L 6 R 18/07

Land
Rheinland-Pfalz
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Speyer (RPF)
Aktenzeichen
S 13 RI 1017/04
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 6 R 18/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Gegen Entgelt ausgeübt ist eine Beschäftigung in einem Ghetto iSd § 1 Abs. 1 Nr. 1b ZRBG auch dann, wenn das Entgelt nicht dem Beschäftigten selbst, sondern über deutsche Verbindungsstellen, z.B. das Arbeitsamt, an den Judenrat gezahlt wurde und hierdurch die Versorgung des Ghettos und seiner Bewohner sichergestellt war.
2. Steht fest, dass eine Beschäftigung in einem Ghetto die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 1 und 2 ZRBG erfüllt, schließen Leistungen aus dem Zwangsarbeiterfond die Berücksichtigung der rentenrechtlichen Zeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht von vornherein aus.
1. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 05.10.2006 und der Bescheid der Beklagten vom 28.07.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.11.2004 aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Regelaltersrente ab Juni 1997 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

2. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers für beide Rechtszüge.

Tatbestand:

Streitig ist ein Anspruch des Klägers auf Regelaltersrente unter Berücksichtigung von Versicherungszeiten im Ghetto K.

Der am 1922 in K , P , geborene Kläger ist jüdischer Abstammung und als Verfolgter im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) anerkannt. Seit Juni 1949 lebt er in F und bezieht eine Alterspension vom f Rentenversicherungsträger, der Rentenversicherungszeiten ab dem 01.01.1948 zu Grunde liegen.

Im Juni 2003 beantragte der Kläger bei der Beklagten Altersrente unter Berücksichtigung von Beschäftigungszeiten im Ghetto K bzw Ersatzzeiten. Hierzu gab er an, von März 1941 bis März 1943 im Ghetto K gearbeitet zu haben. Er habe Erdarbeiten durchgeführt und Waggons mit Zement beladen müssen. Außerdem habe er in der Werkstatt der Deutschen Wehrmachtspost in der Elektromechanik gearbeitet. Er habe jeden Tag zur Arbeit das Ghetto unter Eskorte verlassen und sei abends wieder ins Ghetto zurückgekehrt. Er sei bei einer Razzia verhaftet und vom Arbeitskommando einberufen worden. Ihm sei vom Arbeitsamt eine Arbeitskarte ausgestellt worden, sodass er im Ghetto verbleiben konnte. Die Tätigkeit sei entlohnt worden. Der Lohn sei an den Judenrat ausgezahlt worden. Die einzige Nahrung, die er erhalten habe, sei ein Teller Suppe und eine Ration Brot gewesen.

Aus der beigezogenen Entschädigungsakte des Klägers ergibt sich, dass dieser seit dem 18.11.1939 den Judenstern tragen musste. In dem Entschädigungsantrag des Klägers vom Dezember 1956 ist angegeben, dass er sich von März 1941 bis März 1943 im Ghetto K , von März 1943 bis August 1944 im Konzentrationslager (KZ) P und von August 1944 bis zur Befreiung im Mai 1945 im KZ M aufgehalten habe. In seinen eidesstattlichen Versicherungen vom 10.01.1957 und 28.09.1961 gab der Kläger an, er sei in K geboren und habe nach der Mittelschule zunächst von 1935 bis 1937 die Fachschule für Elektrotechnik, danach bis 1939 die Technische Hochschule, Abteilung Elektrochemie, besucht. Im ärztlichen Gutachten vom April 1960 ist zu dem beruflichen Werdegang des Klägers vermerkt: Er habe auf Grund seiner Vorbildung im Ghetto K als Elektromechaniker bei der Deutschen Wehrmachtspost gearbeitet und sei nach der Liquidierung des Ghettos K (Ende 1941) im KZ P interniert und Anfang 1943 nach M deportiert worden. Dort sei er im Mai 1945 befreit worden.

In seiner eidesstattlichen Versicherung vom 11.01.1957 gab der am 07.07.1915 geborene R R an, er sei mit dem Kläger von März 1941 bis März 1943 zusammen im Ghetto K und von März 1943 bis August 1944 im Lager P und anschließend bis Mai 1945 im KZ M gewesen. Der am 26.11.1920 geborene J K bestätigte in seiner eidesstattlichen Versicherung vom 11.01.1957, dass der Kläger im März 1941 ins Ghetto K eingewiesen worden und nach Auflösung des Ghettos im Arbeitslager P bis August 1944 verblieben und anschließend ins KZ M verschickt worden sei.

