L 13 J 188/86

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 13 J 188/86
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Ein Antrag auf Ablehnung eines Gutachters wegen Besorgnis der Befangenheit ist auch noch nach Abschluß der Instanz im Rahmen des Berufungsverfahrens zulässig, wenn der Ablehnungsgrund erst nach Verkündung des Urteils bekannt wird.
2. Eine Besorgnis der Befangenheit ist nicht schon dann zu bejahen, wenn der nach § 109 SGG benannte Gutachter des Kläger vorher als zuständiger Krankenhausarzt behandelt und im Rahmen der Prüfung der Rehabilitation bereits eine Leistungsbeurteilung abgegeben hat, wenn nicht weitere Umstände erkennbar sind, aus denen sich ergibt, daß seine Meinung vorgefaßt und unumstößlich ist.
Der Antrag der Beklagten auf Ablehnung des Gutachters Dr. wegen Besorgnis der Befangenheit wird zurückgewiesen.

Gründe:

In dem seit dem 11. April 1984 anhängigen Rechtsstreit (S-1/2/J-177/84) holte das Sozialgericht Darmstadt auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein Gutachten bei Prof. Dr. und Dr. von der Orthopädischen Universitätsklinik ein, das diese unter dem 12. August 1985 erstellten. Sie kamen darin in Abweichung zum Vorgutachter zu dem Ergebnis, daß der Kläger seit Dezember 1983 nur noch leichte Arbeiten von 3 bis max. 4 Stunden täglich mit weiteren Einschränkungen verrichten könne. In Gutachten wurde eine stationäre Behandlung im Februar 1985 erwähnt. Auf der Grundlage dieses Gutachtens gab das Sozialgericht mit Urteil vom 23. Dezember 1985 der Klage statt, hob den Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 19. März 1984 auf und verurteilte die Beklagte, dem Kläger ab 1. Januar 1984 Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren. Mit Schreiben vom 6. Januar 1986 bemühte sich die Beklagte u.a. um Unterlagen über die stationäre Behandlung ohne Erfolg bei dem Sozialgericht, das auf andere Stellen verwies. Gegen das ihr am 20. Januar 1986 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 17. Februar 1986 Berufung eingelegt und den Sachverständigen Dr. wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Die Beklagte hat den von (Ass.-Arzt) und (Oberarzt der Klinik) unterschriebenen an gerichteten Arztbrief vom 12. März 1985 vorgelegt. Im Bericht heißt es u.a.:

"Mit dem Patienten wurde auch über die Frage der beruflichen Rehabilitation gesprochen, von Seiten des orthopädischen Fachgebietes halten wir eine Einsatzfähigkeit bis täglich 4 Stunden für vertretbar.”

Zur Begründung hat die Beklagte ausgeführt, daß sich Dr. bereits in dem ihr erst am 15. Januar 1986 zugänglich gewordenen Bericht vom 12. März 1985 zum Leistungsvermögen des Klägers geäußert habe, so daß der Eindruck entstehe, Sachlichkeit und Unparteilichkeit des Sachverständigen seien nicht gewährleistet (Beschlüsse des LSG Berlin vom 3. Mai 1979 in Breithaupt 1980, 71 ff; Hess. LSG vom 24. März 1983, L-2/B-3/83).

Der Kläger hat sich zu dem Befangenheitsantrag nicht geäußert.

Dr. hält sich entsprechend seinem Schreiben vom 18. Juni 1986 nicht für befanden. Er führt aus, die Erstellung eines derartigen Gerichtsgutachtens werde niemals allein von einem Assistenzarzt durchgeführt, sondern die Beurteilung werde jeweils mit den leitenden Ärzten der O. Universitätsklinik erstellt. Die Befunderhebung sowie die Befundauswertung sei auch in diesem Fall durch Prof. und ihn erfolgt. Die Erstattung des Gutachtens sei ausschließlich nach sachlichen Befunden erfolgt. Er stehe mit dem Kläger weder in persönlicher noch anderweitiger Beziehung, er habe auch keine Zuwendung vom Kläger erhalten. Während des stationären Aufenthaltes des Klägers in der O. Universitätsklinik vom 5. Februar bis 7. März 1985 sei er Stationsarzt auf der Station gewesen, auf der der Kläger behandelt worden sei. Er habe den Kläger danach nicht mehr behandelt.

