L 13 LW 1282/97

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 3 LW 669/96
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 13 LW 1282/97
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 10 LW 2/99 R
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 15. Juli 1997 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten der Berufungsinstanz zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Umstritten ist der Anspruch der Klägerin auf Befreiung von der Versicherungspflicht zur Alterssicherung der Landwirte (AdL) ab 1. Januar 1995.

Die Klägerin ist die Ehefrau des Nebenerwerbslandwirts H. K. M., der ein landwirtschaftliches Unternehmen mit einer landwirtschaftlichen Nutzfläche von mehr als 60 ha bewirtschaftet. Der Ehemann der Klägerin wurde mit Bescheid vom 12. Oktober 1992 nach § 14 Abs. 2 a des Gesetzes über die Altershilfe für Landwirte (GAL) mit Wirkung vom 1. Juli 1991 von der Versicherungspflicht zur AdL befreit.

Die Beklagte führte zur Ermittlung der von der Ehegattenversicherung Betroffenen Antragen bei den Versicherungspflichtigen und bei den von der Versicherungspflicht befreiten landwirtschaftlichen Unternehmern durch und zwar im Oktober 1994, im Dezember 1994, im Mai 1995 und nochmals im November 1995. Dabei würden bei den ersten Anfragen auch Informationsblätter über die Neuregelungen des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte (ALG) beigefügt. Ab Mitte Juni 1996 wurden in den noch offenen Fällen die Gemeinden angeschrieben und um Auskunft gebeten. Auf diesem Weg erhielt die Beklagte auch Kenntnis von der Klägerin als Ehefrau eines von der Versicherungspflicht zur AdL befreiten Nebenerwerbslandwirts.

Mit Bescheid vom 23. Juli 1996 stellte die Beklagte die Versicherungs- und Beitragspflicht der Klägerin zur Landwirtschaftlichen Alterskasse Hessen ab 1. Januar 1995 gemäß § 1 Abs. 3 ALG als Ehegatte eines Landwirts, dessen landwirtschaftliches Unternehmen die festgesetzte Mindestgröße überschreitet, fest. Die monatlichen Beiträge wurden ab 1. Januar 1995 mit 291,– DM und ab 1996 mit 311,– DM festgesetzt und ein Beitragsrückstand in Höhe von insgesamt 5.669,– DM errechnet. Mit Schreiben vom 5. August 1996 (eingegangen bei der Beklagten am 7. August 1996) erhob die Klägerin gegen diesen Bescheid Widerspruch und beantragte gleichzeitig die Befreiung von der Versicherungspflicht gemäß § 85 Abs. 3 a ALG mit der Begründung, ihr Ehemann sei von der Versicherungspflicht zur AdL befreit, dessen außerlandwirtschaftliches Einkommen habe im Jahr 1994 über 40.000,– DM betragen und der Wirtschaftswert des Betriebes liege unter 20.000,– DM. Mit Bescheid vom 9. August 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Oktober 1996 lehnte die Beklagte die Befreiung der Klägerin von der Versicherungspflicht ab, weil der diesbezügliche Antrag spätestens am 1. Juli 1996 hätte gestellt werden müssen und diese gesetzlich vorgeschriebene Frist mit dem erst am 12. August 1996 gestellten Befreiungsantrag versäumt worden sei. Auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei gesetzlich ausgeschlossen. Auch sei unerheblich, daß der Klägerin der "Aufnahmebescheid” erst am 23. Juli 1996 zugestellt worden sei. Der Unternehmer (der Ehemann der Klägerin) sei mehrfach gebeten worden, die entsprechenden Unterlagen zu übersenden. Die Klägerin sei daher nicht ohne Verschulden gehindert gewesen, den Befreiungsantrag rechtzeitig zu stellen. Die Möglichkeit einer rechtlich wirksamen Antragstellung habe seit dem Zeitpunkt, mit dem Beitragspflicht gemäß § 1 Abs. 3 ALG eingetreten sei, nämlich mit dem 1. Januar 1995, und nicht erst mit der Bekanntgabe des Beitragsbescheides vom 23. Juli 1996 bestanden.

Hiergegen hat die Klägerin am 22. Oktober 1996 Klage beim Sozialgericht Marburg erhoben. Zur Begründung machte sie weiterhin geltend, sie habe erstmals durch den Bescheid vom 23. Juli 1996 von der Versicherungspflicht zur AdL erfahren und es sei das Verschulden der Beklagten, daß sie den Bescheid erst nach Ablauf der Frist erhalten habe, bis zu der ein Befreiungsantrag hätte gestellt werden müssen.

