Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 7 KR 300/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 297/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 3 KR 3/08 R
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 14. September 2005 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Rückerstattung der Praxisgebühr in Höhe von 30,00 Euro für das 1. bis 3. Quartal im Jahr 2005.
Der 1944 geborene und bei der Beklagten pflichtversicherte Kläger beantragte bei ihr am 1. Dezember 2004 und 24. Januar 2005 die Befreiung von der Praxisgebühr, die er für verfassungswidrig hält. Er hatte am 3. Januar 2005 beim Aufsuchen des Allgemeinarztes Dr. L. (U.) für das 1. Quartal 2005 die Praxisgebühr in Höhe von 10,00 Euro entrichtet. Weitere Zahlungen der Praxisgebühr von jeweils 10,00 Euro erfolgten am 4. April 2005 und 4. Juli 2005 bei diesem Arzt für Behandlungen im 2. und 3. Quartal 2005.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 2. März 2005 eine allgemeine Befreiung von der Praxisgebühr ab und verwies auf die Belastungsgrenze von 2% der jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt bzw. von 1% für chronisch Kranke. Der Kläger machte mit dem dagegen eingelegten Widerspruch vom 7. März 2005 unter Bezugnahme auf einen Aufsatz in der Zeitschrift "Die Sozialgerichtsbarkeit 2004 (Heft 7/2004)" geltend, die Praxisgebühr sei verfassungswidrig.
Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 9. Juni 2005 den Widerspruch zurück. Die einschlägigen gesetzlichen Regelungen seien rechtmäßig, wie das Sozialgericht Berlin und das Landessozialgericht Berlin bestätigt hätten.
Der Kläger hat mit der Klage vom 7. Juli 2005 beim Sozialgericht Nürnberg (SG) die Rückerstattung der gezahlten Praxisgebühr beantragt sowie den Antrag gestellt, ihn für die Zukunft von der Zahlung der Gebühr zu befreien. Zur Begründung hat er sich wieder auf den o.g. Aufsatz sowie einen weiteren Aufsatz einer Vorsitzenden Richterin am LSG Niedersachsen-Bremen bezogen, die die Praxisgebühr gleichfalls für verfassungswidrig hält (Gesundheitsrecht Heft 1/2004).
Das SG hat mit Urteil vom 14. September 2005 die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Der Kläger sei zur Zahlung der Praxisgebühr verpflichtet gewesen und habe demnach keinen Rückerstattungsanspruch. Ein Befreiungstatbestand für die Zahlung der Praxisgebühren im Jahr 2005 liege unter Beachtung der Belastungsobergrenze nicht vor. Der Gesetzgeber habe mit der Praxisgebühr beabsichtigt, dass die Versicherten, wie auch die übrigen Beteiligten der gesetzlichen Krankenversicherung, einen zusätzlichen Beitrag zur Konsolidierung der Finanzen leisten. Er habe durch die Überforderungsregelung die Versicherten vor unzumutbaren finanziellen Belastungen geschützt. Die Praxisgebühr als Instrument der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung sei entgegen den Autoren der Aufsätze nicht systemwidrig, sondern vom gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum gedeckt.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers vom 27. Oktober 2005, mit der er erneut unter Bezugnahme auf die genannten Veröffentlichungen geltend macht, die gesetzliche Regelung der Praxisgebühr sei verfassungswidrig.
Er beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 14. September 2005 und den Bescheid der Beklagten vom 2. März 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Juni 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die geleisteten Zuzahlungen nach § 28 Abs. 4 SGB V in Höhe von 30,00 Euro zu erstatten, hilfsweise die Revision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden die Akten der Beklagten und des SG. Auf den Inhalt der beigezogenen Akten und die Sitzungsniederschrift wird im Übrigen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die frist- und formgerecht eingelegte und vom Sozialgericht zugelassene Berufung ist zulässig (§§ 143, 144 Abs. 1 S. 1, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Die Berufung ist unbegründet; das SG hat zu Recht die Klage abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rückerstattung der im Jahr 2005 gezahlten Praxisgebühren von zusammen 30,00 Euro.
Es ist denkbar als Anspruchsgrundlage § 26 Abs. 2 Sozialgesetzbuch IV heranzuziehen, wenn man (wie hier) in der Praxisgebühr eine besondere Form der Beitragszahlung sieht. Dieser Rückerstattungsanspruch greift aber nicht durch, weil nach der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung der Anspruch ausgeschlossen ist, wenn für den einschlägigen Zeitraum Leistungen erbracht worden sind. Dies ist hier der Fall, da gemäß § 28 Abs. 4 Sozialgesetzbuch V in der Fassung vom 14. November 2003 (BGBl I S. 2190), die zum 1. Januar 2005 in Kraft getreten ist, die Zahlung der Praxisgebühr die Inanspruchnahme einer Leistung voraussetzt, unabhängig von der Mitgliedschaft als Grundlage eines Leistungsanspruchs.
Anspruchsgrundlage für die geltend gemachte Rückerstattung der Praxisgebühren ist mangels einer besonderen gesetzlichen Regelung der allgemeine, öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch. Dieser Anspruch kann auf Rückzahlung zu Unrecht gewährter öffentlich-rechtlicher Leistungen gegen begünstigte Versicherte zielen, aber auch gegen andere Versicherungsträger oder auch von einem Bürger gegen einen Versicherungsträger gerichtet werden. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgericht (BSG, Urteil vom 11. Oktober 1994, BSGE 75, 167) handelt es sich bei diesem Erstattungsanspruch um ein von der Rechtsprechung und Rechtslehre allgemein anerkanntes Rechtsinstitut. Es gilt im öffentlichen Recht auch ohne ausdrückliche Normierung der allgemeine Grundsatz, dass Leistungen, die eines rechtlichen Grundes entbehren, zu erstatten sind.