Der Antrag der Beklagten, Dr. wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, ist zulässig. Der erkennende Senat ist der Auffassung, daß nach Verkündung eines Urteils ein Befangenheitsantrag nur noch in der nächsten Instanz angebracht werden kann, da die abgeschlossene Instanz aus einer eventuellen positiven Bescheidung des Antrags keine Konsequenzen bezüglich des verkündeten Urteils mehr ziehen konnte (vgl. Stein-Johnas, Komm, zur ZPO, 19. Auflage, § 406, II 2). Wollte man auf der anderen Seite die Zulassung eines Befangenheitsantrages in der nächsten Instanz grundsätzlich verwehren, so würde dies dazu führen, daß trotz berechtigter Besorgnis der Befangenheit ein Gutachten zur Grundlage der Entscheidung der ersten und dann auch der zweiten Instanz gemacht werden konnte, weil dem Beteiligten die Gründe der Befangenheit erst nach Verkündung des Urteils bekannt wurden.

Der Befangenheitsantrag der Beklagten ist auch nicht verspätet, § 406 Abs. 2 Satz 2 ZPO i.V.m. §§ 118 Abs. 1 Satz 1, 153 Abs. 1 SGG. Zwar ist der Antrag erst nach Vorlage des Gutachtens gestellt worden, jedoch ist glaubhaft von der Beklagten dargelegt worden, daß sie den Ablehnungsgrund vorher nicht geltend machten konnte, da sie ihn nicht kannte. Erst aus dem Gutachten vom 12. August 1985 konnte die Beklagte entnehmen, daß im Februar 1985 bereits in der O. Universitätsklinik eine stationäre Behandlung des Klägers stattgefunden hat. Sie bemühte sich zunächst erfolglos bei dem Sozialgericht (nach Verkündung, aber vor Zustellung des Urteils) mit Schreiben vom 6. Januar 1986. Mit der am 17. Februar 1986 eingelegten Berufung wurde sodann der Antrag auf Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit verknüpft und später sodann der Arztbrief vom 12. März 1985 vorgelegt, den die Beklagte nach dem erkennbaren Ablauf zwischen Mitte Januar und Mitte Februar 1986 erhalten haben muß. Erst anhand dieses Arztbriefes konnte die Beklagte die Unterschrift des Dr. erkennen. Die Beklagte war auch nicht verpflichtet, sich vorher nach den Unterlagen über die stationäre Behandlung zu erkundigen. Die Beklagte konnte weder wissen, daß Dr. den Kläger seinerzeit behandelt, noch daß er eine Leistungsbeurteilung abgegeben hat.

