L 32 AS 1857/07

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
32
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 99 AS 16223/07
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 32 AS 1857/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 04. September 2007 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten begehren von dem Beklagten die Zusicherung für die Übernahme von Umzugskosten und die Übernahme höherer Mietkosten für eine größere Wohnung.

Das Sozialgericht hat hierzu folgenden Sachverhalt festgestellt, den der Senat nach eigener Prüfung als zutreffend übernimmt:

Die Kläger, der im Jahre 1963 geborene Kläger zu 1), dessen im Jahre 1969 geborene Ehefrau, die Klägerin zu 2), sowie die 1989 (der Kläger zu 3)) bzw. 1991 (die Klägerin zu 4)) geborenen Kinder der Kläger zu 1) und 2) leben als Bedarfsgemeinschaft in der derzeitigen Wohnung F. Die Wohnung verfügt über eine Wohnfläche von 55,71 m² sowie über 2 ½ Zimmer, eine Küche und ein Bad.

Die Kläger beantragten am 20. Februar 2007 die Erteilung einer Mietkostenübernahmeerklärung für die Wohnung in der Fstraße. Insofern legten sie ein Wohnungsangebot wegen der Wohnung in der Fstraße vor. Die Wohnung verfügt über 3 ½ Zimmer bei einer Wohnfläche von 93,67 m². Die Gesamtwarmmiete beträgt danach 619,00 EUR im Monat. Zur Begründung machten sie geltend, dass die derzeitige Wohnung für eine vierköpfige Familie zu klein sei. Das Intimleben werde dadurch gestört. Oft gäbe es Streit um Bad/WC. Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 23. Februar 2007 mit der Begründung ab, dass der Umzug nicht erforderlich sei, da angemessener Wohnraum vorhanden sei.

Die Kläger erhoben gegen diese Entscheidung am 01. März 2007 Widerspruch, der mit Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 03. Juli 2007 zurückgewiesen wurde. Zur Begründung wurde nochmals ausgeführt, dass ausreichender Wohnraum vorhanden sei. Insbesondere lägen keine unzumutbaren, beengten Wohnverhältnisse i. S. der AV Wohnen Nr. 9.4 Abs. 5 Bst. f) vor.

Mit am 18. Juli 2007 erhobener Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter. Zur Begründung machen sie insbesondere geltend, dass im Hinblick auf das fortgeschrittene Alter der Kläger zu 3) und 4) sowie darauf, dass es sich bei ihnen um verschieden geschlechtliche Geschwister handeln würde, erforderlich sei, dass sie jeweils über ein eigenes Zimmer verfügen könnten.

Das Sozialgericht hat mit Gerichtsbescheid vom 04. September 2007 den angefochtenen Bescheid aufgehoben und den Beklagten verpflichtet, die Übernahme der Kosten der Wohnung Fstraße , B, Vorderhaus, 2. Obergeschoss Nr. 3 rechts, sowie der Umzugskosten zuzusichern.

Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt:

Gemäß § 22 Abs. 2 SGB II soll der Hilfebedürftige vor Abschluss eines Vertrages über eine neue Unterkunft die Zusicherung des für die Leistungserbringung bisher örtlich zuständigen kommunalen Trägers zu den Aufwendungen für die neue Unterkunft einholen. Nach Satz 2 der Regelung ist der kommunale Träger nur zur Zusicherung verpflichtet, wenn der Umzug erforderlich ist und die Aufwendungen für die neue Unterkunft angemessen sind.

Außer Frage steht hier, dass die Aufwendungen für die neue Unterkunft in der Fstraße angemessen sind. Dies folgt daraus, dass bereits nach der AV Wohnen i. d. F. vom 30. Mai 2006 Nr. 4 Abs. 2 für einen Vierpersonenhaushalt eine Brutto-Warmmiete von 619,00 EUR als angemessen bezeichnet wird und das Angebot bezüglich der Wohnung in der Fstraße als Brutto-Warmmiete einschließlich aller Kosten gerade diesen Betrag ausweist.

Darüber hinaus ist der Umzug im Gegensatz zur Auffassung des Beklagten auch erforderlich im Sinne der gesetzlichen Regelung. Dahingestellt bleiben kann dabei, in welcher Weise die Regelung der AV Wohnen Nr. 9.4 Abs. 5 Bst. f), wonach unzumutbar beengte Wohnverhältnisse in der Regel dann vorliegen, wenn "nicht mindestens folgender Wohnraum (ohne Küche und Nebenräume) zur Verfügung steht: für vier und fünf Personen drei Wohnräume mit insgesamt 65 m² Wohnfläche der Wohnung", zu verstehen ist, denn eine solche Verwaltungsvorschrift vermag zwar Bindungswirkungen gegenüber der Behörde zu erlangen, ggf. auch eine Indizwirkung für die Auslegung gesetzlicher Vorschriften, in keinem Falle kann sie jedoch eine Bindungswirkung gegenüber den Gerichten bei der Auslegung formellen gesetzlichen Rechtes wie hier des § 22 Abs. 2 SGB II zu erlangen.

