L 11 KR 3606/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 8 KR 840/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 3606/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 30. Mai 2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Krankengeldes (Krg) streitig.

Der 1959 geborene Kläger ist selbständiger Handelsreisender. Seit dem 1. Oktober 2003 ist er bei der Beklagten mit Anspruch auf Krg ab dem 43. Tag nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit freiwillig krankenversichert. Sein Einkommen aus dem Gewerbebetrieb betrug 2003 ausweislich des Einkommensteuerbescheids vom 2. August 2005 1.539,- EUR jährlich, d.h. 513,- EUR monatlich.

Mit Bescheid vom 23. Dezember 2004 legte die Beklagte der Beitragsberechnung ein fiktives monatliches Einkommen des Klägers in Höhe der Mindestbemessungsgrundlage von 1.811,25 EUR zugrunde und errechnete daraus für die Zeit ab 1. Januar 2005 monatliche Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 296,14 EUR.

Am 16. September 2005 erkrankte der Kläger arbeitsunfähig und beantragte bei der Beklagten Krg. Mit Bescheid vom 29. November 2005 bewilligte ihm die Beklagte ab dem 28. Oktober 2005 Netto-Krg in Höhe von 11,87 EUR pro Tag.

Mit seinem dagegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, die Berechnungsweise des Krg sei für ihn nicht nachvollziehbar. Er legte hierzu eine Einnahmen-Überschussrechnung für das Jahr 2005 vor, wonach er einen Überschuss von 28.240,08 EUR erwirtschaftet habe. Dieser Betrag müsse für die Berechnung des Krg maßgebend sein.

Mit Widerspruchsbescheid vom 20. Februar 2006, dem klägerischen Bevollmächtigten zugestellt am 27. Februar 2006, wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, die Einnahme-Überschussrechnung sei nicht Gegenstand der Beitragsbemessung gewesen und könne deswegen auch nicht als Grundlage für die Berechnung des Krg herangezogen werden.

Mit seiner dagegen am 27. März 2006 beim Sozialgericht Konstanz (SG) erhobenen Klage verfolgte der Kläger sein Begehren mit der Begründung weiter, zumindest müsse das Krg auf der von der Beklagten zur Beitragsbemessung herangezogenen Mindestbemessungsgrundlage in Höhe von 1.811,25 EUR berechnet werden.

Der Kläger hat noch den Einkommensteuerbescheid vom 15. Mai 2006 für das Jahr 2004 vorgelegt, der als Einkünfte aus Gewebebetrieb 15.828,- EUR auswies. Außerdem hat er die betriebswirtschaftlichen Auswertungen (BWA) für die einzelnen Monate Januar 2004 bis Juni 2006 zu den Akten gegeben.

Mit Urteil vom 30. Mai 2007, dem klägerischen Bevollmächtigten zugestellt am 26. Juni 2007, verurteilte das SG die Beklagte unter Abänderung der Bescheide, dem Kläger ab dem 28.10.2005 (Brutto-) Krg in Höhe von 42,26 EUR anstelle des bisher geleisteten (Brutto-) Krg in Höhe von 11,97 EUR täglich zu zahlen. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen. Zur Begründung führte das Gericht aus, bei dem Kläger sei ein (fiktives) monatliches Bruttoeinkommen von 1.811,25 EUR (Mindestbetrag) maßgebend. Hieraus ergebe sich ein kalendertägliches Krg in Höhe von 42,26 EUR (1.811,25 EUR: 30 x 70 v.H.). Die Heranziehung des für die Beitragsbemessung maßgebend gewesenen letzten Arbeitseinkommens sei bei der Berechnung des Krg der Regelfall und basiere auf einer widerlegbaren Vermutung. Hiervon könne ausnahmsweise nur dann abgewichen und die Vermutung widerlegt werden, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass dieser Betrag erkennbar nicht der tatsächlichen wirtschaftlichen Situation des Versicherten vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit entspräche, weil sein tatsächliches Arbeitseinkommen wesentlich geringer sei. Dies folge aus dem Zweck des Krg, welches Ersatz für diejenigen Einkünfte darstelle, die der Versicherte vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit als Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen bezogen habe und die wegen der Erkrankung entfielen. Hierbei müsse berücksichtigt werden, dass der Versicherte typischerweise zur Sicherung seines Lebensunterhalts auf das Krg angewiesen sei und die Bewilligung rasch erfolgen müsse, weshalb Gesichtspunkte der Praktikabilität und Schwierigkeiten bei der Ermittlung des Arbeitseinkommens Selbständiger nicht außer Betracht bleiben könnten. Bei dem Kläger sei kein solcher Ausnahmefall gegeben, der es rechtfertige, das Krg aus einem niedrigeren Arbeitseinkommen zu berechnen. Die Beitragsbemessung im Jahr 2005 habe zwar nur auf der zum Mindestbeitrag führenden (fiktiven) Mindestbemessungsgrundlage basiert, da der Kläger zum damaligen Zeitpunkt noch keine Einkommensnachweise hätte vorlegen können. Dennoch seien seine tatsächlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse im Zeitraum unmittelbar vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit davon nicht erheblich nach unten abgewichen. Der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2003 genüge als Nachweis für ein wesentlich niedrigeres tatsächliches Arbeitseinkommen vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit nicht, da der Kläger erst Mitte 2005 erkrankt sei. Vielmehr wäre hierfür eine möglichst zeitnahe Ermittlung des Arbeitseinkommens erforderlich gewesen. Dieses könne in Gestalt der Heranziehung von Gewinn- und Verlustrechnungen, Buchführungsunterlagen oder sogar einer Einkommensschätzung ermittelt werden. Die vom Kläger im Widerspruchs- und Klageverfahren vorgelegten Unterlagen belegten, dass sein Einkommen im Zeitraum vor seiner Arbeitsunfähigkeit nicht wesentlich unter der Beitragsbemessung gelegen habe. Im Jahr 2005 habe er sogar mehr als 1.811,25 EUR erzielt. Die BWA aus dem Zeitraum Januar bis August 2005 dokumentiere ein durchschnittliches monatliches Arbeitseinkommen von ca. 2.400,- EUR. Im Jahr 2004 habe er zumindest Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 15.828,- EUR erzielt. Es könne dahingestellt bleiben, auf welchen Zeitpunkt bezüglich der Heranziehung von Einkommensunterlagen abzustellen sei, da die Beklagte weder mit den im Verwaltungs-, noch mit den im Gerichtsverfahren vorgelegten Unterlagen den Nachweis eines wesentlich niedrigeren tatsächlichen Arbeitseinkommens, als es der Beitragsbemessung zugrunde gelegt worden wäre, hätte führen können. Somit sei das Krg aus einem Einkommen in Höhe von 1.811,25 EUR (Beitragsbemessung) zu berechnen. Ein höherer Anspruch auf Krg unter Zugrundelegung eines monatlichen Einkommens in Höhe von 2.353,34 EUR komme hingegen nicht in Betracht. Denn das vom Kläger angeführte Einkommen überschreite das "verbeitragte" Einkommen (1.811,25 EUR) deutlich. Der Kläger hätte für einen höheren Krg-Anspruch zunächst auch höhere Beiträge leisten und dafür der Beklagten vor Arbeitsunfähigkeit mitteilen müssen, dass sein monatliches Einkommen die zuletzt herangezogene Beitragsbemessungsgrundlage überschreite. Eine Mitteilung hätte eine Beitragsanpassung und bei Eintritt des Versicherungsfalls auch eine höhere Leistung zur Folge gehabt. Der Kläger sei im Beitragsbescheid vom 23. Dezember 2004 ausdrücklich darüber belehrt worden, Einkommensveränderungen rechtzeitig mitzuteilen. Aus dem nicht der Beitragsbemessung unterlegenen Teil seines Arbeitseinkommens könne er somit keine (weitere) Krg-Ansprüche ableiten. Das Krg habe auch nicht geruht. Nach der Rechtsprechung des BSG könne für die Zeit, in der ein hauptberuflich Selbständiger, der in seinem Betrieb mitarbeite und dessen Mitarbeit aufgrund der Arbeitsunfähigkeit wegfalle, regelmäßig - und ohne dass es weitere Ermittlungen bedürfe - von einem vollständigen Verlust des Arbeitseinkommens ausgegangen werden (sogenannter fiktiver Einkommensverlust).

Mit seiner dagegen am 24. Juli 2007 eingelegten Berufung macht der Kläger geltend, er habe nach der von ihm vorgelegten Einnahmen-Überschussrechnung des Kalenderjahres 2005 ein monatliches Einkommen über mindestens 2.353,34 EUR erzielt. Deswegen müsse ihm Krg nach seinem tatsächlichen und im Erkrankungszeitpunkt aktuellen Einkommen des Kalenderjahres 2005 gewährt werden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 30. Mai 2007 sowie den Bescheid vom 29. November 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Februar 2006 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab dem 28. Oktober 2005 (Brutto-) Krankengeld in Höhe von 54,91 EUR anstelle des bisher geleisteten (Brutto-) Krankengeldes in Höhe von 11,97 EUR bzw. anstelle des erstinstanzlich zuerkannten (Brutto-) Krankengeldes in Höhe von 42,26 EUR kalendertäglich zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt ergänzend vor, dass sie nicht mehr an ihrem Bescheid vom 29. November 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheid vom 20. November 2006 festhalte und dem Kläger deswegen Krg in der Zeit vom 28. Oktober 2005 bis 3. November 2006 in Höhe von 42,26 EUR (brutto) und in der Zeit vom 26. September 2006 bis 15. Dezember 2006 in Höhe von 42,56 EUR (brutto) gezahlt habe. In der Zeit vom 4. September 2006 bis 25. Dezember 2006 habe der Anspruch auf Krg wegen des Bezuges von Übergangsgeld vom Träger der Rentenversicherung geruht.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (§ 124 Abs. 2 SGG), ist statthaft im Sinne des § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG, da das geltend gemachte Krg nach der Berechnung der Beklagten unter Berücksichtigung einer ab 26. September 2006 erforderlichen Dynamisierung (Dynamisierungssatz 0,35 EUR) 4.408,- EUR beträgt und damit die erforderliche Berufungssumme von 500,- EUR übersteigt.

Die danach insgesamt zulässige Berufung ist aber nicht begründet. Der Kläger hat über das erstinstanzlich zuerkannte (Brutto-) Krg in Höhe von 42,26 EUR kalendertäglich hinaus keinen Anspruch auf höheres Krg.

Für die Berechnung des Krg ist bei freiwillig versicherten hauptberuflich Selbständigen nach § 47 Abs. 4 Satz 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) im Sinne einer widerlegbaren Vermutung ein Regelentgelt zugrunde zu legen, das dem Beitrag entspricht, aus dem zuletzt vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit freiwillige Beiträge entrichtet worden sind. Hiervon kann ausnahmsweise nur dann abgewichen und die Vermutung widerlegt werden, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass dieser Betrag erkennbar nicht der tatsächlichen wirtschaftlichen Situation des Versicherten vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit entspricht (BSG SozR 4-2500 § 47 Nr. 7).

Davon ausgehend ist das SG zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass bei dem Kläger kein solcher Ausnahmefall gegeben ist, der es rechtfertigt, das Krg - wie von der Beklagten getan - aus dem niedrigeren Arbeitseinkommen von 2003 zu berechnen, sondern nach dem für die Beitragsbemessung maßgebenden Mindesteinkommen.

Zwar hat das Bundessozialgericht (BSG) in seiner Entscheidung vom 30.03.2004 (B 1 KR 32/02 R, SozR 4 - 2500 § 47 Nr. 1) ausgeführt, dass sich das Krg eines freiwillig versicherten hauptberuflich selbständigen Erwerbstätigen nach dem erzielten Arbeitseinkommen und nicht nach dem für die Beitragsbemessung maßgebenden Mindesteinkommen bemisst. Diese Rechtsprechung wurde aber mit Urteil vom 14.12.2006 (B 1 KR 11/06 R SozR 4 - 2500 § 47 Nr. 7) ausdrücklich weiter entwickelt und der Rechtssatz dahingehend klargestellt, dass sich das Krg im Regelfall nach dem schon für die Beitragsbemessung maßgebend gewesenen Arbeitseinkommen bemisst. Nur wenn der zuletzt der Beitragsbemessung zugrundeliegende Betrag erkennbar höher ist, als das zu diesem Zeitpunkt tatsächlich erzielte Arbeitseinkommen des Versicherten, ist die Vermutung, dass die Beitragsbemessung sein Arbeitseinkommen zutreffend widerspiegelt, widerlegt. Nur in diesem Fall muss das vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit erzielte Arbeitseinkommen konkret ermittelt werden.

Auch zur Überzeugung des Senats, der sich der oben genannten Rechtsprechung ausdrücklich anschließt, ist diese Vorgehensweise durch den Wortlaut des § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V gedeckt und entspricht auch der Funktion des Krg wie den Erfordernissen der Verwaltungspraktikabilität. Denn das Krg soll Ersatz für diejenigen Einkünfte sein, die der Versicherte vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit bzw. vor Beginn der stationären Behandlung als Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen bezogen hat und die wegen der Erkrankung entfallen. Da die Bewilligung typischerweise rasch erfolgen muss, können Gesichtspunkte der Praktikabilität und Schwierigkeiten bei der Ermittlung des Arbeitseinkommens Selbständiger nicht außer Betracht bleiben. Insofern kann, wie das SG zutreffend ausgeführt hat, maßgeblich auf die zuletzt vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit angewandte Beitragsbemessungsgrundlage und damit diejenigen Verhältnisse im aktuellen Versicherungsverhältnis abgestellt werden, die anhand einfach festzustellender Tatsachen rasch und verwaltungspraktikabel ermittelt werden können. In der Regel entspricht das Krg auch der tatsächlichen wirtschaftlichen Situation vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit und kann damit seine Funktion als Ersatz für entfallenes Arbeitseinkommen erfüllen.

Deswegen kann das höhere Einkommen des Klägers, das dieser ausweislich der BWA in dem Zeitraum Januar bis August 2005 erzielt hat, nämlich ca. 2.400,- EUR, nicht berücksichtigt werden. Vielmehr belegt sogar noch der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2004, dass der Kläger Einkünfte unterhalb der Mindestbemessungsgrundlage erzielte. Aus seinen höheren Einkünften hat der Kläger auch keine Beiträge erbracht und insofern selbst zu vertreten, dass es zu keiner Beitragsanpassung gekommen ist, obwohl er im Beitragsbescheid vom 23. Dezember 2004 ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, Einkommensänderungen rechtzeitig mitzuteilen. Dass er dies erst im Zusammenhang mit der Krg-Bewilligung getan hat, muss insoweit zu seinen Lasten gehen. Insofern ist es im Interesse einer möglichst zeitnahen Ermittlung des maßgeblichen Arbeitseinkommens zutreffend, ohne Vorliegen konkreter Anhaltspunkte einer tatsächlich wirtschaftlich anderen Situation des Versicherten, auf den Betrag zurückzugreifen, welcher zuletzt vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit der Beitragsbemessung zugrunde lag.

Die Berufung des Klägers war deswegen zurückzuweisen, wobei die Kostenentscheidung auf § 193 SGG beruht.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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