Der Antrag ist jedoch nicht begründet. Auch aus der Sicht der Beklagten liegen keine objektiven Gründe vor, die in den Augen eines vernünftigen Menschen geeignet sind, Zweifel an der Unparteilichkeit und Objektivität des Sachverständigen zu erwägen (vgl. Stein-Johnas, § 406, I 4). Aus dem Gutachten selbst leitet die Beklagte keine Besorgnis der Befangenheit ab; solche Gründe hätten zulässigerweise spätestens nach Vorlage des Gutachtens und vor Verkündung des Urteils zu einem Antrag führen müssen. Aus den befundmäßigen Feststellungen des Arztbriefes vom 12. März 1985 leitet die Beklagte ihre Besorgnis der Befangenheit ebenfalls nicht ab. Vielmehr befürchtet die Beklagte, daß Sachlichkeit und Unparteilichkeit des Dr. deshalb nicht gewährleistet seien, da dieser sich bereits zu dem Leistungsvermögen des Klägers geäußert habe. Für den Richter ist in § 41 Nr. 6 ZPO ausdrücklich geregelt, wann er Kraft Gesetzes bei Beschäftigung mit früheren Angelegenheiten des selben Klägers ausgeschlossen ist, nämlich nur bei Mitwirkung in einem früheren Rechtszuge oder im Schiedsrichterlichen Verfahren bei dem Erlaß der angefochtenen Entscheidung. Daraus ist im Umkehrschluß zu folgern, daß der Richter bei Mitwirkung in anderen Sachen, früheren Rechtsstreitigkeiten oder mehreren parallelen Sachen, nicht ausgeschlossen ist und auch die einfache Tatsache der Mitwirkung in verschiedenen Sachen desselben Klägers keinen ausreichenden Grund für die Besorgnis der Befangenheit bietet. Es muß also noch etwas hinzukommen, was aus der Sicht des Klägers zu der Besorgnis der Befangenheit berechtigt, also etwa, wenn der Richter zu erkennen gibt, er werde an seiner bisherigen Meinung unbedingt festhalten ohne auf eventuelle neue Argumente einzugehen. Andernfalls würde es sonst bedeuten, daß ein Richter bei einem Kläger immer nur den ersten Rechtsstreit unbefangen durchführen kann und er bei jedem folgenden Rechtsstreit bei ähnlichem Streitgegenstand bereits befangen wäre. Dies bedeutet auf den Sachverständigen übertragen, daß auch dieser nicht nur bei der ersten Begutachtung unbefangen sein kann, sondern daß noch erhebliche Gründe hinzutreten, aus denen sich (aus der Sicht eines verständigen Beteiligten) ergibt, daß er an einer einmal gefaßten Meinung festhalten und diese auch bei späteren Begutachtungen nicht in Frage stellen werde. Dies kann im Fall des Gutachters Dr. nicht festgestellt werden. Zum einen hat er sowohl bei dem Arztbrief als auch im Gutachten die Feststellungen zum Leistungsvermögen des Klägers zusammen mit einen wesentlich dienstälteren und in der Krankenhaushierarchie wesentlich höher stehenden Arzt getroffen (Oberarzt bzw. Professor), zum anderen ist weder aus der Formulierung, noch aus sonstigen Umständen erkennbar, daß die im Arztbrief geäußerte Meinung über einen nur noch 4-stündigen Arbeitseinsatz vorgefaßt und unumstößlich sei. Weder aus der Formulierung des Gutachtens noch durch die Stellungnahme des Dr. vom 18. Juni 1986 läßt sich erkennen, daß der Gutachter im Gutachten vom 12. August 1985 ohne Rücksicht auf die neu erhobenen Befunde und deren Bewertung an seiner früheren Beurteilung festhalten wollte.

Soweit die Beklagte auf die Entscheidungen des LSG Berlin vom 3. Mai 1979 (Breithaupt 1980, 71 ff.) und des Hess. LSG vom 24. März 1983 (L-2/B-3/83) verweist, ändert sich nichts an dem gewonnenen Ergebnis. Beide Fälle liegen wesentlich anders als der hier zu entscheidende Fall und gerade im Bereich der Besorgnis der Befangenheit kommt es wesentlich auf die Umstände des Einzelfalles an. Im Fall des LSG Berlin hat der nach § 109 SGG beauftragte Gutachter zuvor zweimal dem Gericht gegenüber die streitentscheidende Frage nach der MdE schriftlich eindeutig beantwortet; im Fall des Hess. LSG hat sich der behandelnde Arzt mehrfach und ganz erheblich für den Kläger eingesetzt, z.B. den ablehnenden Rentenbescheid als medizinisch nicht haltbar bezeichnet, die Berentung vorgeschlagen und in seinem nach § 109 SGG erstellten Gutachten ausgeführt, daß er auf einer vorzeitigen Berentung aus Gesundheitsgründen bestehe. Nichts Vergleichbares findet sich im hier vorliegenden Fall, so daß der erkennende Senat nicht näher darauf einzugehen hatte, ob die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit, daß nach § 109 SGG auf Antrag des Klägers ein bestimmter Arzt gehört werden muß, der den Kläger auch über lange Zeit behandelt haben kann, wodurch ein besonderes Vertrauensverhältnis entstanden sein kann, nicht bedeutet, daß die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit durch den Versicherungsträger nur unter eingeengten Voraussetzungen möglich ist, weil andernfalls § 109 SGG weitgehend an Bedeutung verlieren würde (vgl. Peters-Sautter-Wolff, Komm, zum SGG, 4. Auflage, § 109 Nr. 3).
Rechtskraft
Aus
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