L 2 B 51/08 AS-ER

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 35 AS 3655/07 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 2 B 51/08 AS-ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. In einem auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gerichteten Verfahren beurteilt sich das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nach dem Zeitpunkt, in dem das Gericht über den Antrag entscheidet. Im Beschwerdeverfahren ist dies der Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung (Sächsisches LSG, Beschluss vom 06.02.2008 - L 2 B 601/07 AS-ER - m.w.N.; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 04.01.2008 - L 28 B 2130/07 AS-ER -, zitiert nach JURIS, Rn. 3; Berlit, info also 2005, S. 3, 10; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage, § 86b Rn. 42; Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: 9/2007, § 123 Rn. 165, 167; a. A. Spellbrink, Sozialrecht aktuell 2007, S. 1, 3).

Sofern Leistungen - wie vorliegend - für einen zu diesem Zeitpunkt in der Vergangenheit liegenden Zeitraum geltend gemacht werden, ist ein Anordnungsgrund nur dann zu bejahen, wenn noch ein gegenwärtiger schwerer unzumutbarer Nachteil besteht, der glaubhaft gemacht wird (Sächsisches LSG, Beschluss vom 06.02.2008, a.a.O.; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 12.04.2006 - L 10 B 136/06 AS-ER -; Schoch, a.a.O.; Berlit, a.a.O.).

Ein fortbestehender schwerer unzumutbarer Nachteil ist gegeben, wenn ein besonderer Nachholebedarf besteht, d.h. wenn die Nichtgewährung der begehrten Leistung in der Vergangenheit auch in die Zukunft fortwirkt und noch eine weiterhin gegenwärtige, die einstweilige Anordnung rechtfertigende Notlage begründet (Berlit, a.a.O., S. 11; Schoch, a.a.O.; Philipp, NVwZ 1984, S. 498; Knorr, DÖV 1981, S. 79; Sächsisches OVG, Beschluss vom 19.08.1993 - 2 S 183/93 -, SächsVBl. 1994, S. 114, 115; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 06.05.1980 - 8 B 1376/79 -, DÖV 1981, S. 302). Dies kann gegeben sein, wenn der Ast. zur Bestreitung seines notwendigen Lebensunterhalts Verbindlichkeiten eingegangen ist, deren Tilgung unmittelbar bevorsteht (Sächsisches LSG, Beschluss vom 21.01.2008 - L 2 B 621/07 AS-ER -; Sächsisches OVG, a.a.O.; OVG Nordrhein-Westfalen, a.a.O.; Schoch, a.a.O.; Philipp, a.a.O.; Knorr, a.a.O.). Es ist ferner denkbar, dass im streitgegenständlichen Zeitraum vorgenommene Einsparungen nachwirken (OVG Nordrhein-Westfalen, a.a.O.; Sächsisches OVG, a.a.O.), beispielsweise, wenn die Verweigerung der (darlehensweisen) Bewilligung von Kosten der Schülerbeförderung für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum zum gegenwärtigen Ausschluss des betroffenen Kindes von der Schülerbeförderung führt (Sächsisches LSG, Beschluss vom 06.02.2008 - L 2 B 601/07 AS-ER -).

2. Die Frage, ob bezüglich des Vorliegens eines Anordnungsgrundes auf einen anderen Zeitpunkt (z.B. Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung) dann abzustellen ist, wenn die erste Instanz in nicht zu beanstandender Weise die begehrte einstweilige Anordnung nach Bejahung von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund erlassen hat (vgl. die Diskussion zu dieser Frage: Schoch, a.a.O.; OVG Nordrhein-Westfalen, a.a.O.; Schultz, DÖV 1981, S. 302; Knorr, a.a.O.; Schultz, DÖV, S. 794; Rotter, NVwZ 1983, S. 727, 728 f.; Philipp, a.a.O.; Sächsisches OVG, a.a.O.), muss vorliegend nicht entschieden werden, weil das SG im hier anhängigen Verfahren den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt hat und zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung (06.12.2007) angesichts des am 19.11.2007 auf den Konto des Ast. eingegangenen Kindergeldes in Höhe von 154,00 € und der am 20.11.2008 auf seinem Konto gutgeschriebenen 605,08 € Nachzahlung der Ag. ebenfalls kein Anordnungsgrund gegeben war.
I. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 6.12.2007 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes über die Gewährung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum vom 20.07.2007 bis 31.12.2007.