Das Sozialgericht Marburg hat in der mündlichen Verhandlung vom 15. Juli 1997 den Ehemann der Klägerin als Zeugen gehört und sodann die angegriffenen Bescheide durch Urteil vom 15. Juli 1997 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die Klägerin ab dem 1. Januar 1995 von der Versicherungs- und Beitragspflicht zur AdL zu befreien. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, im vorliegenden Fall sei lediglich die Frage streitig, ob die Beklagte berechtigt sei, sich auf die Nichteinhaltung der Ausschlußfrist des § 85 Abs. 3 a Nr. 4 ALG für die Befreiung der Klägerin von der Versicherungs- und Beitragspflicht zu berufen. Im übrigen sei unter den Beteiligten unstreitig, daß die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für eine Befreiung von der Versicherungspflicht vorliegen. Die Beklagte habe zwar zutreffend festgestellt, daß die Klägerin die gesetzliche Ausschlußfrist zum 30. Juni 1996 für die Stellung des Antrags auf Befreiung von der Versicherungspflicht versäumt habe und gemäß § 85 Abs. 3 a Satz 2 i.V.m. § 85 Abs. 3 Satz 3 ALG eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (nach § 27 SGB X) ausdrücklich ausgeschlossen sei. Gleichwohl habe die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Befreiung von der Versicherungspflicht zu Unrecht abgelehnt, da sie im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs verpflichtet sei, die Klägerin so zu stellen, als ob diese den Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht rechtzeitig gestellt hätte.

Nach dem von der Rechtsprechung entwickelten Rechtsinstitut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs hätten die Sozialleistungsträger den Betroffenen bei einer Verletzung von Nebenpflichten aus dem Sozialrechtsverhältnis, durch die den Betroffenen ein Schaden entstanden sei, den Zustand herzustellen, der eingetreten wäre, wenn sich die Verwaltung nicht rechtswidrig verhalten hätte. Als ein solcher Schaden komme die Nichteinhaltung von Fristen in Betracht. Insoweit könne der Herstellungsanspruch neben das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand treten, weil beim Herstellungsanspruch der Fehler in der Verantwortungssphäre der Verwaltung liege und grundsätzlich jeder Verwaltungsfehler einen Herstellungsanspruch auslösen könne. Sei die Verfristung eines Befreiungsantrages auf eine rechtswidrige Pflichtverletzung der Verwaltung zurückzuführen, so sei der Versicherte so zu behandeln, als ob der Antrag fristgerecht gestellt worden sei.

Diese Voraussetzungen seien zur Überzeugung der Kammer erfüllt. Die Pflichtverletzung der Beklagten sei darin zu sehen, daß sie der Klägerin den Bescheid über die Versicherungs- und Beitragspflicht zur Landwirtschaftlichen Alterskasse Hessen erst zu einem Zeitpunkt übersandt habe, als die Ausschlußfrist für die Stellung des Befreiungsantrages bereits abgelaufen gewesen sei. Wegen der verspäteten Übersendung des Beitragsbescheides sei es der Klägerin nicht mehr möglich gewesen, den Befreiungsantrag fristgerecht zu stellen, da sie erst nach Fristablauf von der Notwendigkeit bzw. der Möglichkeit zur Stellung eines solchen Antrages erfahren habe. Demgegenüber könne sich die Beklagte nicht darauf berufen, die Versicherungspflicht sei kraft Gesetzes eingetreten und auch die Möglichkeit zur Befreiung von der Versicherungs- und Beitragspflicht sei bereits kraft Gesetzes gegeben gewesen. Zwar trete die Versicherungspflicht kraft Gesetzes bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen auch ohne Kenntnis der Betroffenen ein, gleichwohl könnten Beiträge aufgrund der eingetretenen Versicherungspflicht erst erhoben werden, wenn die Beitragspflicht von dem Versicherungsträger gegenüber dem Versicherten festgestellt und die Beiträge geltend gemacht worden seien. Ohne ein Tätigwerden des zuständigen Sozialleistungsträgers entstehe keine Verpflichtung zur Zahlung von Beiträgen. Der Vollzug des Gesetzes erfordere ungeachtet des gesetzlichen Eintritts der Versicherungspflicht zunächst ein Tätigwerden der Behörde gegenüber dem Versicherten. Hieraus ergebe sich aber auch die Verpflichtung der Behörde, so rechtzeitig tätig zu werden und die Versicherungs- und Beitragspflicht zu einem solchen Zeitpunkt gegenüber dem Versicherten festzustellen, daß dieser auch noch in der Lage sei, die sich hieraus ergebenden gesetzlichen Gestaltungsmöglichkeiten zu ergreifen. Der Beklagten sei zwar zunächst nicht bekannt gewesen, ob die Klägerin als Ehefrau eines Landwirts versicherungspflichtig geworden sei, da ihr die Personendaten über die Klägerin nicht zur Verfügung gestanden hätten und Versuche, die entsprechenden Daten über den Ehemann und den Kreisbauernverband zu erlangen, zunächst gescheitert seien. Die Beklagte hätte jedoch zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt den schließlich im Mai/Juni 1996 beschrittenen Weg über die Gemeindeverwaltung beschreiten können, um sich die erforderlichen Daten zeitgerecht zu beschaffen. Bei dem vorliegenden lange verzögerten Verfahrensgang könne sich die Beklagte auch nicht mit dem Hinweis entlasten, sie sei aus organisatorischen Gründen wegen der Vielzahl der zu bearbeitenden Fälle zu einer rascheren Bearbeitung nicht in der Lage gewesen. Auch sei der Ehemann der Klägerin nicht der richtige Adressat für die Mitteilung einer evtl. bestehenden Versicherungspflicht der Klägerin gewesen. Dieser sei nicht verpflichtet gewesen, bei der Feststellung der Voraussetzungen für die Versicherungspflicht seiner Ehefrau mitzuwirken. Dessen möglicherweise anzunehmendes Fehlverhalten sei dieser auch nicht zurechenbar. Der Klägerin sei auch nicht nachzuweisen, daß sie über das Bestehen der Versicherungspflicht informiert gewesen sei. Im übrigen wäre es lebensfremd, von einem Versicherten die Stellung eines Befreiungsantrages zu fordern, wenn für diesen noch nicht einmal feststehe, ob Versicherungs- und Beitragspflicht eingetreten sei, zumal über die Feststellung des Eintritts von Versicherungs- und Beitragspflicht verbindlich ohnehin nur der zuständige Sozialleistungsträger zu entscheiden habe. Nach den Umständen des vorliegenden Falles sei auch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, daß die Klägerin allein wegen der pflichtwidrig verzögerten Bearbeitung der Sache durch die Beklagte die Ausschlußfrist für die Stellung des Befreiungsantrages nicht eingehalten habe. Der Klägerin sei auch ein Schaden entstanden. Jedenfalls aus ihrer Sicht bestehe ohne Befreiungsmöglichkeit die nachteilige Pflicht, Beiträge zur Landwirtschaftlichen Alterskasse zahlen zu müssen, obwohl sie diese Versicherung nicht wünsche und daher von der gesetzlich vorgesehenen Befreiungsmöglichkeit Gebrauch machen wolle.