Der geltend gemachte Rückzahlungsanspruch, dem ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis zu Grunde liegt, scheitert nicht schon daran, dass der Kläger die Zuzahlung an den Vertragsarzt und nicht an die Krankenkasse gezahlt hat. Wie bereits im früheren Recht (§ 31 Abs. 3 Sozialgesetzbuch V a.F. - SGB V a.F.), dem § 28 Abs. 4 SGB V nachgebildet ist, ist die Krankenkasse Inhaberin des Anspruchs auf Zuzahlung, auch wenn sie von einer anderen Stelle eingezogen wird (BSG a.a.O.). Daran ändert auch nichts der Umstand, dass dem Vertragsarzt die Inkassotätigkeit obliegt. Er hat in diesem Zusammenhang nach § 13 Abs. 7 Bundesmantelvertrag-Ärzte ein eingeschränktes Leistungsverweigerungsrecht. Danach ist er berechtigt, die Behandlung eines Versicherten, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, abzulehnen, wenn dieser nicht vor Behandlung sowohl die Krankenversichertenkarte vorlegt als auch in den in § 28 Abs. 4 SGB V i.V.m. § 18 Abs. 1 bestimmten Fällen eine Zuzahlung von 10,00 Euro leistet. Dies gilt nicht bei akuter Behandlungsbedürftigkeit sowie für die nicht persönliche Inanspruchnahme des Vertragsarztes durch den Versicherten. Wesentlich in diesem Zusammenhang für die Frage des Anspruchsgegners ist § 43b Abs. 2 SGB V, wonach der Vertragsarzt Zuzahlungen einzubehalten hat, die Versicherte nach § 28 Abs. 4 SGB V zu entrichten haben. Sein Vergütungsanspruch gegenüber der Krankenkasse, der Kassenärztlichen oder Kassenzahnärztlichen Vereinigung mindert sich entsprechend. Die nach § 83 SGB V zu entrichtenden Vergütungen verringern sich in Höhe der Summe der von den mit der Kassenärztlichen oder Kassenzahnärztlichen Vereinigung abrechnenden Leistungserbringern einbehaltenen Zuzahlungen. Daraus ergibt sich, dass bei der erfolgten Zuzahlung die Krankenkasse einen finanziellen Vorteil hat, weil sie insoweit entlastet wird. Aus der Stellung des Vertragsarztes im System der gesetzlichen Krankenversicherung und aus § 43b Abs. 2 SGB V folgt, dass das maßgebliche Leistungsverhältnis und damit der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch zwischen dem Versicherten und der Krankenkasse gegeben ist.
Der Kläger hat die Zuzahlungen mit rechtlichem Grund entrichtet. Gemäß § 28 Abs. 4 S. 1 SGB V in der im Jahr 2005 geltenden Fassung haben Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, je Kalendervierteljahr für jede erste Inanspruchnahme eines an der ambulanten ärztlichen, zahnärztlichen oder psychotherapeutischen Versorgung teilnehmenden Leistungserbringers, die nicht auf Überweisung aus demselben Kalendervierteljahr erfolgt, als Zuzahlung den sich nach § 61 S. 2 ergebenden Betrag an den Leistungserbringer zu leisten. S. 1 gilt nicht für die Inanspruchnahme nach §§ 23 Abs. 9, 25 (Schutzimpfungen, Gesundheitsuntersuchungen), zahnärztlichen Untersuchungen nach § 55 Abs. 1 S. 4 und 5 sowie Maßnahmen zur Schwangerenvorsorge nach § 196 Abs. 1 RVO und § 23 Abs. 1 KVLG. § 61 S. 2 SGB V regelt, dass als Zuzahlung 10,00 Euro erhoben werden. Der Gesetzgeber hat mit dem GKV-Modernisierungsgesetz vom 14. November 2003 (a.a.O.) mit Wirkung vom 1. Januar 2005 diese sog. Praxisgebühr eingeführt, deren Zweck es ist, zur finanziellen Konsolidierung der gesetzlichen Krankenversicherung einen Beitrag der Versicherten herbeizuführen und von diesen eine höhere Eigenverantwortung zu verlangen. Die Praxisgebühr soll die Zahl ärztlicher Kontakte auf ein notwendiges Mindestmaß beschränken und u.a. dazu beitragen, dass Fachärzte nur auf Überweisung konsultiert werden (Kassler Kommentar-Höfler, § 28 SGB V, Rdnr. 30 m.w.H. auf die Gesetzesbegründung, Bundestags-Drucksache 15/1525, S. 83).
Diese gesetzliche Regelung ist entgegen dem Kläger, der sich auf zwei Aufsätze in der Fachliteratur beruft, nicht verfassungswidrig. Der Aufsatz von Hagedorn (Die Sozialgerichtsbarkeit 2004, 404 f.) nimmt einen Verstoß gegen Art. 80 Abs. 1 Grundgesetz an, weil die o.g. untergesetzliche Regelung nicht im Wege einer Rechtsverordnung, sondern durch den Bundesmantelvertrag vorgenommen wurde sowie unter mehreren Gesichtspunkten einen Verstoß gegen das Grundrecht der Berufsfreiheit der Vertragsärzte. Insoweit sei die Vorschrift untauglich, einen häufigen Arztwechsel zu verhindern und belaste den Vertragsarzt mit einer zusätzlichen Aufgabe ohne entsprechenden Honoraranspruch. Im Übrigen sei sie eine unzulässige Finanzierungsabgabe und als solche im solidarischen Finanzierungssystem systemwidrig. Der andere Aufsatz der Vorsitzenden Richterin am LSG Niedersachsen-Bremen (Gesundheitsrecht 2004, 1 f.) hält die Praxisgebühr für eine neue Form der Belastung des Versicherten. Sie führe zu einer Doppelbelastung für dieselbe Leistung, die der Versicherte durch seinen Beitrag bereits bezahlt habe. Sie sei damit ein Sonderopfer, das gegen den Eigentumsgrundsatz aus Art. 14 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verstößt. Diesen Auffassungen kann nicht gefolgt werden.
Im vorliegenden Fall kommt es nur auf die Rechtsverhältnisse des Versicherten zu seiner Krankenkasse an, nicht auf die den Vertragsarzt einbeziehenden Rechtsverhältnisse zur Kassenärztlichen Vereinigung bzw. zur Krankenkasse. Damit kann die Frage offen bleiben, ob die §§ 28 Abs. 4, 43b Abs. 2 SGB V die ärztliche Berufsfreiheit einschränken (Art. 12 GG). Ebenso irrelevant ist hier die Frage der Normdelegation im Wege des BMV-Ä, weil es hier vorrangig auf die gesetzliche Regelung des § 28 Abs. 4 SGB V ankommt. Die angegriffenen Regelungen verletzen nicht den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG), sie sind insbesondere auch nicht systemwidrig. Der allgemeine Gleichheitssatz verpflichtet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist dem Gesetzgeber jedoch nicht jede Differenzierung verwehrt. Der Gleichheitssatz ist erst dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können. Welche Elemente für den Vergleich der Lebensverhältnisse maßgebend sind, liegt im Ermessen des Gesetzgebers. Nur dort, wo sich sachliche Unterschiede vom Gericht nicht mehr feststellen lassen, sind die Grenzen des gesetzgeberischen Ermessens überschritten. Zu berücksichtigen ist hier zudem, dass bei der Ordnung von Massenerscheinungen der Gesetzgeber berechtigt ist, generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelung zu verwenden. Eine gesetzliche Regelung kann jedoch anhand des Gleichheitssatzes nicht daraufhin überprüft werden, ob der Gesetzgeber im Einzelfall die zweckmäßigste, vernünftigste und gerechteste Lösung gewählt hat (Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 7. Aufl., Art. 3, Rdnrn. 15, 24, 54 mit Nachweisen der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts).
Dem Gesetzgeber ging es bei der Einführung der Praxisgebühr nicht nur - wie bereits ausgeführt wurde - um eine Steigerung der Effizienz und Qualität der medizinischen Versorgung, sondern auch um die Vermeidung einer weiteren Beitragssatzsteigerung, da diese zur steigenden Arbeitslosigkeit beiträgt. Da eine Rationierung der Leistungen zu Lasten der Versicherten nicht infrage kam, war für ihn der sozial gerechtere Weg, auch die Versicherten an spezifischen Krankheitskosten zu beteiligen unter Berücksichtigung sozialer Belange. Zu diesem Zweck hat er für die Versicherten die Zuzahlungsregelungen neu gestaltet, Überforderungsregelungen eingeführt und auch die anderen Beteiligten am System der gesetzlichen Krankenversicherung einer Belastung unterzogen (Bundestags-Drucksache, a.a.O., S. 71, 83, 84). Dieser vom Gesetzgeber eingeschlagene Weg begegnet unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes keinerlei rechtlichen Bedenken. Insbesondere lässt sich hierin keine willkürliche Maßnahme sehen; die Versicherten können in Anbetracht der vom Gesetzgeber oben genannten verfolgten Ziele nicht mit Recht verlangen, dass nur sie von Maßnahmen verschont bleiben, die dem Erhalt des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung dienen.
Unter diesem Aspekt sind Zuzahlungen ein geeignetes und erforderliches Mittel zur Erhaltung der Effektivität, Effizienz und Qualität der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Sie sind geeignet, die Eigenverantwortung des Versicherten zu stärken und dienen dazu, Versicherte von der Inanspruchnahme nicht erforderlicher ärztlicher Behandlungen abzuhalten. Dies führt zu einer Einsparung von Kosten bei den Krankenkassen und einer Entlastung der Solidargemeinschaft der Krankenversicherten insofern, als Beitragssatzsteigerungen vermieden werden können. Neben der Steuerung der Häufigkeit der Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen trägt die Praxisgebühr auch dazu bei, dass von den Versicherten zunächst die Hausärzte aufgesucht werden, die die Versicherten dann an die entsprechenden Fachärzte überweisen, wenn deren speziellen Kenntnisse und Fähigkeiten zur fachgerechten Behandlung medizinisch erforderlich sind.
Die Praxisgebühr ist zudem ein geeignetes, erforderliches und angemessenes Mittel zur Konsolidierung der Finanzen der gesetzlichen Krankenversicherung. Auch hier ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber ein weites Ermessen hat, zur Sicherung des Bestandes der gesetzlichen Krankenversicherung (insbesondere zur Aufrechterhaltung des Sachleistungsprinzips) eine Form der Finanzierung einzuführen, die gleichzeitig eine Mengensteuerung bewirkt. Nach Auffassung des Senats ist unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit (Art. 20 Abs. 3 GG) die Praxisgebühr zur Erreichung dieses Ziels eine im allgemeinen sachgerechte Lösung.
