L 13/14 An 1126/89

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 6 An 765/88
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 13/14 An 1126/89
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Beigeladenen gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 27. Juli 1989 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob das klagende Land den Beigeladenen auch für die Zeit vom 8. November 1975 bis zum 31. Oktober 1985 bei der Beklagten nachzuversichern hat.

Der Beigeladene war im Anschluß an seine Referendarzeit (5. September 1969 bis 31. Januar 1971) vom 1. Februar 1971 an als Studienrat zur Anstellung (z.A.) im hessischen Schuldienst tätig. Durch Bescheid vom 7. Mai 1975 ordnete der zuständige Regierungspräsident in Darmstadt die Entlassung des Beigeladenen zum 30. Juni 1975 an, weil er sich während der (verlängerten) Probezeit nicht bewährt habe. Den gegen diesen Bescheid erhobenen Widerspruch des Beigeladenen wies der zuständige Hessische Kultusminister mit Widerspruchsbescheid vom 7. November 1975 als unbegründet zurück und ordnete zugleich die sofortige Vollziehung der Entlassungsentscheidung an.

Der Beigeladene erhob daraufhin am 20. November 1975 Klage bei dem Verwaltungsgericht Frankfurt am Main (Az.: III/3 E 300/75) und beantragte außerdem die Aufhebung der sofortigen Vollziehbarkeit. Durch Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 23. Dezember 1975 (Az.: III/2 H 297/75) wurde die aufschiebende Wirkung der vom Beigeladenen erhobenen Anfechtungsklage "in dem Umfang wiederhergestellt, daß dem Antragsteller die Hälfte seiner jeweiligen Dienstbezüge verbleibt.” Im übrigen wurde der Antrag des Beigeladenen zurückgewiesen. Im Klageverfahren wurde schließlich am 9. Oktober 1985 vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof (Az.: I OE 97/79) "zur Beendigung des vorliegenden Rechtsstreits” ein Vergleich folgenden Inhalts geschlossen:

1) "Der Kläger scheidet mit Ablauf des 30. Juni 1975 aus dem Beamtenverhältnis aus.

2) Der Beklagte verzichtet auf die Rückzahlung der dem Kläger bis einschließlich Oktober 1985 geleisteten Zahlungen.

3) Die Kosten des Verfahrens werden geteilt.”

Durch Verfügungen des Regierungspräsidenten in Darmstadt vom 27. März 1986, vom 1. September 1986 sowie vom 9. März 1987 wurde der Beigeladene anschließend für die Zeit, während derer er seine vollen Dienstbezüge erhalten hatte (5. September 1969 bis 7. November 1975), bei der Beklagten nachversichert. Streit entstand über die Frage, ob auch für die Zeit, während derer der Beigeladene aufgrund des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 23. Dezember 1975 "die Hälfte seiner jeweiligen Dienstbezüge” erhalten hatte (8. November 1975 bis 31. Oktober 1985), eine Nachversicherung durchzuführen sei. Die Beklagte forderte den Kläger schließlich mit Bescheid vom 15. April 1988 auf, auch für die Zeit der Weiterzahlung gekürzter Dienstbezüge noch Nachversicherungsbeiträge zu leisten. Der Forderungsbescheid enthielt eine Rechtsbehelfsbelehrung des Inhalts, daß innerhalb eines Monats nach Zustellung Klage beim Sozialgericht erhoben werden könne.

Mit seiner am 5. Juli 1988 vor dem Sozialgericht Darmstadt erhobenen Klage machte der Kläger geltend, daß der Beigeladene zum 30. Juni 1975 wirksam aus dem Beamtenverhältnis entlassen worden sei und daß zum selben Zeitpunkt auch die Gewährleistung beamtenrechtlicher Versorgungsanwartschaften erloschen sei. Die durch den Widerspruchsbescheid des Hessischen Kultusministers vom 7. November 1975 angeordnete sofortige Vollziehung der Entlassungsentscheidung sei durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 23. Dezember 1975 nur insoweit modifiziert worden, als dem Beigeladenen unter dem Gesichtspunkt der nachwirkenden Fürsorgepflicht des Dienstherrn zunächst die Hälfte seiner jeweiligen Dienstbezüge verbleiben sollte. Aus den entsprechenden Zahlungen könne jedoch noch nicht auf das Bestehen eines sozialversicherungsrechtlich relevanten Beschäftigungsverhältnisses geschlossen werden. Die Beklagte und der durch Beschluss des Sozialgerichts vom 12. August 1988 zum Verfahren beigeladene Versicherte vertraten demgegenüber die Auffassung, daß für die Zeit bis Oktober 1985 von einem fortbestehenden Beschäftigungsverhältnis (des Beigeladenen) ausgegangen werden müsse.