Der 1985 geborene erwerbsfähige Antragsteller (Ast.) lebt zusammen mit seiner Mutter in einer Dreizimmerwohnung in der R. straße 52 in D ... Von den 68,82 m² Gesamtfläche der Wohnung sind ihm 28,06 m² im Wege der Untervermietung vermietet. Hierfür zahlt der Ast. monatlich eine Gesamtmiete von 187,85 EUR. Er absolvierte in den Jahren 2002 bis 2004 eine Ausbildung zum Wirtschaftsassistenten für Informationsverarbeitung. Hieran schloss sich bis März 2005 eine Zeit der Arbeitslosigkeit an, bevor er bis Dezember 2005 seinen Zivildienst leistete. Von September 2006 bis Juli 2007 absolvierte er eine Ausbildung am Berufsschulzentrum R ... Ihm wurde hierfür eine Berufsausbildungsförderung in Höhe von 269,00 EUR/Monat bewilligt.

Die Antragsgegnerin (Ag.) nahm mit Bescheid vom 04.09.2006 die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die aus dem Ast. und seiner Mutter bestehende Bedarfsgemeinschaft für den Zeitraum vom 01.07.2006 bis 31.12.2006 in Höhe von monatlich 3,79 EUR vor. Dabei wurde dem Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft von 1.004,95 EUR das bereinigte Nettoeinkommen der Mutter des Ast. zuzüglich des Kindergeldes, das diese an den Ast. weiterleitete, gegengerechnet. Es ergab sich ein zu berücksichtigendes Gesamteinkommen von 1.001,16 EUR.

Gegen diesen Bescheid richtete sich der Widerspruch des Ast. vom 26.09.2006. Seine Mutter sei weder finanziell in der Lage noch willens, ihn in der von der Ag. unterstellten Weise zu unterstützen und seinen Lebensunterhalt sicherzustellen. Er habe keinen entsprechenden Unterhaltsanspruch gegen seine Mutter. Da er volljährig sei, die allgemeine Schulbildung und die Berufsausbildung erfolgreich abgeschlossen habe sowie 21 Jahre alt sei, seien seine Mutter bzw. der nicht im Haushalt lebende leibliche Vater nach dem Bürgerlichen Ge-setzbuch (BGB) nicht mehr gesteigert unterhaltspflichtig. Die Ag. wies den Widerspruch gestützt auf § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II mit Widerspruchsbescheid vom 16.08.2007 zurück. Sein Begehren verfolgte der Ast. mit der am 31.08.2007 zum Sozialgericht Dresden (SG) erhobenen Klage (S 35 AS 2585/07) weiter.

Am 20.07.2007 beantragte der Ast. erneut Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Die Ag. lehnte mit Bescheid vom 14.11.2007 die Gewährung von Leistungen für den Zeitraum vom 20.07.2007 bis 31.07.2007 ab, weil das Einkommen der Be-darfsgemeinschaft des Ast. höher sei als der ermittelte Bedarf. Mit weiterem Bescheid vom 14.11.2007 bewilligte die Ag. der Bedarfsgemeinschaft des Ast. Leistungen für den Zeit-raum vom 01.08.2007 bis 31.12.2007 in Höhe von monatlich 151,27 EUR. Die fiktive Regel-leistung für die Mutter des Ast. betrage 347,00 EUR, die Regelleistung für den Ast. 278,00 EUR. Ferner seien Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 383,95 EUR (insgesamt 1.008,95 EUR) zu berücksichtigen. Das Nettoerwerbseinkommen der Mutter des Ast. werde bereinigt mit 857,68 EUR angesetzt.

Der Ast. hat am 20.11.2007 beim SG einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Er habe gegen den Bescheid vom 14.11.2007 fristgerecht Widerspruch erhoben. Die Einkommensanrechnung fingiere, dass er tatsächlich Unterhaltsleistungen von seiner Mutter erhalte. Dies sei jedoch nicht der Fall. Hierzu hat der Ast. eine eidesstattliche Versicherung seiner Mutter vorgelegt, wonach diese nicht willens und auch finanziell nicht in der Lage sei, die von der Ag. geforderte Unterhaltsleistung an ihren Sohn zu erbringen. Der Ast. erhalte von seiner Mutter keinerlei Unterhaltsleistungen, da diese zivilrechtlich hierzu nicht verpflichtet sei. Er verfüge über eine abgeschlossene Berufsausbildung und strebe auch keine weitere Ausbildung an, die auf die bisherige Ausbildung aufbaue. Nach § 9 Abs. 5 SGB II bestehe lediglich eine Vermutung, dass der Ast. von seiner Mutter, mit der er in Haushaltsgemeinschaft lebe, Leistungen erhalte. Diese sei vorliegend widerlegt. Zum Nachweis des Anordnungsgrundes hat der Ast. Kopien seiner Kontoauszüge sowie seines Sparbuchs eingereicht. Am 20.08.2007, 16.10.2007 sowie 19.11.2007 ist danach das Kindergeld in Höhe von jeweils 154,00 EUR auf seinem Konto eingegangen. Am 20.11.2007 ist auf dem Konto eine Nachzahlung der Ag. in Höhe von 605,08 EUR gutgeschrieben wor-den.

Das SG hat den Antrag mit Beschluss vom 06.12.2007 abgewiesen. Der Ast. habe, solange er im Haushalt der Mutter lebe und das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet habe, keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II ohne Anrechnung des Einkommens seiner Mutter. Ob hier ein Anordnungsgrund vorliege, könne offenbleiben, da jedenfalls der Anordnungsanspruch nach der gebotenen summarischen Prüfung nicht bestehe. Der Ast. lebe mit seiner Mutter in einer Bedarfsgemeinschaft. Nach § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II gehörten zur Bedarfsgemeinschaft die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen und Vermögen beschaffen können. § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II sei in der ab 1. Juli 2006 geltenden Fassung anzuwenden. Die Gesetzesänderung beruhe auf der Empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales. Sie habe dem Umstand Rechnung tragen sollen, dass volljährige Kinder, die noch im Haushalt ihrer Eltern leben, nicht die vollen Kosten eines eigenen Haushalts aufzuwenden haben (BT-Drucksache 16/688 S. 13 ff.). Den dagegen geäußerten Bedenken, diese Regelungen stünden im Widerspruch zum geltenden Unterhaltsrecht (BT-Drucksache, a. a. O.), habe der Gesetzgeber keine Bedeutung geschenkt. Vorliegend lebe der Ast. in einem Haushalt mit seiner Mutter. Folglich bildeten beide eine Bedarfsgemeinschaft (vgl. zu volljährigen Hilfebedürftigen unter 25 Jahren: LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 04.01.2007 – L 19 B 134/06 AS –; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 08.03.2007 – L 10 B 254/07 AS PKH –; SG Leipzig, Be-schluss vom 30.04.2007 – S 19 AS 2000/06 –). Ob eine Bedarfsgemeinschaft zwischen Eltern und unverheirateten Kindern, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, bestehe, hänge nach § 7 Abs. 3 Nr. 2 und Nr. 4 SGB II allein davon ab, ob die Beteiligten in einem Haushalt lebten bzw. einem Haushalt angehörten. Wenn zwischen engen Ver-wandten eine Haushaltsgemeinschaft bestehe, reiche dieser Sachverhalt aus, eine Bedarfsgemeinschaft zu begründen. Die Feststellung weiterer subjektiver Tatsachen sei in diesem Zusammenhang nicht erforderlich. Daher komme es auch nicht darauf an und sei auch nicht zu prüfen, ob und inwieweit die Mutter des Ast. tatsächlich Hilfeleistungen erbringe. Soweit der Ast. hierzu vorbringe, seine Mutter unterstütze ihn nicht, da sie zivilrechtlich dazu nicht verpflichtet sei, sei dies unerheblich. Die Einkommens- und Vermögensberücksichtigung nach § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II sei eine Regelung des öffentlichen Rechts, die nicht an bürgerlich-rechtliche Unterhaltspflichten anknüpfe (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 08.03.2007 – L 10 B 254/07 AS PKH –). Zudem habe der Ast. auch nicht dargetan, dass ein zivilrechtlicher Anspruch nach den §§ 1601 ff. BGB unter jedem denkbaren Gesichtspunkt ausgeschlossen sei. Allein der pauschale Hinweis auf die Beendigung der Ausbildung genüge dem noch nicht, da in der zivilrechtlichen Rechtsprechung auch ein nachgehender Zeitraum zur Arbeitsplatzsuche zugestanden werde (Nachweise bei Palandt, BGB, 63. Auflage, Rdnr. 22 zu § 1610). Zwar stehe § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II i. V. m. § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II möglicherweise im Widerspruch zum geltenden Unterhaltsrecht. Mögliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II (Verstöße gegen Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz – GG –) seien jedoch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht zu klären (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28.02.2007 – L 10 B 195/07 AS-ER –; SG Leipzig, Beschluss vom 30.04.2007 – S 19 AS 2000/06 ER –; vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage, § 86 b Rdnr. 13). Weil sich die Berücksichtigung des Einkommens der Mutter des Ast. nicht aus § 9 Abs. 5 SGB II, sondern aus der allgemeinen Vorschrift des § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II ergebe, brauche auf das Vorbringen des Ast. zur Vermutungsregelung des § 9 Abs. 5 SGB II nicht eingegangen werden.

Gegen den, den Prozessbevollmächtigten des Ast. am 07.12.2007 zugestellten Beschluss haben diese am 07.01.2008 Beschwerde beim SG eingelegt, der das SG nicht abgeholfen hat. Die Beschwerde ist am 22.01.2008 beim Sächsischen Landessozialgericht eingegangen. Die Mutter des Ast. weigere sich, Unterhaltsleistungen zu gewähren, da sie dazu rechtlich nicht verpflichtet sei. Der Ast. habe von der Einleitung eines Unterhaltsprozesses mangels Erfolgsaussichten abgesehen. Ein zivilrechtlicher Unterhaltsanspruch sei nach eingehender familienrechtlicher Beratung nicht mit Erfolg durchsetzbar. Insoweit sei der Lebensunterhalt des Ast. derzeit nicht gedeckt. Die Vorschrift des § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II bestätige, dass bei Kindern, die mit ihren Eltern in Bedarfsgemeinschaft lebten, das Einkommen und das Vermögen der Eltern zu berücksichtigen sei. Damit sei jedoch nicht der Konflikt gelöst, wie zu verfahren sei, wenn die Eltern es ablehnten, Leistungen an die Kinder zu erbringen, da sie zivilrechtlich dazu nicht mehr verpflichtet seien. Eine Lösung dieses Interessenkonflikts könne aus Sicht des Ast. nur über die Anwendung von § 9 Abs. 5 SGB II gefunden werden, wonach lediglich eine Vermutung dafür spreche, dass innerhalb der Bedarfsgemeinschaft Leistungen der Eltern an die Kinder erfolgten. Das SG habe sich in keinster Weise damit auseinandergesetzt, dass § 9 Abs. 5 SGB II auf die vorliegende Konstellation Anwendung finde. Die An-ordnung einer gesetzlichen Unterhaltsverpflichtung nach Ablauf der bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsverpflichtung stelle einen Eingriff in das Grundrecht gemäß Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 6 Grundgesetz dar. Auch in einem Eilverfahren seien verfassungsrechtliche Bedenken zu berücksichtigen, da andernfalls das Grundrecht des Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz auf effektiven Rechtsschutz verletzt werde.