Gegen dieses ihr am 26. September 1997 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 1. Oktober 1997 Berufung bei dem Hessischen Landessozialgericht in Darmstadt eingelegt. Sie wiederholt und vertieft die bisherige Begründung der angefochtenen Bescheide und führt im einzelnen aus, daß aufgrund der umfangreichen allgemeinen Aufklärung der betroffenen Bevölkerungsgruppen über die neu eingeführte Versicherungspflicht für den Ehegatten eines landwirtschaftlichen Unternehmers und der diesbezüglichen Befreiungsmöglichkeiten ihr eine Verletzung der Aufklärungspflicht nicht angelastet werden könne. Auch ein konkreter Beratungsmangel liege nicht vor. Habe eine landwirtschaftliche Familie ihren Status nicht mitgeteilt, könne dies nicht zu Lasten der Beklagten gehen und als Beratungsfehler nach § 15 SGB I angesehen werden. Zum Bearbeitungsverfahren trägt sie vor, die Antragen bei den Gemeindeämtern seien im Frühjahr 1996 gebündelt versandt worden. Zwischen Eingang und Abarbeitung der hierauf eingegangenen Daten hätten maximal zwei bis drei Wochen gelegen, so daß der Beklagten die Daten frühestens Anfang Juli 1996 zur Verfugung gestanden hätten. Nachweise hierzu konnte die Beklagte nicht vorlegen.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 15. Juli 1997 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie sieht sich in ihrer Rechtsauffassung durch das angegriffene Urteil bestätigt und trägt ergänzend vor, sie sei nicht in dem Verteiler des offiziellen Mitteilungsblattes "Sicher leben” der Beklagten gewesen. Im übrigen sei aber auch die von der Beklagten betriebene Aufklärung unzureichend gewesen, insbesondere bezüglich der Befreiungsmöglichkeit nach § 85 Abs. 3 a ALG.

Mit Bescheid vom 30. April 1998 befreite die Beklagte die Klägerin ab dem 1. Mai 1998 als Landwirtin von der Versicherungspflicht zur Landwirtschaftlichen Alterskasse Hessen wegen der Pflege eines Pflegebedürftigen und ihrer deshalb in der gesetzlichen Rentenversicherung bestehenden Versicherungspflicht für die Dauer der Pflegetätigkeit.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie den Inhalt der Gerichtsakte und der die Klägerin betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Der wesentliche Inhalt dieser Akten war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, in der Sache jedoch unbegründet.

Das Sozialgericht hat im Ergebnis zu Recht entschieden, daß die Beklagte verpflichtet ist, den Antrag der Klägerin vom 7. August 1996 als fristgerecht (bis zum 31. Juli 1996) gestellt zu behandeln und diese rückwirkend ab dem 1. Januar 1995 generell und auf Dauer von der Versicherungs- und Beitragspflicht zur AdL zu befreien.

Streitgegenstand ist auch im Berufungsverfahren der Anspruch der Klägerin auf generelle, d.h. auf Dauer ausgesprochene Befreiung von der Versicherungspflicht zur AdL gemäß § 85 Abs. 3 a ALG. Die mit Bescheid vom 30. April 1998 angeordnete Befreiung der Klägerin von der Versicherungspflicht ab dem 1. Mai 1998 wegen und für die Dauer der rentenversicherungspflichtigen Pflege eines Pflegebedürftigen gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 3 ALG beseitigt das Rechtsschutzbedürfnis für diesen Anspruch nicht.