Sie ist nicht systemwidrig und verletzt nicht die Grundsätze der solidarischen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung gemäß § 3 SGB V, wonach die Leistungen und sonstigen Ausgaben der Krankenkassen durch Beiträge finanziert werden, die in der Regel von den Mitgliedern und Arbeitgebern aufgebracht werden. Der Grundsatz der solidarischen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung bedeutet, dass, anders als in der privaten Krankenversicherung, die Beiträge sich nicht am individuellen Risiko und einem vereinbarten Leistungsumfang orientieren, sondern an der Höhe der beitragspflichtigen Einnahmen des Versicherten. Auf diese Weise ergibt sich ein Ausgleich zwischen leistungsfähigeren und weniger leistungsfähigen Versicherten. Bei gleichen Leistungen finanzieren die Versicherten mit höheren beitragspflichtigen Einnahmen die Leistungen der finanziell schwächeren Versicherten mit. Es findet auch damit ein Ausgleich zwischen guten und schlechten Gesundheitsrisiken statt. Der Familienlastenausgleich erfolgt über die Familienversicherung gemäß § 10 SGB V. An dieser Regelung ändert die Praxisgebühr nichts.
Es kann auch nicht anhand der von vornherein eingeschränkten gesetzlichen Regelung des § 28 Abs. 4 SGB V sowie der Überforderungsklausel (§§ 61, 62 SGB V) davon ausgegangen werden, dass die Praxisgebühr ein zusätzlicher Beitrag zur direkten Finanzierung der ärztlichen Behandlung ist. Vielmehr handelt es sich hierbei um eine den Beiträgen zuzuordnende Finanzierung zur Steuerung der Häufigkeit der Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen, damit einer weit verbreiteten, aber irrigen Einstellung der Versicherten begegnet werden kann, dass die ärztliche Behandlung durch die Beiträge bereits bezahlt sei und demzufolge auch erbracht werden müsse. Dieser Gedanke ist mit dem Wesen einer Versicherung, das in der Risikoverteilung und -übernahme liegt, nicht zu vereinbaren. Damit kann den in der oben genannten Fachliteratur angestellten Überlegungen nicht gefolgt werden, die Praxisgebühr sei ein unzulässiges Finanzierungsinstrument und bewirke eine Doppelbelastung sowie doppelte Bezahlung der ärztlichen Behandlung. Im Gegenteil führt die Praxisgebühr zu einer mit der ärztlichen Behandlung verbundenen geringfügigen Verschiebung der Beitragslast dazu, dass die solidarische Finanzierung bei einer quantitativ ausreichenden und qualitativ hochwertigen ärztlichen Behandlung erhalten bleiben kann und daher größere Beitragssatzerhöhungen vermieden werden können. Im Verhältnis zum gesamten Beitragsaufkommen der gesetzlichen Krankenkassen spielt die Praxisgebühr nur eine Nebenrolle.
Es ist auch nicht zu erkennen, dass der Kläger im Vergleich zu anderen Versicherten willkürlich benachteiligt wird (Art. 3 Abs. 1 GG). Denn jeder erwachsene Versicherte, der eine ärztliche Behandlung in einem Quartal in Anspruch nimmt, muss die Praxisgebühr zahlen. § 28 Abs. 4 SGB V macht aber von vornherein zahlreiche detaillierte Einschränkungen, da die Regelung nur Versicherte mit vollendetem 18. Lebensjahr betrifft, bei der ambulanten Inanspruchnahme eines ärztlichen, zahnärztlichen oder psychotherapeutischen Leistungserbringers anfällt, nur bei der ersten Inanspruchnahme je Kalendervierteljahr zu zahlen ist und nicht bei Vorsorgeleistungen erhoben wird. Daraus ergibt sich im Übrigen, dass eine weitere Praxisgebühr nicht anfällt, wenn ein Versicherter im identischen Quartal an einen Facharzt überwiesen wird.
In der angegriffenen Regelung liegt auch keine Verletzung des Sozialstaatsprinzips und des Schutzes des Eigentums. Das in Art. 20 Abs. 1 GG verankerte Sozialstaatsprinzip verpflichtet den Gesetzgeber zur Fürsorge für Hilfsbedürftige, zur Schaffung sozialer Sicherungssysteme gegen die Wechselfälle des Lebens, zur Chancengleichheit und zur Schaffung einer gerechten Sozialordnung (Jarass/Pieroth, a.a.O., Art. 20, Rdnr. 102 ff. m.w.N.). Wegen seiner Unbestimmtheit bedarf es jedoch in besonderem Maße der Konkretisierung, subjektive Rechte ergeben sich aus diesem Prinzip regelmäßig nicht. Ferner ist zu berücksichtigen, dass auch hier der Gesetzgeber einen weiten Spielraum hat, wie er die einzelnen sozialen Rechte und Belastungen ausgestaltet (Jarass/Pieroth, a.a.O., Rdnr. 114 m.w.N.).
Art. 14 Abs. 1 GG ist gleichfalls nicht verletzt, da der Gesetzgeber beim Schutz des Eigentums im Bereich der Sozialversicherung ebenfalls weite Gestaltungsmöglichkeiten hat. Unzulässig sind zwar übermäßige Belastungen ebenso wie einseitige, willkürliche Benachteiligungen bestimmter Gruppen von Versicherten. Hiervon kann aber bei der Praxisgebühr angesichts der o.g. gesetzlichen Einschränkungen im Geltungsbereich nicht die Rede sein. Der Gesetzgeber hat außerdem durch die Verweisung auf § 61 SGB V in § 28 Abs. 4 SGB V eine Überforderungsklausel eingefügt. Dies führt zu einer Begrenzung der Praxisgebühr auf 10,00 Euro. Eine Belastungsgrenze von 2 v.H. oder 1 v.H. für chronisch Kranke bei schwerwiegenden Krankheiten in Dauerbehandlung ergibt sich aus § 62 SGB V.
Die Kostentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache die Revision zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Rückerstattung der Praxisgebühr in Höhe von 30,00 Euro für das 1. bis 3. Quartal im Jahr 2005.
Der 1944 geborene und bei der Beklagten pflichtversicherte Kläger beantragte bei ihr am 1. Dezember 2004 und 24. Januar 2005 die Befreiung von der Praxisgebühr, die er für verfassungswidrig hält. Er hatte am 3. Januar 2005 beim Aufsuchen des Allgemeinarztes Dr. L. (U.) für das 1. Quartal 2005 die Praxisgebühr in Höhe von 10,00 Euro entrichtet. Weitere Zahlungen der Praxisgebühr von jeweils 10,00 Euro erfolgten am 4. April 2005 und 4. Juli 2005 bei diesem Arzt für Behandlungen im 2. und 3. Quartal 2005.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 2. März 2005 eine allgemeine Befreiung von der Praxisgebühr ab und verwies auf die Belastungsgrenze von 2% der jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt bzw. von 1% für chronisch Kranke. Der Kläger machte mit dem dagegen eingelegten Widerspruch vom 7. März 2005 unter Bezugnahme auf einen Aufsatz in der Zeitschrift "Die Sozialgerichtsbarkeit 2004 (Heft 7/2004)" geltend, die Praxisgebühr sei verfassungswidrig.
Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 9. Juni 2005 den Widerspruch zurück. Die einschlägigen gesetzlichen Regelungen seien rechtmäßig, wie das Sozialgericht Berlin und das Landessozialgericht Berlin bestätigt hätten.
Der Kläger hat mit der Klage vom 7. Juli 2005 beim Sozialgericht Nürnberg (SG) die Rückerstattung der gezahlten Praxisgebühr beantragt sowie den Antrag gestellt, ihn für die Zukunft von der Zahlung der Gebühr zu befreien. Zur Begründung hat er sich wieder auf den o.g. Aufsatz sowie einen weiteren Aufsatz einer Vorsitzenden Richterin am LSG Niedersachsen-Bremen bezogen, die die Praxisgebühr gleichfalls für verfassungswidrig hält (Gesundheitsrecht Heft 1/2004).
Das SG hat mit Urteil vom 14. September 2005 die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Der Kläger sei zur Zahlung der Praxisgebühr verpflichtet gewesen und habe demnach keinen Rückerstattungsanspruch. Ein Befreiungstatbestand für die Zahlung der Praxisgebühren im Jahr 2005 liege unter Beachtung der Belastungsobergrenze nicht vor. Der Gesetzgeber habe mit der Praxisgebühr beabsichtigt, dass die Versicherten, wie auch die übrigen Beteiligten der gesetzlichen Krankenversicherung, einen zusätzlichen Beitrag zur Konsolidierung der Finanzen leisten. Er habe durch die Überforderungsregelung die Versicherten vor unzumutbaren finanziellen Belastungen geschützt. Die Praxisgebühr als Instrument der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung sei entgegen den Autoren der Aufsätze nicht systemwidrig, sondern vom gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum gedeckt.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers vom 27. Oktober 2005, mit der er erneut unter Bezugnahme auf die genannten Veröffentlichungen geltend macht, die gesetzliche Regelung der Praxisgebühr sei verfassungswidrig.
Er beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 14. September 2005 und den Bescheid der Beklagten vom 2. März 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Juni 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die geleisteten Zuzahlungen nach § 28 Abs. 4 SGB V in Höhe von 30,00 Euro zu erstatten, hilfsweise die Revision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden die Akten der Beklagten und des SG. Auf den Inhalt der beigezogenen Akten und die Sitzungsniederschrift wird im Übrigen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die frist- und formgerecht eingelegte und vom Sozialgericht zugelassene Berufung ist zulässig (§§ 143, 144 Abs. 1 S. 1, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Die Berufung ist unbegründet; das SG hat zu Recht die Klage abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rückerstattung der im Jahr 2005 gezahlten Praxisgebühren von zusammen 30,00 Euro.
Es ist denkbar als Anspruchsgrundlage § 26 Abs. 2 Sozialgesetzbuch IV heranzuziehen, wenn man (wie hier) in der Praxisgebühr eine besondere Form der Beitragszahlung sieht. Dieser Rückerstattungsanspruch greift aber nicht durch, weil nach der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung der Anspruch ausgeschlossen ist, wenn für den einschlägigen Zeitraum Leistungen erbracht worden sind. Dies ist hier der Fall, da gemäß § 28 Abs. 4 Sozialgesetzbuch V in der Fassung vom 14. November 2003 (BGBl I S. 2190), die zum 1. Januar 2005 in Kraft getreten ist, die Zahlung der Praxisgebühr die Inanspruchnahme einer Leistung voraussetzt, unabhängig von der Mitgliedschaft als Grundlage eines Leistungsanspruchs.
Anspruchsgrundlage für die geltend gemachte Rückerstattung der Praxisgebühren ist mangels einer besonderen gesetzlichen Regelung der allgemeine, öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch. Dieser Anspruch kann auf Rückzahlung zu Unrecht gewährter öffentlich-rechtlicher Leistungen gegen begünstigte Versicherte zielen, aber auch gegen andere Versicherungsträger oder auch von einem Bürger gegen einen Versicherungsträger gerichtet werden. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgericht (BSG, Urteil vom 11. Oktober 1994, BSGE 75, 167) handelt es sich bei diesem Erstattungsanspruch um ein von der Rechtsprechung und Rechtslehre allgemein anerkanntes Rechtsinstitut. Es gilt im öffentlichen Recht auch ohne ausdrückliche Normierung der allgemeine Grundsatz, dass Leistungen, die eines rechtlichen Grundes entbehren, zu erstatten sind.