Nach Auswertung der ärztlichen Unterlagen in der Entschädigungsakte vertrat der Beratungsarzt der Beklagten Dr S in seiner Stellungnahme vom 15.07.2004 die Auffassung, dass der Kläger auf Grund seines schlechten körperlichen und seelischen Zustandes nach seiner Befreiung aus dem KZ noch mindestens bis Mai 1948 arbeitsunfähig gewesen sei.

Mit Bescheid vom 28.07.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.11.2004 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente ab. Die Tätigkeit im Ghetto K könne nicht als Beschäftigungszeit anerkannt werden, weil eine Entlohnung nur in Form von Sachleistungen erfolgt sei, sodass es jedenfalls am Merkmal der Entgeltlichkeit fehle. Nicht ausreichend sei, dass mögliche Geldleistungen an den Judenrat geflossen seien. Zudem sei auch nach den historischen Erkenntnissen davon auszugehen, dass nach der Verkleinerung des Ghettos K im Juni 1942 ein Zwangsarbeitslager und kein Ghetto mehr bestanden habe.

Hiergegen hat der Kläger vor dem Sozialgericht (SG) Speyer Klage erhoben und geltend gemacht, er sei von März 1941 bis März 1943 im Ghetto K als Hilfsarbeiter und Elektromechaniker beschäftigt gewesen. Er habe Lebensmittel, Unterkunft und auch Barlohn, der an den Judenrat ausgezahlt worden sei, erhalten. Mit den Lebensmittelzuwendungen habe er auch weitere Personen versorgt.

Auf Anfrage des Sozialgerichts hat der Claims Conference Zwangsarbeiter-Fonds in Frankfurt unter dem 10.05.2006 mitgeteilt, dass der Kläger auf Grund seines Verfolgungsschicksals im Ghetto K in den Jahren 1941 bis 1944 und im KZ M in den Jahren 1944 bis 1945 Entschädigungsleistungen erhalten habe. Erkenntnisse über Einzelheiten des Verfolgungsschicksals des Klägers lägen nicht vor, da dies für die Bearbeitung des Antrages nicht erforderlich sei. Der Auskunft ist der Antrag des Klägers an den Zwangsarbeiter-Fonds vom 20.12.2001 beigefügt gewesen, mit dem die Zeit von 1940 bis 1942 als Aufenthalt im Ghetto K und von 1942 bis 1943 im Ghetto Pl sowie von 1943 bis 1944 im KZ M und 1944 bis 1945 im KZ S angegeben sind. Die Recherche des Zwangsarbeiter-Fonds hat im Mai 2002 ergeben, dass der Kläger von März 1941 bis März 1943 im Ghetto K , von März 1943 bis August 1944 in K -P und von August 1944 bis Mai 1945 in M war.

Mit Urteil vom 05.10.2006 hat das SG die Klage abgewiesen. Ein Anspruch auf Altersrente bestehe nicht, weil der Kläger die allgemeine Wartezeit nicht erfülle. Es sei nicht glaubhaft gemacht, dass der Kläger in der Zeit von März 1941 bis März 1943 im Ghetto K eine entgeltliche Beschäftigung ausgeübt habe. Aus den unterschiedlichen Angaben des Klägers lasse sich auch der konkrete Aufenthaltszeitraum im Ghetto K nicht nachvollziehen. Überdies sei nicht glaubhaft gemacht, dass der Kläger freiwillig gearbeitet habe, weil er selbst angegeben habe, von einem Arbeitskommando einberufen worden zu sein. Entscheidend sei aber letztlich, dass der Kläger kein Entgelt für geleistete Arbeit erhalten habe. Zahlungen an den Judenrat könnten nicht berücksichtigt werden. Die angegebenen täglichen Lebensmittelrationen könnten nicht als äquivalente Entgelte Berücksichtigung finden.

Gegen das ihm am 20.12.2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 17.01.2007 Berufung eingelegt. Er hat ein Gutachten von Prof Dr G vom 09.09.2005 vorgelegt.