Das Sozialgericht hat durch Urteil vom 27. Juli 1989 den angefochtenen Bescheid der Beklagten vom 15. April 1988 aufgehoben und zur Begründung unter anderem ausgeführt, daß das Beschäftigungsverhältnis des Beigeladenen durch den für sofort vollziehbar erklärten Widerspruchsbescheid des Hessischen Kultusministers vom 7. November 1975 wirksam beendet worden sei. Der Antrag des Beigeladenen auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner gegen die Entlassungsentscheidung erhobenen Klage sei vom Verwaltungsgericht Frankfurt am Main durch Beschluss vom 23. Dezember 1975 nämlich jedenfalls insoweit zurückgewiesen worden, als dem Beigeladenen mit sofortiger Wirkung die weitere Amtsausübung untersagt worden sei. Trotz der teilweise erfolgten Weiterzahlung von Dienstbezügen habe mithin in der Zeit nach dem 7. November 1975 kein (faktisches) Beamtenverhältnis des Beigeladenen mehr bestanden.

Der Beigeladene hat gegen das am 6. September 1989 per Einschreibebrief an ihn abgesandte Urteil des Sozialgerichts am 7. Oktober 1989 Berufung eingelegt. Er macht geltend, anläßlich des Vergleichsabschlusses vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshofs am 9. Oktober 1989 davon ausgegangen zu sein, daß auch für die Zeit vom 8. November 1975 bis zum 31. Oktober 1985 eine Nachversicherung durchgeführt werden werde. Wenn dies nun unterbleibe, so sei darin eine Verletzung des Vertrauensgrundsatzes zu sehen.

Der Beigeladene beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 27. Juli 1989 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
zum Beweis dafür, daß anläßlich des vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof am 9. Oktober 1985 geschlossenen Vergleichs davon ausgegangen worden ist, daß auch für die Zeit vom 8. November 1975 bis zum 31. Oktober 1985 eine Nachversicherung durchgeführt werden würde, Herrn Rechtsanwalt K. V. als Zeuge zu vernehmen.

Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das erstinstanzliche Urteil für sachgerecht.

Die Beklagte hat im Berufungsverfahren keinen eigenen Sachantrag gestellt.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten sowie zur Ergänzung des Sach- und Streitstands im übrigen wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten, der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Gerichtsakten ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

Das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 27. Juli 1989 ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 15. April 1988 ist rechtswidrig. Der Beigeladene ist für die Zeit vom 8. November 1975 bis zum 31. Oktober 1985 nicht nachzuversichern.

Gemäß § 9 Abs. 1 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) sind Personen, die aus einer versicherungsfreien Beschäftigung ausscheiden, ohne daß ihnen nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen eine lebenslängliche Versorgung gewährt wird, für die Zeit nachzuversichern, in der sie sonst in der Rentenversicherung der Angestellten versicherungspflichtig gewesen wären. Zweck der Nachversicherung ist es, Personen, die im Hinblick auf eine anderweitige Versorgung in ihrer Beschäftigung versicherungsfrei waren, als Ersatz für die weggefallene Aussicht auf diese Versorgung eine soziale Sicherung durch die gesetzliche Rentenversicherung zu verschaffen.

Im vorliegenden Fall ist der Beigeladene unstreitig für die Zeit seiner Beschäftigung im Hessischen Schuldienst vom 5. September 1969 bis zum 30. Juni 1975 und außerdem auch für die Dauer des im Anschluß an den Entlassungsbescheid vom 7. Mai 1975 durchgeführten und durch Widerspruchsbescheid vom 7. November 1975 abgeschlossenen Vorverfahrens nachzuversichern. Streitig ist allein, ob der Beigeladene auch für die Zeit vom 8. November 1975 bis zum 31. Oktober 1985, während derer er aufgrund des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 23. Dezember 1975 die Hälfte seiner jeweiligen Dienstbezüge erhielt, nachzuversichern ist.

Ob und wann ein "Ausscheiden” aus einer versicherungsfreien Beschäftigung vorliegt, ist der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zufolge nach Sinn und Zweck des § 9 AVG "rein faktisch” unter Heranziehung allein derjenigen Merkmale zu beurteilen, die nach sozialversicherungsrechtlichen Grundsätzen für den Begriff des Ausscheidens aus einer versicherungsfreien Beschäftigung von Bedeutung sind; auf die arbeitsrechtliche bzw. beamtenrechtliche Beurteilung kommt es demgegenüber nicht an (BSG SozR 2200 § 1232 Nrn. 1, 3, 22; jeweils m.w.N.). Dementsprechend kann der Zeitpunkt, zu dem nach beamtenrechtlichen Grundsätzen durch entsprechenden Bescheid die "Entlassung” eines Beamten angeordnet worden ist, nicht ohne weiteres mit dem Zeitpunkt seines "Ausscheidens” aus dem Kreis der versicherungsfreien Versorgungsberechtigten gleichgesetzt werden.