Die Klägerin erfüllt – was zwischen den Beteiligten unstreitig ist – als Ehegatte eines Landwirts die tatbestandlichen Voraussetzungen der seit dem 1. Januar 1995 geltenden Versicherungspflicht zur AdL gemäß § 1 Abs. 3 ALG (sog. Ehegattenversicherung). Voraussetzung hierfür ist lediglich, daß der andere Ehegatte Landwirt im Sinne des § 1 Abs. 2 ALG ist und daß die Eheleute nicht dauernd getrennt leben. Diese gesetzliche Versicherungspflicht trat ein, ohne daß es auf die Kenntnis, den Willen oder das Bewußtsein der Klägerin ankommt (BSG SozR 5420 § 2 Nr. 33; BSG, Urteil vom 18. Januar 1990, Az: 4 RK 4/88). Ob dies ausnahmslos auch für die Beitragspflicht gilt, kann im vorliegenden Fall dahinstehen (ebenso BSG, Urteil vom 18. Januar 1990, a.a.O.).

Gleichzeitig erfüllt die Klägerin die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Befreiung von dieser Versicherungspflicht gemäß § 85 Abs. 3 a ALG. Diese Vorschrift wurde nachträglich eingefügt mit dem Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Reform der agrarsozialen Sicherung (ASRG-ÄndG) vom 15. Dezember 1995 (BGBl. I S. 1814). Hiernach sind Versicherte nach § 1 Abs. 3 ALG, die die Voraussetzung nach § 85 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ALG erfüllen (d.h. am 31. Dezember 1994 nicht beitragspflichtig waren), rückwirkend ab 1. Januar 1995 von der Versicherungspflicht befreit, wenn sie

1) am 31. Dezember 1994 mit einem zu diesem Zeitpunkt von der Beitragspflicht in der Altershilfe für Landwirte befreiten Landwirt verheiratet sind und

2) der Wirtschaftswert des Unternehmens der Landwirtschaft nach den betrieblichen Verhältnissen am 1. Januar 1995 20.000,– DM nicht überschritten hat,

3) der befreite Unternehmer im Jahre 1994 Erwerbs- und Erwerbsersatzeinkommen ohne Berücksichtigung des Arbeitseinkommens aus Land- und Forstwirtschaft von mehr als 40.000,– DM erzielt hat und

4) die Befreiung bis zum 30. Juni 1996 bei der Landwirtschaftlichen Alterskasse beantragt wird.

Die Klägerin erfüllt die Tatbestandsvoraussetzungen der Nrn. 1–3 dieser Befreiungsvorschrift, was zwischen den Beteiligten ebenfalls unstreitig und vom Vordergericht zutreffend festgestellt worden ist.

Entscheidungserheblich für den vorliegenden Rechtsstreit bleibt daher allein die Frage, ob die Klägerin den Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht zur AdL rechtzeitig gestellt hat. Dies hat das Sozialgericht zu Recht angenommen.

Die Ausschlußfrist des § 85 Abs. 3 a Satz 1 Nr. 4 ALG hat die Klägerin zwar unstreitig versäumt. Sie hat den Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht zur AdL erst nach dem 30. Juni 1996, nämlich mit Schreiben vom 5. August 1996 (eingegangen bei der Beklagten am 7. August 1996) gestellt, nachdem die Beklagte die Versicherungspflicht mit Bescheid vom 23. Juli 1996 festgestellt und die fälligen Beiträge festgesetzt hatte. Gemäß Satz 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 3 dieser Vorschrift ist eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausgeschlossen, es handelt sich dabei um eine materiell-rechtliche Ausschlußfrist im Sinne von § 27 Abs. 5 SGB X. Es kommt hinzu, daß nach dem Grundsatz der formellen Publizität bei der Verkündung von Gesetzen diese mit ihrer Verkündung im Bundesgesetzblatt allen Normadressaten als bekannt gelten, ohne Rücksicht darauf, ob und wann diese davon tatsächlich Kenntnis erlangt haben. Eine Unkenntnis solcher Rechte, deren befristete Ausübung im Gesetz selbst ausdrücklich geregelt ist, kann nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts eine Wiedereinsetzung daher grundsätzlich nicht rechtfertigen (vgl. BSG SozR 3-5070 § 21 Nr. 3 m.w.N.; SozR 3-2600 § 115 Nr. 1).

Auch eine sogenannte Nachsichtgewährung kommt damit nicht mehr in Betracht, weil derartige Erwägungen nunmehr in § 27 SGB X gesetzlich konkretisiert und deshalb bei Versäumung materiell-rechtlicher Ausschlußfristen nur noch ausnahmsweise anzuwenden sind (vgl. BSG SozR 1300 § 27 Nr. 4).

Wie das Sozialgericht im Ergebnis zutreffend angenommen hat, kann die Klägerin jedoch verlangen, im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so gestellt zu werden, als habe sie sich rechtzeitig von der Versicherungspflicht zur AdL gemäß § 85 Abs. 3 a ALG befreien lassen.