In Übereinstimmung mit der Auffassung des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 27. Juni 2007 l 10 B 854/07 AS ER ist die Frage, ob ein Umzug erforderlich ist, danach zu beurteilen, ob im vorliegenden Einzelfall objektive Gründe von Gewicht für den Umzug sprechen. Solch Gesichtspunkte sind darin zu erblicken, dass insbesondere die Kläger zu 3) und 4) einen Anspruch auf jeweils ein eigenes Zimmer haben. Zwar geht auch das Gericht davon aus, dass es bei jüngeren Kindern möglicherweise angemessen sein mag, wenn sich diese ein Zimmer teilen. Hier handelt es sich jedoch um zwei verschieden geschlechtliche Jugendliche bzw. Heranwachsende, denen offensichtlich ein eigener Raum zur Verfügung stehen muss. Insofern ist zum einen zu berücksichtigen, dass gerade junge Menschen wie die Kläger zu 3) und 4) einen möglichst geschützten Raum zur Entwicklung eigenständiger Persönlichkeiten nicht zuletzt auch in sexueller Hinsicht beanspruchen können. Darüber hinaus auch der Umstand, dass beide Kläger noch die Schule besuchen, sodass ihnen ebenfalls von Beeinträchtigungen und Störungen freigehaltene Räume zur Erledigung ihrer Arbeiten für die Schule zur Verfügung stehen müssen.

Gegen diesen dem Beklagten am 19. September 2007 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich dessen Berufung vom 18. Oktober 2007, zu deren Begründung vorgetragen wird, es träfe nicht zu, dass Jugendliche verschiedenen Geschlechts mit zunehmendem Alter jeweils ein eigenes Zimmer benötigten. Es sei vielmehr umgekehrt so, dass ältere Kinder erst Recht in einem Zimmer leben könnten, da es Heranwachsenden möglich sei, sich in dem zur Verfügung stehenden Wohnraum zu arrangieren.

Der Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 04. September 2007 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Einen Antrag des Beklagten, die Vollstreckung aus dem erstinstanzlichen Urteil auszusetzen, hat der Senat mit Beschluss vom 29. Oktober 2007 abgelehnt.

Die Kläger haben im Gefolge von der durch das Sozialgericht ausgeurteilten Zusicherung Gebrauch gemacht und die neue Wohnung bezogen.

Die Beteiligten haben übereinstimmend ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Berichterstatters ohne mündliche Verhandlung über die Berufung erklärt.

Wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten (Az.: ) verwiesen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht erhoben, somit insgesamt zulässig.

Über sie konnte der Berichterstatter des Senats ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten übereinstimmend ihr Einverständnis mit einem derartigen Verfahren erklärt haben (§§ 124, 125, 155 Sozialgerichtsgesetz SGG ).

Die Berufung ist jedoch nicht begründet.

Den Klägern steht die begehrte Zusicherung zu, so dass das dies aussprechende Urteil des Sozialgerichts keiner Beanstandung unterliegt.

Der Senat sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, da er die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist (§ 153 Abs. 2 SGG).

Auf den Einwand des Beklagten sei nochmals dargelegt, dass dieser nicht überzeugt:

Es trifft zwar zu, dass Jugendliche mit heranwachsendem Alter eine höhere Einsichtsfähigkeit entwickeln und daher grundsätzlich in der Lage sind, Fähigkeiten zu entwickeln, die es ihnen ermöglichen, auch Lebensumstände zu beherrschen, die ungünstig sind. Der intellektuellen Reifung jedoch steht die Zunahme der im Wesentlichen nicht rational, sondern gefühlsgesteuerten geschlechtlichen Reifung gegenüber, die dazu führt, dass sich die Scham und das Unvermögen pubertierender Jugendlicher gegenübersteht, sich mit ihrer entwickelnden Geschlechtlichkeit so auseinanderzusetzen, dass es ihnen zumutbar erscheint, mit einer Person des anderen Geschlechts ein Zimmer zu teilen. In Anbetracht der herrschenden Inzestschranke unter Geschwistern trifft dies auf solche in verstärktem Maße zu. Von daher ist es zur Überzeugung des Senats nicht so, dass pubertierende, verschieden geschlechtliche Jugendliche, die als Kinder in einem Raum gelebt haben, dieses erst Recht können, wenn sie älter geworden sind, sondern dass dieses Zusammenwohnen dann nicht mehr zumutbar ist. Für eine vierköpfige Familie ist eine 2 ½ Zimmerwohnung von 55,71 m² im Übrigen ohnehin nicht angemessen, so dass auf eine andere Verteilung der Räume, wie von dem Beklagten angemerkt, nicht weiter einzugehen ist, unabhängig davon, dass schlecht vorstellbar ist, wie in einer kleinen 2 ½ Zimmerwohnung diese Aufteilung vorgenommen werden soll.

Die Berufung des Beklagten war daher mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen.

Für die Revision ist keiner der in § 160 Abs. 2 dargelegten Gründe gegeben.
Rechtskraft
Aus
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