Er trägt vor, historisch sei belegt, dass es im Ghetto K freiwillige und entgeltliche Beschäftigungsverhältnisse gegeben habe. Der an den Judenrat gezahlte Barlohn des Klägers sei bei der Frage nach der Entgeltlichkeit der Beschäftigung zu berücksichtigen.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 05.10.2006 und den Bescheid der Beklagten vom 28.07.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.11.2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Regelaltersrente ab Juni 1997 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der Senat hat die BEG-Akte des Klägers sowie Gutachten von Prof Dr G vom 31.05.2006, 29.09.2006, 23.12.2006 und 13.08.2007 für das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen beigezogen.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 27.02.2008 hat der Senat den Kläger persönlich angehört. Bezüglich des Ergebnisses der Anhörung wird auf Bl. 266 ff der Prozessakte verwiesen.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat die Beklagte Ersatzzeiten des Klägers von November 1939 bis Ende 1949 für den Fall der Berücksichtigung von Beitragszeiten anerkannt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte und die den Kläger betreffende Verwaltungsakte sowie die BEG-Akte des Klägers Bezug genommen. Sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Speyer vom 05.10.2006 ist zulässig und begründet. Das SG hat seine Klage auf Gewährung einer Altersrente zu Unrecht abgewiesen. Die ablehnenden Bescheide der Beklagten sind rechtswidrig und daher aufzuheben. Der Kläger hat alle Voraussetzungen für den geltend gemachten Regelaltersrentenanspruch glaubhaft gemacht.

Gemäß § 35 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) hat Anspruch auf Regelaltersrente, wer das fünfundsechzigste Lebensjahr vollendet und die allgemeine Wartezeit erfüllt. Gemäß §§ 50 Abs 1 Nr 1, 51 Abs 1 SGB VI werden auf die allgemeine Wartezeit Kalendermonate mit Beitragszeiten und nach § 51 Abs 4 SGB VI Kalendermonate mit Ersatzzeiten angerechnet. Nach § 55 Abs 1 SGB VI sind Beitragszeiten Zeiten, für die nach Bundesrecht Beiträge gezahlt worden sind oder aber als gezahlt gelten. Zwar hat der Kläger, der bereits 1987 das fünfundsechzigste Lebensjahr vollendet hat, keine Beiträge zur Deutschen Rentenversicherung geleistet. Allerdings gelten für die Zeit von März 1941 bis März 1943 nach den Vorschriften des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) Beiträge als gezahlt.

Mit dem 13. Senat des Bundessozialgericht (BSG) (Urteil vom 07.10.2004, Az.: B 13 RJ 59/03 R) geht der erkennende Senat davon aus, dass die Vorschriften des ZRBG vom 20.06.2002 (BGBl I, S 2074), die seit dem 01.07.1997 in Kraft sind, an die bisherige Ghetto-Rechtsprechung des BSG anknüpfen und der anspruchsberechtigte Personenkreis durch die neue Gesetzeslage nicht erweitert worden ist. Demzufolge ist der erkennende Senat der Auffassung, dass das ZRBG keine eigene Rechtsgrundlage für einen eigenständigen Entschädigungsanspruch bei einer Ghetto-Beschäftigung begründet (andere Auffassung, BSG Urteil vom 14.12.2006, Az.: B 4 R 29/06 R). Vielmehr erhält der Anspruchsberechtigte, sofern die im ZRBG genannten Voraussetzungen erfüllt sind, Altersrente entsprechend den Regelungen des SGB VI. Bedeutsam ist nach Auffassung des Senats das ZRBG insoweit nur bei der Frage, ob Beiträge als entrichtet gelten (§ 2 ZRBG) und zwar sowohl im Sinne des § 55 Abs 1 SGB VI als auch für die Berechnung der Rente und für die Erbringung der Leistungen ins Ausland.

Der Kläger kann auch einen Anspruch auf Regelaltersrente trotz seines Wohnsitzes in Frankreich geltend machen, weil Rentenzahlungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung von der EG-VO 1408/71 erfasst sind (§ 30 Abs. 2 SGB I).

Der Kläger erfüllt die Voraussetzungen nach § 1 Abs 1 S 1 ZRBG. Der Kläger gehört zweifelsfrei zu den Verfolgten im Sinne des BEG. In der Zeit von März 1941 bis März 1943 hat er sich auch zwangsweise im Ghetto K aufgehalten. Ein Ghetto im Sinne des § 1 ZRBG liegt bei solchen Wohnbezirken vor, in denen Juden durch eine Aufenthaltsbeschränkung vollständig und nachhaltig durch Androhung schwerster Strafen und Gewaltmaßnahmen von der Umwelt abgesondert wurden und sich in einem Gebiet befanden, das rechtlich als vom Deutschen Reich besetzt oder diesem eingegliedert zu qualifizieren ist (vgl dazu BSG Urteil vom 14.12.2006, aaO, mwN).

Der Kläger befand sich von März 1941 bis März 1943 im Ghetto K. Die Aufenthaltsdauer ist für den Senat nach Anhörung des Klägers glaubhaft gemacht (§ 1 Abs 2 ZRBG iVm § 3 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung – WGSVG - § 4 Fremdrentengesetzes – FRG -). Bereits in seinem Antrag auf Entschädigung vom Dezember 1956 hat der Kläger diesen Zeitraum als Aufenthalt im Ghetto K angegeben. Die Zeiten finden Bestätigung in den eidesstattlichen Versicherungen von R R und J K. Bestätigt werden die Angaben des Klägers auch durch das Rechercheergebnis des Zwangsarbeiter-Fonds vom Mai 2002. Schließlich hat auch die Anhörung des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung einen Aufenthalt im Ghetto von März 1941 bis März 1943 bestätigt. Die Besonderheit des Falles des Klägers besteht darin, dass sein Elternhaus in dem Wohnbezirk der Stadt K lag, in dem das Ghetto nach den historischen Gutachten von Prof. Dr. G im März 1941 errichtet und im März 1943 geschlossen wurde. Angesichts dessen misst der Senat dem Umstand, dass der Kläger in seinem Antrag auf Entschädigung aus dem Zwangsarbeiter-Fonds vom Dezember 2001 zum Teil abweichende Angaben gemacht hat, keine wesentliche Bedeutung bei. In Anbetracht des Zeitablaufes ist die zeitlich nicht exakte Einordnung der Geschehensabläufe für den Senat nachvollziehbar.

Der Aufenthalt des Klägers vom März 1941 bis März 1943 im Ghetto K ist auch ein zwangsweiser Aufenthalt im Ghetto im Sinne des ZRBG. Nach dem historischen Gutachten von Prof Dr G vom 31.05.2006 wurden in K , das im Generalgouvernement für die besetzten polnischen Gebiete lag, am 03.03.1941 ein Ghetto ausgewiesen und am 21.03.1941 geschlossen. Im März 1943 wurde das Ghetto liquidiert und die noch arbeitsfähigen Juden in das Arbeitslager K -P verbracht. Diese historischen Fakten decken sich mit den Angaben des Klägers, der ausgeführt hat, dass er im März 1943 ins KZ P eingeliefert wurde, womit die Zeit im Ghetto im Sinne des § 1 ZRBK endete.

Entgegen der im Bescheid vom 28.07.2004 vertretenen Auffassung der Beklagten ist nicht davon auszugehen, dass mit der Verkleinerung des Ghettos K im Juni oder November 1942 nur noch ein Zwangsarbeitslager und kein Ghetto mehr im Sinne des § 1 ZRBG bestand. Den historischen Gutachten von Prof Dr G vom 31.05.2006 und 23.12.2006 ist hierzu zu entnehmen, dass es zwar im Mai/Juni 1942 zu einer Verkleinerung des Ghettos K gekommen ist, weil mehr als 5.000 Ghetto-Bewohner in das Vernichtungslager B verbracht wurden. Das Ghetto selbst hat aber in verkleinerter Form noch bis zu seiner vollständigen Liquidierung im März 1943 fortbestanden.

