L 7 B 21/08 AS ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 10 AS 272/07
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 B 21/08 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerinnen gegen den Beschluss des Sozialgerichts Detmold vom 11.12.2007 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragstellerinnen begehren im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

1. Die am 00.00.1965 geborene Antragstellerin zu 1) erhielt im Rahmen einer Erbauseinandersetzung in der Zeit von Dezember 2004 bis Mai 2006 Geldbeträge in Höhe von insgesamt etwa 147.000 EUR, mit denen die Antragstellerinnen ab dem Jahre 2005 ihren Lebensunterhalt bestritten. Aus diesen Mitteln erbrachte die Antragstellerin zu 1) insbesondere auch Unterhaltszahlungen an die am 00.00.1985 geborene Antragstellerin zu 2), die seit dem 00.09.2004 am University College in M studiert und seitdem in England wohnt.

2. Am 24.05.2007 stellte die Antragstellerin zu 1) bei der Antragsgegnerin einen Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 10.08.2007 lehnte die Antragsgegnerin die Leistungsbewilligung für den Zeitraum vom 24.05.2007 bis zum 12.08.2007 mit der Begründung ab, dass die Antragstellerin ihren Lebensunterhalt und den Lebensunterhalt der mit ihr in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen aus eigenen Kräften und Mitteln sichern könne, da sie über zu berücksichtigendes Vermögen i.H.v. 11.754,60 EUR verfüge. Für den Zeitraum vom 13.08.2007 bis zum 31.10.2007 bewilligte die Antragsgegnerin den Antragstellerinnen zu 1) und 3) mit einem weiteren Bescheid vom 10.08.2007 Leistungen nach dem SGB II i.H.v. monatlich 933,80 EUR (472 EUR Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, 461,80 EUR Kosten der Unterkunft). Gegen die Bescheide vom 10.08.2007 legte die Antragstellerin unter dem 24.08.2007 Widerspruch ein. Das Widerspruchsverfahren ist bei der Antragsgegnerin anhängig.

3. Unter dem 05.10.2007 stellte die Antragstellerin zu 1) bei der Antragsgegnerin einen Antrag auf Fortzahlung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ab dem 01.11.2007.

Am 08.11.2007 haben die Antragstellerinnen vor dem Sozialgericht (SG) Detmold im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II beantragt. Zur Begründung haben sie vorgetragen, dass die Antragsgegnerin über den Fortzahlungsantrag noch nicht entschieden und keine Leistungen gewährt habe. Sie seien nicht in der Lage, ihre Lebenshaltungskosten eigenständig sicher zu stellen, sodass Eile geboten sei. Eine Entscheidung in der Hauptsache könne nicht abgewartet werden, da sie abgesehen von Kindergeld und Erziehungsgeld keinerlei Einkünfte hätten.

Daraufhin hat die Antragsgegnerin den Antragstellerinnen zu 1) und 3) mit Bescheid vom 22.11.2007 Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.11.2007 bis zum 30.04.2008 i.H.v. insgesamt 933,80 EUR monatlich bewilligt. Zwischen den Beteiligten ist jedoch streitig geblieben, ob auch die in London studierende Antragstellerin zu 2) Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II hat. Mit gerichtlicher Verfügung vom 04.12.2007 hat das Sozialgericht (SG) darauf hingewiesen, dass es hinsichtlich der Antragstellerin zu 2) am Vortrag zum gewöhnlichen Aufenthalt, zum Einkommen und Vermögen sowie einer Glaubhaftmachung dazu fehle. Den Antragstellerinnen ist Gelegenheit gegeben worden, ergänzend vorzutragen und darzulegen, ob für die Antragstellerin zu 2) Auslandsbafög beantragt und wie der Antrag beschieden worden sei. Sie haben daraufhin mit Schriftsatz vom 10.12.2007 mitgeteilt, dass die Antragstellerin zu 2) keinen Anspruch auf Auslandsbafög habe und nicht über eigenes Einkommen verfüge. Eine Glaubhaftmachung der Antragstellerin zu 2) könne nicht erfolgen, da sie sich nicht vor Ort aufhalte.

Das SG hat den Antrag mit Beschluss vom 11.12.2007, auf dessen Begründung Bezug genommen wird, abgelehnt.