Die Ag. hat der Bedarfsgemeinschaft des Ast. mit Bescheid vom 19.12.2007 für den Zeitraum vom 01.01.2008 bis 30.06.2008 Leistungen i.H.v. 153,24 EUR bewilligt.

Der Einzelrichterin des Senats liegen die Verfahrensakten des Antrags- und des Beschwerdeverfahrens sowie die Verwaltungsakte der Ag. vor. Ihr Inhalt war Gegenstand der Entscheidungsfindung.

II.

Das Gericht konnte durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin gemäß § 155 Abs. 4 i. V. m. Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz – SGG – entscheiden, weil sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben.

Die zulässige Beschwerde des Ast. ist unbegründet. Zu Recht hat das SG mit Beschluss vom 06.12.2007 den Antrag des Ast. abgelehnt.

Dem Ast. steht für den streitgegenständlichen Zeitraum vom 20.07.2007 bis 31.12.2007 kein Anspruch auf vorläufige Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ohne Berücksichtigung des Einkommens seiner Mutter zu.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) können die Gerichte auf Antrag, der gemäß § 86 b Abs. 3 SGG bereits vor Klageerhebung zulässig ist, zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dazu ist gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) sowohl der durch die Anordnung zu sichernde, im Hauptsacheverfahren geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) als auch der Grund, weshalb die Anordnung ergehen und dieser Anspruch vorläufig bis zur Entscheidung der Hauptsache gesichert werden soll (An-ordnungsgrund), glaubhaft zu machen.

Der Antrag scheitert bereits an der fehlenden Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes. Ein solcher besteht, wenn der Betroffene bei Abwarten bis zur Entscheidung der Hauptsache Gefahr laufen würde, seine Rechte nicht mehr realisieren zu können, oder gegenwärtige schwere unzumutbare rechtliche oder wirtschaftliche Nachteile erlitte. Die individuelle Interessenlage des Betroffenen – unter Umständen auch unter Berücksichtigung der Interessenlage der Ag., der Allgemeinheit oder unmittelbar betroffener Dritter – muss es unzumutbar erscheinen lassen, den Betroffenen zur Durchsetzung seines Anspruchs auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen.

In einem auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gerichteten Verfahren beurteilt sich das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nach dem Zeitpunkt, in dem das Gericht über den Antrag entscheidet. Im Beschwerdeverfahren ist dies der Zeitpunkt der Beschwerdeent-scheidung (Sächsisches LSG, Beschluss vom 06.02.2008 – L 2 B 601/07 AS-ER – m.w.N.; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 04.01.2008 – L 28 B 2130/07 AS-ER –, zitiert nach JURIS, Rdnr. 3; Berlit, info also 2005, S. 3, 10; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage, § 86 b Rdnr. 42; Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: 9/2007, § 123 Rdnr. 165, 167; a. A. Spellbrink, Sozialrecht aktuell 2007, S. 1, 3).

Sofern Leistungen – wie vorliegend – für einen zu diesem Zeitpunkt in der Vergangenheit liegenden Zeitraum geltend gemacht werden, ist ein Anordnungsgrund nur dann zu bejahen, wenn noch ein gegenwärtiger schwerer unzumutbarer Nachteil besteht, der glaubhaft gemacht wird (Sächsisches LSG, Beschluss vom 06.02.2008, a.a.O.; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 12.04.2006 – L 10 B 136/06 AS-ER –; Schoch, a.a.O.; Ber-lit,a.a.O.).

1. Zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung (ebenso wie zum Zeitpunkt des Eingangs der Beschwerde beim Sächsischen Landessozialgericht, der jedoch nicht maßgeblich ist) war der streitgegenständliche Zeitraum bereits abgelaufen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts werden die Bescheide für die Folgezeiträume (hier: ab 01.01.2008) nicht gem. § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) oder in dessen analoger Anwendung Gegenstand des Verfahrens (BSG, Urteil vom 07.11.2006 – B 7b AS 8/06 R –, zitiert nach Juris, Rdnr 17; BSG, Beschluss vom 23.11.2006 – B 11 b AS 9/06 R –, zitiert nach Juris, Rdnr. 14).

Einen fortbestehenden schweren unzumutbaren Nachteil aus der Nichtgewährung der Leistungen im streitgegenständlichen Zeitraum hat der Ast. weder behauptet noch glaubhaft gemacht. Ein solcher ist gegeben, wenn ein besonderer Nachholbedarf besteht, d. h. wenn die Nichtgewährung der begehrten Leistung in der Vergangenheit auch in die Zukunft fortwirkt und noch eine weiterhin gegenwärtige, die einstweilige Anordnung rechtfertigende Notlage begründet (Berlit, a. a. O., S. 11; Schoch, a.a.O.; Philipp, NVwZ 1984, S.498; Knorr, DÖV 1981, S.79; Sächsisches OVG, Beschluss vom 19.08.1993 – 2 S 183/93 –, SächsVBl. 1994, S. 114, 115; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 06.05.1980 – 8 B 1376/79 –, DÖV 1981, S.302). Dies kann gegeben sein, wenn der Ast. zur Bestreitung seines notwendigen Lebensunterhalts Verbindlichkeiten eingegangen ist, deren Tilgung unmittelbar bevorsteht (Sächsisches LSG, Beschluss vom 21.01.2008 – L 2 B 621/07 AS-ER –; Sächsisches OVG, a.a.O.; OVG Nordrhein-Westfalen, a.a.O; Schoch, a.a.O.; Phi-lipp, a.a.O.; Knorr, a.a.O.). Es ist ferner denkbar, dass im streitgegenständlichen Zeitraum vorgenommene Einsparungen nachwirken (OVG Nordrhein-Westfalen, a.a.O.; Sächsisches OVG, a.a.O.), beispielsweise, wenn die Verweigerung der (darlehnsweisen) Bewilligung von Kosten der Schülerbeförderung für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum zum gegenwärtigen Ausschluss des betroffenen Kindes von der Schülerbeförderung führt (Sächsisches LSG, Beschluss vom 06.02.2008 – L 2 B 601/07 AS-ER –).

2. Die Frage, ob bezüglich des Vorliegens eines Anordnungsgrundes auf einen anderen Zeit-punkt (z.B. Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung) dann abzustellen ist, wenn die erste Instanz in nicht zu beanstandender Weise die begehrte einstweilige Anordnung nach Bejahung von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund erlassen hat (vgl. die Diskussion zu dieser Frage: Schoch, a.a.O.; OVG Nordrhein-Westfalen, a.a.O.; Schultz, DÖV 1981, S.302; Knorr, a.a.O.; Schultz, DÖV 1981, S.794; Rotter, NVwZ 1983, S.727, 728 f.; Philipp, a.a.O.; Sächsisches OVG, a.a.O.), muss vorliegend nicht entschieden werden, weil das SG im hier anhängigen Verfahren den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt hat und zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung (06.12.2007) angesichts des am 19.11.2007 auf dem Konto des Ast. eingegangenen Kindergeldes in Höhe von 154,00 EUR und der am 20.11.2007 auf seinem Konto gutgeschriebenen 605,08 EUR Nachzahlung der Ag. ebenfalls kein Anordnungsgrund gegeben war.

Nach alledem war die Beschwerde des Ast. zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG.

Der Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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