In der Zeit von März 1941 bis März 1943 hat der Kläger auch aus eigenem Willensentschluss eine Beschäftigung gegen Entgelt ausgeübt, § 1 Abs 1 Nr 1a und b ZRBG. Beschäftigung im Sinne der genannten Vorschrift ist jede nicht selbständige Arbeit, die eine funktionale Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers erfordert. Auch Arbeiten außerhalb des räumlichen Bereiches eines Ghettos werden vom ZRBG erfasst, wenn sie Ausfluss der Beschäftigung im Ghetto waren. Die Arbeit muss dem Verfolgten lediglich von einem Unternehmen oder einer Ghetto-Autorität mit Sitz im Ghetto angeboten oder ähnlich einer Arbeitnehmerüberlassung oder Arbeitsvermittlung zugewiesen worden sei (BSG, Urteil 14.12.2006, aaO).

Eine Beschäftigung im dargelegten Sinne hat der Kläger gemäß § 1 Abs 2 ZRGB, § 3 WGSVG und § 4 ZRG glaubhaft gemacht. Der Kläger hat hierzu insbesondere anlässlich seiner Anhörung im Termin zur mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass er jeden Tag das Ghetto unter Eskorte verlassen musste und auf Grund seiner Vorbildung als Elektromechaniker bei der Deutschen Wehrmachtspost gearbeitet hat. Für die Arbeit sei ihm eine Arbeitskarte ausgestellt worden, damit er im Ghetto verbleiben konnte. Die Deutsche Post Osten habe eine Garage mit 150 Fahrzeugen unterhalten und insgesamt ca. 300 Personen davon ca. 48 Juden beschäftigt. Aufgrund seiner Vorkenntnisse sei er Chef der jüdischen Beschäftigten gewesen. Die Arbeit als Elektromechaniker bei der Deutschen Wehrmachtspost hält der Senat nach Anhörung des Klägers für glaubhaft gemacht, insbesondere auch deshalb, weil sie sich mit den historischen Gegebenheiten im Ghetto K decken. Aus den bereits zitierten historischen Gutachten von Prof Dr G ergibt sich, dass die Arbeitsbetriebe in der Regel außerhalb der engen Ghetto-Grenzen lagen, der Judenrat im Sinne einer Arbeitsvermittlung die Arbeitsvergabe kontrolliert und die arbeitenden Juden Arbeitskennkarten erhielten.

Die Beschäftigung hat der Kläger auch aus eigenem Willensentschluss ausgeübt (§ 1 Abs 1 S 1a ZRBG). Ein eigener Willensentschluss liegt vor, wenn die Arbeitsaufnahme vor dem Hintergrund der wirklichen Lebenslage im Ghetto jedenfalls auch noch auf einer wenn auch auf das Elementarste reduzierten Wahl zwischen wenigstens zwei Verhaltensmöglichkeiten beruht (BSG, 14.12.2006, aaO). Insoweit ist eine Abgrenzung von Zwangsarbeit geboten.

Nach der Anhörung des Klägers hält der Senat eine Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss des Klägers für glaubhaft gemacht. Der Kläger hat hierzu angegeben, gleich bei Errichtung des Ghettos habe er sich an das deutsche Arbeitsamt im Ghetto gewandt und sich um Arbeit bemüht. Er habe dort sofort aufgrund seiner beruflichen Vorbildung die Stelle bei der Deutschen Wehrmachtspost Osten als Elektriker erhalten. Dass der Kläger täglich das Ghetto unter Bewachung verlassen hat, steht der Freiwilligkeit nicht entgegen, sondern ist Ausdruck des zwangsweisen Ghetto-Aufenthaltes. Der Senat sieht daher die Tätigkeit als Elektromechaniker bei der Deutschen Wehrmachtspost als freiwillige Beschäftigung im Sinne des § 1 Abs 1 Nr a ZRBG an.

Kein entscheidungserhebliches Gewicht misst der Senat dem Umstand bei, dass der Kläger in seinem Antrag auf Leistungen aus dem Zwangsarbeiter-Fonds im Dezember 2001 auch die hier streitige Zeit im Ghetto K angegeben hat. Einzelheiten über die Art der Tätigkeit sind in dem Antrag nicht enthalten. Auf Anfrage hat der Claims Conference Zwangsarbeiter-Fonds im Mai 2006 an das SG mitgeteilt, dass Erkenntnisse über Einzelheiten des Verfolgungsschicksals nicht vorliegen und auch für die Bearbeitung des Antrages nicht erforderlich seien. Da der Kläger nach seiner Zeit im Ghetto K in den Konzentrationslagern P und M auch Zwangsarbeit verrichten musste, kann allein aus der Tatsache, dass die Zeit von März 1941 bis März 1943 auch bei dem Antrag auf Leistungen aus dem Zwangsarbeiter-Fonds angegeben wurde, nicht geschlussfolgert werden, es habe sich insgesamt um Zwangsarbeit gehandelt.

Die Freiwilligkeit der Beschäftigung des Klägers bei der Deutschen Wehrmachtspost endete auch nicht im Juni 1942 mit Übernahme der Funktionen des Judenrates durch SS-/Polizeiformationen. Wie sich insbesondere aus dem historischen Gutachten von Prof Dr G vom 23.12.2006 ergibt, erfolgte damit nur allgemein ein Wechsel der Zuständigkeit für alle Judenangelegenheiten von zivilen und polizeilichen Instanzen zu höheren SS-Führungsstrukturen im General-gouvernement.

Der Kläger erhielt auch ein Entgelt im Sinne des § 1 Abs 1 Nr 1b ZRBG für seine Arbeitsleistung. Nach § 1226 Abs 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) (alter Fassung) waren für den Fall der Invalidität oder des Alters Arbeiter, Gesellen und Hausgehilfen versichert, wenn sie gegen Entgelt beschäftigt waren. Nach § 1227 RVO alter Fassung war eine Beschäftigung, für die als Entgelt nur freier Unterhalt gewährt wurde, versicherungsfrei. Als freier Unterhalt ist dasjenige Maß an Wirtschaftsgütern anzusehen, das zur unmittelbaren Befriedigung der notwendigen Lebensbedürfnisse des Arbeitnehmers erforderlich ist, nicht aber das, was darüber hinaus geht (BSG, Urteil vom 07.12.2004, aaO). Bei der Gewährung von Lebensmitteln ist daher zu prüfen, ob sie nach Art und Umfang des Bedarfes unmittelbar zum Verbrauch oder Gebrauch oder zur bleibenden Vergütung gegeben wurden.

Damit folgt der erkennende Senat zwar nicht dem Entgeltbegriff des 4. Senats des BSG (Urteil vom 14.12.2006, aaO), der jede Art von Zuwendungen für tatsächlich geleistete Arbeit nach dem ZRBG für ausreichend erachtet. Allerdings hält der erkennende Senat unter Beachtung der historischen Gegebenheiten den Entgeltbegriff des ZRBG über die Regelungen der RVO hinaus für auslegungsbedürftig. Der Entgeltbegriff des ZRBG ist im Hinblick auf seine Zielsetzung weit zu fassen. Das Gesetz wollte die rentenrechtlichen Hürden für Personen, die von den Nazis in ein Ghetto gezwungen wurden und dort in dieser Zwangssituation einer entlohnten Beschäftigung nachgingen, damit sie überleben konnten, beseitigen (BT-Drucks 14/8583). Für die Frage der Entgeltlichkeit können daher die besonderen Verhältnisse, die in einem Ghetto herrschten, nicht außer Betracht bleiben. Zwar wird man daher zur Unterscheidbarkeit von reiner Zwangsarbeit einerseits und freiwilliger entgeltlicher Tätigkeit andererseits fordern müssen, dass allein die tägliche Versorgung des Betroffenen mit Nahrungsmitteln allein für ihn selbst nicht ausreichend ist, um eine entgeltliche Beschäftigung anzunehmen, weil die Nahrungsmittelversorgung für den Arbeitenden allein auch bei Zwangsarbeit gegeben ist. Soweit jedoch Sach- oder Geldleistungen darüber hinaus gewährt wurden, hält der Senat die Voraussetzungen für die Anerkennung einer Entgeltlichkeit der Beschäftigung für gegeben.

Im Hinblick auf die in einem Ghetto herrschenden besonderen Umstände, die mit dem erzwungenen Aufenthalt in einem Ghetto verbunden sind, hält es der Senat auch nicht für erforderlich, dass die Entlohnung für die geleistete Arbeit unmittelbar dem Beschäftigten selbst zufließt (so LSG Nordrhein-Westfalen, 03.06.2005, Az.: L 4 R 3/05; und 19.01.2007 L 14 R 11/06). Ausreichend ist vielmehr, wenn die Zahlung als Gegenleistung für die verrichtete Arbeit an den Judenrat erfolgte und dem Inhaftierten daher nur mittelbar zufließt.