4. Gegen den ihnen am 17.12.2007 zugestellten Beschluss haben die Antragstellerinnen am 20.12.2007 Beschwerde erhoben. Zur Begründung haben sie auf die eidesstattliche Versicherung der Antragstellerin zu 1) vom 27.12.2007 verwiesen. Darin hat die Antragstellerin zu 1) erklärt, ihr sei mehrfach von verschiedenen BAföG-Stellen verbindlich mitgeteilt worden, dass auf Grund der geltenden Bestimmungen für Auslandsbafög eine Förderung der Antragstellerin zu 2) nicht in Betracht komme und es daher nicht sinnvoll gewesen sei, einen entsprechenden Antrag zu stellen. Das Studium der Antragstellerin zu 2) sei ein Vollzeitstudium, das ihr keine Zeit lasse, ihren Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit sicherzustellen. Es sei angesichts des in einem halben Jahr bevorstehenden Abschlusses auch nicht sinnvoll, ein Inlandsstudium einzuschieben, um einen Anspruch auf Förderung nach dem BAföG zu erwerben. Dies ergebe sich insbesondere daraus, dass deutsche und englische Studiengänge nicht hinreichend kompatibel seien, um ein Inlandssemester sinnvoll zu gestalten, sodass dadurch lediglich eine erhebliche Zeitverzögerung einträte. Darüber hinaus hätte die Unterbrechung des Studiums in England für die Dauer von einem Jahr zur Folge, dass der Anspruch auf den Studienplatzen entfiele. Die Antragstellerin zu 2) sei mit erstem Wohnsitz bei ihr in I gemeldet und halte sich nur zu Studienzwecken in England auf. Sie verfüge weder über Einkommen noch über Vermögen. Sie habe lediglich im Sommer 2007 ein entgeltliches Praktikum absolviert, wobei dieses Geld jedoch aufgebraucht sei.

Die Antragsgegnerin hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

II.

Die Beschwerde der Antragstellerinnen, der das SG mit Beschluss vom 10.01.2008 nicht abgeholfen hat, ist zulässig, in der Sache jedoch unbegründet.

1. Nach § 86 Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt dabei neben dem Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. eines materiellen Anspruchs auf die begehrte Leistung, auch das Vorliegen eines Anordnungsgrundes voraus. Ein solcher Anordnungsgrund ist gegeben, wenn das Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache nach Abwägung aller betroffenen Interessen für den Antragsteller unzumutbar ist. Sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund sind gemäß § 86 Abs. 2 S. 4 SGG, § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft zu machen. Nach Maßgabe des § 294 Abs. 1 ZPO kann sich derjenige, der eine tatsächliche Behauptung glaubhaft zu machen hat, zur Glaubhaftmachung auch einer (eigenen) Versicherung an Eides statt bedienen.

2. Die Antragstellerinnen haben den für den Erlass einer Regelungsanordnung erforderlichen Anordnungsanspruch nicht i.S.d. § 86 Abs. 2 S. 4 SGG, § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft gemacht. Dies hat das SG zu Recht festgestellt.

Das Bestehen eines Anspruchs der in London studierenden Antragstellerin zu 2) auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ist nicht im Sinne einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit dargetan worden. Gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II erhalten Leistungen nach dem SGB II Personen, die das 15. Lebensjahr und noch nicht das 65. Lebensjahr vollendet haben, erwerbsfähig und hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben.

a) Die Antragstellerin zu 2) erfüllt zwar die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 2 SGB II. Es ist jedoch nicht glaubhaft gemacht worden, dass sie i.S.d. § 9 Abs. 1 SGB II hilfebedürftig ist, d.h. ihren Lebensunterhalt nicht bzw. nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht durch die Aufnahme einer zumutbaren Arbeit bzw. aus zu berücksichtigendem Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen erhält. Vielmehr ist ohne weitere Nachweise lediglich behauptet worden, dass die Antragstellerin zu 2) nicht über Einkommen oder Vermögen verfüge bzw. das im Rahmen des Praktikums erhaltene Geld verbraucht und ihr die Aufnahme einer Arbeitstätigkeit auf Grund des Vollzeitstudiums nicht möglich sei.

b) Die Antragstellerinnen haben ferner nicht glaubhaft gemacht, dass - obwohl die Antragstellerin zu 2) Studentin ist - der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II nicht zur Anwendung gelangt. Nach dieser Regelung sind Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) dem Grunde nach förderungsfähig ist, keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.

aa) Die Antragstellerinnen haben bereits nicht dargelegt, dass die Antragstellerin zu 2) keinen Anspruch auf Auslandsbafög hat und ihre Ausbildung damit nicht "dem Grunde nach förderungsfähig" (§ 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II) nach dem BAföG ist.