Der geltend gemachte Rückzahlungsanspruch, dem ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis zu Grunde liegt, scheitert nicht schon daran, dass der Kläger die Zuzahlung an den Vertragsarzt und nicht an die Krankenkasse gezahlt hat. Wie bereits im früheren Recht (§ 31 Abs. 3 Sozialgesetzbuch V a.F. - SGB V a.F.), dem § 28 Abs. 4 SGB V nachgebildet ist, ist die Krankenkasse Inhaberin des Anspruchs auf Zuzahlung, auch wenn sie von einer anderen Stelle eingezogen wird (BSG a.a.O.). Daran ändert auch nichts der Umstand, dass dem Vertragsarzt die Inkassotätigkeit obliegt. Er hat in diesem Zusammenhang nach § 13 Abs. 7 Bundesmantelvertrag-Ärzte ein eingeschränktes Leistungsverweigerungsrecht. Danach ist er berechtigt, die Behandlung eines Versicherten, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, abzulehnen, wenn dieser nicht vor Behandlung sowohl die Krankenversichertenkarte vorlegt als auch in den in § 28 Abs. 4 SGB V i.V.m. § 18 Abs. 1 bestimmten Fällen eine Zuzahlung von 10,00 Euro leistet. Dies gilt nicht bei akuter Behandlungsbedürftigkeit sowie für die nicht persönliche Inanspruchnahme des Vertragsarztes durch den Versicherten. Wesentlich in diesem Zusammenhang für die Frage des Anspruchsgegners ist § 43b Abs. 2 SGB V, wonach der Vertragsarzt Zuzahlungen einzubehalten hat, die Versicherte nach § 28 Abs. 4 SGB V zu entrichten haben. Sein Vergütungsanspruch gegenüber der Krankenkasse, der Kassenärztlichen oder Kassenzahnärztlichen Vereinigung mindert sich entsprechend. Die nach § 83 SGB V zu entrichtenden Vergütungen verringern sich in Höhe der Summe der von den mit der Kassenärztlichen oder Kassenzahnärztlichen Vereinigung abrechnenden Leistungserbringern einbehaltenen Zuzahlungen. Daraus ergibt sich, dass bei der erfolgten Zuzahlung die Krankenkasse einen finanziellen Vorteil hat, weil sie insoweit entlastet wird. Aus der Stellung des Vertragsarztes im System der gesetzlichen Krankenversicherung und aus § 43b Abs. 2 SGB V folgt, dass das maßgebliche Leistungsverhältnis und damit der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch zwischen dem Versicherten und der Krankenkasse gegeben ist.
Der Kläger hat die Zuzahlungen mit rechtlichem Grund entrichtet. Gemäß § 28 Abs. 4 S. 1 SGB V in der im Jahr 2005 geltenden Fassung haben Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, je Kalendervierteljahr für jede erste Inanspruchnahme eines an der ambulanten ärztlichen, zahnärztlichen oder psychotherapeutischen Versorgung teilnehmenden Leistungserbringers, die nicht auf Überweisung aus demselben Kalendervierteljahr erfolgt, als Zuzahlung den sich nach § 61 S. 2 ergebenden Betrag an den Leistungserbringer zu leisten. S. 1 gilt nicht für die Inanspruchnahme nach §§ 23 Abs. 9, 25 (Schutzimpfungen, Gesundheitsuntersuchungen), zahnärztlichen Untersuchungen nach § 55 Abs. 1 S. 4 und 5 sowie Maßnahmen zur Schwangerenvorsorge nach § 196 Abs. 1 RVO und § 23 Abs. 1 KVLG. § 61 S. 2 SGB V regelt, dass als Zuzahlung 10,00 Euro erhoben werden. Der Gesetzgeber hat mit dem GKV-Modernisierungsgesetz vom 14. November 2003 (a.a.O.) mit Wirkung vom 1. Januar 2005 diese sog. Praxisgebühr eingeführt, deren Zweck es ist, zur finanziellen Konsolidierung der gesetzlichen Krankenversicherung einen Beitrag der Versicherten herbeizuführen und von diesen eine höhere Eigenverantwortung zu verlangen. Die Praxisgebühr soll die Zahl ärztlicher Kontakte auf ein notwendiges Mindestmaß beschränken und u.a. dazu beitragen, dass Fachärzte nur auf Überweisung konsultiert werden (Kassler Kommentar-Höfler, § 28 SGB V, Rdnr. 30 m.w.H. auf die Gesetzesbegründung, Bundestags-Drucksache 15/1525, S. 83).
Diese gesetzliche Regelung ist entgegen dem Kläger, der sich auf zwei Aufsätze in der Fachliteratur beruft, nicht verfassungswidrig. Der Aufsatz von Hagedorn (Die Sozialgerichtsbarkeit 2004, 404 f.) nimmt einen Verstoß gegen Art. 80 Abs. 1 Grundgesetz an, weil die o.g. untergesetzliche Regelung nicht im Wege einer Rechtsverordnung, sondern durch den Bundesmantelvertrag vorgenommen wurde sowie unter mehreren Gesichtspunkten einen Verstoß gegen das Grundrecht der Berufsfreiheit der Vertragsärzte. Insoweit sei die Vorschrift untauglich, einen häufigen Arztwechsel zu verhindern und belaste den Vertragsarzt mit einer zusätzlichen Aufgabe ohne entsprechenden Honoraranspruch. Im Übrigen sei sie eine unzulässige Finanzierungsabgabe und als solche im solidarischen Finanzierungssystem systemwidrig. Der andere Aufsatz der Vorsitzenden Richterin am LSG Niedersachsen-Bremen (Gesundheitsrecht 2004, 1 f.) hält die Praxisgebühr für eine neue Form der Belastung des Versicherten. Sie führe zu einer Doppelbelastung für dieselbe Leistung, die der Versicherte durch seinen Beitrag bereits bezahlt habe. Sie sei damit ein Sonderopfer, das gegen den Eigentumsgrundsatz aus Art. 14 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verstößt. Diesen Auffassungen kann nicht gefolgt werden.
Im vorliegenden Fall kommt es nur auf die Rechtsverhältnisse des Versicherten zu seiner Krankenkasse an, nicht auf die den Vertragsarzt einbeziehenden Rechtsverhältnisse zur Kassenärztlichen Vereinigung bzw. zur Krankenkasse. Damit kann die Frage offen bleiben, ob die §§ 28 Abs. 4, 43b Abs. 2 SGB V die ärztliche Berufsfreiheit einschränken (Art. 12 GG). Ebenso irrelevant ist hier die Frage der Normdelegation im Wege des BMV-Ä, weil es hier vorrangig auf die gesetzliche Regelung des § 28 Abs. 4 SGB V ankommt. Die angegriffenen Regelungen verletzen nicht den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG), sie sind insbesondere auch nicht systemwidrig. Der allgemeine Gleichheitssatz verpflichtet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist dem Gesetzgeber jedoch nicht jede Differenzierung verwehrt. Der Gleichheitssatz ist erst dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können. Welche Elemente für den Vergleich der Lebensverhältnisse maßgebend sind, liegt im Ermessen des Gesetzgebers. Nur dort, wo sich sachliche Unterschiede vom Gericht nicht mehr feststellen lassen, sind die Grenzen des gesetzgeberischen Ermessens überschritten. Zu berücksichtigen ist hier zudem, dass bei der Ordnung von Massenerscheinungen der Gesetzgeber berechtigt ist, generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelung zu verwenden. Eine gesetzliche Regelung kann jedoch anhand des Gleichheitssatzes nicht daraufhin überprüft werden, ob der Gesetzgeber im Einzelfall die zweckmäßigste, vernünftigste und gerechteste Lösung gewählt hat (Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 7. Aufl., Art. 3, Rdnrn. 15, 24, 54 mit Nachweisen der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts).
Dem Gesetzgeber ging es bei der Einführung der Praxisgebühr nicht nur - wie bereits ausgeführt wurde - um eine Steigerung der Effizienz und Qualität der medizinischen Versorgung, sondern auch um die Vermeidung einer weiteren Beitragssatzsteigerung, da diese zur steigenden Arbeitslosigkeit beiträgt. Da eine Rationierung der Leistungen zu Lasten der Versicherten nicht infrage kam, war für ihn der sozial gerechtere Weg, auch die Versicherten an spezifischen Krankheitskosten zu beteiligen unter Berücksichtigung sozialer Belange. Zu diesem Zweck hat er für die Versicherten die Zuzahlungsregelungen neu gestaltet, Überforderungsregelungen eingeführt und auch die anderen Beteiligten am System der gesetzlichen Krankenversicherung einer Belastung unterzogen (Bundestags-Drucksache, a.a.O., S. 71, 83, 84). Dieser vom Gesetzgeber eingeschlagene Weg begegnet unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes keinerlei rechtlichen Bedenken. Insbesondere lässt sich hierin keine willkürliche Maßnahme sehen; die Versicherten können in Anbetracht der vom Gesetzgeber oben genannten verfolgten Ziele nicht mit Recht verlangen, dass nur sie von Maßnahmen verschont bleiben, die dem Erhalt des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung dienen.
Unter diesem Aspekt sind Zuzahlungen ein geeignetes und erforderliches Mittel zur Erhaltung der Effektivität, Effizienz und Qualität der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Sie sind geeignet, die Eigenverantwortung des Versicherten zu stärken und dienen dazu, Versicherte von der Inanspruchnahme nicht erforderlicher ärztlicher Behandlungen abzuhalten. Dies führt zu einer Einsparung von Kosten bei den Krankenkassen und einer Entlastung der Solidargemeinschaft der Krankenversicherten insofern, als Beitragssatzsteigerungen vermieden werden können. Neben der Steuerung der Häufigkeit der Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen trägt die Praxisgebühr auch dazu bei, dass von den Versicherten zunächst die Hausärzte aufgesucht werden, die die Versicherten dann an die entsprechenden Fachärzte überweisen, wenn deren speziellen Kenntnisse und Fähigkeiten zur fachgerechten Behandlung medizinisch erforderlich sind.
Die Praxisgebühr ist zudem ein geeignetes, erforderliches und angemessenes Mittel zur Konsolidierung der Finanzen der gesetzlichen Krankenversicherung. Auch hier ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber ein weites Ermessen hat, zur Sicherung des Bestandes der gesetzlichen Krankenversicherung (insbesondere zur Aufrechterhaltung des Sachleistungsprinzips) eine Form der Finanzierung einzuführen, die gleichzeitig eine Mengensteuerung bewirkt. Nach Auffassung des Senats ist unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit (Art. 20 Abs. 3 GG) die Praxisgebühr zur Erreichung dieses Ziels eine im allgemeinen sachgerechte Lösung.
Sie ist nicht systemwidrig und verletzt nicht die Grundsätze der solidarischen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung gemäß § 3 SGB V, wonach die Leistungen und sonstigen Ausgaben der Krankenkassen durch Beiträge finanziert werden, die in der Regel von den Mitgliedern und Arbeitgebern aufgebracht werden. Der Grundsatz der solidarischen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung bedeutet, dass, anders als in der privaten Krankenversicherung, die Beiträge sich nicht am individuellen Risiko und einem vereinbarten Leistungsumfang orientieren, sondern an der Höhe der beitragspflichtigen Einnahmen des Versicherten. Auf diese Weise ergibt sich ein Ausgleich zwischen leistungsfähigeren und weniger leistungsfähigen Versicherten. Bei gleichen Leistungen finanzieren die Versicherten mit höheren beitragspflichtigen Einnahmen die Leistungen der finanziell schwächeren Versicherten mit. Es findet auch damit ein Ausgleich zwischen guten und schlechten Gesundheitsrisiken statt. Der Familienlastenausgleich erfolgt über die Familienversicherung gemäß § 10 SGB V. An dieser Regelung ändert die Praxisgebühr nichts.
Es kann auch nicht anhand der von vornherein eingeschränkten gesetzlichen Regelung des § 28 Abs. 4 SGB V sowie der Überforderungsklausel (§§ 61, 62 SGB V) davon ausgegangen werden, dass die Praxisgebühr ein zusätzlicher Beitrag zur direkten Finanzierung der ärztlichen Behandlung ist. Vielmehr handelt es sich hierbei um eine den Beiträgen zuzuordnende Finanzierung zur Steuerung der Häufigkeit der Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen, damit einer weit verbreiteten, aber irrigen Einstellung der Versicherten begegnet werden kann, dass die ärztliche Behandlung durch die Beiträge bereits bezahlt sei und demzufolge auch erbracht werden müsse. Dieser Gedanke ist mit dem Wesen einer Versicherung, das in der Risikoverteilung und -übernahme liegt, nicht zu vereinbaren. Damit kann den in der oben genannten Fachliteratur angestellten Überlegungen nicht gefolgt werden, die Praxisgebühr sei ein unzulässiges Finanzierungsinstrument und bewirke eine Doppelbelastung sowie doppelte Bezahlung der ärztlichen Behandlung. Im Gegenteil führt die Praxisgebühr zu einer mit der ärztlichen Behandlung verbundenen geringfügigen Verschiebung der Beitragslast dazu, dass die solidarische Finanzierung bei einer quantitativ ausreichenden und qualitativ hochwertigen ärztlichen Behandlung erhalten bleiben kann und daher größere Beitragssatzerhöhungen vermieden werden können. Im Verhältnis zum gesamten Beitragsaufkommen der gesetzlichen Krankenkassen spielt die Praxisgebühr nur eine Nebenrolle.
Es ist auch nicht zu erkennen, dass der Kläger im Vergleich zu anderen Versicherten willkürlich benachteiligt wird (Art. 3 Abs. 1 GG). Denn jeder erwachsene Versicherte, der eine ärztliche Behandlung in einem Quartal in Anspruch nimmt, muss die Praxisgebühr zahlen. § 28 Abs. 4 SGB V macht aber von vornherein zahlreiche detaillierte Einschränkungen, da die Regelung nur Versicherte mit vollendetem 18. Lebensjahr betrifft, bei der ambulanten Inanspruchnahme eines ärztlichen, zahnärztlichen oder psychotherapeutischen Leistungserbringers anfällt, nur bei der ersten Inanspruchnahme je Kalendervierteljahr zu zahlen ist und nicht bei Vorsorgeleistungen erhoben wird. Daraus ergibt sich im Übrigen, dass eine weitere Praxisgebühr nicht anfällt, wenn ein Versicherter im identischen Quartal an einen Facharzt überwiesen wird.
In der angegriffenen Regelung liegt auch keine Verletzung des Sozialstaatsprinzips und des Schutzes des Eigentums. Das in Art. 20 Abs. 1 GG verankerte Sozialstaatsprinzip verpflichtet den Gesetzgeber zur Fürsorge für Hilfsbedürftige, zur Schaffung sozialer Sicherungssysteme gegen die Wechselfälle des Lebens, zur Chancengleichheit und zur Schaffung einer gerechten Sozialordnung (Jarass/Pieroth, a.a.O., Art. 20, Rdnr. 102 ff. m.w.N.). Wegen seiner Unbestimmtheit bedarf es jedoch in besonderem Maße der Konkretisierung, subjektive Rechte ergeben sich aus diesem Prinzip regelmäßig nicht. Ferner ist zu berücksichtigen, dass auch hier der Gesetzgeber einen weiten Spielraum hat, wie er die einzelnen sozialen Rechte und Belastungen ausgestaltet (Jarass/Pieroth, a.a.O., Rdnr. 114 m.w.N.).
Art. 14 Abs. 1 GG ist gleichfalls nicht verletzt, da der Gesetzgeber beim Schutz des Eigentums im Bereich der Sozialversicherung ebenfalls weite Gestaltungsmöglichkeiten hat. Unzulässig sind zwar übermäßige Belastungen ebenso wie einseitige, willkürliche Benachteiligungen bestimmter Gruppen von Versicherten. Hiervon kann aber bei der Praxisgebühr angesichts der o.g. gesetzlichen Einschränkungen im Geltungsbereich nicht die Rede sein. Der Gesetzgeber hat außerdem durch die Verweisung auf § 61 SGB V in § 28 Abs. 4 SGB V eine Überforderungsklausel eingefügt. Dies führt zu einer Begrenzung der Praxisgebühr auf 10,00 Euro. Eine Belastungsgrenze von 2 v.H. oder 1 v.H. für chronisch Kranke bei schwerwiegenden Krankheiten in Dauerbehandlung ergibt sich aus § 62 SGB V.
Die Kostentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache die Revision zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
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