Der vom Bundessozialgericht entwickelte und seither in ständiger Rechtsprechung (vgl. etwa BSG SozR 2100 § 27 Nr. 2; SozR 1200 § 14 Nr. 20; SozR 4100 § 105 Nr. 2; SozR 4100 § 125 Nr. 3; SozR 1200 § 14 Nr. 28; SozR 3-1200 § 14 Nr. 9; SozR 3-4100 § 37 Nr. 1) bestätigte verschuldensunabhängige Herstellungsanspruch dient als Institut des Verwaltungsrechts dazu, eine Lücke im Schadensersatzrecht zu schließen (BSG SozR 2100 § 27 Nr. 2). Dieses Rechtsinstitut knüpft zum einen an die Verletzung behördlicher Auskunfts-, Beratungs- und Betreuungspflichten im Sozialrechtsverhältnis an, es findet darüber hinaus aber auch allgemein bei zurechenbarem Fehlverhalten eines Leistungsträgers Anwendung, d.h. bei Verletzung der aus dem Sozialleistungsverhältnis erwachsenden behördlichen Nebenpflichten gegenüber dem Versicherten (vgl. BSG SozR 3-2600 § 115 Nr. 1). Der Anspruchsinhalt ist dabei auf Naturalrestitution in Gestalt der Vornahme einer Rechtshandlung zur Herstellung desjenigen Zustandes gerichtet, der bestehen würde, wenn der Sozialleistungsträger die ihm aus dem Sozialleistungsverhältnis erwachsenden Nebenpflichten ordnungsgemäß wahrgenommen hätte. Anerkannte Rechtsfolge einer solchen behördlichen Verletzung von Nebenpflichten ist gegebenenfalls auch, daß versäumte Anträge und Erklärungen des betroffenen Bürgers bzw. des Versicherten als rechtzeitig und ordnungsgemäß gelten (vgl. etwa BSG SozR 4100 § 14 Nr. 28).

Das richterrechtliche Institut des Herstellungsanspruchs ist vorliegend auch neben den Regelungen zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand anwendbar. Zwar betont insbesondere das Bundesverwaltungsgericht, daß es an einer der Ausfüllung durch Richterrecht zugänglichen Regelungslücke fehle, "wenn das materielle Recht im einzelnen bestimmt, unter welchen Voraussetzungen die Behörde einen Leistungsantrag ausnahmsweise noch berücksichtigen darf, obwohl der Antragsteller die gesetzliche Antragsfrist versäumt hat. Eine solche gesetzliche Regelung, bei deren Anwendung auch ein Fehlverhalten der Behörde zu berücksichtigen ist, läßt keinen Raum für einen Herstellungsanspruch, der damit begründet wird, das Verhalten des Sozialleistungsträgers sei ursächlich oder mitursächlich dafür geworden, daß die Leistung nicht fristgerecht beantragt worden sei” (BVerwG, Urteil vom 18. April 1997, Az: 8 C 38/95 = NJW 1997, 2966 ff. unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BSG in BSGE 56, 266, 270; 73, 56, 59). Der richterrechtlich entwickelte Herstellungsanspruch ist jedoch wegen einer Regelungslücke dann anwendbar, wenn die Folgen der Pflichtverletzung eines Leistungsträgers bei der Erfüllung seiner Aufgaben nach dem SGB im Gesetz weder speziell geregelt, noch darin in anderer Weise, etwa durch Härteklauseln, Wiedereinsetzungsregeln oder Fiktionen, konzeptionell mitbedacht sind (BSG SozR 3-2600 § 58 Nr. 2; Wallerath, Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch im sozialen Entschädigungsrecht und in den Hilfs- und Fördersystemen, in: Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch, Schriftenreihe des Deutschen Sozialrechtsverbandes, Bd. 39, S. 67, 80; Bieback, SGb 1990, S. 525).

Eine solche Regelung hat der Gesetzgeber für den Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht zur Alterssicherung der Landwirte für Ehegatten landwirtschaftlicher Unternehmer nach § 85 Abs. 3 a ALG nicht getroffen. Er hat für diesen Antrag vielmehr – wie bereits ausgeführt – eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (bei der ggf. behördliche Verletzungen von Nebenpflichten aus dem Sozialrechtsverhältnis berücksichtigt werden könnten) generell ausgeschlossen. In solchen Fällen bleibt der sozialrechtliche Herstellungsanspruch auch nach der Rechtsprechung des BVerwG (a.a.O.) anwendbar. Unter dem Gesichtspunkt effektiven Rechtsschutzes bzw. einer effektiven Wahrnehmung sozialer Rechte und einer effektiven Ausübung von Gestaltungsrechten im Rahmen von Sozialrechtsverhältnissen kann vorliegend auch nicht angenommen werden, daß bei der Normierung der materiell-rechtlichen Ausschlußfrist des § 85 Abs. 3 a Satz 2 Nr. 3 ALG ein Fehlverhalten der Verwaltung gegenüber den betroffenen Versicherten bereits konzeptionell mitbedacht worden ist.

Die Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs sind vorliegend vom Sozialgericht im Ergebnis zutreffend angenommen worden. Die Beklagte hat gegenüber der Klägerin bestehende Nebenpflichten (Betreuungspflichten) des Sozialversicherungsverhältnisses verletzt, die ursächlich dafür waren, daß die Klägerin den Befreiungsantrag nicht rechtzeitig gestellt hat.