Es ist im Einzelfall vielmehr zu prüfen, ob die angeordnete Entlassung auch "rein faktisch” zum bestimmten Termin wirksam geworden ist, oder ob der Beamte – insbesondere infolge der aufschiebenden Wirkung der von ihm möglicherweise eingelegten Rechtsbehelfe – über den im Entlassungsbescheid genannten Zeitpunkt hinaus im Rahmen eines "öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses eigener Art” bzw. eines "faktischen Beamtenverhältnisses” oder eines "faktischen Arbeitsverhältnisses” weiterbeschäftigt worden ist. Da die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen ihrem Zweck nach darauf gerichtet ist, daß während der Dauer des Rechtsbehelfsverfahrens zunächst der Status quo vor einseitigen Veränderungen geschützt bleibt, kann nämlich durch eine in ihrer Wirksamkeit aufgeschobene Entlassungsverfügung auch die sich aus § 6 Abs. 1 Nr. 3 AVG gewährleistete Versicherungsfreiheit für die Dauer der einstweiligen Weiterbeschäftigung nicht beseitigt werden (vgl. BSG vom 23. Juli 1986 – 1 RA 35/85 = SozR 2200 § 1232 Nr. 22 m.w.N.).

Etwas anderes muß allerdings dann gelten, wenn bezüglich des den beamtenrechtlichen Status regelnden Entlassungsbescheides die sofortige Vollziehung besonders angeordnet worden ist und wenn demzufolge die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs nach Maßgabe des § 80 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) nicht eintreten kann. In einem solchen Fall ist die durch den Verwaltungsakt getroffene Regelung von Rechten und Pflichten nämlich sofort als verbindlich anzusehen und weiteren Handlungen zugrunde zu legen, so daß sich die Frage einer etwaigen einstweiligen Weiterbeschäftigung des entlassenen Beamten nicht stellen kann. Zeiten, in denen über die Rechtmäßigkeit einer für sofort vollziehbar erklärten Entlassungsentscheidung gestritten wird, können angesichts dessen – wenn sich der angefochtene Bescheid schließlich als rechtmäßig erweist – auch nicht der Nachversicherung gemäß § 9 Abs. 1 AVG unterliegen (vgl. BSG vom 24. Juni 1987 – 1 BH (A) 3/87).

Ausgehend von diesen Grundsätzen kommt es im vorliegenden Fall entscheidend darauf an, daß der das Verwaltungsverfahren abschließende Widerspruchsbescheid des Hessischen Kultusministers vom 7. November 1975 gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO für sofort vollziehbar erklärt worden ist und daß die aufschiebende Wirkung der anschließend vom Beigeladenen erhobenen Anfechtungsklage jedenfalls was dessen sofortige Suspendierung vom Dienst anlangt auch nicht gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO wiederhergestellt worden ist. Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main hat in seinem entsprechenden Beschluss vom 23. Dezember 1975 ausführlich dargelegt, daß die dem Beigeladenen gegenüber ausgesprochene sofort vollziehbare Entlassung zwei unmittelbare Folgen habe: zum einen sei es dem Beigeladenen verwehrt, vom Entlassungstage an seine Tätigkeit als Lehrer fortzusetzen, und zum zweiten verliere er von diesem Zeitpunkt an jede Gehaltszahlung. Soweit es um die weitere Ausübung der Dienstgeschäfte gehe, überwiege das öffentliche Interesse an einer sofortigen Suspendierung des Beigeladenen; ihm sei jedoch nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung unter dem Gesichtspunkt der Fürsorgepflicht des öffentlichen Dienstherrn bis zum Abschluß des Klageverfahrens der notwendige Unterhalt – im vorliegenden Fall in Höhe der Hälfte seiner jeweiligen Dienstbezüge – zu belassen. Bei dieser Sachlage jedoch war der Kläger für die Dauer des Klageverfahrens "rein faktisch” weder berechtigt noch verpflichtet, seine Dienstpflichten als Beamter wahrzunehmen, und allein aus der auf dem Fürsorgeprinzip beruhenden Weiterzahlung gekürzter Dienstbezüge kann ein Anspruch auf Nachversicherung nicht hergeleitet werden.

Der Beigeladene kann sich auch nicht darauf berufen, daß er anläßlich des Vergleichsabschlusses vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof am 9. Oktober 1985 davon ausgegangen sei, es werde auch für die Zeit vom 8. November 1975 bis zum 31. Oktober 1985 zu seinen Gunsten eine Nachversicherung durchgeführt werden. Denn für die nach objektiv-rechtlichen Kriterien zu beantwortende Frage, ob und gegebenenfalls für welchen Zeitraum ein aus dem öffentlichen Dienst ausgeschiedener Beamter nachzuversichern ist, kommt es nicht auf die Vorstellungen des Beamten darüber an, was diesbezüglich rechtens sein werde. Für den Senat bestand angesichts dessen keine Veranlassung, dem hilfsweise gestellten Beweisantrag des Klägers folgend die für den Vergleichsabschluß vom 9. Oktober 1985 maßgeblichen Motive der Vergleichsparteien zu ermitteln. Ob die irrige Annahme des Klägers über den Umfang der durchzuführenden Nachversicherung geeignet sein kann, den am 9. Oktober 1985 vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof geschlossenen Vergleich im Wege der Anpassung abzuändern oder als unwirksam anzusehen, wird der Hessische Verwaltungsgerichtshof in dem dort unter diesem Gesichtspunkt anhängigen Verfahren (Az. 1 UE 2346/87) zu entscheiden haben.

Die Berufung des Beigeladenen konnte damit insgesamt keinen Erfolg haben. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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