Wie sich den historischen Gutachten von Prof Dr G vom 29.09.2006 und 13.08.2007 entnehmen lässt, wurde im Ghetto K , wie üblicherweise in Ghettos des Generalgouvernements, reguläre Arbeitsleistung grundsätzlich in Geld vergütet. Diese Zahlungen wurden allerdings in der Regel nicht von den Arbeitgebern an die Beschäftigten direkt ausgezahlt, sondern über den Judenrat geleitet, der sie besteuerte und aus den Erlösen Waren für das Ghetto einkaufte. Diese Form der Entlohnung erfüllt die Voraussetzungen der Entgeltlichkeit im Sinne des ZRBG. Im Hinblick auf den erzwungenen Aufenthalt im Ghetto und der sich daraus ergebenden Schicksalsgemeinschaft der Juden, ist die Auszahlung des Lohnes an den Judenrat rechtlich als Lohnabtretung zu qualifizieren und mithin den Beschäftigten als Entgelt zuzurechnen.

Dabei verkennt der Senat nicht, dass grundsätzlich die Entgeltabtretung die Freiwilligkeit des Verfügungsgeschäftes voraussetzt und Abtretungsverbote zu beachten sind. Diese rechtlichen Grundsätze müssen jedoch unter den Besonderheiten der mit einem Zwangsaufenthalt in einem Ghetto verbundenen Entrechtung der Juden einer modifizierten Betrachtung zugeführt werden. Da nach den historischen Gutachten von Prof. Dr. G die Arbeitsleistung der beschäftigten Juden, für die Entgelt gezahlt wurde, der Versorgung des Ghettos und seiner Bewohner diente, ist das von den Arbeitgebern für die Arbeit des Einzelnen gezahlte Entgelt an deutsche Verbindungsstellen zur Weiterleitung an den Judenrat als Entgelt der beschäftigten Juden anzusehen.

Nach den für den Senat glaubhaften Bekundungen des Klägers ist dieser in der beschriebenen Form für seine Arbeit als Elektromechaniker bei der Deutschen Wehrmachtspost vergütet worden. Hierzu hat der Kläger bei seiner Anhörung vor dem Senat ausgeführt, dass er von dem örtlichen Chef der Deutschen Post wusste, dass Entgelt für die von ihm geleistete Arbeit an das deutsche Arbeitsamt gezahlt wurde. Zwar konnte sich der Kläger bei seiner Anhörung nicht daran erinnern, dass das Entgelt weiter an den Judenrat geflossen ist. Noch in seinem Antrag auf Anerkennung von Beschäftigungszeiten vom 24.08.2003 hat er hierzu angegeben, der Lohn sei an den Judenrat gezahlt worden. Dies hält der Senat für glaubhaft, weil diese Form der Lohnzahlung mit den historischen Fakten, wie sie in den Gutachten von Prof. Dr. G vom 29.09.2006 und 13.08.2007 dargelegt sind, übereinstimmen. Danach sind die Entgelte über die deutsche Arbeitsbehörde, also die Zivilverwaltung, an den Judenrat geleitet worden.

Entgeltlichkeit im Sinne des ZRBG liegt auch für die Zeit ab Übernahme der Funktion des Judenrates durch höhere Polizei-/SS-Formationen vor. Zwar soll im Oktober 1942 das Recht auf Lohnzahlung gestrichen worden sein, wie Prof. Dr. G in seinem Gutachten vom 23.12.2006 hierzu ausführt, wurde aber weiterhin Lohn, zum Teil in Naturalien, nunmehr an die SS-Formationen gezahlt. Mithin hat sich mit der Übernahme der Funktion des Judenrates durch SS-Einheiten nur die Kanalisation der Entgeltzahlungen geändert.

Die Berücksichtigung der Zeit von März 1941 bis März 1943 als Beitragszeit nach § 2 ZRBG ist nicht auf Grund der weiteren Regelungen im ZRBG ausgeschlossen. Wie sich aus der Auskunft der Beklagten an den Senat ergibt, bezieht der Kläger zwar eine Rente vom französischen Rentenversicherungsträger. Die hier streitige Zeit hat aber dort keine Berücksichtigung gefunden, sodass die Ausschlussregelung des § 1 Abs 1 S 1 2. Halbs. ZRBG nicht eingreift.