Mit Entstehung des Pflichtversicherungsverhältnisses zwischen der Klägerin und der Beklagten nach Inkrafttreten des § 1 Abs. 3 ALG am 1. Januar 1995 oblag jener zunächst als objektivrechtliche (hauptsächlich im Interesse der Versichertengemeinschaft bestehende) Verpflichtung, die versicherungs- und beitragspflichtig gewordenen Landwirtsehegatten zu ermitteln, die Beiträge festzusetzen und von diesen einzuziehen (§§ 70 ff., 115 ALG). Mit Inkrafttreten des ASRG-ÄndG am 1. Januar 1996 bestand diese Verpflichtung im Hinblick auf die Befreiungsmöglichkeit des § 85 Abs. 3 a ALG und der zeitlich relativ engen Begrenzung der Antragsfrist auf den 30. Juni 1996 auch im Interesse und gegenüber dem hiernach betroffenen bestimmbaren, aber noch nicht konkret ermittelten Personenkreis der Ehegatten von versicherungsbefreiten Nebenerwerbslandwirten, zu dem die Klägerin zählt. Diese versicherungspflichtigen Personen hatte die Beklagte – soweit dies noch nicht geschehen war – mit allem Nachdruck nach der Normierung des § 85 Abs. 3 a ALG am 1. Januar 1996 zu ermitteln, zur Beitragszahlung heranzuziehen und im Rahmen dieses konkreten Verwaltungsverfahrens auch über diese neu geschaffene zusätzliche Befreiungsmöglichkeit zu informieren.

Zwar folgt nach höchstrichterlicher Rechtsprechung zu § 14 SGB I aus der Beratungspflicht regelmäßig keine Verpflichtung für den Versicherungsträger, anläßlich von Gesetzesänderungen in bezug auf alle Versicherten zu prüfen, ob sie davon betroffen sein könnten, und diese ohne konkreten Anlaß zu informieren. Eine solche Verpflichtung bzw. die Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung im Rahmen des Amtsermittlungsgrundsatzes (vgl.: hierzu Adolf, Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch, 1991, S. 45 m.w.N.) wird jedoch vom Bundessozialgericht in Ausnahmefällen bei gesetzlichen Änderungen mit schwerwiegenden Folgen, wie drohendem Totalverlust eines Anspruchs für möglich erachtet und erwogen (vgl. BSG SozR 3-1200 § 14 Nr. 12; SozR 3-2600 § 115 Nr. 1). Zum einen sieht das Bundessozialgericht einen konkreten Anlaß zu einer Beratung auch schon dann als gegeben an, wenn (bei der Bearbeitung der Akten z.B. im rentenversicherungsrechtlichen Kontenklärungsverfahren) zu erkennen ist, daß der Versicherte zu einem Personenkreis gehört, auf den eine für dessen Ansprüche bedeutsame gesetzliche Regelung Anwendung findet (BSG SozR 1200 § 14 Nr. 15). Hinsichtlich einer weitergehenden Verpflichtung des Versicherungsträgers, bei gesetzlichen Änderungen mit schwerwiegenden Folgen für die Ansprüche aus der gesetzlichen Sozialversicherung alle bei diesen geführten Versicherungskonten daraufhin zu überprüfen, ob sie Anlaß für eine spontane Beratung geben, ließ es das Bundessozialgericht dahinstehen, ob eine solche Ausweitung generell ausgeschlossen oder in bestimmten Ausnahmefällen geboten ist. Ausnahmen müssen sich nach dieser Judikatur jedenfalls auf Fälle beschränken, in denen das vom Gesetzgeber mit der Rechtsänderung verfolgte Anliegen anders nicht oder nur sehr unvollkommen erreicht, insbesondere der soziale Schutz nicht gewährleistet werden könnte (BSG SozR 3 1200 § 14 SGB I Nr. 12 mit Hinweis auf SozR 1200 § 14 Nr. 16). Für den Bereich der Rentenversicherung ist im übrigen in § 115 SGB VI in Abs. 5 die Möglichkeit der Erteilung von Rentenauskünften von Amts wegen und in Abs. 6 die Sollverpflichtung zum Hinweis auf eine Leistungsberechtigung im Falle einer Antragstellung "in geeigneten Fällen” gesetzlich normiert worden.

Diese zur Beratungspflicht und der Amtsermittlungspflicht entwickelten Grundsätze und der Rechtsgedanke des § 115 SGB VI Abs. 6 SGB VI sind auf die hier relevante Verpflichtung zur unverzüglichen Ermittlung der betroffenen Versicherten und deren konkreter Informierung über die Befreiungsmöglichkeit nach § 85 Abs. 3 a ALG im Zuge der Heranziehung zur Beitragsleistung fristgerecht vor dem 30. Juni 1996 übertragbar und fortzuentwickeln. Vorliegend ist ein Ausnahmefall für eine solche Verpflichtung anzunehmen, was sich nach Auffassung des Senats aus folgendem ergibt:

Die zum 1. Januar 1995 eingeführte sog. Ehegattenversicherung in der AdL beruht auf der gesetzlichen Fiktion einer Unternehmerstellung der Ehegatten von Landwirten und begegnete jedenfalls in der ursprünglichen Fassung des ALG vor Inkrafttreten des ASRG-ÄndG insbesondere im Falle der Ehefrauen von ihrerseits von der Versicherungspflicht in der AdL befreiten Nebenerwerbslandwirten verfassungsrechtlichen Bedenken. Die hiermit verbundene relativ hohe zwangsweise auferlegte Beitragsbelastung zur AdL betrifft in diesen Fällen Personen (den Nebenerwerbslandwirt und seine Ehefrau), deren aktuelle wirtschaftliche Existenz und deren spätere soziale Alterssicherung auf einer außerlandwirtschaftlichen Tätigkeit beruhen. Darüber hinaus sind bzw. waren die Ehegatten versicherungsbefreiter Nebenerwerbslandwirte leistungsrechtlich benachteiligt, zum einen gegenüber den Ehegatten rentenversicherungspflichtig Beschäftigter und zum anderen hinsichtlich der sonstigen Ehegatten von Landwirten aufgrund der fehlenden Möglichkeit zur beitragsfreien Anrechnung von Zeiten des Landwirts (§ 92 Abs. 1–3 ALG; vgl. hierzu Wirth, Änderung des Agrarsozialreformgesetzes, SdL 1996, S. 36 ff.; Böttger, Verfassungsmäßigkeit der Ehegattenpflichtversicherung in der Alterssicherung der Landwirte, SdL 1996, S. 254 ff.; Stüwe, Ein Jahr Agrarreformgesetz, SdL 1996, S. 59 ff.). Diese Auswirkungen haben nicht nur zu "vehementen und vielfach auch organisierten Protesten aus diesem Personenkreis” (Wirth, a.a.O., S. 36) geführt, sondern sind vom Gesetzgeber als "ungewollte Härte” des ASRG erkannt worden, zu deren Entschärfung und Beseitigung u.a. die Befreiungsmöglichkeit des § 85 Abs. 3 a ALG für "Bestandsbäuerinnen” eingeführt wurde (vgl. die Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Reform der agrarsozialen Sicherung (ASRG-ÄndG, BT-Drucks. 13/2747 vom 24. Oktober 1995, S. 1); Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuß) BT-Drucks. 13/3057 vom 22. November 1995, S. 26). Der Gesetzgeber hat durch § 85 Abs. 3 a ALG und die Rückwirkung dieses Befreiungsrechts auf den 1. Januar 1995 den verfassungsrechtlichen Bedenken Rechnung getragen (zur Verfassungskonformität der "Bäuerinnensicherung” unter Berücksichtigung der modifizierten Ausgestaltung durch das ASRG-ÄndG, vgl. Böttger, a.a.O.). Bei der Bemessung der Ausschlußfrist zum 30. Juni 1996 ist er offensichtlich davon ausgegangen, daß diese den betroffenen Versicherten die reale Möglichkeit bietet und eine ausreichend lange Zeit beläßt, auf der Grundlage des geänderten Rechts eine Entscheidung für oder gegen den Austritt aus der AdL zu treffen. Dies war auch das Motiv zur Fristverlängerung um drei Monate über den 31. Dezember 1995 hinaus für die Beantragung einer endgültigen Befreiung von Bestandsbäuerinnen aufgrund von Tatbeständen, die bereits mit dem ASRG 1995 vorgesehen waren (§ 85 Abs. 3 ALG, vgl. hierzu Wirth, a.a.O., S. 43).

Das Recht, sich durch einen entsprechenden Antrag von der Versicherungspflicht in der AdL befreien zu lassen, beinhaltet ein Gestaltungsrecht, durch welches ein bestehendes Versicherungsverhältnis rückwirkend zum 1. Januar 1995 aufgelöst und die Verpflichtung zur Beitragszahlung beseitigt wird. Entgegen dem Vortrag der Beklagten bestand diese Möglichkeit für die Klägerin lediglich nach § 85 Abs. 3 a ALG, d.h. erst ab dem 1. Januar 1996. Seine wirksame Ausübung setzt nicht nur logisch ein bestehendes Pflichtversicherungsverhältnis voraus, sondern – worauf das Sozialgericht zutreffend hingewiesen hat – zumindest praktisch auch, daß die Versicherungs- und Beitragspflicht durch den Versicherungsträger zuvor festgestellt wurde. Ohne diese Konkretisierung des Versicherungsverhältnisses besteht für den Versicherten in der Regel kein Anlaß, vorsorglich einen Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht zu stellen. Vorliegend kommt hinzu, daß die Beklagte in den bisher an die von der Versicherungspflicht in der AdL befreiten Landwirte Merkblätter versandt hatte, in denen der Befreiungstatbestand des § 85 Abs. 3 a ALG nicht aufgeführt war (und noch nicht aufgeführt sein konnte), die nunmehr aber unvollständig und damit unrichtig geworden waren, auch für die vergangene Zeit vom 1. Januar 1995 bis 31. Dezember 1995. Für die Fälle, in denen – wie vorliegend – der Versicherungspflichtige Ehegatte von Landwirten noch nicht definitiv ermittelt war, ergab sich vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Problematik der Ehegattenversicherung in der AdL ohne den speziellen Befreiungstatbestand des § 85 Abs. 3 a ALG, aus dem Charakter dieser Befreiungsmöglichkeit als "Gegenrecht” und dem "Ingerenzgesichtspunkt” einer unvollständig und damit unrichtig gewordenen früheren Information sowie im Hinblick auf den Totalverlust der Befreiungsmöglichkeit von einer Versicherungspflicht, die mit einer dauerhaften finanziell ganz erheblichen Beitragsbelastung verbunden ist und vom Gesetzgeber selbst ohne die Befreiungsmöglichkeit als "ungewollte Härte” eingestuft wurde, für die Beklagte ab dem 1. Januar 1996 die Verpflichtung zur unverzüglichen und intensiven Fortsetzung der Ermittlungen und ggf. zur individuellen und konkreten Information der Betroffenen, um diese Personengruppen in die Lage zu versetzen, sich ggf. von der verfassungsrechtlich bedenklich und politisch nicht gewollten Härte einer ausnahmslosen Pflichtversicherung in der AdL befreien zu lassen. Dieser Verpflichtung ist die Beklagte vorliegend nicht in ausreichendem Maße nachgekommen.