Vielmehr ist lediglich pauschal behauptet worden, ein solcher Anspruch bestünde nicht. Entgegen der ausdrücklichen Aufforderung des SG vom 04.12.2007 haben die Antragstellerinnen insbesondere nicht vorgetragen, ob ein entsprechender Antrag gestellt wurde und aus welchen Gründen ein Anspruch auf Auslandsbafög nicht bestehen soll. Einstweilen ist davon auszugehen, dass es sich bei dem Studium der Antragstellerin zu 2) um eine dem Grunde nach förderungsfähige Ausbildung nach dem BAföG handelt. Denn der Besuch einer Hochschule in England ist gemäß § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 i.V.m. § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BAföG eine grundsätzlich nach dem BAföG förderungsfähige Ausbildung. Ausbildungen in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union sind gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 3 BAföG dem Grunde nach bis zum Erwerb eines ausländischen Abschlusses förderungsfähig, wobei die Ausbildungsförderung insbesondere gemäß § 16 Abs. 3 BAföG ohne zeitliche Begrenzung geleistet wird.

Dass die Antragstellerin zu 2) angesichts der konkreten Umstände bzw. der in ihrer Person liegenden Eigenschaften möglicherweise keinen Anspruch auf Förderung nach dem BAföG hat, dürfte in diesem Zusammenhang nicht erheblich sein. Denn die Regelung des § 7 Abs. 5 S. 1 SGB II knüpft lediglich an die abstrakte Förderungsfähigkeit der Ausbildung und somit an sachliche Förderungskriterien an, sodass individuelle Versagungsgründe außer Betracht bleiben (BSG; Urteil v. 0609.2007, B 14/7b AS 36/06 R, Rn.12, 15 ff.). Gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BAföG (i.d.F. des Gesetzes vom 23.12.2007, BGBL. I S. 3254) ist ein mindestens einjähriger Besuch einer inländischen Ausbildungsstätte zudem nicht mehr Anspruchsvoraussetzung.

bb) Die Antragstellerinnen haben auch das Bestehen eines besonderen Härtefalls i.S.d. § 7 Abs. 5 S. 2 SGB II und somit einen Anspruch der Antragstellerin zu 2) auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts als Darlehen nicht glaubhaft gemacht.

Ob ein besonderer Härtefall vorliegt, ist im Lichte der Zweckrichtung unter Berücksichtigung der individuellen Umstände des Einzelfalls zu beurteilen (BSG, Urteil v. 06.09.2007, B 14/7b AS 28/06, Rn. 35). Dabei begründet der Umstand, dass eine Ausbildung wegen fehlender Förderung nicht fortgeführt werden kann, für sich allein noch keinen Härtefall (BSG, a.a.O. Rn. 34). Erforderlich sind vielmehr besondere Umstände des Einzelfalls, die es darüber hinaus unzumutbar erscheinen lassen, dem Hilfebedürftigen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu verweigern (BSG, a.a.O.). Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts kann eine besondere Härte insbesondere angenommen werden, wenn ein wesentlicher Teil der Ausbildung bereits absolviert ist und der bevorstehende Abschluss unverschuldet an Mittellosigkeit zu scheitern droht (BSG, a.a.O., Rn. 35). Dabei muss eine durch objektive Umstände belegbare Aussicht bestehen, nachweisbar beispielsweise durch Meldung zur Prüfung, wenn alle Prüfungsvoraussetzungen bereits erfüllt sind, dass die Ausbildung mit Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in absehbarer Zeit durch einen Abschluss zum Ende gebracht wird (BSG, a.a.O.).

Die Antragstellerinnen haben in der Beschwerdebegründung zwar vorgetragen, die Antragstellerin zu 2) werde ihr Studium im Sommer 2008 abschließen; im Verwaltungsverfahren hatten sie einen Computerausdruck (Studienbescheinigung) aus Mai 2007 vorgelegt, wonach das Studium der Antragstellerin zu 2) voraussichtlich am 06.06.2008 beendet werde. Sie haben jedoch nicht glaubhaft gemacht, die Ausbildung könne mit Leistungen nach dem SGB II in absehbarer Zeit auch tatsächlich abgeschlossen werden. Sie haben insbesondere keinen Nachweis der Meldung zur Prüfung bzw. der Erfüllung aller Prüfungsvoraussetzungen vorgelegt (vgl. BSG a.a.O.).

c) Zu den Kosten für Unterkunft und Heizung der Antragstellerin zu 2) fehlt es ebenfalls an (glaubhaft gemachtem) Vortrag, so dass die Voraussetzungen des § 22 Abs. 7 Satz 1 SGB II schon aus diesem Grunde nicht zu erörtern waren.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG. Die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerinnen für den ersten Rechtszug sind auch nicht aus Billigkeitsgründen der Antragsgegnerin aufzuerlegen. Denn die Antragsgegnerin hat die Durchführung des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nicht veranlasst. Dass die Antragstellerinnen - wie im Schriftsatz vom 23.11.2007 vorgetragen - vor Stellung des Eilantrags mehrfach Zahlungen von der Antragsgegnerin erbeten hatten, ergibt sich weder aus der Leistungsakte der Antragsgegnerin noch ist es von den Antragstellerinnen glaubhaft gemacht worden.

4. Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved