 aufgetreten war. Anders als Professor Dr. D. führten die Fachärzte der Universitätshautklinik Tübingen in ihrem Arztbrief vom 12.5.1998 aus, dass eine isolierte Schwellung einer Hand/eines Unterarms keinem Krankheitsbild zuzuordnen sei.

In gleicher Weise äußerte sich auch PD Dr. K., die sich mit dem Krankheitsbild des Klägers seit Juni 1997 befasste und unter dem 11.5.2000 mitteilte, es sei weiterhin nicht gelungen eine Diagnose zu stellen. Differentialdiagnostisch kämen bei der unklaren Weichteilschwellung der rechten Hand und des Unterarms, links beginnend, ein Malignom/Lymphom, eine unklare Infektion oder ein Kaposi-Syndrom in Betracht. Auch im weiteren Verlauf konnte eine diagnostische Ursache der Schwellungen nicht gefunden werden. Zwar zeigten sich bei einer magnetresonanztomografischen Untersuchung der rechten Hand am 26.5.2000 im Vergleich zur Voruntersuchung am 4.12.1997 zunehmende Veränderungen mit zunehmend raumfordernder Muskulatur und neu aufgetretene bzw. progrediente interfasciale Flüssigkeitsansammlungen, die MR-tomografisch zunehmend das Bild einer Fasciitis mit möglicherweise begleitender Myositis zeigten. Aber auch mit diesen Erkenntnissen konnte der untersuchende Arzt nach eigener Aussage (vgl. Arztbrief vom 26.5.2000) keinen Beitrag zur Ätiologie der Krankheit des Klägers leisten. Auch während eines stationären Aufenthalts in der Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik in T. vom 10.4. bis 23.4.2001 konnte die Ursache der Schwellung an der rechten Hand nicht geklärt werden (Arztbrief vom 18.5.2001), sodass PD Dr. K. im Arztbrief vom 4.2.2002 beim Kläger weiterhin ein völlig unklares Krankheitsbild mit unklarer Schwellung der rechten Hand bzw. des rechten Unterarms feststellte. Daran hat sich im Laufe der Zeit nichts geändert, wie der Senat dem für die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg erstatteten Ärztlichen Befundbericht von Prof. Dr. K. vom 23.7.2007 entnimmt. Danach liegt bei weiterhin ungeklärter diagnostischer Ursache der Krankheit des Klägers jetzt eine schwergradige Ödembildung im Bereich der gesamten rechten oberen Extremität vor.

Mangels einer klaren diagnostischen Zuordnung der Krankheit des Klägers findet sich auch kein Anhalt für das Vorliegen einer anderen BK. Dies gilt insbesondere für die BK Nr. 1317, welche - beim Kläger nicht diagnostizierte - Polyneuropathien oder Enzephalopathien durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische umfasst. Auch liegen die Voraussetzungen für eine Anerkennung der beim Kläger vorliegenden Erkrankungen wie eine BK gem. § 9 Abs. 2 SGB VII nicht vor. Insoweit wird auf das Urteil des SG Bezug genommen (§ 153 Abs. 2 SGG). Hieraus folgt auch, dass die wegen der ungeklärten Symptomatik aufgetretene Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion nicht auf eine Berufskrankheit bzw. berufliche Einwirkungen ursächlich zurückgeführt werden kann.

Nach alledem war das angefochtene Urteil des SG nicht zu beanstanden. Die Berufung des Klägers musste deswegen zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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