Dies gilt auch im Hinblick auf die Gewährung von Leistungen aus dem Zwangsarbeiter-Fonds. Ein Ausschlussgrund nach der genannten Vorschrift liegt vor, wenn für die Zeiten, die nach dem ZRBG als Beitragszeiten gelten, bereits eine Leistung aus einem anderen System erbracht wird. Damit sollen Doppelleistungen für denselben Sachverhalt aus einem System der sozialen Sicherheit ausgeschlossen werden (BT-Drucks 14, 8583). Die Zahlungen aus dem Zwangsarbeiter-Fond sind jedoch keine Leistungen aus einem System der sozialen Sicherheit.

Ein Ausschlussgrund für die Anerkennung der Ghetto-Zeiten als Beitragszeiten folgt auch nicht aus § 16 EVZ-Stiftungsgesetz (EVZStiftG). Nach Abs 1 der genannten Vorschrift können zwar Leistungen aus Mitteln der öffentlichen Hand einschließlich der Sozialversicherung nur nach dem EVZStiftG beantragt werden. Eventuell weitergehende Ansprüche in Zusammenhang mit nationalsozialistischem Unrecht sind ausgeschlossen. Auch gibt nach § 16 Abs 2 EVZStiftG jeder Leistungsberechtigte im Antragsverfahren eine Erklärung ab, dass er mit Erhalt einer Leistung nach dem EVZStiftG auf jede weitere Geltendmachung von Forderungen gegen die öffentliche Hand für Zwangsarbeit und Vermögensschaden unwiderruflich verzichtet. Der Verzicht wird mit Erhalt der Leistungen wirksam. Dennoch führen diese Regelungen nicht zu einer Verkürzung rentenrechtlicher Ansprüche der Betroffenen, die sich aus einer freiwilligen Beschäftigung gegen Entgelt ergeben. Das EVZStiftG sieht nur die Entschädigung von Zwangsarbeit vor, wie sich aus § 11 Abs 1 EVZStiftG ergibt. Nur soweit mit den Leistungen aus dem Zwangsarbeiter-Fonds Zwangsarbeit entschädigt wurde, kann daher der Leistungsausschluss nach § 16 EVZStiftG greifen. Ergibt sich demgegenüber, dass auch eine grundsätzlich versicherungspflichtige Beschäftigung im Sinne der Sozialversicherung ausgeübt wurde, Zwangsarbeit insoweit gerade nicht vorliegt, stehen der Berücksichtigung dieser Beschäftigungszeiten im System der gesetzlichen Rentenversicherung nicht die Ausschlussregelungen des EVZStiftG entgegen. Da der Kläger neben den hier nach dem ZRBG zu berücksichtigenden Beschäftigungszeiten von März 1941 bis März 1943 auch noch Zwangsarbeit zB im Arbeitslager K -P verrichtet hat, hat der Kläger auch zu Recht zusätzlich Stiftungsleistungen bezogen.

Weitere Voraussetzungen für die Anerkennung der Zeit von März 1941 bis März 1943 als Beitragszeit sind nach dem ZRBG nicht erforderlich. Insbesondere ist nicht zu prüfen, ob der Kläger dem deutschen Sprach- und Kulturkreis (dSK) zugehörig ist (BSG, Urteil vom 26.07.2007, Az.: B 13 R 26/06 R), wovon der Senat jedoch aufgrund der Anhörung des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung überzeugt ist.

Neben den Ghetto-Arbeitszeiten sind auf die allgemeine Wartezeit auch verfolgungsbedingte Ersatzzeiten nach § 50 Abs 1 Nr 4 SGB VI anzurechnen. Hierzu hat die Beklagte im Termin zur mündlichen Verhandlung ein Anerkenntnis abgegeben.

Mit den genannten Zeiten erfüllt der Kläger die allgemeine Wartezeit für den Anspruch auf Regelaltersrente. Da er den Antrag im Juni 2003 bei der Beklagten gestellt hat, findet § 3 Abs 1 S 1 ZRBG Anwendung, sodass rückwirkend zum 01.06.1997 Regelaltersrente zu gewähren ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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