Nach Angaben des Beklagtenvertreters in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht vom 15. Juli 1997 sind im Falle der Klägerin Antragen bei deren Ehemann im Oktober 1994, im Dezember 1994 sowie im Mai 1995 erfolgt. Unabhängig von der rechtlichen Zurechnung des Verhaltens des Ehemannes der Klägerin hätte es (auch aus der Sicht der Beklagten) aufgrund der aufgezeigten sozialen und verfassungsrechtlichen Problematik in Fällen wie dem vorliegenden nahegelegen, die Landwirte selbst nochmals anzuschreiben und auch über die nunmehr bestehende zusätzliche Befreiungsmöglichkeit zu informieren. Die Gemeinde ist dagegen erst im Juni 1996 angeschrieben worden, die Auskunft über die Klägerin ist nach diesen Angaben am 22. Juli 1996 erteilt worden. Auf nochmalige Nachfrage des erkennenden Senats trägt die Beklagte nunmehr vor, die Antragen seien gebündelt "im Frühjahr” 1996 an die Gemeindeverwaltungen versandt worden, die Antworten hätten frühestens Anfang Juli 1996 zur Verfügung gestanden haben können. Direkte Nachweise konnte die Beklagte vorliegend nicht mehr fuhren. Damit ist zur Überzeugung des Senats nicht dargetan oder gar nachgewiesen, daß die Ermittlungen im vorliegenden Fall ab dem 1. Januar 1996 nicht hätten früher und nachdrücklicher durchgeführt und erfolgreich abgeschlossen werden können, zumal die Angelegenheit der Klägerin bereits 1995, wenn auch noch als "offener Fall”, in Bearbeitung war und nur aufgegriffen werden mußte. Dabei verkennt der Senat nicht, daß die Beklagte durch die Einführung der Ehegattenversicherung mit dem ASRG und deren Modifizierungen durch das ASRG-ÄndG vor große administrative Probleme gestellt worden war (vgl. hierzu Stüwe, a.a.O., S. 60, wonach mit Einführung der "Bäuerinnensicherung” 206.000 Versicherte nach § 1 Abs. 3 ALG erfaßt und 191.000 Personen von der Versicherungspflicht befreit wurden. Nach der Statistik des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung (BABl. 11/1998, S. 85) sank der Bestand an Versicherten nach § 1 Abs. 3 ALG von 205.056 im Jahr 1995 auf 162.539 im Jahr 1997.) Dennoch ist der Senat der Auffassung, daß eine Ermittlung und Informierung der Klägerin rechtzeitig vor dem 30. Juni 1996 möglich gewesen wäre, insbesondere hätte die Wohngemeinde der Klägerin früher angeschrieben und um Auskunft gebeten werden können bzw. hätte diese um eine raschere Auskunftserteilung gebeten werden können. Ein Schuldvorwurf ist mit dieser Feststellung im Rahmen des Herstellungsanspruchs ohnehin nicht verbunden.

Diese der Klägerin gegenüber bestehende Verpflichtung war auch ursächlich dafür, daß diese den Befreiungsantrag nicht fristgerecht gestellt hat. Es ist der Klägerin nicht zu widerlegen, daß sie vor dem Zugang des Bescheids der Beklagten vom 23. Juli 1996 keine positive Kenntnis von der ab 1. Januar 1996 Gesetz gewordenen Befreiungsmöglichkeit nach § 85 Abs. 3 a GAL hatte. Es ist auch nicht ersichtlich, daß die Klägerin die Möglichkeiten zur Aufklärung und Information grob fahrlässig nicht genutzt hat und deshalb das pflichtwidrige Verhalten der Beklagten für den Herstellungsanspruch evtl. "unbeachtlich” geworden wäre (vgl. dazu BSG SozR 3-2200 § 543 Nr. 1), zumal in den Informationsblättern der Beklagten, die sie an die versicherungsbefreiten Landwirte im Jahr 1995 versandt hatte, diese Befreiungsmöglichkeit nicht enthalten war. Die Klägerin hat auch sofort nach Zugang des genannten Bescheides der Beklagten einen Antrag auf Befreiung gestellt. Es ist daher davon auszugehen, daß sie diesen Antrag fristgerecht gestellt hätte, wenn sie den Bescheid noch innerhalb der Antragsfrist erhalten hätte. Schließlich steht die Verletzung der Pflicht zur fristgerechten Bescheiderteilung und Information der Klägerin in einem inneren Zusammenhang mit der Versäumung der Ausschlußfrist für den Befreiungsantrag nach § 85 Abs. 3 a ALG.

Die Berufung der Beklagten konnte damit insgesamt keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war gemäß § 160 Abs. 2 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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